Fremde Federn

Ungleichheitsvisionen, Wahlchancen, China-Phobie

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Warum ökonomische Argumente im Kampf gegen den Klimawandel wirkungsstärker sind, wieso der deutsche Wald der Atmosphäre kein CO2 mehr entnimmt und weshalb Frauen bei Wahlen sogar einen Bonus haben können.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst Forum (früher piqd) eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. Formum.eu versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Auf dem Weg zu optimalen Energieinfrastrukturen – ein Suchprozess

piqer:
Thomas Wahl

Die Wahl der Kombination der richtigen Energiequellen und Energieinfrastrukturen ist in Volkswirtschaften komplex. Suboptimale oder falsche Entscheidungen haben u.U. tragische Folgen. Ein Faktor ist z.B. der teils erhebliche Materialeinsatz für verschiedene Energiequellen und Speicher.

Wenn wir eine kohlenstoffarme Wirtschaft aufbauen wollen, müssen wir eine Menge verschiedener Mineralien abbauen bzw. gewinnen. Für den Bau von Solarzellen benötigen wir Silizium, Nickel, Silber und Mangan. Wir brauchen Eisen und Stahl für Windturbinen, Uran für die Kernkraft und Lithium und Graphit für Batterien.

Wie „Our World in Data“ recherchiert hat, ist dabei die Kernenergie die Energieart, die mit Abstand am wenigsten Abraum etc. erfordert – gemessen in Kilogramm bewegten Materials pro Gigawattstunde (GWh) erzeugtem Strom. Die Grafik zeigt für ein moderneres KKW AP 1000 einen Wert von knapp 10 kg an. Der AP 1000 ist ein von der Westinghouse Electric Company entwickelter und verkaufter modernerer Druckwasserreaktor mit verbesserter passiver nuklearer Sicherheit – konstruiert zur Senkung der Kapitalkosten und zur besseren Wirtschaftlichkeit. Vergleicht man die dabei anfallende Menge des Abbaumaterials mit den Erneuerbaren Energien, so werden bei der Offshore-Windenergie knapp 35 kg bewegt, für Batteriespeicher knapp 40 kg und für Solaranlagen gut 45 kg. Unschlagbar schlecht ist natürlich Kohle mit etwa 1,2 Millionen kg pro erzeugter GWh.

Wie wir den Übergang zu kohlenstoffarmer Energie gestalten, wird also erheblichen Einfluss auf den Umfang und die Qualität haben, wie wir unsere Erde zukünftig durch den Bergbau verändern, verunstalten. Darüber sollten wir also unbedingt differenzierter diskutieren.

Ein weiterer Faktor für die Effizienz zukünftiger Energieinfrastrukturen ist der optimale Strommix und die Speicherfrage. Die als Stromquelle inhärent schwankenden Windräder oder Solaranlagen sind und bleiben ein Problem für die preiswerte, schlanke und sichere Energieversorgung. Wichtig ist daher ein Anteil konstant verfügbarer Energie, die aber auch zur Lastfolge fähig sein sollte. Dazu die NZZ:

Konstant gelieferter Strom für den Grundbedarf wird als Bandenergie bezeichnet. Eine Reihe von Energiesystemanalysen zeige, dass ein extrem hoher Anteil an fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen die Systemkosten enorm anhebe, sagt Pautz. «Dann muss man viel bei der Speicherung und beim Netzausbau machen.» Höhere Systemkosten bedeuten auch einen höheren Strompreis. Der PSI-Wissenschafter vermutet, dass es ein Optimum für die Anteile an Bandenergie und an fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen gibt. Seiner Ansicht nach ist ein Anteil von 20 bis 25 Prozent an Bandenergieerzeugung vernünftig. Der Institutskollege McKenna sieht das genauso. Aus Kostensicht sei es nicht unbedingt optimal, auf 100 Prozent erneuerbare Energiequellen zu setzen.

