Fremde Federn

Klimaschäden, EU-Reform, Bürokratie

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Äthiopien verbietet den Import von Verbrenner-Autos, die dritte Ära der Europäischen Union und wie hoch die wirtschaftlichen Schäden durch die Erderwärmung bis zum Jahr 2050 sind.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

38 Billionen Dollar an Wirtschaftsschäden „locked in“

piqer:
René Walter

Ein neues Paper von Forschern am Potsdam Institute for Climate Impact Research hat ausgerechnet, wie hoch sich die wirtschaftlichen Schäden durch die Erderwärmung bis zum Jahr 2050 belaufen, die durch vereinbarte Emissionsziele bereits heute „locked in“ sind, also sicher auf Gesellschaften weltweit in den nächsten 26 Jahren zukommen werden.

Die Summe beläuft sich auf stattliche 19% der Weltwirtschaft beziehungsweise 38 Billionen US-Dollar. Das ist eine 38 mit 12 Nullen, 38.000 Milliarden, oder 38 Millionen Millionen – so sieht die Zahl aus, in bold:

38.000.000.000.000 Dollar.

Die Berechnungen sind laut Berichten eher konservativ angelegt und beinhalten hauptsächlich Schäden durch Erwärmung, erhöhten Niederschlag und Temperaturschwankungen, während Wetterextreme wie Stürme oder Waldbrände schwerer statistisch zu modellieren sind. Die Berechnungen berücksichtigen ebenfalls Adaptionen an Extremwetter durch Staaten und Unternehmen, wobei sicher ist, dass ärmere Nationen weniger Adaptionsleistung aufbringen werden können. Am stärksten betroffen bei der projizierten Wertvernichtung sind Afrika und Süd-Asien, die Effekte werden sich allerdings global auf alle Wirtschaftsleistungen aller Länder auswirken: Wir stehen vor einer langfristigen, klimawandelbedingten Rezession der gesamten Weltwirtschaft.

Die projizierten Schäden übertreffen laut Studie bereits jetzt die Investitionen, die nötig wären, um die Erderwärmung auf maximal 2°C zu begrenzen, wie vom (juristisch nicht verbindlichen) Pariser Abkommen vorgesehen – und die prognostizierten Schäden fallen noch einmal 50% höher aus, wenn man „further climatic components“ mit einbezieht. Das ist die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen – soziale Verwerfungen und politische Konflikte nicht mitgerechnet.

Vor zehn Jahren fand eine Untersuchung heraus, dass sich die externen Kosten sämtlicher Industriezweige auf sagenhafte 7,3 Billionen Dollar pro Jahr belaufen (eine 7 mit 12 Nullen) – und dass keiner der Sektoren profitabel wäre, würde man diese Kosten von Treibhausgas-Emissionen oder Wasser-, Luft- und Landverschmutzung einpreisen. Gleichzeitig ergehen sich dieselben Kräfte, die hier wohlwissentlich die gesamte Welt (nicht nur wirtschaftlich) an die Wand fahren, in einer Desinformationskampagne, um selbst noch die spätesten, notwendigsten Adaptionsinitiativen zu verhindern.

Aber zum Glück haben wir Wirtschaftsparteien wie die Union und die FDP und jede Menge Experten in Bundestag und -rat und all den Gremien, die frühzeitig und ausreichend vor den exzessiven Wirtschaftsschäden durch den Klimawandel gewarnt, entsprechende Gesetze erlassen, wirtschaftliche Anreize für erneuerbare Energien geschaffen und Vorsorge getroffen haben. /Sarcasm off

Die dritte Ära der Europäischen Union

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Tanja Kuchenbecker

Die EU ist im Umbruch. Krisen, Kriege und die Notwendigkeit einer Neupositionierung gegenüber China und den USA führen die Europäische Union zwangsläufig in eine neue Phase. Europa muss lernen, zu sich selbst zu stehen und sich zu behaupten in einer Welt der geopolitischen Veränderungen. Die EU sollte nicht mehr nur reagieren, sondern agieren.

Jean-Dominique Giuliani, Präsident der Robert Schuman Stiftung, erklärt in seinem Beitrag die vier großen Herausforderungen für die EU: Demokratie gegenüber Populismus, wirtschaftlichen Rückstand aufholen durch Investitionen, Anreize statt zu viel Regulierung sowie Sicherheitspolitik und europäische Verteidigung. Dazu ist bei der Stiftung auch ein Bericht über Europa 2024 erschienen.

EU-Reformvorschlag: Den Binnenmarkt vervollständigen!

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Jürgen Klute

Die bisherigen Umfragen zur Europawahl zeigen, dass der Teil der europäischen Bürger und Bürgerinnen mit der Entwicklung der Europäischen Union unzufrieden oder nicht einverstanden ist, zunimmt. Noch ist der Zuwachs nicht bedrohlich, aber Anlass zur Frage, was sich an der EU ändern muss, geben die Umfragen schon. Bereits die Konferenz zur Zukunft der EU, die auf Initiative der derzeitigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in 2021 unter Beteiligung vieler Bürgerinnen und Bürger stattfand, zeigte deutlich auf, dass und welche Erwartungen sie an die Weiterentwicklung der EU haben.

Die EU-Kommission hat vor diesem Hintergrund den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta gebeten, ein Reformpapier für die EU zu schreiben. Diese Papiere liegt nun vor. Jakob Pflügl hat es im Wiener Standard vorgestellt. Sein Artikel enthält auch einen Link auf den vollständigen englischsprachigen Bericht von Letta.

Drei Säulen umfasst das von Letta ausgearbeitet Papier. Zum einen schlägt er eine Vervollständigung des EU-Binnenmarktes vor, der derzeit weder den Verkehrssektor noch den Energiesektor noch den Finanzsektor vollständig integriert hat. Ziel ist, dass auf diese Weise zum einen die EU im Wettbewerb mit China und den USA gestärkt wird, und zum anderen, dass die ökonomische Entwicklung innerhalb des EU-Binnenmarktes sich auf einem hohen Niveau angleicht, um die Abwanderungsprozesse von jungen gut ausgebildeten Menschen aus dem Osten der EU Richtung Westen und aus dem Süden Richtung Norden zu bremsen. Und drittens schlägt Letta einen verpflichtenden Aufenthalt aller jungen Menschen in der EU in einem anderen Mitgliedsland vor, damit der Zusammenhalt und die Entwicklung einer gemeinsamen Identität gestärkt wird – natürlich mit finanzieller Unterstützung seitens der EU, damit niemand aus wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen wird.

Wir steuern auf 2,7 Grad Celsius Klimaerhitzung zu

piqer:
Michaela Haas

Der Guardian hat sich die Mühe gemacht, alle Klima-Experten des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zu kontaktieren, die in den letzten sechs Jahren an Studien zu dem Thema beteiligt waren, und ihr Verdikt ist eindeutig:

Wir werden noch in diesem Jahrhundert einen Temperaturanstieg von mindestens 2,5 Grad Celsius erleben.

Das heisst, dass wir das international vereinbarte Ziel, die Klimaerhitzung unter 1,5 Grad zu halten, verfehlen werden – mit katastrophalen Folgen für Menschen, Tiere und den Planeten.

„The 1.5C target was chosen to prevent the worst of the climate crisis and has been seen as an important guiding star for international negotiations. Current climate policies mean the world is on track for about 2.7C, and the Guardian survey shows few IPCC experts expect the world to deliver the huge action required to reduce that.“

Äthiopien verbietet den Import von Benzin- und Diesel-Autos

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Ralph Diermann

Ein gern verwendetes Argument der Befürworter von E-Fuels (klimaneutrale Kraftstoffe, die unter hohem Energieaufwand aus Wasserstoff hergestellt werden) lautet, dass wir sie für Länder brauchen, in denen der Umstieg auf die Elektromobilität sozioökonomisch nicht möglich sei – etwa für Regionen in Afrika, in denen Autos mit Verbrennermotoren noch für sehr lange Zeit unverzichtbar seien.

