Mit dem Clean Industrial Deal State Aid Framework (CISAF) hat die Europäische Kommission am gestrigen Mittwoch ein neues Kapitel in der EU-Beihilfepolitik aufgeschlagen. Sie benennt darin u.a. erstmals Kriterien für die europarechtliche Zulässigkeit weitreichender Subventionen der Stromkosten der energieintensiven Industrie. Damit gibt sie vor allem dem Druck der deutschen Bundesregierung nach, die einen Industriestrompreis als Protektionsinstrument für energieintensive Betriebe in ihrem Koalitionsvertrag verankert hatte.
Ein wesentliches Argument der Befürworter ist der Bedarf, stromintensiv produzierende Industrieunternehmen in der gegenwärtigen sensiblen Phase des Umstiegs auf klimafreundliche Produktionstechnologien gezielt zu unterstützen. Tatsächlich sprechen sowohl die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz der Klimapolitik als auch streng ordnungspolitische Gründe für eine solche gezielte Unterstützung. Die Dekarbonisierung erfordert massive langfristige Investitionen, deren Ertragskalkulation durch hohe Kosten- und Erlösunsicherheit belastet ist. Diese Unsicherheit ist in Teilen politisch-regulatorisch bedingt.
Konkret betrifft dies die Höhe des CO₂-Preises als zentrales Anreizinstrument für die Emissionsminderung. Veränderungen im Marktdesign des EU-Emissionshandels und Unsicherheit über die mittelfristige Entwicklung der Ausgabemenge an Emissionszertifikaten tragen zur Preisunsicherheit bei. Dies schlägt sich in höheren Finanzierungskosten für transformative Investitionen nieder. Darüber hinaus belastet die allgemeine Unsicherheit über den langfristigen Pfad der Klima- und Energiepolitik das Investitionsklima.
Vergangenheitsorientierte Subventionen verdrängen echten Förderwettbewerb
Um solche politisch verursachten Investitionsrisiken abzufedern oder zumindest gerechter zu verteilen, wurden in jüngster Zeit eine Reihe innovativer Förderinstrumente wie Klimaschutzverträge, grüne öffentliche Beschaffung und Unterstützung beim Aufbau von Märkten für Power Purchasing Agreements (PPAs) entwickelt und zum Teil auch bereits erprobt. Ihnen gemein ist der Ansatz, staatliche Unterstützung wettbewerbsbasiert unter Berücksichtigung von Ehrgeiz und Effizienz der Investitionsmaßnahmen zu verteilen. Eine Strompreisbeihilfe verfolgt hingegen genau den gegenteiligen Ansatz: Anstatt die Förderung an Entscheidungen für die Zukunft auszurichten, ist sie an gegenwärtige oder historische Verbrauchsmuster gekoppelt. Sie belohnt nicht kreative Lösungs-ansätze für die Zukunft, sondern verwaltet bestehende Strukturprobleme.
Auch aus der Perspektive des Energiesystems ist es riskant, staatliche Förderung ausgerechnet an das Strompreissignal zu binden. Zweifellos spielt die Elektrifizierung eine Schlüsselrolle bei der Sektorkopplung und somit auch für eine langfristig flächendeckende Dekarbonisierung. Gerade des-halb ist es umso wichtiger, die Lenkungswirkung von Strompreisen nicht zu verzerren. Zukünftige Fortschritte bei der Steigerung der Energieeffizienz und der zeitlichen Flexibilisierung von Lasten werden in einer weitgehend elektrifizierten Industrie unverzichtbar bleiben, um die Kosten des Energiesystems zu senken. Gut gemeinte Preisrabatte könnten mittelfristig einen Boomerang-Effekt nach sich ziehen, der sich in Form höherer Netzentgelte auf die Allgemeinheit der Stromverbraucher auswirkt oder noch weitreichendere Formen staatlicher Unterstützung notwendig macht.
EU-Anforderungen mildern nur die Probleme
Um diese Probleme zu adressieren, hat die Kommission die Zulässigkeit der Strompreisbeihilfen an eine Reihe von Restriktionen und Konditionalitäten geknüpft. Diese können die geschilderten Probleme abmildern, den Konstruktionsfehler eines Industriestrompreises aber nicht beseitigen. So ändert die vorgesehene Beschränkung der Entlastungswirkung (maximal 50% Kostenerstattung auf 50% des Stromverbrauchs) nichts daran, dass höherer Stromverbrauch uneingeschränkt mit höherer absoluter staatlicher Förderung verbunden ist, Einsparungen im Stromverbrauch also förderseitig nicht belohnt werden. Die vorgesehenen Kumulationsgrenzen schließen zudem nicht grundsätzlich die Gefahr einer Doppelförderung aus, etwa im Zusammenhang mit der bereits bestehenden Kompensation von indirekten Emissionskosten.
