Economists for Future

Zeitwirtschaft, Zeitwohlstand, Zeitkonflikte

Der Fokus auf die Geldwirtschaft blendet zentrale Aspekte des menschlichen Zusammenlebens und der Zeitgerechtigkeit aus. Für eine fairere Gesellschaft braucht es eine Neuverteilung von Zeitressourcen. Ein Beitrag von Bernhard Emunds.

Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns dieser Wandel by disaster passiert – oder by design gelingt.

Die Debattenreihe Economists for Future (#econ4future) widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich werden Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften aufgezeigt und Impulse für eine plurale Ökonomik diskutiert, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.

Die Kooperation zwischen Economists for Future e.V. und Makronom startete mit der ersten Ausgabe 2019. Seitdem ist jährlich eine neue Reihe mit wechselnden Themenschwerpunkten erschienen. Die mittlerweile sechste Staffel beleuchtet nun Aspekte rund um das Thema Überfluss. Hier finden Sie alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Serie erschienen sind.

Wenn von Wirtschaft die Rede ist, denken die meisten an Märkte und Unternehmen. Wirtschaft wird dann verstanden als ein Handlungsbereich moderner – nämlich funktional differenzierter – Gesellschaften. In diesem Handlungsbereich spielen für die Koordination von Handlungen jeweils die monetären Folgen des Handelns eine zentrale Rolle: das (erwartete) Bezahlen auf Märkten sowie die Kosten, Einnahmen und Gewinne in den Unternehmen. Wird unter „Wirtschaft“ ausschließlich diese Geldwirtschaft verstanden, dann wird sie häufig isoliert begriffen, losgelöst von ihren nicht-monetären Voraussetzungen und Wirkungen – z.B. im politischen Gemeinwesen, beim Sorgen der Menschen füreinander und in der nichtmenschlichen Natur (Schlaudt 2016).

Das Wachstum dieser Geldwirtschaft, also die Steigerung des BIP, wird dann zum ersten Ziel der Wirtschaftspolitik erklärt, manchmal scheint es: zum zentralen Ziel von Politik überhaupt. Auch das verbreitete Lamento über die Ampel-Regierung klingt oft so, als sei das – tatsächlich dramatische – Problem der ins Stocken geratenen wirtschaftlichen Modernisierung Deutschlands das Ausbleiben des BIP-Wachstums. Doch das ist eine völlig verkürzte Sichtweise.

Kapitalistische Geldwirtschaft – und die Zeitwirtschaft

In ihrer Kapitalismuskritik arbeitet Nancy Fraser (2023) heraus, dass die von den Kapitalgeber:innen, ihren Manager:innen und Anlagespezialist:innen forcierte Kapitalakkumulation nicht nur zu Lasten der (meisten) Beschäftigten geht, die keinen fairen Anteil an der Wertschöpfung (z.B. kein Einkommen deutlich oberhalb der Reproduktionskosten ihres Arbeitsvermögens) erhalten. Vielmehr werden zur Steigerung der Gewinne auch die Leistungen der nichtmenschlichen Natur, der unentgeltlich Sorgearbeitenden, des demokratischen Gemeinwesens und der meisten Erwerbstätigen in den Ländern des Globalen Südens gnadenlos ausgenutzt. Weil die im Kapitalinteresse geführten Unternehmen zu extensiv auf diese Leistungen zurückgreifen oder den Leistungserbringer:innen viel zu wenig dafür zahlen, schwindet sogar das Potenzial dafür, dass sie dauerhaft erbracht werden können: Der Kapitalismus ist ein „Allesfresser“, der „seine eigenen Grundlagen verschlingt“ (Fraser 2023). Ermöglicht wird dies vor allem durch die Macht der Kapitalgeber:innen und die schwache gesellschaftliche Organisation der ausgenutzten Interessen.

