In den letzten Jahrzehnten hat die Welt großartige Fortschritte im Kampf gegen extreme Armut erzielt. Im Jahr 1990 lebten 2,3 Milliarden Menschen in extremer Armut. Seitdem ist die Zahl um 1,5 Milliarden zurückgegangen.
Das bedeutet, dass in den letzten 35 Jahren an jedem durchschnittlichen Tag etwa 115.000 Menschen der extremen Armut entkommen sind. Die schlimmste Armut hinter sich zu lassen heißt nicht, ein Leben ohne Not zu führen – aber es bedeutet eine große Veränderung. Zusätzliches Einkommen ist für diejenigen am wichtigsten, die am wenigsten haben. Es bedeutet die Chance, den Hunger hinter sich zu lassen, Zugang zu sauberem Wasser und besserer Gesundheitsversorgung zu erhalten und zumindest etwas Strom zu haben – für Licht in der Nacht und vielleicht sogar zum Kochen und Heizen.
Können wir davon ausgehen, dass sich dieser rasante Fortschritt fortsetzen wird?
Leider nein. Ausgehend von den aktuellen Trends wird der Fortschritt zum Stillstand kommen. Wie wir sehen werden, wird die Zahl der Menschen in extremer Armut von 831 Millionen im Jahr 2025 auf schätzungsweise 793 Millionen im Jahr 2030 sinken. Nach 2030 wird die Zahl der extrem armen Menschen voraussichtlich wieder steigen.
Um zu verstehen, warum der rasante Fortschritt nicht anhalten wird, müssen wir wissen, was der Grund für die Erfolge der Vergangenheit war. Die extreme Armut ist in den letzten drei Jahrzehnten zurückgegangen, da in den 1990er Jahren die Mehrheit der ärmsten Menschen der Welt in Ländern lebte, die in der Folge ein sehr starkes Wirtschaftswachstum verzeichneten. In Indonesien und China lebten mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in extremer Armut. Diese Volkswirtschaften wuchsen jedoch rasch, sodass der Anteil heute auf weniger als 10% gesunken ist. Andere große asiatische Länder – darunter Indien, Pakistan, Bangladesch und die Philippinen – erzielten ebenfalls ein starkes Wachstum, wodurch der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen rapide zurückging.
Ein Großteil der Fortschritte wurde in Asien erzielt, aber auch in anderen Regionen verbesserten sich die Bedingungen: Der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen sank in Ghana, Kap Verde, Kamerun, Panama, Bolivien, Mexiko, Brasilien und vielen anderen Ländern.
Diese Grafik zeigt die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern in den letzten Jahrzehnten. Mit steigenden Einkommen verringerte sich der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen.
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Mittlerweile lebt die Mehrheit der ärmsten Menschen der Welt jedoch in Volkswirtschaften, die seit geraumer Zeit stagnieren. Nehmen wir den Fall Madagaskar: Langfristig gesehen hat das Land überhaupt kein Wachstum verzeichnet: Das Pro-Kopf-BIP in Madagaskar ist heute ungefähr genauso hoch wie 1950. Infolgedessen stieg die Zahl der Menschen in extremer Armut parallel zum Bevölkerungswachstum des Landes. In reicheren Ländern ist es möglich, Armut durch Umverteilung und damit durch den Abbau von Ungleichheit zu verringern. Aber ein Land wie Madagaskar kann seinen Anteil an Menschen in extremer Armut nicht durch Umverteilung reduzieren. Das liegt daran, dass das Durchschnittseinkommen unter der Armutsgrenze liegt – wenn alle das gleiche Einkommen hätten, würden alle in extremer Armut leben.
Ähnlich ist die Situation in anderen Ländern, wie die folgende Grafik zeigt: In der Demokratischen Republik Kongo, Mosambik, Malawi, Burundi und der Zentralafrikanischen Republik lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in extremer Armut. Da ihre Volkswirtschaften stagnieren, ist die Zahl der Menschen in extremer Armut im Einklang mit dem Bevölkerungswachstum des Landes gestiegen.