Um Verschleppungseffekte zu verhindern, sollen die die geförderten Unternehmen die erhaltenen Strompreisbeihilfen zu mindestens 50% für Investitionen verwenden, die die grüne Transformation und die Senkung der Energiesystemkosten unterstützen. Das ist volkswirtschaftlich zu begrüßen. Jedoch ändern stärkere Vorgaben zur Mittelverwendung nichts am Problem einer potenziell ineffizienten Verteilung der Fördergelder zwischen den Unternehmen. Denn der Umfang an gewährten Beihilfen an ein Unternehmen wird ausschließlich durch den Stromverbrauch bestimmt, unabhängig von der transformativen Wirkung oder dem Effizienzbeitrag der getätigten Investitionen. Im Vergleich zu wettbewerbsbasierten Zuteilungsmechanismen von Fördergeldern wie der Versteigerung von grünen Produktionsprämien oder Klimaschutzverträgen stellt das einen entscheidenden Nachteil von Strompreisbeihilfen dar.
Der Auftakt zu neuen Dauersubventionen?
Die Möglichkeit zur Beziehung von Strompreisbeihilfen ist grundsätzlich auf drei Jahre limitiert. Auf diese Weise soll einer Verstetigung der Subventionen vorgebeugt und den Unternehmen die Notwendigkeit zu schnellen transformativen Investitionen signalisiert werden. Fraglich ist allerdings ob eine solche Begrenzung politisch durchsetzbar sein wird. Angesichts der ungelösten Strukturprobleme im Erzeugungsmix in Mitgliedstaaten wie Deutschland und der fortbestehenden Abhängigkeit von teuren fossilen Energieimporten ist es unwahrscheinlich, dass die Großhandelspreise für Strom in den nächsten drei Jahren signifikant sinken werden. Auch der allgemeine wettbewerbliche Kostendruck auf die energieintensive Industrie dürfte in dieser Zeit nicht geringer werden, und durch in ihrem Wirkungskreis beschränkte Instrumente wie den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) kaum abgemildert werden können.
Die im CISAF getroffenen Regelungen sind zudem grundsätzlich nur bis 2030 befristet. Bis dahin ist mit einer Debatte über eine Verlängerung oder sogar Entfristung der Strombeihilfen zu rechnen. Die erhoffte Medizin für die europäische Industrie droht so zur Droge zu werden, mit nachhaltigen Folgen für die Belastung der nationalen Staatshaushalte und die Effizienz der grünen Transformation in Europa.
Strompreisbeihilfen gefährden auch den Binnenmarkt
Auch für den Binnenmarkt bestehen Risiken. Die Mitgliedstaaten unterscheiden sich gegenwärtig frappierend sowohl hinsichtlich der Problemlage (Höhe nationaler Strompreise, Bedeutung energieintensiver Industrien) als auch den finanziellen Möglichkeiten zur Ausreizung des vom CISAF definierten Beihilfe-Spielraums. So ermöglichen die Regelungen in jedem Fall nur eine beschränkte Konvergenz der nationalen Strompreise. Zugleich erhöhen sie das Risiko neuer Wettbewerbsverzerrungen. Denn ihre Umsetzung würde die Mitgliedstaaten in sehr unterschiedlichem Maße finanziell belasten. Während Länder wie Deutschland und Frankreich die Beihilfen wirtschaftlich gut stemmen könnten, wäre die Belastung vor allem für einige osteuropäische Länder sehr hoch. Das macht eine einheitliche Nutzung des Instruments äußerst unwahrscheinlich.
Die deutsche Bundesregierung wie auch die übrigen Mitgliedstaaten sind deshalb gut beraten, im Ringen um die Lösung der Transformationsprobleme nicht auf das scheinbar einfachste Mittel zu setzen. Richtstab für eine verantwortungsvolle Transformationspolitik müssen langfristige volkswirtschaftliche Wachstumsziele sein, nicht die individuelle Wettbewerbsperspektive einzelner Branchen.
Zum Autor:
André Wolf ist Fachbereichsleiter für Technologische Innovation, Infrastruktur und industrielle Entwicklung am Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin.