Sozialstaat

Die blinden Flecken der Rentendebatte

Die Rentendebatte als Generationenkonflikt darzustellen, greift zu kurz und verschleiert die eigentliche Gerechtigkeitsfrage. Statt Jung gegen Alt auszuspielen, sollte die Rente als soziales Recht verstanden werden, das nur mit Investitionen in Menschen, Wohnen, Pflege und soziale Infrastruktur tragfähig ist. Ein Beitrag von Vienne Chan.

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Im jüngsten Streit um das Rentenpaket behauptete die Junge Union, dass die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48% ungerecht gegenüber der jüngeren Generation sei, da sie die Kosten für die Unterstützung einer aufgeblähten Generation von Abhängigen tragen müsse. Die Abgeordneten der Jungen Union behaupteten, dies sei eine Frage der Generationengerechtigkeit.

Wenn wir tatsächlich über Gerechtigkeit sprechen wollen, sollten wir das Rentensystem aus einer ethischen Perspektive betrachten. Angesichts der „Wirtschaft first”-Agenda der CDU ist dies keine überflüssige Übung. Letztendlich zwingt uns die CDU zu der Frage: „Dienen die Menschen der Wirtschaft – oder dient die Wirtschaft den Menschen?”

Die Rentendebatte als eine Frage der Generationengerechtigkeit zu inszenieren, also als die Kehrseite des Generationenvertrags, führt unweigerlich in trübe ethische Gewässer: Verschiedene Altersgruppen werden gegeneinander positioniert, und die Zuteilung von Ressourcen wird anhand der Leistungen und des Potenzials dieser Gruppen gerechtfertigt. Angesichts der Klimakrise, des Kolonialismus sowie verschiedener historischer und weiterhin anhaltender Ungerechtigkeiten kann diese Argumentation schnell in einer nihilistischen Spirale enden.

Aber auch die bestehende Umlagefinanzierung, bei der die Erwerbstätigen regelmäßige Beiträge zur Unterstützung der Rentner leisten, ist nicht perfekt. Frauen und alle, die von guten, formellen Arbeitsbedingungen ausgeschlossen sind, waren schon immer am stärksten von Altersarmut betroffen. In diesem Sinne perpetuiert das derzeitige Rentensystem viele bestehende systemische Ungerechtigkeiten, teilweise deswegen, weil ein würdevoller Ruhestand als etwas verstanden wird, das man sich verdienen muss.

Rechte werden jedoch nicht verdient. Es wäre fruchtbarer, das Thema innerhalb der breiteren Wohlfahrtsdebatte zusammen mit der Sozialhilfe zu verorten, da es beim Ruhestand letztlich darum geht, wie diejenigen, die nicht mehr arbeiten können, in unserer Gesellschaft leben und welche Unterstützung wir ihnen zur Verfügung stellen.

Die Debatte um den demografischen Wandel ignoriert die Menschen

Die alternde Bevölkerung, ob in Deutschland, in China oder in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, bedroht traditionelle ökonomische Annahmen des Sozialstaats, bei denen eine größere Erwerbsbevölkerung eine kleinere Gruppe von Abhängigen unterstützt, sei es durch finanzielle Beiträge oder durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen.

Aber im Kern geht es beim demografischen Wandel um Menschen. Die Produktivität pro Kopf ist nicht festgelegt. Eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung könnte sogar mehr erreichen, aber nur wenn das Land in seine Arbeitskräfte investiert, anstatt sich auf billige Lieferketten und die fortgesetzte Ausbeutung oft geschlechts- und migrationsspezifischer Arbeit zu verlassen.

Die von der CDU vorgeschlagenen Kürzungen der Sozialausgaben untergraben direkt die Möglichkeiten der Erwerbsbevölkerung. Die Verlagerung von Kosten auf Einzelpersonen – etwa durch die Abschaffung von Pflegegrad 1 – würde die Strukturen, die die Erwerbsbeteiligung ermöglichen, direkt schwächen. Frauen, die mit einer geschlechtsspezifischen Lohnlücke von 17,6% und entsprechend niedrigeren Renten konfrontiert sind, übernehmen bereits den Großteil der unbezahlten Pflegearbeit. Sie überleben oft ihre Partner, was sie nicht nur mit kleineren Renten zurücklässt, sondern auch mit größerem Pflegebedarf und weniger Menschen, die von denen sie selbst gepflegt werden könnten. Diese Dynamik verschärft die Geschlechterungleichheit über den gesamten Lebensverlauf hinweg, und der vorgeschlagene Gesetzentwurf macht Jahrzehnte der Arbeit für mehr Geschlechtergerechtigkeit zunichte.

Eine auf Innovation ausgerichtete Industriepolitik braucht Menschen und ihre Fähigkeit zu innovieren und sich anzupassen. Ökonomen haben bereits Bedenken geäußert, dass deutsche Innovationspolitiken in eine „Mitteltechnologie-Falle“ geraten: Sie konzentrierten sich noch immer auf Felder wie die Automobilindustrie, die zwar wichtig und durchaus komplex sind, aber längst nicht mehr an der Spitze technologischer Revolution stehen. Dies bedeutet nicht nur einen technologischen Rückstand, sondern auch unzureichende Investitionen in Fähigkeiten, Bildung und soziale Infrastruktur als Kernelement der Innovation.