Lastfolge heißt, dass die Stromerzeugung von Kraftwerken dem Strombedarf angepasst werden kann. Dafür kann man zum Beispiel Wasserkraft- oder Gaskraftwerke nutzen, aber auch Kernkraftwerke. So ist es technisch möglich, die Leistung von Kernkraftwerken innerhalb von einer Minute um einige Prozent zu senken oder zu steigern. Kernkraft gehört (nicht nur lt. Our World in Data) auch zu den sichersten und saubersten Energiequellen. Die Sterberaten pro erzeugter Energieeinheit (gemessen anhand der Todesfälle durch Unfälle und Luftverschmutzung pro Terawattstunde) liegen mit 0,03 zwischen Wind (0,04) und Solar (0,02). Und auch wenn immer wieder behauptet wird, Kernkraft sei die teuerste Energieform, gibt es ernsthafte Gegenrechnungen (oder hier):

„Kernkraft erfordert unbestritten sehr hohe Anfangsinvestitionen“, sagt Prasser, „aber ein modernes Kernkraftwerk läuft viele Jahrzehnte“. Weil, anders als bei Gas und Kohle etwa, die Brennstoffkosten kaum ins Gewicht fallen, sei der Atomstrom langfristig eine sehr günstige Energieform, so Prasser. Ein AKW, das von den 8760 Stunden des Jahres 7000 bis 8000 am Netz sei und 40 Jahre lang laufe, liefere über seine Lebensdauer Strom für vier bis fünf Cent die Kilowattstunde im Schnitt. Moderne AKW seien nach 30 Jahren abgeschrieben und danach „Gelddruckmaschinen“, sagt Prasser.“

Zumal KKW auch den Aufwand für Systemkosten und Netzausbau stark senken. Man sollte sich daher nicht wundern, wenn eine Renaissance der Atomkraft ernsthaft auf der Tagesordnung steht. Aber wie immer in diesen Fragen gibt es einen erbitterten und leidenschaftlichen Kulturkampf darüber, ob und wie gut sich verschiedene Energiequellen kombinieren lassen. Grundsätzlich finden aber viele Wissenschaftler,

dass die Diversifizierung bei der Stromversorgung eine Stärke sei. Vor zwei Jahren hätten Kollegen vom PSI untersucht, wie es um die Versorgungssicherheit der nationalen Stromsysteme in Europa stehe. Frankreich habe da relativ schlecht abgeschnitten, weil dort die Kernenergie so dominant sei. Eine höhere Punktzahl erreichten Länder mit einer stärkeren Mischung der Stromquellen wie zum Beispiel Dänemark, Island, Schweden und die Schweiz.

Dazu muss das Stromnetz allerdings intelligenter werden. All das sind Langfristprozesse, von denen wir noch nicht wissen können, wie am Ende ein Optimum aussieht. Wobei wohl, wie die NZZ m.E. richtig bemerkt, die größten Herausforderungen

bei der Aufgabe, verschiedene Energiequellen miteinander in Einklang zu bringen, …. jedoch nicht technische Hindernisse (sind), sondern solche wie Ideologie, soziale Akzeptanz und finanzielle Risiken.

Mit ökonomischen Argumenten gegen den Klimawandel

piqer:
Jürgen Klute

Der Titel dieses Interviews klingt ernüchternd: „Physiker über Energiewende: ‚Mit Klimawandel keinen überzeugt’“. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so dramatisch, wie es zunächst klingen mag. Die oft moralisch aufgeladene Debatte über die Klimakrise hat ja bisher in der Bundesrepublik nicht zu überzeugenden Erfolgen bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung geführt, obgleich die Folgen mittlerweile unübersehbar und für jeden und jede spürbar sind.

In Uruguay, das ähnlich abhängig vom Import fossiler Energieträger war wie die Bundesrepublik es noch ist, ist die Energiewende mittlerweile fast vollständig vollzogen: Nur noch 2% der Elektrizität bzw. Wärmeversorgung wird durch den fossilen Energieträger Öl erzeugt. Dieser Erfolg ist nicht das Ergebnis einer intensiven klimapolitischen Debatte, sondern einer ökonomischen, so der uruguayische Physiker Ramón Méndez.

Wie genau die ökonomisch begründetet Energiewende in der Republik östlich des Uruguay (so der offizielle Name des Landes) erfolgte, beschreibt Méndez in einem Interview mit dem Südamerika-Korrespondenten der taz, Jürgen Vogt. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, war schon Bert Brecht überzeugt. Offensichtlich gilt das auch im Blick auf die Energiewende: Nicht moralische Ansprüche, sondern die Aussicht auf Einsparungen motivieren zum dringend nötigen Handeln.

