Auf ihrem letzten Parteitag in Beijing ließ die Kommunistische Partei Chinas aufhorchen. In der großen Halle des Volkes insistierte He-Lifeng, Vizepremier eines Landes mit immerhin 5.346 börsennotierten Unternehmen, die wirtschaftlichen Probleme des Riesenreiches sollten in Zukunft präzise, und mit konkreten Maßnahmen vor Ort gelöst werden. Die Funktionäre sollten hierbei in den „Sinkflug“ gehen und bei den lokalen Börsenkonzernen vorstellig werden. Ziel sei es, die Qualität der wirtschaftlichen Expansion zu sichern, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen und über mikroökonomische Koordination gesamtwirtschaftliche Ziele zu erreichen. Könnte dies auch ein Impuls für die Bundesrepublik sein, um deren industrielle Basis zu stärken?
Aus wissenschaftlicher Sicht spricht viel dafür: Friedrich August von Hayek erkannte vor 80 Jahren, was heute weitestgehend aus der öffentlichen Debatte verschwunden ist: Die verständigen und sachkundigen Köpfe, die Experten und Spezialisten, sitzen vor Ort. In den Kanzleien, Praxen und Werkshallen, an den Maschinen, in der Buchhaltung und in der IT. Und sie kennen sich in ihrem Bereich aus wie sonst niemand. Sowohl in Deutschland als auch quer durch die westliche Welt ist milliardenfaches Handlungswissen in den Betrieben durch staatlichen Dirigismus nicht annähernd zu ersetzen. Dieses, den Volkswirten als „Lokale Knowledge Problem“ bekannte Konzept, umriss von Hayek wie folgt:
„Ein wenig Nachdenken wird zeigen, dass zweifellos ein Pool sehr wichtigen, aber nicht organisierten Wissens besteht, (…) das Wissen um Zeit und Ort. Wir müssen uns nur daran erinnern (…) welch einen großen Teil unseres Arbeitslebens wir mit dem Lernen spezialisierter Arbeiten verbringen, und welch ein wertvolles Gut in allen Lebenssituationen das Wissen der Menschen um lokale Gegebenheiten oder speziellen Umständen ist.“
Folgt man dem Liberalen, so gilt: Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands entsteht in den Regionen; in über 2.000 Städten mit ortsansässigen Autohäusern, Sparkassen, Ingenieurbüros und Handwerksbetrieben. Diesen ist meist klar, wo angepackt werden muss, was zu tun ist, und wo gespart werden kann. Mit dem Fokus auf zügige Vorgänge, effiziente Prozesse, kurze Wege und lokale Hilfestellung könnten allein in der Bundesrepublik hunderte Millionen kleiner, jedoch neuer ökonomischer Impulse entstehen.
Zwei konkrete Beispiele:
Bei Audi in Ingolstadt werden die Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter gesammelt, die Einsparungen gehen zu 50% auf das Konto der findigen Arbeiter: Nachdem ersichtlich wurde, dass die örtliche Werksbahn sich an einer Seite durch Kurvenlage abgenutzt hatte, wurde sie auf Hinweis eines Technikers einfach in die andere Richtung gesetzt, statt sie aufwendig zu restaurieren. Der Vorschlag brachte dem Angestellten 50.000 Euro, und entsprechende Einsparungen für seinen Arbeitgeber.
Am Wochenende wurde mein Zug in Würzburg in einen Unfall verwickelt. Ein Mann wurde schwer verletzt. Anstatt das Problem zügig zu beheben, flanierten die Einsatzkräfte zwei Stunden über die Bahnstrecke. Da vier Gleise in beide Richtungen blockiert waren, gab es einen negativen Rückkopplungseffekt auf insgesamt acht Strecken. Die Region Würzburg, und zehntausende Fahrgäste, waren über viele Stunden mit einem verkehrstechnischen Totalausfall konfrontiert. Bundespolitisch ist diesen Problemen niemals beizukommen. Der Hebel ist der Einsatzleitfaden der lokalen Rettungskräfte, und deren rasche Koordinierung bei einem Unglück vor Ort.
Möglichkeiten der Optimierung gibt es in großen Volkswirtschaften unendlich viele. In Deutschland allein hätten die Verbesserung der Prozesse von über drei Millionen Firmen und Organisationen eine Dynamik in Richtung gesamtwirtschaftliche Konsolidierung zu Folge, welche sich umgehend in ein höheres Steueraufkommen, eine geringere Neuverschuldung und solidere Staatsfinanzen übertrüge.
Wie lässt sich dieses Wissen in konkrete politische Handlungsziele überführen?
- Zwingend ist die Überarbeitung der juristischen Ausbildung. Die fehlgeleitete Vorstellung, auch noch den kleinsten Lebenssachverhalt rechtlich aus Berlin oder Brüssel zu steuern, sie führt in die Blockade und ist nicht zukunftsfähig. Unmöglich wird dieses hoheitliche Ansinnen in unserem technischen Zeitalter bald ganz von selbst.
- Hilfreich wäre es, das chinesische Experiment sehr genau zu observieren, und anschließend mit den besten Ideen zu arbeiten. In der Privatwirtschaft kennt man diese Strategie als den „Intelligenten Verfolger“. Von den klügsten Köpfen zu lernen, Deutschland könnte es niemals schaden.
- Ein gigantischer Hebel liegt in der öffentlichen Beschaffung. Das jährliche Volumen allein in Deutschland beläuft sich auf 500 Milliarden Euro. Dieser Betrag sollte in Zukunft viel zügiger und gezielter für Dienstleister in den Städten und Kommunen verwendet werden. Europaweit könnten so jedes Jahr mehrere Billionen Euro in akkurate lokale Wertschöpfung fließen.
Sollten Sie aus ideologischen Gründen mit dem großen Liberalen fremdeln, ebenso mit den Bayern und mit den Chinesen, so folgen Sie bitte zumindest den weisen Worten von SPD-Parteivorstand Herrmann Scheer. Dieser formulierte einst so treffend: „Die Wirtschaft – das sind wir alle!“
Zum Autor:
Sebastian Kirchner ist ein deutscher Volkswirt und langjähriges Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Er arbeitete mehrere Jahre im Bereich Global Health und in der Humanitären Logistik des THW. Als Entwicklungshelfer war er in Kambodscha und Jordanien tätig, hierüber war er Angestellter der Episkopalkirche zu Jerusalem. Er absolvierte die Diplomatenprüfung im Auswärtigen Amt, war Stipendiat des DAAD, und verfolgte als Beobachter die Prozesse gegen die Roten Khmer in Phnom Penh.