Ein wichtiger Grund für diese Schwäche liegt darin, dass die wertvollen Vorleistungen für das Funktionieren der Geldwirtschaft nicht oder kaum wahrgenommen werden; die Reduktion der Wirtschaft auf die Geldwirtschaft führt dazu, dass sie aus dem Blickfeld politischer Debatten verschwinden. Deshalb ist es ein begriffsstrategisch wichtiger Schritt, neben dem engen – auf den Handlungsbereich moderner Gesellschaften beschränkten – Wirtschaftsbegriff (hier „Geldwirtschaft“) auch weite Begriffe von Wirtschaft zu verwenden. „Wirtschaft“ wird mit solchen Konzepten nicht als ein abgegrenzter Bereich, sondern als eine Dimension von Gesellschaft erfasst. Ein wichtiges weit gefasstes Konzept ist das des Wirtschaftens als Stoffwechsel der Gesellschaft mit der nichtmenschlichen Natur (vgl. u.a. Moore 2020; Schaupp 2024; Kraussmann 2024).

Ein anderes Konzept sollte auf das wechselseitige Erbringen von bezahlten und unbezahlten Leistungen der Menschen füreinander abzielen, auf die weit über die Erwerbsarbeit hinausreichende gesellschaftliche Arbeitsteilung (vgl. u.a. Praetorius 2015; Meier-Gräwe 2020; Emunds 2022). Denn ohne unbezahlte Sorgearbeit, aber auch ohne vielfältiges bürgerschaftliches Engagement wäre „der Ofen“ der Geldwirtschaft bald „aus“, wäre Erwerbsarbeit auf Dauer nicht möglich. Allein um diese Tätigkeiten des Wirtschaftens im weiten Sinne soll es im Folgenden gehen.

Als ein weiter Begriff des Wirtschaftens, der auf das wechselseitige Erbringen von Leistungen zielt – das Für-einander-Tätigsein der Menschen – wird  hier „Zeitwirtschaft“ vorgeschlagen. Schließlich stimmt jede:r für sich die verschiedenen eigenen Tätigkeiten dadurch aufeinander ab, dass sie:er bestimmte Zeiträume für diese veranschlagt und sie im Tagesablauf aneinanderreiht. Paare müssen aushandeln, wer in welchen Zeiträumen erwerbstätig ist, kocht, aufräumt, putzt, für die Kinder oder den pflegebedürftigen (Schwieger-)Vater da ist usw.

Zeit ist das Nadelöhr, durch das wir alle diese Leistungen fädeln müssen. Mehr noch: Zeit ist neben Einkommen, Vermögen, Macht und gesellschaftlichem Ansehen eine weitere wichtige Dimension sozialer Gerechtigkeit (Bücker 2022, 57f., 268): Welche Personen(gruppen) haben wieviel Zeit, die von Verpflichtungen aller Art frei ist? Wer kann souverän bestimmen, wann sie:er dieses oder jenes macht oder eben einmal „nichts macht“? Welche Menschen können sich dadurch mehr freie Zeit verschaffen, dass sie andere für sich arbeiten lassen? Sei es, dass sie ihnen dafür Geld zahlen oder dass sie auf eine – z.B. genderspezifische – Machtposition zurückgreifen.

Umfang der Zeitwirtschaft

In Deutschland verbrachten  volljährige Bewohner:innen 2022 pro Woche im Durchschnitt 19 Stunden und 49 Minuten mit Erwerbsarbeit, aber 25 Stunden und 23 Minuten mit unbezahlter Sorgearbeit und Ehrenamt (Statistisches Bundesamt 2024). Dabei ist die wöchentliche Gesamt-Arbeitsbelastung von Frauen nicht nur um eineinhalb Stunden höher als die von Männern. Vielmehr übernehmen sie vor allem fast drei Fünftel der unbezahlten Arbeit (exakter Gender Care Gap: 44,3%). Pro Tag arbeiten sie mit durchschnittlich 4 Stunden und 16 Minuten fast 80 Minuten länger unbezahlt als Männer (Statistisches Bundesamt 2024).