Habeck und das süße Gift der Subventionen?

piqer:
Thomas Wahl

Der Bundesrechnungshof kritisiert die Subventionspraxis des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck. So heißt es dazu in der ZEIT:

Laut Rechnungshof liefen zuletzt fast drei Viertel der Finanzhilfen des Bundes über den Etat des Wirtschaftsressorts. Für den Zeitraum zwischen 2019 und 2023 entsprach das demnach einem Volumen von insgesamt 33 Milliarden Euro. Im kommenden Jahr soll das Wirtschaftsministerium über 10,3 Milliarden Euro verfügen können.

Die Umgehung von regierungsinternen Leitlinien für die Befristung von Subventionen durch das Ministerium schränke „den Gestaltungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers ein“, kritisierten die Rechnungsprüfer, und würde zu einer weiteren „Versteinerung“ des Bundeshaushaltes führen. Andere, wie der hier empfohlene Kommentar von Johannes C. Bockenheimer in der NZZ, werten die Subventionspraxis wesentlich härter und grundsätzlicher:

Der deutsche Wirtschaftsminister bringt einzelne Unternehmen und ganze Branchen in seinen Einflussbereich. Doch am Ende seines Plans steht nicht der klimaneutrale Wohlfahrtsstaat, sondern der Kollaps.

Es ist nicht so, dass Habeck keine Probleme erkennt, aber offensichtlich tut er dies sehr selektiv. Vor fünf Jahren soll Habeck z.B. Volkswagen gewarnt haben: „Wer im Jahr 2025 kein Elektroauto für unter 20.000 Euro anbiete, werde im Markt scheitern.“ Wie man das in einem Land mit hohen Preisen und Löhnen in so kurzen, politisch vorgegebenen Zeiträumen schaffen kann, dieses Geheimnis verrät er nicht. Und in der Tat scheint es nun so,

als stünde VW gegenwärtig nah dran am Scheitern. Die Verkaufszahlen sind mau, die Geschäftszahlen sind mies, und das Management denkt über Werkschliessungen und Entlassungen nach. Für das günstigste Strommodell von VW werden derweil rund 40 000 Euro fällig.

Und das gilt offensichtlich nicht nur für VW, die Produktion in der gesamten deutschen Industrie bleibt rückläufig. Nun ist das noch kein Kollaps und man kann nicht alles dem Wirtschaftsminister und Vizekanzler anlasten. Aber man muss reagieren. Auch auf die sich ausbreitende staatliche Industriepolitik in den USA, China und in Europa. So wirft etwa die EU-Kommission China vor,

die gesamte Wertschöpfungskette für Elektroautos stark zu subventionieren und den Markt so zu verzerren. Deshalb will die Kommission Zusatzzölle einführen, die in manchen Fällen voraussichtlich mehr als 35 Prozent betragen. Nach Angaben der EU-Kommission sind chinesische Elektroautos normalerweise etwa 20 Prozent günstiger als in der EU hergestellte Modelle.

Es stellt sich die Frage: Unter welchen Umständen sind welche Subventionen der richtige Weg aus der Misere? Dazu die NZZ:

Doch kaum jemand betreibt diesen neuen Interventionismus mit solchem Eifer wie Deutschlands Wirtschaftsminister. Wo andere Pragmatismus walten lassen, sieht Habeck offenbar seine Mission: den Staat zum Dirigenten der Wirtschaft zu machen. Er werde «aktiv dafür sorgen», dass die Schlüsselindustrien im Land blieben, sagte Habeck nach Amtsantritt. Kurz darauf schob er ein langes Strategiepapier nach. En détail diktierte er darin, dass in Deutschland auch weiterhin Glas geblasen, Zement gemischt und Papier geschöpft werden müsse.

Kann diese enge inhaltliche Steuerung der Transformation einer ganzen Volkswirtschaft hin zur Klimaneutralität, die stark an Planwirtschaft erinnert, funktionieren? Was herauskommt

wenn der Staat Milliarden verteilt, die an Vorgaben dazu geknüpft sind, was, wie und zu welchem Preis produziert werden soll

könnten wir aus den Erfahrungen des real existierenden Sozialismus wissen.

In der Regel kein innovatives Produkt, das von Konsumenten nachgefragt wird – und damit auch keine reale Wertschöpfung.

Was man, wie Bockenheimer schreibt, nun bei VW wieder klassisch beobachten kann.

