Trumps Zollpolitik

Geopolitische Gratwanderung mit unklarem Ausgang

Die Zollpolitik Donald Trumps muss im größeren geopolitischen Kontext verstanden werden. Europa wird sich entscheiden müssen, auf welcher Seite es steht.

Bild: Jonas via Unsplash

Vielen Beobacher*innen erscheint die aktuelle Politik der Trump Regierung als irrational und verantwortungslos. Das ist nicht falsch, greift aber analytisch zu kurz. Sie ist das Ergebnis von vier Jahrzehnten neoliberaler Globalisierung in den USA, deren reale Verlierer*innen politisch revoltieren, und deren reale Gewinner*innen den Staat dafür einsetzen wollen, ihre ökonomische Vormachtstellung nach innen und außen abzusichern. Die dadurch hervorgerufenen weltpolitischen Verwerfungen werden nur zu meistern sein, wenn die Staatengemeinschaft einschließlich der EU sich nicht auseinanderdividieren lässt und auf Kooperation setzt.

Restrukturierung der globalen Handelsbeziehungen

Das vielleicht wichtigste Phänomen der wirtschaftlichen Globalisierung der letzten vier Jahrzehnte besteht weniger in der starken Zunahme des internationalen Handels per se, sondern in der Internationalisierung von Produktionsprozessen in Form von globalen Wertschöpfungsketten (WSK). Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu zwei Drittel des internationalen Handels heute im Rahmen solcher WSK stattfinden, vor allem durch den Handel von Zwischenprodukten.

Sogenannte Lead-Firmen – meist US-amerikanische und europäische Unternehmen – gestalten ihre Produktionsstruktur auf Basis von Kostenüberlegungen. Bei gleicher Produktivität (und Infrastrukturbedingungen) wird dort produziert, wo die Arbeits- und sonstige Produktionskosten am niedrigsten sind. Wenn nicht selbst produziert wird, sondern andere Firmen als Zulieferer dies übernehmen, sind auch hier die Kosten das ausschlaggebende Kriterium für die Auftragserteilung. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass somit jeder Teil eines Endprodukts in jenem Land produziert wird, wo dies am absolut günstigsten möglich ist.

Handel entsteht daher vor allem aufgrund der Notwendigkeit, ein Zwischenprodukt zum nächsten Verarbeitungsschritt in ein anderes Land zu bringen, bzw. dann das Endprodukt an die Kund*innen in der ganzen Welt zu verkaufen. Die Elemente mit der höchsten Wertschöpfung – wie z.B.  Marketing, Design, Forschung & Entwicklung – verbleiben dabei in der Regel unter direkter Kontrolle der Lead-Firma in den USA oder Europa. Durch die Kontrolle der geistigen Eigentumsrechte (Markenrechte, Patente etc.), der Preispolitik samt steueroptimierender Gestaltung der Geldflüsse zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften lukrieren die Lead-Firmen den Löwenanteil der Gewinne, während die Zulieferer vor allem im Globalen Süden in der Regel mit sehr kleinen Margen vorlieb nehmen müssen.

Die Vorteile im Modell des WSK-basierten internationalen Handels sind also an der Spitze der Wertschöpfungskette konzentriert. Davon profitieren auch jene hochqualifizierten Arbeitnehmer*innen in den Konzernzentralen, die über für den Betrieb wichtiges technisches und wirtschaftliches Know-how verfügen, wie z.B. in den US-amerikanischen High-Tech-Firmen. Niedriger qualifizierte Arbeitnehmer*innen, vor allem in den USA, aber zum Teil auch in Europa gehören hingegen zu den Verlierer*innen. Sie werden entweder ausgelagert oder verlieren ihren Arbeitsplatz, wenn Produktionen zugesperrt oder in andere Länder verlagert werden. Vor allem traditionelle Industrieregionen in den USA – der sog. Rust Belt im Mittleren Westen – litten stark unter dieser Entwicklung.

