Eurokrise

Auf der Suche nach dem Minimalkonsens

Die Eurokrise ist auch eine Krise der Kommunikation. Wie soll man ein Problem lösen, wenn man nicht weiß, worin es eigentlich besteht? 16 renommierte Ökonomen wollen das ändern.

Suchen nach einer gemeinsamen Basis: Ökonomen in freier Wildbahn. Foto: Andy Hay via Flickr (CC BY 2.0)

Berlin, 5. Februar 2015, es ist bitterkalt in der deutschen Hauptstadt, irgendwie passend zum wichtigsten Termin des Tages. Der frischgebackene griechische Finanzminister Yannis Varoufakis ist zu Gast bei seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble, um über das weitere Vorgehen in der Eurokrise zu beraten. Schäuble fasst das Gespräch später mit den Worten zusammen: „We agree to disagree.“ Varoufakis korrigiert: „We didn´t even agree to disagree.“

Das Aufeinandertreffen von Varoufakis und Schäuble ist das Sinnbild für das Grundproblem der europäischen Politik seit mittlerweile fast einem Jahrzehnt: Es gibt keinen Konsens darüber, was eigentlich schieft läuft. Und es ist halt verdammt schwer, ein Problem zu lösen, wenn man sich nicht einig ist, worin das Problem eigentlich besteht.

Diesen Eindruck haben auch 16 internationale Ökonomen verschiedenster Denkschulen. Deshalb haben sie ein Papier geschrieben, dass genau dieses Grundproblem beheben soll. Unter dem Titel „Rebooting the Eurozone: Step 1 – Agreeing a Crisis narrative“ stellen renommierte Ökonomen wie Olivier Blanchard, Daniel Gros und Weder di Mauro eine Ursachenanalyse vor, von der sie hoffen, dass möglichst viele andere Ökonomen aus einem breiten Meinungsspektrum sie teilen (das Papier  in kürzerer Form gibt es bei VoxEU).

Und so sieht der Minimalkonsens aus:

  • Die Eurokrise war in ihrem Ursprung eine „Sudden Stop“-Krise

Als „Sudden Stop“ werden Krisen bezeichnet, die dadurch gekennzeichnet sind, dass internationale Finanzströme abrupt zum Erliegen kommen oder sich umkehren. So verzeichneten Länder wie Spanien, Portugal, Irland und Griechenland extrem hohe Leistungsbilanzdefizite, die mit Geld aus dem Ausland (vor allem aus Ländern mit extrem hohen Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland) finanziert wurden. Als diese Geldströme im Zuge der Finanzkrise zum Erliegen kamen, konnten private wie staatliche Schulden nicht mehr refinanziert werden.

  • Die Eurokrise war ursprünglich keine Staatsschulden-Krise, sondern ist erst später zu einer geworden

Der plötzliche Stopp der Finanzströme ließ das Vertrauen in die betroffenen Staaten und vor allem deren Banken und die Wirtschaft schrumpfen – was die Krise noch verschärfte. Die Krisenländer sahen sich genötigt, ihren Finanzsektor mit staatlichen Geldern zu unterstützen, um einen Kollaps zu verhindern. Die Folge waren noch höhere staatliche Defizite und explodierende Staatsschuldenquoten – aus der Sudden Stop-Krise war eine Staatsschuldenkrise geworden.

  • Kein „Lender of Last Resort“

Anders als so ziemlich jedes andere Land auf der Welt hatten die Eurostaaten keinen Kreditgeber letzter Instanz (Lender of Last Resort) – also eine Institution, die im Notfall die nötigen Gelder bereitstellt, um den Staatsbankrott zu verhindern. Das sind in der Regel die Zentralbanken, aber im Fall der Eurozone ist es der Europäischen Zentralbank gesetzlich verboten, Staatsfinanzierung zu betreiben. Als dies an den Finanzmärkten realisiert worden war, verlangten diese immer höhere Zinsen für die Finanzierung der Staatsschulden – ein weiterer Krisenbeschleuniger. Erst 2012, als die Krise bereits zwei Jahre getobt hatte, beendete EZB-Chef Mario Draghi die Marktpanik mit seinem Versprechen, alles zu tun, um den Euro zu retten.

  • Keine Anpassung über den Wechselkurs möglich

Für Länder, die von einer Krise getroffen werden, gibt es einen relativ bequemes Druckventil: den Wechselkurs. Sinkt dieser, schrumpfen in der Regel auch die Leistungsbilanzdefizite, weil Importe aus dem Ausland viel teurer werden. Außerdem steigt die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Krisenlandes, weil seine Produkte billiger werden.

Den Eurostaaten blieb dieses Instrument der „äußeren Abwertung“ aber verwehrt – schließlich haben alle Staaten die gleiche Währung. Das Wechselkurs-Ventil funktioniert also nur für Handelsströme mit Ländern außerhalb der Währungsunion. In der Eurozone bestand das Problem – siehe oben – aber in den Beziehungen der Euroländer untereinander. Zudem waren die europäischen Faktor- und Gütermärkte ebenfalls wenig anpassungsfähig.

  • Die enge Verbindung zwischen Banken und ihren nationalen Regierungen hat die Krise noch weiter verschärft

Die Eurostaaten sahen sich nicht in der Lage, auch nur einige ihrer angeschlagenen Banken fallen zu lassen. So sind es in Europa anders als etwa in den USA vor allem die Banken, die die Realwirtschaft mit Banken versorgen. Außerdem wurden die Banken benötigt, um – in Ermangelung eines Lender of Last Resort – die Staatsschulden zu refinanzieren.

  • Das politische Krisenmanagement hat die Situation noch verschlechtert

Die europäischen Politiker waren mit zwei Problemen gleichzeitig konfrontiert: Erstens hatten zwei einen akuten Brandherd, den sie löschen mussten. Zweitens mussten sie gleichzeitig die institutionellen Konstruktionsfehler, die zur Krise geführt hatten, beheben – und das alles in einer Situation, in der die Interessen von Gläubiger- und Schuldnerstaaten in der Eurozone heftig aufeinanderprallten.

Die Haushaltskonsolidierung in den Krisenstaaten war unvermeidlich, aber gleichzeitig begannen auch die von der Krise nicht unmittelbar betroffenen Staaten, ihre Ausgaben zu reduzieren – was die wirtschaftliche Lage in der Eurozone und besonders in den Krisenstaaten noch weiter verschlechterte.

 

Es wird spannend sein zu beobachten, wie viele und insbesondere wer noch folgen werden. Denn gerade der letzte Punkt, die Kritik an der Sparpolitik, dürfte einige Ökonomen gerade aus Deutschland von einer Unterschrift abhalten. Bisher haben außer den 16 Autoren noch 22 weitere Ökonomen ihren Namen unter das Papier gesetzt, darunter sind unter anderem Peter Bofinger und Carmen Reinhart.

Unterschreiben können übrigens nur Personen mit einer abgeschlossenen ökonomischen Ausbildung (wer Interesse hat muss dies in einer E-Mail an [email protected] bekunden und einen kurzen Lebenslauf anfügen).