Aus Furcht, bei der nächsten Förderrunde leer auszugehen, hat sich der Konzern lieber dem Druck aus dem auch politisch besetzten Aufsichtsrat gebeugt als sich den Erwartungen der Kunden und dem Wettbewerb der Konkurrenz zu stellen.

Und es geht weiter. Auf dem letzten Autogipfel versprach Habeck den Autoherstellern weitere Hilfen.

Was zeigt: Ein Markteingriff kommt selten allein, sondern zieht immer neue Interventionen nach sich.

Der Versuch sich wie Münchhausen mit staatlichen Geldern an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, setzt einen Kreislauf in Gang. Die Gefahr: Immer mehr Geld bringt immer weniger Wirkung.

Endlich Ungleichheit verstehen

piqer:
Jannis Brühl

Ich mag Branko Milanovic, seit ich sein Buch Kapitalismus Global gelesen habe. Darin analysiert der Ökonom, wie sich das System, das sich durchgesetzt hat, sich im Westen einerseits und in autoritären Staaten wie China andererseits ausdifferenziert hat. In diesem Interview mit meinem SZ-Kollegen Bernd Kramer spricht Milanovic über sein neues Buch Visionen der Ungleichheit. Dabei macht er einige Punkte, die dem gewöhnlichen Verständnis unseres Systems widersprechen und sehr erhellend sind:

  • „Weltweit mag der Gegensatz zwischen Arm und Reich kleiner geworden sein, innerhalb der Industrieländer hat er sich vergrößert.“
  • Karl Marx warf dem Kapitalismus gar nicht wirklich explizit vor, die Ungleichheit zu erhöhen. Ihn interessierte vielmehr, wie sein Gesetz der fallenden Profitrate Kapitalisten und Arbeiter einander wieder – etwas – anglich.
  • Dementsprechend interpretieren Linke wie Rechte/Liberale Marx falsch.
  • Tatsächlich scheinen Technologiesprünge zunächst Ungleichheit zu erhöhen – weil nur eine entsprechende Avantgarde profitiert, ehe dann wachsende Konkurrenz die Verhältnisse wieder angleicht. Diese Phasen wechseln sich in Wechselbewegungen ab.
  • Ungleichheit kann aber so extrem werden, dass sie Wachstum nicht mehr befeuert, sondern lahmlegt. Die Gesellschaft wird dysfunktional.
  • Ganz, ganz oben an der Spitze herrscht nicht Faulheit, sondern „Homoplutie“ (Milanovics Wortschöpfung): Die Top-Elite hat hohe Kapitaleinkommen UND hohe Arbeitseinkommen. Das macht sie doppelt immun gegen einen Absturz in eine tiefere Klasse.

Wer keine Zeit hat, Milanovics neues Buch zu lesen, sollte sich dieses Interview gönnen, um die Welt ein bisschen besser zu verstehen.

In Deutschland entnimmt der Wald der Atmosphäre kein CO2 mehr

piqer:
Dominik Lenné

Im Pick wird ein Ergebnis des neuen Waldberichts der Bundesregierung skizziert, den diese jährlich erstellen lässt. Es ist ernüchternd: die Menge an Biomasse, die die Menge des im Wald gebundenen Kohlenstoffs charakterisiert, stagnierte, oder nahm sogar ab. Die Zunahme an einer Stelle wurde durch Abnahme an anderer, etwa durch das Absterben von Nadelholz-Monokulturen in den letzten Jahren, wieder neutralisiert. Dabei nimmt nicht nur die Holzmasse ab, sondern auch die des im Boden gebundenen Kohlenstoffs.

Damit wird die Emissionsplanung der Bundesregierung gefährdet, denn statt CO₂ aus der Luft zu entfernen, fügt unser Wald ihr neues hinzu – eine Entwicklung, die übrigens auch im Amazonasgebiet festgestellt wurde. Der jährlich laut Planung von Wald und Mooren aufzunehmende Anteil von 25 Mio. t CO₂ entspricht 3,7 % der Emissionen von 2023. Der Verlust – oder die Verringerung – dieser Senke ist also nicht überwältigend, aber dennoch bedenklich, besonders wenn man die politischen und ökonomischen Schwierigkeiten bedenkt, mit denen die Dekarbonisierung zu kämpfen hat.