Lieferkettenhierarchien konnten Chinas Aufstieg nicht verhindern

Das exportbasierte Wachstum der Schwellen- und Entwicklungsländer der letzten drei Jahrzehnte beruht zu einem großen Teil auf ihrer Teilnahme an diesen globalen Lieferketten als Billigfertiger und Zulieferer. Nachdem der dabei zu lukrierende ökonomische Ertrag aufgrund des hohen Kostendrucks mager ist, besteht grundsätzlich ein Anreiz, einen Aufstieg innerhalb der WSK hinzu wertschöpfungsintensiveren Produktionsschritten zu schaffen (upgrading).

Das setzt eine industriepolitische Strategie des jeweiligen Landes voraus, die neben Infrastrukturinvestitionen vor allem den Aufbau von technologischen Kompetenzen und qualifizierter Arbeitskräfte im Rahmen industrieller Ökosysteme vorantreibt. China war sehr erfolgreich darin, aus einfachen Zulieferern technologisch avancierte Unternehmen zu formen. Auch andere Schwellenländer wie Korea, Taiwan oder Malaysia gingen diesen Weg. Diese Unternehmen übernahmen im Auftrag westlicher Lead-Firmen immer mehr Fertigungsschritte und entwickelten gleichzeitig eigene technologische Kompetenzen, über die die westlichen Lead-Firmen selbst nicht mehr verfügten.

Diese Dynamik erstreckte sich mit der Zeit auch auf immer mehr Hochtechnologiebranchen, etwa in der Elektronik, Telekommunikationsausrüstung, E-Mobilität oder Halbleiterproduktion. Dadurch traten Unternehmen aus Schwellenländern zunehmend in direkte Konkurrenz zu den westlichen Lead-Firmen. Sie bedrohen heute deren marktbeherrschende Stellung und hohe Profitabilität.

Der globale Wettbewerb seitens dieser neuen Konzerne aus den Schwellenländern hat die bisherigen marktbeherrschenden US- und EU-Konzerne teilweise auf dem falschen Fuß erwischt, zeigt sich doch, dass die westlichen Konzerne zu lange auf ein sehr einträgliches Geschäftsmodell gesetzt und damit die Zeichen der Zeit, etwa in der Elektromobilität oder auch in der Halbleiterproduktion, verschlafen haben. Als Konsequenz des verschärften Wettbewerbs droht den westlichen Konzernen der Verlust ihrer Monopolprofite. Nachdem wie im chinesischen Fall die Firmen auf die aktive Unterstützung ihrer Regierung vertrauen können, wird die In-Dienstnahme des Staates zur Verteidigung ihrer Vormachtstellung auch für US-amerikanische Unternehmen zunehmend wichtig.

Die zweifelhafte Rolle von Big Tech und Big Oil

Diese beiden Elemente – die breite politische Frustration aufgrund des Niedergangs der US-amerikanischen Industrieregionen während der letzten 30 Jahre, sowie die zunehmende Bedrohung der Monopolprofite der US-Tech Giganten durch asiatische Konzerne – gehören zu den zentralen Gründen für den politischen Siegeszug Donald Trumps. Dazu kommt, dass die hochprofitable US-Erdöl- und Gasindustrie sich von ihrem Geschäftsmodell nicht verabschieden will und hartnäckig gegen die Klimawende lobbyiert. Der enorme Energiebedarf von Cloudcomputing und AI-Anwendungen tut das Seine dazu, dass auch Big-Tech-Firmen und in sie investierte Finanzfonds das Interesse an der Energiewende zunehmend verlieren.

Die massive finanzielle wie mediale Unterstützung seitens der einmal als politisch liberal geltenden Silicon Valley-Konzerne wie Alphabet, Apple, Amazon, Meta, aber auch von einflussreichen digitalen Sicherheitsdienstleistern wie Palantir und Tech-Investoren wie Peter Thiel und Elon Musk hat Trump in die Lage versetzt, die Stimmen der unzufriedenen Wähler*innen in den politisch umkämpften Swing States des Mittleren Westens zu gewinnen.

