Die absurde Rentendebatte der Jungen Union dreht sich um 0,2% des BIP
Die Junge Union droht wegen der Rentenpolitik die Koalition aufzukündigen. Aber betrachtet man die Zahlen im Verhältnis zur künftigen Wirtschaftsleistung, schrumpft der vermeintliche „Rentenschock“ zu einem politischen Phantom. Ein Beitrag von André Kühnlenz.
Die aktuelle politische (Phantom-)Debatte in Deutschland dreht sich um folgendes: Die Junge Union möchte wegen 0,2% des BIP notfalls die Koalition platzen lassen. Noch absurder: Die kolportierten rund 120 Milliarden an Mehrkosten zwischen den zwei Projektionen des Rentenniveaus ab 2032 bis 2040 haben gar keine Relevanz.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat erst vergangene Woche die Projektionen vorgelegt, wonach die Mütterrente III und die bisherige Haltelinie von 48% bis 2031 zu Mehrkosten von 18,6 Milliarden im Jahr 2040 führen werden (vgl. Grafik unten). Das gilt dann, wenn Deutschland nicht zum Rentenniveau zurückkehrt, das es ohne die Haltelinie gegeben hätte – was die populistische Forderung der Jungen Union ausmacht.
Die 18,6 Milliarden würden im Jahr 2040 0,3% des Bruttoinlandprodukts von rund 7.000 Milliarden Euro entsprechen, wenn bis dahin das die Wirtschaft im Schnitt real um 1% pro Jahr wächst und sich die Inflation im Schnitt bei 2% pro Jahr einpendelt. Lässt man die Mütterrente außen vor, so wie es die Junge Union tut, sind es sogar nur 0,2%. Das ist die einzig relevante Zahl.
Die Summe über all die Jahre ist hingegen irrelevant – und zweitens deutlich höher, als die 120 Milliarden, von denen die Junge Union ausgeht. Von 2027 bis 2040 sind es tatsächlich 203 Milliarden, und interessanter für die Junge Union: ab 2032 sind es allein 158 Milliarden, wie die Zahlen der Rentenversicherung zeigen (42 Milliarden sind für die Mütterrente, daher die rund 120 Milliarden). Eigentlich müsste die JU wegen dieser Zahl aus dem Fenster springen; macht sie natürlich nicht, weil auch sie in Wahrheit weiß, was für eine Phantomdebatte sie da führt.
Um wie viel werden nun die Bundesmittel bis 2040 steigen? Die Mittel setzen sich in diesem Jahr aus 93 Milliarden an Zuschüssen und 30 Milliarden an weiteren Mitteln zusammen. Allein für die Zuschüsse erwartet die Rentenversicherung einen Zuwachs um 73% auf 161 Milliarden bis 2040. Aber keine Panik: Auch diese Zahlen müssen im Verhältnis zum BIP betrachtet werden. Würden die weiteren Mittel ebenfalls um 73% wachsen, stiegen die Bundesmittel also von 123 Milliarden im Jahr 2025 auf 213 Milliarden im Jahr 2040. Im Verhältnis zum BIP würde dies bedeuten: Von 2,76% im Jahr 2025 (eine der niedrigsten BIP-Quoten seit Ende der 90er Jahre – dank der jüngsten Inflation, die auch 2026 konstant bleibt) – auf 3,04% im Jahr 2040. Sollten die sonstigen Mittel bei 30 Milliarden verbleiben, würde die Quote bei 2,73% stagnieren.
Relevanter ist, wie man den Anstieg der Rentenbeträge von 18,6 auf 21,2% und das Absinken des Rentenniveaus auf 46,3% bis 2040 verhindert. Dafür ist aber tatsächlich noch Zeit. Allein die jüngste Projektion des Sachverständigenrats im Jahresgutachten 2023/24 hat eindrucksvoll bewiesen (vgl. Grafik oben) wie man sich gleich im ersten Jahr der Berechnungen um 0,4% des BIP verhauen kann. Vielleicht sollte man da nicht schon im Jahr 2025 um 0,3% des BIP im Jahr 2040 feilschen.