Der Artikel behandelt des Weiteren den geplanten Waldumbau von Nadelholz-Monokulturen in Mischwald oder Laubwald, der nur langsam und gegen offensichtliche ökonomische Interessen der Waldbesitzer verläuft. Sie konnten ein von Landwirtschaftsminister Özdemir geplantes Bundeswaldgesetz bisher verhindern.

Die Rolle es Europäischen Parlaments in der EU-Handelspolitik

piqer:
Jürgen Klute

Am 4. Oktober 2024 hat das Europäische Parlament Strafzöllen gegen E-Autos aus China zugestimmt. Zwar hatte Bundeskanzler Olaf Scholz noch ein Machtwort gegenüber der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock gesprochen, um die geplanten EU-Strafzölle noch im letzten Moment zu verhindern. Gebracht hat das Machtwort jedoch nichts.

Eric Bonse hat die Entscheidung über die EU-Strafzölle zum Anlass genommen, um den langjährigen Vorsitzenden des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments (INTA), Bernd Lange (SPD), zu dieser Entscheidung der EU zu befragen. Veröffentlicht ist das Interview in der taz. Lange verteidigt und begründet einerseits die Entscheidung zugunsten der Strafzölle, kritisiert aber gleichzeitig die zunehmende Abschottung der USA gegenüber chinesischen Importen als chinaphob.

Das Interview beschränkt sich jedoch nicht auf den Handelskonflikt mit China. Ein weiteres Thema in diesem Interview ist das umstrittene und schon lange verhandelte Mercosur-Handeslabkommen (das Mercosur-Handeslabkommen umfasst die lateinamerikanischen Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, die unter dem Titel Mercosur eine Art Wirtschaftsunion bilden). Lange erläutert, wie sich aus seiner Sicht im Laufe der langjährigen Verhandlungen das Abkommen, das ursprünglich als ein klassisches Freihandelsabkommen konzipiert war, qualitativ verändert hat und woher die Blockaden innerhalb der EU kommen.

Und schließlich gibt das Interview einen seltenen Einblick in die heutige auf dem Lissabon Vertrag basierende Rolle des Europäischen Parlaments in der EU-Handelspolitik, die mit dem Lissabon Vertrag vollständig auf die EU-Ebene verlagert wurde (es sei denn, soziale Aspekte sind Bestandteil eines Abkommens).

Wahlchancen: Frauen haben teils sogar einen Bonus

piqer:
Antje Schrupp

Der Hype um Kamala Harris nach ihrer Übernahme der US-Präsidentschaftskandidatur hat viele überrascht. Woher kommt die breite Zustimmung, ja fast schon Erleichterung? Ist sie nicht als Frau und als Schwarze sogar strukturell im Nachteil?

Nicht unbedingt, wie dieses Interview mit der Politikwissenschaftlerin Sanne van Oosten von der Universität Oxford zeigt. Sie hat zu der Frage, welchen Einfluss Geschlecht und Hautfarbe für die Wahrnehmung von Wähler*innen haben, kürzlich eine Meta-Analyse erstellt, für die sie Experimente und Studien seit 2012 analysiert hat (überwiegend aus den USA). Dabei ging es um den ersten Eindruck, den Wähler*innen von einem Politiker oder einer Politikerin mit Migrationshintergrund haben. Ergebnis: Dieser erste Eindruck ist sehr positiv, und Frauen haben im Vergleich zu Männern sogar einen Bonus – die Wahrscheinlichkeit ist signifikant höher, dass Wähler*innen für eine Frau stimmen als für einen Mann.

Widersprechen diese Ergebnisse dem Eindruck, dass Frauen im politischen Geschäft benachteiligt sind? Nicht unbedingt, denn die Wahrnehmung von Geschlecht oder anderen Identitätskategorien wirkt sich nicht nur über Diskriminierung aus. Mit „Frausein“ oder „Schwarzsein“ kann auch die Hoffnung auf Veränderung verbunden werden – das war sicher bei Obama der Fall, und auch bei Angela Merkels Erfolg spielte ihr Geschlecht eine Rolle.

Die Rolle, die Faktoren wie Geschlecht, Migrationshintergrund und andere Identitätsmarker bei der Beurteilung von Politiker*innen spielen, ist komplex. Gut, dass diese Verbindungen nun auch wissenschaftlich erforscht werden.