Seine Botschaft, dass China (und die illegalen Migrant*innen) den US-Amerikaner*innen die guten Jobs gestohlen hätte, die er mittels Zollpolitik wieder zurückholen werde, ist simple, aber effektive Wähler*innentäuschung. Sie verschweigt nicht nur, dass dafür die Geschäftspolitik der US-Konzerne selbst verantwortlich war, sondern auch, dass es gerade die Interessen dieser Konzerne und nicht die seiner Wähler*innen sind, die er einmal an der Macht dann umsetzt. Diese bestehen wenig überraschend in der Schleifung regulatorischer Standards, Einsparungen bei Behörden, Sozial- und sonstigen als unnötig erachteten Ausgaben (wie jenen der Entwicklungszusammenarbeit, Stichwort USAID), um damit im Gegenzug Unternehmenssteuern zu senken. Dazu kommt, dass gerade der Sicherheits- und militärische Bereich von diesen Konzernen als großer Wachstumsmarkt gesehen wird. Der Staat ist gerade hier der wesentliche Nachfrager nach neuen Technologien und Anwendungen.

Die nationalistische Rhetorik der Konstruktion äußerer Feindbilder in Verbindung mit der leider im gesamten US-Establishment geteilten Einschätzung Chinas als Bedrohung für die US-amerikanische Vorherrschaft dienen als Rechtfertigung für eine (spät-)imperiale Außenwirtschaftspolitik. Diese will internationale Einrichtungen durch den Austritt der USA schwächen (samt der damit verbundenen Einnahmenverluste) und über die Drohung willkürlich festgesetzter Zölle die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu Gunsten der USA verschieben.

Die Rechnung zahlen letztendlich die US Bürger*innen in Form schlechterer staatlicher Leistungen und höherer Verbraucherpreise. Die politische Reaktion seitens der US-Bevölkerung bleibt daher abzuwarten, aber die speed-kills-Politik von Elon Musk und Co. hat zumindest bislang zu einer weitgehenden Lähmung der Opposition und zur Einschüchterung potenzieller Widerstandzentren wie den Universitäten geführt. Die rasante Aushöhlung des US-Systems der Checks and Balances durch die systematische Missachtung (verfassungs-)rechtlicher Vorgaben, politischen Druck auf die Gerichte und die weitgehende Ausschaltung des US-Kongress rückt auch den Übergang zu einem autoritären politischen System in den Bereich des Möglichen.

Big Tech, Big Oil und die großen Sicherheits- und Rüstungsfirmen sind offenbar bereit, eine solche Politik grundsätzlich zu unterstützen, solange der US-Staat durch Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes – 2026 mit einem angekündigten Rekordbudget für Verteidigung von rund einer Billion US-Dollar – für den guten Gang der Geschäfte sorgt, die Belastung aus Regulierungen und sonstigen Abgaben senkt und international für die ökonomischen Interessen der Konzerne gegenüber lästigen „Regulierungsfanatikern“ wie der EU eintritt. Falls eigene Geschäftsinteressen zu stark gefährdet sind, verhandelt man eben individuelle Ausnahmen, wie gerade bei den Zollausnahmen für Apple und für die US-Autokonzerne geschehen.

Der Rest der Welt wird zur Kasse gebeten

Wie schon in seiner ersten Amtszeit – und auch von der Biden-Administration – gefordert, will Trump die internationale Gemeinschaft für die von den USA zur Verfügung gestellten globalen öffentlichen Güter stärker zur Kasse bitten. Zu letzteren zählen für Trump vor allem der US-Dollar als Reservewährung und der militärische Schutzschirm der USA. Beides möchte er erklärtermaßen beibehalten. Leistungen der USA sollen von den aus US-Sicht davon profitierenden Ländern in Zukunft bezahlt werden, entweder durch Finanzbeiträge oder zum Beispiel durch Einräumung von Schürfrechten an wichtigen Rohstoffen für US-Konzerne (siehe dazu die Fälle Ukraine und Demokratische Republik Kongo). Vor allem die EU soll dazu gebracht werden, für den militärischen Schutz durch die USA Tribut zu bezahlen, etwa durch den Kauf von US-Militärgütern und High-Tech-Produkten.

