Economists for Future

Die Habgier der Habenden

Überreiche begnügen sich nicht mit exzessiver Vermögensanhäufung, sondern wollen die Zukunft der Gesellschaft gestalten. Daher muss den Unsterblichkeitsprojekten der Überreichen ein besonderes Augenmerk geschenkt werden. Ein Beitrag von Martin Schürz.

Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum steht die Wirtschaft – und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, inwiefern dieser Wandel by disaster geschieht oder uns by design gelingt.

Die Debattenreihe #econ4future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen in der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich zeigen sie Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften auf und geben Impulse für eine plurale Ökonomik, die sozial-ökologische Notwendigkeiten ernst nimmt.

Die Kooperation mit Economists for Future e.V. begann im September 2019. Seitdem erscheint jährlich eine neue Staffel mit wechselnden Themenschwerpunkten. Die siebte Ausgabe widmet sich der Frage, wie sich soziale Sicherheit im Spannungsfeld von Klimakrise und wirtschaftlicher Transformation neu denken lässt. Was braucht es aus ökonomischer Perspektive, um sozialer Spaltung sowie dem Erstarken autoritär-nationalistischer Tendenzen entgegenzuwirken? Und wie können Wohlfahrtsstaat, Eigentumsverhältnisse, Versorgungssysteme und Institutionen so gestaltet werden, dass demokratischer Zusammenhalt, ökologische Stabilität und ökonomische Resilienz gestärkt werden?

Alle bisher erschienenen Beiträge der Economists for Future-Reihe finden Sie hier.

Überreichtum bezeichnet eine Vermögenskonzentration, welche in letzter Konsequenz eine Demokratie verunmöglicht. Überreichtum beschädigt die Menschenwürde, das Miteinandersein und die Umwelt.

Manchmal wird versucht, diesen Begriff ins Lächerliche zu ziehen, weil man nicht wisse, ab welchem Vermögenswert davon gesprochen werden soll. Sei ein Privatvermögen von 1 Milliarde US-Dollar zu viel oder gelte dies erst ab 500 Milliarden, wie sie Elon Musk seit kurzem sein Eigen nennt?

Diese Frage weist aber weniger auf die Willkürlichkeit von Werturteilen hin als auf die Notwendigkeit einer demokratischen Befassung mit Vermögensobergrenzen. Denn logischerweise muss es irgendwo eine Grenze in der privaten Vermögensanhäufung geben. Nur Menschen mit einem verteidigenden Zugang zu Reichtum, die Kritik an der eklatanten Vermögenskonzentration durchgängig vermeiden wollen, werden zugestehen, dass eine Handvoll Menschen so viel haben soll wie der Rest der Menschheit zusammen.

Charakteristika des Überreichtums

Das wesentliche Charakteristikum von Überreichtum ist der offene Horizont bei der Höhe des Privatvermögens. Nie ist es genug, immer geht noch mehr. Aktuell wird medial hinsichtlich einer 1-Billion-Dollar-Grenze hyperventiliert. Doch auch dies würde kein Ende des Strebens nach Reichtum bedeuten. Grenzenlosigkeit ist dem Prozess der Vermögensakkumulation inhärent.

Überreiche Menschen haben drei Instrumente zur Verfügung, welche der Rest von uns nicht hat. Erstens: Sie prägen Zukunftsbilder. Mit technologischen Visionen haben sie sich die Rolle von orakelhaften Propheten zugedacht. Zweitens prägen sie als Eigentümer wichtiger Medien und Plattformen die Meinungsbildung genau dort interessensgeleitet, wo ein breiter kritischer Diskurs stattfinden sollte. Drittens haben sie sagenhafte Finanzmittel zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung.

Auf Grund ihrer enormen materiellen Ressourcen, mit denen sich fast alles kaufen lässt, ist der Tod für die Reichsten ein rätselhaftes Ärgernis. Der marxistische Psychoanalytiker Erich Fromm schrieb:

„Aber mehr als alles andere befriedigt vielleicht der Besitz von Eigentum das Verlangen nach Unsterblichkeit, und aus diesem Grund ist die Orientierung am Haben so mächtig. Wenn sich mein Selbst durch die Dinge konstituiert, die ich habe, dann bin ich unsterblich, wenn diese unzerstörbar sind.“

Eigentum und Todesangst

Auch heute versuchen Menschen, mit Privateigentum den eigenen Tod zu transzendieren. Hierbei geht es um Geschenke, das Erbe und den Nachlass. Diese Vermögenstransfers an Familienmitglieder sind oft verknüpft mit ambivalenten Gefühlen. Daher ist auch jede Infragestellung von Privateigentum hochgradig emotionalisiert. Dies liegt daran, dass Dinge, die Beziehungsanliegen von Menschen ausdrücken sollen, deren Fragilität und Ambivalenz nicht abbilden können.

