Schon häufig wurde die Welthandelsorganisation WTO für tot erklärt. Die Doha-Runde, die erste und einzige multilaterale Verhandlungsrunde im Rahmen der WTO, ist schon lange gescheitert. Und seit 2019 ist das Berufungsgremium der WTO-Streitschlichtung blockiert, weil US-Regierungen die Nachbesetzung freigewordener Richterstellen verweigern.
Manche sagen: Totgesagte leben länger. Und bisher trifft dies für die WTO zu. Auf der anstehenden 13. WTO-Ministerkonferenz (MK13) in Abu Dhabi, die vom 26. bis 29. Februar stattfindet, steht viel auf dem Spiel. Die Mitgliedstaaten müssen Entscheidungen für drängende weltwirtschaftliche Herausforderungen in einem internationalen Umfeld treffen, das von Kriegen, Inflation und Protektionismus geprägt ist. Leider stehen die Chancen schlecht für weitreichende Einigungen. In vielen Fällen dürfte die Verständigung auf einen Fahrplan für weitere Gespräche das bestmögliche Ergebnis sein.
Der wahrscheinlichste Kandidat für einen Erfolg ist ein erweitertes Abkommen zu Fischereisubventionen, das zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele beitragen soll. Ein Großteil des Textes steht. Ziel ist es, Disziplinen zur Abschaffung der Subventionen einzuführen, die zur Überfischung oder zu Überkapazitäten beitragen. Aber selbst hier gibt es noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten, beispielsweise zu möglichen Ausnahmen.
Ein sehr großer Streitpunkt ist die Landwirtschaft. Der Knackpunkt ist die Frage der öffentlichen Vorratshaltung zum Zweck der Ernährungssicherheit. Seit Jahren fordert Indien, dass es erlaubt sein muss, solche subventionierten Vorräte anzulegen. Andere fürchten nicht nur, dass öffentliche Vorratshaltung den Handel verzerrt, sondern auch die Ernährungssicherheit anderer Mitglieder beeinträchtigt. Angesichts der anstehenden Parlamentswahlen in Indien wird diese Diskussion auf der MK13 kaum gelöst werden.
Auch der aktuelle Entwurfstext zur Reform des WTO-Streitbeilegungssystems enthält viele gute Ansätze, aber noch immer keinen Vorschlag für den Hauptstreitpunkt: ein neu aufgelegter Überprüfungs- oder Berufungsmechanismus, wie beispielsweise von der EU vorgeschlagen. Dies deutet stark darauf hin, dass der Text nicht auf der MK13 unterzeichnet wird. Vor allem die Vereinigten Staaten möchten in diesem Wahljahr keinem Mechanismus zustimmen, der WTO-Urteile bestätigen könnte, die den Interessen der USA zuwiderlaufen.
Die WTO ist besser als ihr Ruf
Diese drei Kernthemen zeigen, dass große Einigungen kaum in Reichweite sind. Dies gilt auch für andere wichtige Themen, die auf der Agenda stehen, wie der elektronische Handel oder geistige Eigentumsrechte. Und dennoch: Die Bilanz der WTO insgesamt ist um einiges besser als ihr Ruf.
Erstens ist und bleibt die WTO die Hüterin des regelbasierten Welthandels. Sie bietet nicht nur ein Forum, um neue Regeln für den Welthandel zu setzen, sondern überwacht auch deren Einhaltung. Zudem fungiert die WTO als wichtiger Think Tank für die Handelspolitik, der mittels Datenanalysen populistischen „unsere Nation zuerst“-Rufen entgegenwirkt. Diese Funktionen der WTO sind in Zeiten geopolitischer Spannungen erst recht entscheidend.
Zweitens haben die Mitgliedsstaaten der WTO mit Blick auf neue Regeln für die Weltwirtschaft in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger Erfolge erzielt. Dies geschah oft unter dem Radar der breiteren Öffentlichkeit. Seit 2020 laufen beispielsweise in der WTO strukturierte Diskussionen, um Handelspolitik als Hebel für besseren Umweltschutz zu nutzen, u.a., indem Kreislaufwirtschaft gefördert oder Plastikmüll vermieden wird. Um das WTO-Regelwerk weiterzuentwickeln, setzen einige Mitglieder auf plurilaterale Abkommen. Im Juli 2023 erzielten über zwei Drittel der WTO-Mitglieder so eine bahnbrechende Einigung zu einem neuen Abkommen zur Investitionsförderung, das in Abu Dhabi angenommen werden soll. Aktuelle Forschung zeigt, dass insbesondere Entwicklungsländer von diesem Abkommen profitieren können.
Drittens gab es auch bei WTO-Ministerkonferenzen trotz aller Herausforderungen immer wieder bedeutende Schritte nach vorne. Auf der Ministerkonferenz in Bali im Jahr 2013 wurde beispielsweise das Abkommen zur Handelserleichterung beschlossen, das den internationalen Handel vereinfacht und harmonisiert. In Nairobi im Jahr 2015 beschlossen die WTO-Mitglieder das Aus für landwirtschaftliche Exportsubventionen, die jahrzehntelang Agrarmärkte auf Kosten vieler Entwicklungsländer verzerrt hatten. Im Jahr 2022 wurde der sogenannte „TRIPS-Waver“ beschlossen, damit alle Entwicklungsländer auf den Schutz des geistigen Eigentums verzichten können, der für die Herstellung und den Vertrieb von Covid-19-Impfstoffen erforderlich ist.
Die Mitgliedsstaaten dürfen die WTO daher nicht aufgeben. Eine weitere Marginalisierung des multilateralen Handelssystems schadet allen Gesellschaften. Sie schwächt vor allem kleinere und ärmere Staaten, die aufgrund des „One Country, One Vote“ Prinzips eine vergleichsweise starke Stimme in der WTO haben. Umso wichtiger ist es, die Reform der WTO voranzubringen.
Deutschland und die EU müssen ihren Beitrag dazu leisten, die WTO zu stärken. Dies sollte zum einen durch das Schmieden neuer Koalitionen mit Ländern aus dem Globalen Süden vorangetrieben werden. Zudem sollten sich Deutschland und die EU darauf fokussieren, die Umsetzung der WTO-Regeln in ärmeren Ländern substanziell zu unterstützen. Dies wird beispielsweise für Investitionsförderung sehr relevant sein, damit alle Länder möglichst stark von dem neuen Abkommen profitieren. Schließlich braucht es weiterhin innovative Ideen, um Fortschritte zu erzielen. Zum Beispiel könnten die bisherigen WTO-Einigungen zu Fischereisubventionen als Vorlage dienen, um umweltschädliche Subventionen in der Landwirtschaft zu senken.
Trotz aller Hindernisse und Kontroversen bleibt die WTO eine wichtige Institution für die regelbasierte Weltwirtschaft. Es liegt an den Mitgliedsstaaten, ihre Differenzen zu überwinden und gemeinsam die Reformen voranzutreiben, die für eine gerechtere und nachhaltigere Weltwirtschaft dringend erforderlich sind. Die WTO ist tot, es lebe die WTO!
Über die Autorinnen:
Clara Brandi ist Abteilungsleiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und Professorin an der Universität Bonn. Zoryana Olekseyuk ist Senior Researcher am IDOS mit Schwerpunkt Handel und Investitionen.
Dieser leicht überarbeitete Beitrag erschien ursprünglich in der Aktuellen Kolumne des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), die jeden Montag Entwicklungen und Themen der internationalen Entwicklungspolitik kommentiert.