Angesichts der aktuellen Trends müssen wir davon ausgehen, dass der Fortschritt im Kampf gegen extreme Armut zum Stillstand kommen wird. Wenn die ärmsten Volkswirtschaften weiterhin stagnieren, werden Hunderte Millionen Menschen weiterhin in extremer Armut leben.
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Ich bin immer skeptisch, wenn Leute sagen, dass wir uns an einem historischen Wendepunkt befinden, ab dem die Zukunft ganz anders aussieht als die Vergangenheit. Aber wenn es um den Kampf gegen extreme Armut geht, fürchte ich, dass dies stimmt. Heute lebt die Mehrheit der ärmsten Menschen der Welt in Volkswirtschaften, die in der jüngeren Vergangenheit kein Wirtschaftswachstum erzielten.
Die folgende Prognose macht diesen Unterschied deutlich: Die sich abzeichnende Zukunft sieht ganz anders aus als die jüngste Vergangenheit. Die nächste Grafik basiert auf der neuesten verfügbaren Weltbank-Prognose.* Bis 2030 hat sie die neuesten Wachstumsprognosen von Weltbank und IWF als Grundlage. Ab 2031 basieren die Armutsprognosen auf den durchschnittlichen Wachstumsraten, die von 2015 bis 2024 erzielt wurden.*
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Diese Prognosen zeigen, dass wir nicht mit einer Fortsetzung des starken Armutsrückgangs rechnen können. Nach 2030 wird die Zahl der Menschen in extremer Armut voraussichtlich wieder steigen – wir müssen vom Ende der Fortschritte im Kampf gegen extreme Armut ausgehen.
Die Grafik zeigt auch, wie sich die geografische Verteilung der Armut verschoben hat. Vor drei Jahrzehnten lebten die meisten Menschen in extremer Armut in Asien, heute sind es vor allem Menschen in Subsahara-Afrika. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Das Wachstum in Asien wird die extreme Armut in der Region weitgehend beseitigen, während die wirtschaftliche Stagnation und das Bevölkerungswachstum in mehreren afrikanischen Ländern dazu führen werden, dass die Zahl der Menschen in extremer Armut dort stagnieren oder sogar steigen wird.
Natürlich ist dies nicht nur eine Sorge bis zum Jahr 2040: Ohne steigende Einkommen in den ärmsten Regionen wird extreme Armut weiterhin Realität bleiben. Die Vereinten Nationen haben zu Recht die „Beseitigung der extremen Armut für alle Menschen überall” zum obersten der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) erklärt. Leider ist die Welt eindeutig nicht auf dem Weg, dieses wichtigste Ziel zu erreichen.
Die Aussichten für die ärmsten Regionen der Welt sind düster. Dies gilt etwas weniger für jene Regionen, die die extreme Armut hinter sich gelassen haben. Ausgehend vom aktuellen Wachstum können wir optimistisch sein, dass die Welt im Hinblick auf höhere Armutsgrenzen weiterhin Fortschritte machen wird. Die Zahl der Menschen, die von 5 oder 10 Dollar pro Tag leben müssen, wird wahrscheinlich weiter sinken.
Aus diesem Grund haben auch diejenigen, die fordern, dass die internationale Armutsgrenze höher sein müsste, Unrecht. Wirtschaftswachstum ist für die Ärmsten am wichtigsten, und ohne eine sehr niedrige Armutsgrenze können wir nicht erkennen, ob das Wachstum die Ärmsten aus der Armut befreit. Aus diesem Grund haben wir bei Our World in Data stets Daten zu einer Vielzahl von Definitionen von Armut veröffentlicht. Eine Armutsgrenze allein reicht nicht aus, wir müssen uns auf mehrere Definitionen stützen – höhere und niedrigere als die internationale Armutsgrenze –, um zu verstehen, wie sich die Welt verändert.
