Nachdem die Energiepreise (für Haushalte und Kraftstoffe) in Deutschland schon seit 2021 mit hohen Raten stiegen, machte ihr Zuwachs im März 2022 nach Beginn des Ukrainekrieges einen Sprung auf 36% gegenüber dem Vorjahr. Auch der Verbraucherpreisindex (VPI) erreichte im Gesamtjahr 2022 mit einer Steigerungsrate von 6,9% lange Zeit nicht gekannte Höhen. Seit 1995 hatte der VPI nur 2007/2008 und 2011 das 2%-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) leicht überschritten. Mittlerweile, im Dezember 2024, hat sich diese Entwicklung aber deutlich beruhigt – die Inflationsrate beträgt nur noch 2,6% im Vergleich zum Vorjahr. Für das Gesamtjahr errechnet das Statistische Bundesamt eine Rate von 2,2%.
Inflationsmessung
Die Messung des „richtigen“ Preisindex ist für die allgemeine Wirtschaftspolitik wie auch für die ökonomischen Entscheidungen aller Wirtschaftssubjekte relevant. Aber vor allem für die Geldpolitik ist die Inflationsrate die entscheidende Zielgröße. Die EZB orientiert sich dabei am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), der in allen EU-Staaten nach dem gleichen Konzept berechnet wird.
Wesentlicher Bestimmungsfaktor dieses Preisindex ist das sogenannte Wägungsschema, das für Deutschland regulär vom Statistischen Bundesamt jeweils auf Basis der privaten Konsumausgaben der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) von vor zwei Jahren zusammengestellt wird, ergänzt um alle verfügbaren und relevanten Informationen aus den Erhebungen über die Wirtschaftsrechnungen der privaten Haushalte und anderen Datenquellen. Dieses Wägungsschema kann sich durchaus stark ändern: So hatte der Güterbereich „Wohnung, Wasser, Strom, Gas u.a. Brennstoff“ 2022 in der HVPI-Berechnung für Deutschland ein Gewicht von 25,2%, im Folgejahr jedoch nur 16,5%.
Für die deutsche Politik ist der ebenfalls vom Statistischen Bundesamt berechnete Verbraucherpreisindex (VPI) wesentlich. Aber auch in Verträgen wird der VPI oft verwendet, um langfristig laufende Zahlungen wie Mieten oder Unterhaltszahlungen anzupassen. Dessen Wägungsschema wird anders als beim HVPI nicht jährlich ermittelt, sondern jeweils nach fünf Jahren, um eine bessere Vergleichbarkeit der Daten im Zeitablauf zu ermöglichen.
Trotz der methodischen Unterschiede haben sich beide Indizes relativ ähnlich entwickelt. Auffällig ist allerdings die große Differenz zwischen VPI (Steigerungsrate 6,9%) und HVPI (8,7%) im Jahr 2022:
Abbildung 1: Verschiedene Preisindizes für Deutschland
Hier wirkte sich vor allem aus, dass im VPI tatsächliche und für selbstgenutzten Wohnraum unterstellte Nettokaltmieten erfasst werden, im HVPI aber nur tatsächliche Mieten. Dabei haben im VPI Mieten ein hohes Gewicht (ca. 17% im Basisjahr 2020, Mai und Egner, 2023) und sind nur geringfügig angestiegen, was sich dämpfend auf den gesamten Index auswirkte. Die Revision der VPI-Berechnung vom Basisjahr 2015 auf das Basisjahr 2020 ließ aber auch im VPI die Gewichtung für den Güterbereich „Wohnung, Wasser, Strom, Gas u.a. Brennstoff“ von 32,5% auf 25,9% sinken. Das Statistische Bundesamt betrachtet diese Änderungen nach einer Preis- und einer Mengenkomponente und stellt fest, dass hier die Mengenkomponente absolut dominant war, d.h. die Konsumenten haben ihre Nachfrage vor allem nach Energie drastisch eingeschränkt.
Um der Politik Indikatoren zu liefern, die einen Inflationstrend über längere Zeit ohne stark schwankende Preise betrachten, hat sich das Konzept der Kerninflation durchgesetzt. Dies ist die Inflationsrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise: Während im Oktober 2022 der Gesamtindex um 8,8% gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen war, lag die Kerninflationsrate nur bei 4,6%. Der VPI überstieg schon seit Anfang 2021 die Kerninflationsrate. Die Energiepreise waren seit Mai 2021 deutlich schneller als der Gesamtindex gestiegen, die Nahrungsmittelpreise erst seit Mai 2022.