Andere Vorschläge und Reformen umfassen unter anderem ein verpflichtendes Jahr Freiwilligenarbeit für ältere Bürger und die steuerfreien Einkünfte der Aktivrente, um ältere Menschen zu ermutigen, mehr zu arbeiten – mit dem Ziel, die schrumpfende Erwerbsbevölkerung zu kompensieren. Doch Produktivität und Langlebigkeit sind keineswegs synonym. Altersbedingte Erkrankungen wie Demenz und eingeschränkte Mobilität sind höchst unvorhersehbar, obwohl ein präventiver und gerechter Zugang zur Gesundheitsversorgung während des gesamten Lebens den Ausbruch verzögern oder die Schwere verringern kann. Ohne eine starke, zugängliche Gesundheitsinfrastruktur drohen längere Lebensspannen eher zu einer fiskalischen Belastung als zu einem Vorteil zu werden.

Kaufkraft – die fehlende Perspektive

Lobbygruppen wie die INSM argumentieren, dass Wirtschaftswachstum der Schlüssel zur Sicherung höherer Renten sei; dies ignoriert jedoch die Realität, dass die Kosten für Wohnen, Energie und Pflege deutlich schneller gestiegen sind als Löhne und standardisierte Rentenanpassungen. Erhöhungen sind irrelevant, wenn der essenzielle Warenkorb des Alters sie überholt. Wenn wir uns Sorgen darüber machen, wie wir Wohlfahrt finanzieren, dann ist es ebenso wichtig, Faktoren zu berücksichtigen, die die Kaufkraft beeinflussen, die Souveränität über die Versorgung mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen sowie deren Preise.

So kann keine Rentenarchitektur als sozial erfolgreich bewertet werden, wenn Rentner keine sichere Wohnung haben. Deutschlands Wohneigentumsquote von 46,7% im Jahr 2022, die zweitniedrigste in der OECD, lässt Millionen dauerhaft den Mietpreisen ausgesetzt. 12% der deutschen Bevölkerung geben über 40% ihres Einkommens für Wohnkosten aus, der EU-Durchschnitt liegt bei 8,2%. Für jüngere Generationen verzögert die Belastung durch Wohnen die Vermögensbildung und verringert ihre eigene zukünftige Altersvorsorge-Resilienz.

Ein Übergang zur Kapitaldeckung, bei der die Rentenfinanzierung auf Finanzinvestitionen am Markt basiert, typischerweise über Pensionsfonds, droht diese Dynamik zu verstärken. Pensionsfonds investieren stark in Wohnungsunternehmen wie Vonovia, deren Geschäftsmodelle von immer weiter steigenden Mieten abhängen. Währenddessen sind die öffentlichen Ausgaben für Wohngeld in die Höhe geschnellt: von 1,4 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 4,3 Milliarden Euro im Jahr 2023 nach der Wohngeld-Plus-Reform und der Einführung von Heizzuschüssen. Während Haushalte dringend Unterstützung benötigen, ist es fraglich, ob die Umleitung von Milliarden in Mieteinnahmen – ohne gleichzeitigen Ausbau bezahlbaren Wohnraums oder Beschleunigung von Erneuerbare-Energien-Nachrüstung für Energiesouveränität – eine effiziente Nutzung öffentlicher Mittel ist.

Bis 2030 werden etwa 29% der deutschen Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Kapitaldeckung bietet keinen Ausweg, weil sie die Eigentumsverhältnisse und Preise der wichtigsten Ausgaben nicht ausreichend berücksichtigt. Und wie die Wohnungskrise zeigt, liefern Vorsorgekassen oft Gewinne auf Kosten erhöhter Lebenshaltungskosten. Die Umlagefinanzierung kann robust sein, da sie keine Ersparnisse erfordert – tatsächlich wurde sie eingeführt, als die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg keine Ersparnisse mehr hatten – und ist daher besonders relevant, da Deutschland sich seit 2018 in der Stagnation befindet. Angesichts des demografischen Wandels erfordert sie jedoch Investitionen in Menschen.

Starke soziale Investitionen, bezahlbarer Wohnraum und Klimaresilienz kommen sowohl den heutigen Rentnern als auch den jüngeren Arbeitnehmern zugute. Anstatt zu hoffen, dass wir weitermachen können wie bisher, sollten wir den demografischen Wandel als Gelegenheit betrachten, grundlegende Annahmen über Ersparnisse zu überprüfen und die soziale Sicherung nicht als Option zu betrachten, sondern sie als das Recht in Anspruch zu nehmen, das sie ist.

 

Zur Autorin:

Vienne Chan ist freie Mitarbeiterin beim Konzeptwerk Neue Ökonomie. Zu ihren aktuellen Forschungsinteressen zählen die Rentenpolitik und die sozial-ökologische Transformation.