Ein Bericht im Spiegel zeigt nun, dass es dort auch anders geht: Äthiopien hat den Import von Autos mit Benzin- und Dieselmotor mit sofortiger Wirkung untersagt. Da im Land keine Autos gefertigt werden, bedeutet das ein Verkaufsverbot für Verbrenner. Als Zuckerbrot gewährt die Regierung zugleich Steuererleichterungen für den Kauf von E-Autos. Darüber hinaus will sie nun mit Hochdruck die Lade-Infrastruktur ausbauen.

Als Gründe für das Verbot führt der zuständige Minister zum einen die schlechte Luftqualität in den Städten, vor allem aber den Kapitalabfluss durch den Import der Kraftstoffe an. Strom hat das Land dagegen im Überfluss – der dazu auch noch klimaneutral ist: 96 Prozent des Bedarfs decken Wasserkraftwerke, den Rest liefern Windparks und Biomasse-Kraftwerke.

Bislang gibt es in Äthiopien erst 1,2 Millionen Autos, bei 126 Millionen Einwohnern. Es ist zu erwarten, dass die PKW-Zahl in den nächsten Jahren stark wachsen wird. Mit dem Verbrenner-Verbot sorgt die Regierung dafür, dass die Käufer eine Entwicklungsstufe überspringen und direkt zu einer fortschrittlicheren Technologie übergehen – ähnlich wie bei der Telekommunikation: In Entwicklungs- und Schwellenländern haben sich viele Haushalte statt eines Festnetz-Telefons gleich ein Mobilgerät angeschafft.

Bürokratie – alles gut geregelt

piqer:
Goethe-Institut

Im Artikel „Bürokratie“ von Maximilian Buddenbohm werden die Herausforderungen der Familienregeln zur Medienzeit der Kinder auf fesselnde und nachdenkliche Weise erörtert. Buddenbohm reflektiert über die Jahre, in denen er und seine Frau versuchten, die Bildschirmzeiten ihrer Kinder durch einfache, doch immer komplexer werdende Regeln zu kontrollieren. Dieser Prozess, von demokratischen Familienräten zu einem überbordenden Regelwerk, verdeutlicht nicht nur das Spannungsfeld zwischen elterlicher Intention und praktischer Umsetzbarkeit, sondern auch die inhärente Tendenz zur Überregulierung, die viele von uns in verschiedenen Aspekten des Lebens erleben.

Buddenbohm beschreibt eindrücklich, wie die anfänglich einfachen Regelungen schließlich zu einer bürokratischen Last wurden, die niemand mehr nachvollziehen konnte. Die Geschichte dient als Metapher für größere bürokratische Strukturen in unserer Gesellschaft und wirft die Frage auf, inwieweit Regeln unser Leben verbessern oder komplizieren.

Es fing im Familienrat stets mit einer einfachen, einleuchtenden Regel an, mit einem simplen Gebot wie etwa: „Ihr dürft anderthalb Stunden pro Tag.“ Das konnten sich alle merken, das war anwendbar und schnell entschieden. Ein kurzer Moment der Klarheit. Diese Regel musste aber aus guten Gründen weiter ausdifferenziert werden.

Dieser Artikel ist eine kluge, tiefgründige Reflexion über Familie, Gesellschaft und die oft irrationale Natur menschlicher Organisationen. Buddenbohm führt uns durch seine persönlichen Erfahrungen und regt dazu an, über die eigene Rolle in der Schaffung und Aufrechterhaltung von Regelsystemen nachzudenken.

Für alle, die sich für die subtilen Mechanismen interessieren, die unser tägliches Leben prägen, und für diejenigen, die tiefere Einblicke in die Dynamik familiärer Interaktionen und gesellschaftlicher Normen gewinnen möchten, ist dieser Artikel ein Muss.