Abbildung 2: Verbraucherpreisindex und Kerninflation
Dies hängt mit dem weltweiten Anstieg der Großhandelspreise für Energie zusammen und begann 2021 infolge der Covid‑19-Pandemie und der wachsenden internationalen Nachfrage. Im September 2023 kehrte sich dieser Trend jedoch um. Mittlerweile wächst die Kerninflation schneller als der Gesamtindex, und dies , weil die Energiepreise zurückgingen, aber Dienstleistungen, vor allem Versicherungen, deutlich teurer wurden.
Während der VPI Preisänderungen bei Waren und Dienstleistungen misst, die Verbraucher erwerben, bezieht sich der BIP-Deflator auf Preisänderungen bei Waren und Dienstleistungen, die von Verbrauchern, Unternehmen, dem Staat und Ausländern (aber nicht von Importeuren) erworben werden. Wolfgang Nierhaus vom ifo-Institut definiert dies folgendermaßen: „Der Preisindex des Bruttoinlandsprodukts wird in der deutschen VGR nicht originär ermittelt, sondern implizit aus der Relation des BIP in jeweiligen Preisen (nominales BIP) und in konstanten Preisen (eines Basisjahres) berechnet.“ (Nierhaus, 2003) Von der Verwendungsseite wird das BIP als Differenz der beiden Güterströme Endnachfrage und Importe definiert. Letzteres führte dazu, dass der BIP-Deflator im Jahr 2022 bei hohen Importpreisen (auch aufgrund des niedrigen Eurokurses) weniger stark als die anderen Indizes (Steigerungsrate 5,3%) und 2023 (6,6%) mit sinkenden Importpreisen rascher stieg.
Abbildung 3: Komponentenzerlegung des BIP-Deflators für Deutschland
Dieser Indikator gibt zudem interessante Einblicke in mögliche Inflationstreiber, weil er in die Komponenten Stückgewinne, Lohnstückkosten und Gütersteuern zerlegt werden kann (Nierhaus, 2024). Aus der Grafik oben wird sichtbar, dass 2020 bis 2023 die Stückgewinne zu einer wichtigen Komponente des BIP-Deflators wurden. 2020 wirkte der Rückgang der Nettosteuern inflationsdämpfend. Hier dürfte sich die Mehrwertsteuersenkung von Juli bis Dezember ausgewirkt haben. Der Steuersatz war für ein halbes Jahr auf 16 bzw. 5% abgesenkt worden und stieg ab 2021 wieder auf 19 bzw. 7%. Die Lohnstückkosten hatten schon von 2018 bis 2020 dominiert, erreichten allerdings 2023 einen höheren Wert als 2019.
Festzuhalten ist also, dass unterschiedliche Indizes zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Und dies ist abhängig von den Komponenten des jeweils genutzten Warenkorbs. Welcher Index die „wahre“ Inflation abbildet, hängt letztlich von der Fragestellung ab.
Ursachen der Inflation
Die Daten geben Aufschluss über mögliche Ursachen der Inflation, die im Prinzip immer ein Indikator dafür ist, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt. Diese Differenz kann aber durch unterschiedliche Impulse angetrieben werden:
- Angebotsgetriebene Inflation: Seit Beginn des Ukrainekrieges 2022 wurden vor allem Energieprodukte teurer, nachdem der Gas- und Ölimport aus Russland immer stärker eingeschränkt wurde. Nahrungsmittel, vor allem Getreide, konnten nur mit großen Problemen aus der Ukraine importiert werden. Die Nachfrage war nicht elastisch genug, um den Preissteigerungen durch Reduktion der Menge vollständig auszuweichen. Das Angebot konnte nicht rasch genug ausgeweitet werden. Sichtbar wird die starke Konzentration der Preissteigerung auf Energie und Nahrungsmitteln an dem Abstand von Kerninflation und VPI in Abbildung 2.
- Importierte Inflation: Das Angebot aus dem Ausland, d.h. die Importe, verteuerte sich – nicht zuletzt aufgrund der Entwicklungen auf dem Devisenmarkt. Auf die importierte Inflation hat der Dollarkurs des Euro – und dies vor allem bei in Dollar fakturierten Energiegütern – einen wesentlichen Einfluss: Er sank im Oktober 2022 auf den historisch niedrigen Wert von 0,98 US-$/Euro und machte damit importierte Güter in Euro zusätzlich teurer.
- Mangelnder Wettbewerb: Ein funktionierender Wettbewerb ist die Voraussetzung für niedrige Angebotspreise – fehlt dieser, kommt es zu inflationären Verhältnissen. Dies gilt für die Abhängigkeit von Importen, die auf wenige Länder konzentriert sind. Aber auch für inländische Güter ist die Wettbewerbsintensität bedeutend. Dies wird in Abbildung 3 deutlich an der starken Steigerung der Stückgewinne, die erheblich zum Wachstum des BIP-Deflators in den Jahre 2020 bis 2023 beitragen konnten.
- Nachfragegetriebene Inflation: Zumindest 2020, als die Inflationsrate mit 0,5% sehr niedrig war, hat der Staat dafür gesorgt, dass die Nachfrage nicht ins Bodenlose sank. Nachdem der Staatshaushalt nach der Finanzkrise ab 2012 in jedem Jahr mit einem Überschuss abschloss, kam es 2020 zu einem Defizit von 4,3% des BIP, das bis 2023 auf 2,5% sank. Der private Konsum erreichte gleichzeitig nie gekannte Tiefpunkte, die Sparquote der privaten Haushalte stieg im 1. Halbjahr 2021 auf knapp 17%, und erst ab dem 2. Halbjahr 2021 wurden die Quoten der Vor-Corona-Jahre wieder erreicht.
- Monetäre Ursachen: Das Wachstum der Geldmenge war lange Zeit eine Säule der deutschen Geldpolitik, basierend auf der Quantitätsgleichung, die Geldmenge, Geldumlaufsgeschwindigkeit, Inlandsprodukt und Preisentwicklung in einen definitorischen Zusammenhang stellt. Tatsächlich ist 2020 die Geldmenge M3 (Bargeld, Sichteinlagen, Termineinlagen, Anteile an Geldmarktfonds und andere Geldmarktpapiere sowie Pensionsgeschäfte und Schuldverschreibungen) um knapp 12% gestiegen, nachdem sie zuvor zehn Jahre im Durchschnitt mit 3,5% p.a. gewachsen war. Sie kehrte 2023 rasch auf diesen Wert zurück. Die Deutsche Bundesbank hat einen Überblick über empirische Studien zum Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation veröffentlicht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Zusammenhang zwischen Geldmengenentwicklung und Inflation nicht besteht.
- Zweitrundeneffekte: Seit 2021 nimmt der Beitrag der Lohnstückkosten zum BIP-Deflator zu. 2023 ist er dominant, was darauf hinweist, dass sich allmählich Zweitrundeneffekte aufbauen.
- Regulierungen und administrative Preisanpassungen: Verschiedene politische Maßnahmen wie Zölle und Mehrwertsteuererhöhungen, die Bepreisung von Treibhausgasemissionen und die Aufhebung von Subventionen können preistreibende Wirkungen entfalten. Fiskalische Maßnahmen haben 2020 zur Dämpfung und 2022 zur Anhebung des BIP-Deflators beigetragen (vgl. Abbildung 3).
Klassisch wird davon ausgegangen, dass eine Inflation nachfragegetrieben ist. Die Situation 2022 spricht aber sehr für eine angebotsgetriebene Inflation. Auch die Deutsche Bundesbank sieht in einer Studie in den angebotsseitigen Einflüssen eine größere Bedeutung.
Politik zur Eindämmung der Inflation
Die EZB hatte, um die Inflationsraten einzudämmen, bis zum September 2023 den Leitzins – derzeit der Zinssatz für die Einlagefazilität, zu dem Geschäftsbanken im Euroraum kurzfristig nicht benötigtes Zentralbankgeld bei der EZB anlegen können – innerhalb eines Jahres auf einen Höchststand von 4% angehoben. Begonnen hatte sie die Zinsanhebungen im Juli 2022. Aber bereits im November 2021 hatte der HVPI in Deutschland 6% erreicht. Die EZB hatte auf die hohe Inflationsrate ganz offensichtlich verzögert reagiert.