Hinzu kommt ein technischer Aspekt, der am Dienstag in der Talkshow von Markus Lanz deutlich wurde. Am Ende musste sogar Hans-Werner Sinn der Aussage von Karl Lauterbach zustimmen: Das Vorhaben der Jungen Union, das Rentenniveau nach 2032 mit einem Schlag um einen Prozentpunkt zu senken, würde tatsächlich zu nominal sinkenden Rentenauszahlungen führen – was gesetzlich ausgeschlossen ist. Rein hypothetisch könnte man sich einen sanften Übergang zum neuen Rentenniveau vorstellen: Doch das würde vermutlich auch nur zu dem Verlauf (vgl. Grafik oben) führen, wie er jetzt im Gesetzentwurf steht. Vielleicht gäbe es noch kosmetische Verhandlungsmasse ab 2038, damit die Junge Union nicht ihr Gesicht verliert. Das Theater ist es jedoch nicht wert.
Zum Autor:
André Kühnlenz ist Redakteur bei der Finanz und Wirtschaft. Außerdem bloggt er auf weitwinkelsubjektiv.com, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist. Auf Bluesky: @keinewunder.de
Die Bezeichnung QE-Programm (Quantitative Easing) ist nicht die offizielle Bezeichnung des Programms der EZB, sondern bezeichnet lediglich eine geldpolitische Methode, bei der die Zentralbank Schuldtitel kauft, um das Niveau der Marktzinsen nach unten zu drücken. Das QE-Programm heißt im offiziellen EZB-Sprachgebrauch Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und wurde Anfang 2015 beschlossen. Das APP bestand zunächst aus drei Einzelprogrammen zum Ankauf
gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3, Start Oktober 2014),
forderungsbesicherter Wertpapiere (ABSPP, Start November 2014) und
von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP, Start März 2015).
Im Juni 2016 kam das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) hinzu.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Programme finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die EZB hat für die einzelnen Programme keine konkreten Kaufvolumina, sondern lediglich monatliche Zielmarken für das gesamte APP festgelegt.
März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro
April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro
April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro
Januar 2018 bis September 2018: 30 Milliarden Euro
Was kauft die EZB genau?
Der Blick auf die pro Monat aufgekauften Wertpapiere zeigt, dass die EZB durchaus die Zusammensetzung ihrer Käufe variiert hat und im Rahmen der einzelnen Programme unterschiedlich aktiv war. Auch lag das monatliche Kaufvolumen nicht immer präzise bei den angekündigten 60 bzw. 80 Milliarden Euro – allerdings hat die EZB während der jeweiligen Phasen im Durchschnitt doch ziemlich exakt das angekündigte Volumen gekauft.
*APP tatsächlich: Diese Linie zeigt, wie viel die EZB während der bisherigen drei Phasen des APP (Zielwert März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro, Zielwert April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro, Zielwert April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro) durchschnittlich pro Monat gekauft hat. Quellen: EZB, eigene Berechnungen
Die unterschiedliche Gewichtung der Unterprogramme wird im folgenden Chart noch etwas deutlicher. Dieser zeigt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Programme während der einzelnen Monate seit Start des APP im März 2015 war. Daraus wird ersichtlich, dass die EZB den Anteil der gekauften Staatsanleihen zuletzt wieder etwas reduziert hat (von in der Spitze über 90% auf zuletzt etwa 80%).
Quellen: EZB, eigene Berechnungen
Worauf es zu achten gilt: Konkrete Umsetzung und Reinvestitionen fälliger Anleihen
In den kommenden Monaten gilt es also vor allem zu beobachten, wie die EZB die angekündigte Reduzierung ihres Aufkaufvolumens konkret umsetzt, weil sich dies auf die betroffenen Marktsegmente unterschiedlich auswirken wird. So hat die EZB wie oben gezeigt seit Start ihrer Aufkaufprogramme demonstriert, dass sie in der Lage und gewillt ist, die angekündigten Kaufvolumina auch tatsächlich umzusetzen. Das heißt, dass die gesamten APP-Bestände in ihrer Bilanz ungefähr dem im folgenden Chart skizzierten Verlauf (rote gestrichelte Linie) folgen und Ende September 2018 ein Gesamtvolumen von ca. 2,6 Billionen Euro erreichen dürften – die Frage ist eben lediglich, durch welche Wertpapiere die große weiße Lücke im Chart konkret gefüllt wird.
Anmerkung: Die Bestände werden immer am Ende eines Quartals um Amortisierungen bereinigt. Das bedeutet, dass der Wert von unter ihrem Nominalwert gekauften Anleihen nach oben korrigiert werden, wenn sie näher an ihren Fälligkeitstermin kommen. Für über Nominalwert gekaufte Anleihen gilt entsprechend eine Abwärtskorrektur. *Erwarteter Verlauf auf Basis der EZB-Ankündigung, ab Januar 2018 im Rahmen des APP monatlich Wertpapiere im Wert von 30 Milliarden Euro erwerben zu wollen. Die Reinvestionsvolumina sind nicht dabei nicht berücksichtigt. Quellen: EZB, eigene Schätzungen
Es muss auch berücksichtigt werden, dass das APP noch lange über sein eigentliches Ende hinaus Wirkung entfalten wird. So hat die EZB bereits im Dezember 2015 angekündigt, die Einkünfte aus bis zur Fälligkeit gehaltenen Anleihen wieder zu reinvestieren und dieses Versprechen auf der Oktober-Ratssitzung noch einmal erneuert und präzisiert. Sollte also beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe 2019 fällig und die EZB vom deutschen Staat ausbezahlt werden, wird sie – Stand heute – dieses Geld für den erneuten Erwerb einer (deutschen) Staatsanleihe nutzen. Ihre Bestände an Staatsanleihen werden sich somit nicht zwangsläufig verringern und ihre Präsenz auf den Märkten auch nicht sehr viel kleiner werden – sie schafft nur kein neues Geld, um Staatsanleihen zu erwerben.
QE-Käufe nach Ländern
Die EZB hat beim Start des PSPP (also des Staatsanleihen-Programms) angekündigt, dass sich das Kaufvolumen am Kapitalschlüssel der beteiligten Länder orientieren soll. Jedoch ist die EZB von diesem Ziel deutlich abgewichen: Sie hat mehr Staatsanleihen der großen Eurostaaten gekauft, als dies eigentlich nach dem Kapitalschlüssel angemessen gewesen wäre. So machen beispielsweise deutsche Staatsanleihen mittlerweile knapp 27% des aufgekauften Staatsanleihen-Portfolios aus, obwohl der deutsche Kapitalschlüssel nur bei knapp 18% liegt.
Quellen: EZB, eigene Berechnungen
Diese “Bevorzugung” der großen Staaten könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es bei den kleineren Ländern schlicht nicht genug Anleihen gibt, damit die EZB ihr angepeiltes Kaufvolumen erreichen kann. Es wird sich zeigen, ob die EZB somit ihr Kaufverhalten ändern wird, wenn sie nur noch eine kleinere Summe an Staatsanleihen aufkaufen muss.
Bilanzsumme
Die im Rahmen des QE-Programms getätigten Käufe machen inzwischen fast die Hälfte der insgesamt knapp 4,4 Billionen Euro großen EZB-Bilanz aus. Wenn die EZB die Summe der monatlichen Anleihekäufe ab Januar senkt, ist in der kurzen Frist zu erwarten ist, dass sich die EZB-Bilanz zunächst etwas langsamer ausweiten wird. Um die tatsächliche expansive Wirkung der Geldpolitik zu beurteilen ist es aber auch notwendig zu beobachten, wie sich die übrigen Posten der Bilanz verändern, was aus heutiger Sicht aber nicht abschätzbar ist.
Quelle: EZB
Glossar: Die Programme im Detail
Das erste Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme, CBPP) wurde bereits 2009 von der EZB beschlossen, um nach der Finanzkrise den Markt für diese Papiere (z. B. Pfandbriefe) zu stabilisieren und Refinanzierungsproblemen der Banken entgegenzuwirken. Innerhalb eines Jahres wurden Wertpapiere im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro angekauft. Ein zweites CBPP mit folgte dann von November 2011 bis Oktober 2012. Das aktuell laufende dritte CBPP wurde im Oktober 2014 verabschiedet.
Das Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) wurde im September 2014 in Verbindung mit dem Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3) beschlossen. Dabei werden ABS-Papiere am Primär- und Sekundärmarkt aufgekauft.
Im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme, PSPP) werden seit März 2015 Wertpapiere des öffentlichen Sektors wie Staatsanleihen sowie Schuldtitel europäischer Institutionen und Agenturen gekauft. Für die Ankäufe im Rahmen des PSPP gibt es detaillierte Regeln. So dürfen Staatsanleihen beispielsweise wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nur am Sekundärmarkt erworben werden. Es dürfen nur Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufgekauft werden. Zudem will die EZB nicht mehr als 33% aller auf den Sekundärmärkten befindlichen Papiere aufkaufen.
Mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) werden seit Juni 2016 auch Anleihen von Unternehmen in der Eurozone erworben. Ausgeschlossen sind Kreditinstitute und Unternehmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen nicht mindestens als „Investment Grade“ bewertet werden. Die Anleihen müssen Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben und können sowohl am Primärmarkt als auch am Sekundärmarkt gekauft werden.