Schaut man auf das Zeitvolumen, so ergibt sich: Die Erwerbsarbeit macht nur 43% aller Tätigkeiten aus. Zudem wird sie ihrerseits nicht vollständig, sondern nur zu ca. 75% in der Privatwirtschaft – also in Unternehmen der Geldwirtschaft – geleistet (zur Größenordnung: Schwahn 2007; Rosenski 2012). Insgesamt bedeutet dies, dass die Zeitwirtschaft etwa drei Mal so groß ist wie die Geldwirtschaft. Wer also nur auf die Erwerbsarbeit in Unternehmen schaut, erfasst nur etwa ein Drittel der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, d.h. nur ein Drittel jener Aktivitäten, die von den jeweils Tätigen Einsatz erfordern, ihnen ggf. persönliche Entfaltung ermöglichen und zum Wohlbefinden anderer beitragen. Jenseits der Geldwirtschaft geht es folglich um eine riesige Fülle an zumeist sinnvollen Tätigkeiten für andere.

Während Erwachsene im Durchschnitt gut 45 Stunden pro Woche mit Erwerbsarbeit, unbezahlter Sorgearbeit und Ehrenamt (inkl. Wegezeiten) verbringen, gibt es individuelle Lebensphasen, in denen die Arbeitsbelastung sehr viel höher ausfällt. Das gilt z.B. für pflegende Angehörige, wenn sie die Hauptpflegeverantwortung für ein Familienmitglied übernehmen (Hielscher u.a. 2017, 54-62) und für junge Eltern. Bei Müttern und Vätern mit zwei oder mehr Kindern, von denen das jüngere noch keine sechs Jahre alt ist, schnellt die wöchentliche Arbeitsbelastung auf über 60 Stunden hoch. Männer dehnen in dieser Phase häufig ihre Erwerbarbeitszeiten aus, während Frauen lange Zeiten der Kinderbetreuung und der Hausarbeit mit reduzierten Erwerbszeiten kombinieren (Panova u.a. 2017). Kein Wunder, dass sich Frauen in der Rushhour des Lebens als Jongleurinnen wahrnehmen, die Tag für Tag eine Vielzahl an Aufgaben „in der Luft halten“ müssen, ohne dass auch nur bei einer von ihnen ein Missgeschick passiert.

Ein Blick zurück

Historisch gilt für Länder des Globalen Nordens (vgl. Rinderspacher 2012): Vor der Industriellen Revolution und der großen kapitalistischen Transformation des Sozialen hatten die meisten Menschen nur wenige (über Märkte bereitgestellte) Güter, aber viel Zeit. Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es den Fabrikbesitzern jedoch, für weite Kreise der Bevölkerung extrem lange Arbeitstage (mit 12 bis 16 Arbeitsstunden) bei hoher Arbeitsbelastung durchzusetzen. Das Leben wurde also durchökonomisiert, so dass es weithin vom geldwirtschaftlichen Imperativ der unternehmerischen Profitsteigerung bestimmt war.

Etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts waren es dann vor allem die stetigen Zuwächse der Arbeitsproduktivität und die damit einhergehenden steigenden Unternehmenserträge, die auf Druck der Gewerkschaften teilweise an die Beschäftigten weitergegeben wurden und so zwei langfristige Entwicklungen ermöglichten: Zum einen wurde die Ausstattung breiter Bevölkerungskreise mit Gütern (also Waren und Dienstleistungen) sukzessive verbessert. Zum anderen konnte auch jene Wochenzeit, die für die Beschäftigten frei von Erwerbsarbeit ist, schrittweise deutlich erhöht werden. Gleichzeitig konnte auch die Zeit für staatliche und zivilgesellschaftliche Aktivitäten ausgedehnt werden, bei denen nichts Verkäufliches entstand.

Entscheidend ist dabei, dass nun, unter den Bedingungen einer kapitalistischen Industriegesellschaft, die erwerbsarbeitsfreie Zeit – wie der Zeitforscher Jürgen P. Rinderspacher (2012, 15) herausgestellt hat – selbst „eine Art Produkt“ wurde. Sie wird demnach erst ‚hergestellt‘, nämlich durch Erwerbsarbeit, geldwirtschaftliche Wertschöpfung und innovative Produktivitätssteigerungen sowie durch gewerkschaftliche Kämpfe ermöglicht.

Folglich hat das „ursprünglich frei verfügbare Naturgut Zeit – als jedem Menschen von Geburt an mitgegebene, unbewertete Lebenszeit – gleichsam seine paradiesische Unschuld verloren. Sie wird deshalb innerhalb einer von ökonomischen Kalkülen durch und durch geprägten Gesellschaft unentrinnbar zur ökonomisch bewerteten Zeit, jedenfalls so lange man sich nicht als Eremit oder anderswie aus dieser Gesellschaft ausschließen möchte. Sie ist ökonomische Zeit als eine der ökonomischen Verwendung abgerungene Zeit“ (Rinderspacher 2012, 16)

Güter-Überfluss und geringer Zeitwohlstand

Obwohl die Erwerbsarbeitszeiten in einer langfristigen Betrachtung deutlich gesunken sind, sehen sich auch in der Gegenwart viele Beschäftigte unter Zeitdruck; sie hätten gerne mehr Zeit für Familie, Freund:innen und sich selbst (z.B. Blömer u.a. 2021). Insbesondere junge Eltern und Erwerbstätige, die für die Pflege einer:s Angehörigen die Hauptverantwortung übernommen haben, durchleben Phasen bedrängender Zeitknappheit (Panova u.a. 2017; Hielscher u.a. 2017, 54-62, 91-94).

Dabei macht der kurze Blick zurück deutlich: Zeitmangel und der Überfluss an Gütern, die marktvermittelt bereitgestellt werden, sind zwei Seiten einer Medaille. Trotzdem hat man in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten bei den Vollzeit-Stellen die – allerdings im Vergleich zu früher deutlich geringeren – Zuwächse an Arbeitsproduktivität ausschließlich für höhere Löhne und damit für weitere Steigerungen des Güterwohlstands genutzt; man hat sie nicht mehr eingesetzt für Verkürzungen der Erwerbsarbeitszeit und damit für eine Erhöhung des Zeitwohlstands. Und dies, obwohl die ökologischen Grenzen des Wachstums offensichtlich und die Auswirkungen von noch mehr Gütern auf das Wohlbefinden der Menschen bestenfalls ambivalent sind.

Das von Rinderspacher eingeführte Konzept des Zeitwohlstands hat aber neben der Quantität der arbeitsfreien Zeit noch drei weitere Dimensionen: die Zeitsouveränität, in welchem Maße man selbst bestimmt, wann man was macht; eine nicht zu starke Verdichtung der Zeit (Verkürzungen der Erwerbsarbeitszeit führten beispielsweise häufig zu höherer Arbeitsintensität im Beruf) und die Möglichkeit, mit Partner:innen und Freund:innen, in Familie oder mit dem ganzen Dorf, Stadtviertel oder der ganzen Stadt gemeinsam Zeit verbringen zu können (z.B. durch freie Wochenenden, Feiertage, Feste etc.) (Rinderspacher 2012, 21-25).

Aktuelle und zukünftige Konflikte um die Erwerbsarbeitszeit

Dennoch: Schaut man auf die makroökonomischen Herausforderungen einer sozial-ökologischen Transformation, dann ist die quantitative Dimension, insbesondere der Umfang der erwerbsarbeitsfreien Zeit von entscheidender Bedeutung.