Die Bundesbank sieht die verspätete Reaktion wiederum als gerechtfertigt an, weil die Zentralbank dem Angebotsschock durch überschießende Energiepreise nur sehr wenig entgegensetzen kann. In einer neueren Studie vertritt allerdings das DIW die Auffassung, dass die Krise kürzer ausgefallen wäre, wenn die EZB die Zinssätze bereits Mitte 2021 heraufgesetzt hätte. Im September 2024 wurde der Zinssatz wieder auf 3,5% abgesenkt – der HVPI war auf 2,4% gesunken und auch der Wechselkurs hatte sich zunächst bei 1,1 US-$/Euro stabilisiert. Im Dezember hat die EZB den Zinssatz weiter auf 3% abgesenkt, der Wechselkurs ist auf 1,04 US-$/Euro gesunken, der HVPI für Deutschland liegt inzwischen bei 2,9%.
Sehr viel direkter als die Zinspolitik können sich die Preisbremsen für Gas und Strom ausgewirkt haben. Für den gesamten Euro-Raum hat der IWF in einer Studie errechnet, dass beispielsweise im Oktober 2022 die Inflationsrate ohne staatliche Maßnahmen im Vergleich zum Vorjahresmonat 13,7% betragen hätte, 3,2 Prozentpunkte höher als der tatsächliche HVPI. Eine Untersuchung des Instituts für Weltwirtschaft aus dem März 2023 kommt für den Januar des gleichen Jahres zu dem Ergebnis, das die deutsche VPI-Inflationsrate durch die Gaspreisbremse um 0,5 Prozentpunkte gesenkt wurde. Für 2023 wurde ebenfalls erwartet, dass der Einfluss möglicher Gas- und Strompreissteigerungen auf den VPI durch die staatlichen Maßnahmen deutlich gedämpft werden kann.
Zum akuten Höchststand der Inflation 2022 waren diese Maßnahmen von großer Bedeutung. Dass die Zweitrundeneffekte die Inflation nicht wieder anheizten, nachdem die Energiepreise sich wieder normalisiert hatten, ist sicher auf die restriktive Geldpolitik zurückzuführen, die einen Rückgang der Inflationserwartungen bewirkt hat. Der Sachverständigenrat für Wirtschaft konstatiert in seinem Jahresgutachten 2023/2024, dass die restriktive Geldpolitik erfolgreich war: „Dies ging mit einem starken Rückgang des Kreditwachstums sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor einher,…“. Entsprechend erwartete der SVR dämpfende Effekte sowohl auf das BIP wie auf die Inflation.
Fazit
Bei einer genaueren Betrachtung der Inflationsmessung hat sich herausgestellt, dass es bei den Verbraucherpreisen relevante konzeptionelle Unterschiede gibt, die dem Wägungsschema geschuldet sind. An der Kerninflationsrate lässt sich zeigen, dass vor allem Energie- und Nahrungsmittel die Hauptverursacher der Preissteigerungen waren. Zusätzliche Erkenntnisse lassen sich aus dem BIP-Deflator gewinnen, der offenbart, dass 2021 bis 2023 die Stückgewinne dominante Faktoren waren, ab 2022 holten die Lohnstückkosten auf.
Die EZB hat die hohen Inflationsraten Ende 2021 zunächst als Angebotsschock interpretiert, dem sie nichts entgegensetzen konnte, ab Juli 2022 aber schnell reagiert. Zur Eindämmung der Inflation haben vor allem die Preisbremsen und Steuersenkungen beigetragen. Die restriktive EZB-Politik hatte zuletzt die Inflation dämpfen können, aber auch für einen Rückgang der Wachstumsrate gesorgt. Nachfrageseitig war zunächst trotz sinkender Zinssätze nicht mit einem Inflationsschub zu rechnen, da die Sparquote der privaten Haushalte mit 11,1% im ersten Halbjahr 2024 wieder einen Prozentpunkt über dem Vorjahreswert liegt. Dennoch hat die Inflation Ende 2024 wieder angezogen.
Langfristig ist zudem zu bedenken, dass eine Einhegung der internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen – wie es nach den vom künftigen US-Präsidenten Trump angekündigten Zollerhöhungen zu erwarten ist – die Angebotspreise steigen lassen wird. Auch von einer Anhebung der Preise für CO2-Zertifikate ist ein Inflationsrisiko zu erwarten.
Zur Autorin:
Susanne Erbe ist Redakteurin beim Makronom. Zuvor war sie stellvertretende Chefredakteurin des Wirtschaftsdienst, wo dieser Beitrag in einer früheren Form erschienen ist.