Viele schenken oder planen Erbschaften, verknüpft mit Erwartungen hinsichtlich des Verhaltens der Erben. Sie sind dann tief enttäuscht, wenn sich diese Erwartungen nicht erfüllen. Wenigstens Freude und Dankbarkeit wollen die meisten sehen. Doch manchmal kann das Haus, das geliebte Zentrum des eigenen Lebens, für die Nachkommen nur eine quälende Last sein. Tiefe Verletzungen und Kränkungen resultieren folglich gerade beim Vererben und beim leistungslosen Erben. Wer soll was bekommen und was macht dies mit den anderen, werden zu zentralen Fragestellungen angesichts des unvermeidlichen Todes.

Die eigenen Kinder sollen das Unternehmen oder den Bauernhof fortführen, sollen im Haus auf dem Land wohnen bleiben, obwohl sie in der Stadt arbeiten, sollen das Finanzvermögen weiter anlegen, und sollen diese Ziele, als Werte verkleidet, wieder an die eigenen Kinder weitergeben. Aber die Angst verschwindet deswegen noch nicht. Denn die Vererbenden werden verstorben sein und keine Macht oder Kontrolle darüber haben, ob ihre Wünsche dereinst erfüllt werden. Es ist eben nur noch eine Macht der toten Hand. Und dies beruhigt Lebende nicht wirklich.

Die Vergeblichkeit der Dinge

Der verstorbene Papst Franziskus hatte anschaulich formuliert:

„Wie viele Güter der Mensch in dieser Welt auch anhäufen mag; in einem Punkt können wir absolut sicher sein: Sie werden nicht mit uns im Sarg liegen.“

Wenigstens für Pharaonen im alten Ägypten war zwar das Gegenteil zutreffend. Die Beigaben in den ägyptischen Pharaonengräbern waren von großem Wert, sie mussten den Überlebenden entzogen und vor Grabschändern in Sicherheit gebracht werden.

Eine Reflexion über die Vergeblichkeit eines gierigen Anhäufens von Dingen im Leben ist häufig zu finden. Seltener führt dies aber zu entsprechenden generösen und solidarischen Verhaltensweisen. Thomas Piketty deutet in seinem Buch Kapital und Ideologie eine Überlegung an, die er danach aber nicht näher ausführt:

„Die Sakralisierung des Eigentums ist im Grunde eine natürliche Reaktion auf die Angst vor der Leere.“

Die Leere kann verstanden werden als ungelöste Sinndimension im Leben – oder als Todesangst. Die den Tod transzendierenden Charakteristika von Privateigentum verändern die Ängste. Vermögen ist auf Dauer angelegt und scheint Sinn versprechen zu können. Erst der Schrecken des Todes macht das Klammern an Eigentum und Verlustängste verständlich.

Wer sich gesellschaftspolitisch gegen Privateigentum wendet, erhöht das Entsetzen der Eigentümer vor dem Tod. Zerstört wird nämlich die Fantasie, dass es einfach immer so weitergeht im Leben. Es geht bei zaghaften Ideen zur Vermögensbesteuerung eben nicht nur um die Verletzung von materiellen Interessen, sondern um Werte und Fantasien.

Beim Vererben versteckt sich die – nicht explizierte – Wertfrage nach dem Sinn im Leben. Vielen scheint diese Frage als Luxus, denn die Notwendigkeit der Selbsterhaltung nötigt ihnen Zwänge auf, welche für abstrakt anmutende Fragen keinen Raum und keine Kraft lassen. Die Sinnfrage im Kapitalismus wird in der Praxis durch das notwendige Streben nach Selbsterhaltung beantwortet und von jenen, die etwas mehr haben, über ein Streben nach Vermögen, Vermögensmehrung und Macht. Und unten in der Einkommensverteilung wird der Traum vom Eigenheim stets von neuem geträumt.

Die Bedeutung des Eigentums in der Gesellschaft

Privateigentum, die Herrschaft über Dinge, besteht aber in einer Rechtsbeziehung zwischen Menschen. Es geht nicht nur um ein Dingverhältnis, sondern um ein Personenverhältnis. Freiheit durch Privateigentum vernachlässigt per Definitionem die Freiheit von Nicht-Eigentümern. Diesen wird eine mögliche Freiheit in der Zukunft suggeriert, wenn sie durch eisernes Sparen auch (Immobilien-)Eigentum erwirtschaften. Die Empfehlungen der Befürworter einer Eigentümergesellschaft zielen darauf, dass Privateigentum in der Gesellschaft heilig wird. Zwar können nicht alle Menschen ein Eigenheim mit Vorgarten haben, weil der Boden begrenzt ist, aber dies ändert nichts an den Heilversprechen des Privateigentums.