Zu den großen aktuellen Rätseln der Volkswirtschaftslehre gehört das in den letzten Jahrzehnten reduzierte und seit etwa 20 Jahren nur noch minimale Wachstum der Arbeitsproduktivität in den meisten Ländern des Globalen Nordens (u.a. Gordon 2016; Christofzik u.a. 2024). Sollte die KI-forcierte Digitalisierung in den nächsten Jahrzehnten das Wachstum der Arbeitsproduktivität doch wieder beschleunigen können, wäre eine weitere deutliche Steigerung des Güter-Wohlstands eigentlich wenig attraktiv. Sieht man einmal von ökonomischen Ungleichheiten ab, so gilt: Zu groß ist bereits heute der Überfluss an Gütern, vor allem an Waren; zu offensichtlich sind die ökologischen Grenzen, aufgrund derer jede weitere Ausdehnung des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit enormen Nachteilen verbunden ist.

Mit neuerlichen Produktivitätsfortschritten könnten daher besondere Spielräume eröffnet werden, den Zeitwohlstand durch Verkürzungen der Erwerbsarbeitszeit deutlich zu erhöhen. Das wäre auch gleichstellungspolitisch hoch attraktiv, würde so doch ermöglicht, für alle Geschlechter ein Erwerbs- und Sorgemodell ohne Zeitnöte zu etablieren (u.a. Fraser 2001, Kap. 2; BMFSFJ 2017).

Freilich wäre auch dies mühsam zu erstreiten. Zeitkonflikte müssen ausgefochten und nicht nur beschrieben werden. Produktivitätsfortschritte ausschließlich für mehr freie Zeit zu nutzen, würde schließlich bedeuten, dass gesamtwirtschaftlich die Gewinne (ohne Umverteilung von unten nach oben bzw. von Arbeits- zu Kapitaleinkommen) nicht weiter gesteigert werden könnten. Dennoch gilt: Unter den Bedingungen steigender Produktivität wären die Chancen, mehr Zeitwohlstand durch kürzere Erwerbszeiten zu erstreiten, erheblich größer als in dem Fall, dass das Produktivitätswachstum nicht wieder an Fahrt gewinnt. Denn in diesem zweiten Fall würde mehr Zeitwohlstand weniger Masseneinkommen, abnehmenden Güter-Wohlstand und gesamtwirtschaftlich dauerhaft sinkende Gewinneinkommen bedeuten.

Seit ein paar Jahren nutzen vermehrt hoch qualifizierte Berufseinsteiger:innen den Nachfrageüberhang auf dem Arbeitsmarkt dazu, mit ihren Arbeitgeber:innen reduzierte Arbeitszeiten auszuhandeln. Aus der Perspektive der einzelnen Unternehmen, Organisationen und staatlichen Einrichtungen, die Personal benötigen, damit die anfallenden Aufgaben erledigt werden, ist das keine einfache Entwicklung.

Vielfach wird das Verhalten dieser Berufseinsteiger:innen aber auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kritisiert. Die frühen Vorboten veränderter Wohlstandspräferenzen zu einem massiven Trend übersteigernd wird ihnen zum Teil vorgeworfen, dass ihr verringertes Erwerbsarbeitspensum mitverantwortliche dafür wäre, dass das deutsche BIP auf Dauer nicht vom Fleck komme. So what! Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Analysen scheint es angemessener, solchen Berufseinsteiger:innen eine Einstellung zu attestieren, die in der Gesellschaft insgesamt Schule machen sollte: Präferenz für mehr Zeitwohlstand statt für mehr Güterwohlstand.

Damit ein deutlich höherer Zeitwohlstand nicht zum Privileg einiger weniger Gruppen junger Hochqualifizierter, sondern gesamtgesellschaftlich realisiert wird, bedarf es allerdings starker Gewerkschaften, die zeitpolitisch profilierte Tarifverträge erstreiten. Und starke Gewerkschaften brauchen möglichst viele Mitglieder unter allen Beschäftigten – auch unter den Hochqualifizierten.

 

Zum Autor:

Bernhard Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie und leitet das Nell-Breuning-Institut der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied u.a. im Wissenschaftlicher Beirat der Hans-Böckler-Stiftung und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Grundlagen der Wirtschaftsethik sowie die Sozialethik der Erwerbs- und Sorgearbeit, der Finanzwirtschaft und der Wohnungspolitik.