Der von Trump veranstaltete Zollpolitik-Zirkus mit anscheinend in erratischer Manier verhängten, dann teilweise zurückgenommenen oder ausgesetzten Zöllen, die dann doch wieder erhöht werden, dient dabei vor allem der Verbesserung seiner Verhandlungsposition durch das Schüren allgemeiner Verunsicherung auf den (Finanz-)Märkten und Einschüchterung der betroffenen Länder. Mit Ausnahme der tatsächlich verhängten, exorbitanten Zölle auf Importe aus China, wurde im Wesentlichen eine Drohkulisse aufgebaut, die dauerhaft ein etwas höheres Zollniveau wahrscheinlich macht, deren eigentliches Ziel aber die politische wie wirtschaftliche Subordination der wesentlichen historischen Verbündeten, insbesondere der EU, sowie der nord- und südamerikanischen Nachbarschaft ist. Trump nutzt die Zollkeule schlicht und einfach immer dann, wenn er wieder mal etwas gegen andere Länder durchsetzen will.

Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass Trump eine drastische Hochzollpolitik gegen zentrale Handelspartner wie China oder Europa auf Dauer nicht durchhalten kann. Die dadurch ausgelöste Inflation würde seine politische Popularität untergraben, höhere Zinsen die Belastungen des US-Staatshaushalts deutlich erhöhen, und auch weite Teile der auf importierte Vorleistungen angewiesenen Wirtschaft und damit seiner finanziellen Unterstützer empfindlich treffen. Auch dürfte die ökonomische Unsicherheit die Investitionstätigkeit in den USA beeinträchtigen und damit die wirtschaftliche Dynamik bremsen. Das alles würde das Vertrauen in den Finanzplatz USA untergraben und damit die globale Rolle des US-Dollars schwächen.

Last, but not least, würde eine solche dauerhafte Hochzollpolitik auch die von ihm gewünschte internationale Unterstützung für seine Anti-China-Politik unterlaufen. Nachdem China im Zollstreit gute Karten in der Hand hält und sich diesmal nicht so leicht unterkriegen lassen will, brauchen die USA für die geopolitische Auseinandersetzung mit China Verbündete, zumindest in längerfristiger Perspektive.

Fazit: Gezielte Spaltung oder neue Einigkeit?

Wie Trumps geopolitische Gratwanderung letztendlich ausgeht, wird vor allem von der Reaktion der Weltgemeinschaft abhängen. Gelingt es ihm, die Welt zu spalten und hinter sich und seiner Anti-China-Politik zu vereinen – oder reagiert die Weltgemeinschaft mit einer geschlossenen Haltung und der Entwicklung neuer Allianzen und Kooperationsmechanismen?

Vor allem die Positionierung der Europäischen Union wird dafür zentral sein. Bietet sie Trump die Stirn und sucht die Zusammenarbeit mit den BRICS-Staaten und dem Globalen Süden, stünden die USA am Ende des Tages weitgehend isoliert da. Unter EU-Entscheidungsträger*innen scheint derzeit Appeasement und das Warten bzw. Hoffen auf bessere Zeiten nach Trump wieder angesagt. Angesichts der rasanten und absehbar systemischen Veränderungen des politischen Systems in den USA ist das eine hochriskante Strategie. Auch wenn es Europa aus historischer Verbundenheit wie auch aus sicherheitspolitischer Verwundbarkeit offensichtlich schwerfällt: Die politische und wirtschaftliche Emanzipation Europas von den USA ist jetzt eine Notwendigkeit.

 

Zum Autor:

Werner Raza ist wissenschaftlicher Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) in Wien, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.