Von konservativer Seite wird betont, bei Freiheit gehe es allein um den Abbau staatlicher Beschränkungen und daher sei Privateigentum so zentral. In den Lebenserfahrungen von Menschen wird die Freiheit aber auch durch ausbeuterische Chefs und empathielose Mitmenschen eingeschränkt. Und für uns alle wird der Raum der Freiheit durch Krankheiten, Altern und Tod definiert. Die entscheidende Frage lautet daher laut Erich Fromm stets: „Du lebst nur eine kurze Zeit – wer bist und was willst Du eigentlich?”

Überreichtum und Lebenszeit

Was wollen wir mit unserer begrenzten Zeit auf Erden anfangen? Anstatt sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was wirklich wichtig im Leben ist, wird lieber versucht, Eigentum zu erwerben und weiterzugeben. Diese Sinngebung kann aber nur funktionieren, wenn die Todesangst ausgeprägt ist. Und letztlich kommt dann zur Angst vor dem Nichts eine Angst vor dem Verlust von etwas hinzu. Denn auch die Dauer von bestimmten Vermögensformen ist begrenzt.

Für die Überreichen kommt ein weiteres Problem hinzu. Ein zu viel an Vermögen macht orientierungslos. Nie resultiert ein zufriedenes, nun ist genug, daraus. Da der Schrecken des Todes jener der Leere ist, während Reichtum Fülle symbolisiert, ist Überreichtum eine angemessene Begriffsbestimmung. Überreichtum bedeutet wider Erwarten auch Leere, und diese Leere ängstigt.

Philanthropie ist eine Art moderner Ablasshandel. Oft ist sie heimlich verknüpft mit dem alten Ziel der Unsterblichkeit. Für ein Erlösungsversprechen oder eine vage Hoffnung von Unsterblichkeit wird den Armen ein Obolus gegeben. Kleine Wohltaten sollen den Weg ins Himmelreich ebnen, schrieb der Althistoriker Peter Brown in seinem wunderbaren Buch Schatz des Himmels über die Allianz von Reichen und Männern der Kirche im 4. Jahrhundert.

Existenzielle Fragen und Grenzen

Um existenziellen Fragen auszuweichen, gibt es im Leben zahlreiche Möglichkeiten. Das Weiterleben in den Kindern, in den künstlerischen Werken und den Dingen sind gängige Strategien. Philanthropie weist den Weg zum Nachruhm. Aber technologisch ansetzende Unsterblichkeitsingenieure in den Diensten der Tech-Milliardäre formulieren die Frage aktuell radikal um: Lässt sich die Endlichkeit abschaffen?

Im Transhumanismus entlastet die ferne Zukunft von Schuldgefühlen, weil in abstrakten Zahlenspielen und Marsfantasien alles gegenwärtige Leid klein erscheinen wird. Die Reichsten wollen mehr Vermögen und mehr Zeit im Leben. Kapital und Langlebigkeit suchen sie. Nirgendwo soll es für sie Einschränkungen geben. Weder beim Vermögen noch bei der Lebenszeit mögen sie Grenzen. Bei anderen Menschen akzeptieren sie Limitationen umso leichter. Wer arm ist, soll in seinem Land bleiben, wer aus armen Verhältnissen kommt, soll sich anpassen. Und für manche unter ihnen ist Reichtum eine Gunst Gottes.

Grenze der Endlichkeit

Die Welt der Überreichen ist eine, in welcher soziale Ungleichheit rational nicht hinterfragt wird. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird mit Narrativen und Mären zu rechtfertigen gesucht. Ginge es hingegen darum, sie radikal zu hinterfragen, gäbe es sie nicht mehr.

Der Tod ist der große angstmachende Gleichmacher in einer ungleichen Welt. Er setzt auch den Reichsten eine Grenze in einem ansonsten grenzenlos anmutenden Leben. Dies müssen sie narzisstisch als tiefe Kränkung empfinden. Und deshalb boomen die Bemühungen der Langlebigkeitsindustrie und die Fantasien zur Abschaffung des Todes. 

Umgang mit Überreichtum

Überreichtum ermöglicht einigen wenigen Menschen, unsere Zukunft zu prägen. Die Reichsten haben die Deutungshoheit im Kapitalismus. Doch nun wollen sie auch zu Letztinstanzen beim Tod werden. Und ob ihrer Macht sind ihre Unsterblichkeitsfantasien für den Rest von uns wichtig. Sie formulieren ihre technologischen Utopien der Kälte für uns alle. Narzisstisch angetrieben von Gier nach immer mehr, wollen sie den Zugang zu einem solidarischen endlichen Leben versperren.

 

Zum Autor:

Martin Schürz ist Ökonom und Individualpsychologe. Er forscht zur Vermögensverteilung und arbeitet als Psychotherapeut in einem Ambulatorium für traumatisierte Kinder. Sein Buch Überreichtum wurde mit dem Bruno Kreisky Preis für das Politische Buch ausgezeichnet. Zudem ist er IWM Guest Fellow.