Es ist nichts Neues, dass wir mit einem Ende des Fortschritts im Kampf gegen extreme Armut rechnen müssen. Dieser Beitrag ist eine Aktualisierung eines Artikels, den ich bereits 2019 veröffentlicht und in dem ich dasselbe geschrieben habe: Die Tatsache, dass die ärmsten Volkswirtschaften nicht wachsen, bedeutet, dass der rasante Fortschritt der letzten Jahrzehnte zu Ende gehen wird.
Obwohl diese Perspektive seit Jahren bekannt ist, hat sie kaum die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient. Der Fortschritt im Kampf gegen die extreme Armut war eine der herausragendsten Errungenschaften der Menschheit in den letzten Jahrzehnten – und sein Ende wäre eine der schlimmsten Realitäten der kommenden Jahrzehnte.
Wichtig ist jedoch, dass diese Prognosen keine Vorhersagen sind: Ihr Zweck ist es nicht zu beschreiben, wie die Welt im Jahr 2030 oder 2040 mit Sicherheit aussehen wird. Sie beschreiben lediglich, was wir auf Basis der aktuellen Trends zu erwarten haben – sie erzählen uns etwas über unsere heutige Welt und nicht über die Realität von morgen. Aktuelle Trends müssen nicht zwangsläufig zu Tatsachen werden: In der Vergangenheit haben viele Länder die extreme Armut hinter sich gelassen, weil sie eine Zeit lang aus der Stagnation ausbrechen konnten.
Die wichtigste Lehre aus der Historie der extremen Armut lautet: Es ist das Wachstum einer gesamten Volkswirtschaft, das Menschen aus der Armut befreit. Der Schlüssel zur weltweiten Beseitigung der extremen Armut liegt darin, dass die ärmsten Länder die schwierige Herausforderung des Wirtschaftswachstums bewältigen. Um die Armut zu beenden – insbesondere, wenn man Armutsgrenzen berücksichtigt, die über dem Durchschnittseinkommen eines Landes liegen –, muss eine Volkswirtschaft wachsen.
Aber es geht nicht nur um die makroökonomische Performance. Auch die Sozialpolitik und die direkte Unterstützung auf Haushaltsebene spielen eine wichtige Rolle. Selbst in sehr armen Volkswirtschaften gibt es Spielraum für gezielte Maßnahmen zur Unterstützung der Ärmsten. In einer Analyse darüber, wie die heute reichsten Länder die extreme Armut hinter sich gelassen haben, betont Martin Ravallion die Rolle, die die Ausweitung sozialstaatlicher Maßnahmen gespielt hat.
Und heute haben wir auch eine Möglichkeit, die es in der Vergangenheit nicht gab, als fast alle Menschen bitterarm waren: Die Tatsache, dass einige Menschen sehr arm und andere gleichzeitig sehr reich sind, bedeutet, dass es möglich ist, weltweit von den Reichen zu den Armen umzuverteilen. So macht beispielsweise die gemeinnützige Organisation GiveDirectly möglich, was ihr Name vermuten lässt: Man kann den ärmsten Menschen der Welt direkt Geld geben.
Wachstum, nationale und internationale Umverteilung – es gibt Wege, den Fortschritt im Kampf gegen die schlimmste Armut fortzusetzen. Die oben genannten Prognosen mahnen uns jedoch, dass uns eine sehr düstere Zukunft bevorsteht, wenn die ärmsten Länder nicht zu wachsen beginnen: eine Zukunft, in der extreme Armut für viele Millionen Menschen noch viele Jahre lang Realität bleiben wird.
Zum Autor:
Max Roser ist Ökonom an der University of Oxford und bloggt regelmäßig auf dem von ihm gegründeten Portal Our World in Data, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache (CC BY 4.0 Lizenz) erschienen ist. Die Übersetzung des Originalbeitrags erfolgte durch die Makronom-Redaktion. Es handelt sich weder um eine offizielle oder autorisierte Übersetzung, noch wurde sie in irgendeiner Weise von Our World in Data oder dem Autor unterstützt.







































