Fremde Federn

Strom-Importe, Habecks Politikansatz, Treuhand

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Warum der starke Anstieg der Strom-Importe eine gute Sache ist, welche Rolle Schmiergeld bei der Einheit spielte und wie Gesichtserkennungstechnik unsere Privatsphäre auf bislang unvorstellbare Weise beeinträchtigen wird.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Warum der starke Anstieg der Strom-Importe eine gute Sache ist

piqer:
Ralph Diermann

Auf den ersten Blick zeigt die monatliche Darstellung der Strom-Importe und -Exporte ein beunruhigendes Bild: Floss viele Jahre lang in den allermeisten Monaten deutlich mehr Strom von Deutschland ins Ausland als umgekehrt, so hat sich das Bild nach dem Abschalten der letzten AKWs umgedreht. Seit Mai ist das Exportsaldo tief negativ – Deutschland bezieht weit mehr Strom von seinen Nachbarn als es exportiert; trotz der großen Mengen an Solarstrom, die die Photovoltaik-Anlagen im Sommer geliefert haben. CDU/CSU und AfD sehen sich darin bestätigt in ihrer Kritik, das Abschalten der AKWs sei ein Fehler gewesen.

Ist die Zunahme der Strom-Importe also ein Warnsignal? Legt Deutschland die Zuverlässigkeit seiner Stromversorgung in die Hände der Nachbarländer? Malte Kreutzfeldt von Table Media – ein 2021 gegründetes Verlagshaus, das hochwertige, größtenteils kostenpflichtige Fach-Newsletter erstellt – hat nun einmal genauer hingeschaut, was da eigentlich los ist. Dazu hat der Ex-taz-Redakteur Zahlen der Bundesnetzagentur sowie des Fraunhofer ISE unter die Lupe genommen. Sein Artikel ist gratis zugänglich.

Kurz zusammengefasst: Deutschland profitiert sowohl volkswirtschaftlich als auch mit Blick auf den Klimaschutz von den gestiegenen Importen. Volkswirtschaftlich, weil die Einfuhr günstiger ist als die Produktion im Inland. Und aus Klimasicht, weil der Strom vor allem aus Dänemark, Schweden und Norwegen kommt, wo Wind- bzw. Wasserkraft die wichtigsten Energiequellen sind.

Und die Abhängigkeit? Gibt es nicht, denn Kreutzfeldt zufolge lag die Spitzenlast in den letzten Monaten zu keiner Zeit unter der in Deutschland installierten gesicherten Leistung. Mit anderen Worten: Wir hätten unseren Strombedarf auch komplett mit eigenen Kraftwerken decken können – haben das aber nicht getan, weil der Import günstiger und grüner war.

Das positive Narrativ des Wandels – Habecks Politikansatz

piqer:
Ole Wintermann

Wie es Reformern und Politikern ergeht, die angesichts der Klimakrise in Deutschland nachhaltigen Wandel befördern wollen, sieht man aus Sicht des GUARDIAN besonders gut an Wirtschaftsminister Robert Habeck. Der sehr empfehlenswerte Long Read über seinen Werdegang und die Untiefen deutscher Politik liegt (eventuell) hinter der Bezahlschranke.

Philip Oltermann vom GUARDIAN, der Habeck eine längere Zeit begleitet hat, ordnet für uns den politischen Ansatz zum nachhaltigen Wandel sowie das bei Habeck erkennbare typisch skandinavisch-pragmatische Politikverständnis ein. Oltermann schildert die Chronologie der Ereignisse vom kurzfristigen Umbau der deutschen Energieversorgung von russischem auf LNG-Gas aus anderen Ländern bis hin zum kommunikativ verunglückten Heizungsgesetz. Er analysiert sehr richtig, dass der Umbau eine immense Leistung von Deutschland und Habeck als verantwortlichem Minister gewesen ist, deren positive Wirkung Habeck aber nicht nutzen konnte, da regierungsinternes Durchstechen an die rechte Springer-Presse (dankenswerter Weise ist Oltermann an dieser Stelle sehr deutlich) das Gesetz, das dem Klimaschutz dienen sollte, in der Form verhinderte.

Der Text geht auf die strategischen Überlegungen von Habeck zur kommunikativen Neupositionierung der grünen Partei zwecks Adressierung neuer Wählerpotenziale ein; weg von der „Besserwisser“-Partei hin zur Partei, die versucht, durch positive Narrative die Menschen zum Wandel zu bewegen. Dabei hat Habeck, anlehnend an die politische Logik skandinavischer Parteien durchaus ein nachhaltig-normatives Ziel vor Augen. Seine Politik ist nicht beliebig und opportunistisch:

„His goal wasn’t only to turn the Baltic Sea into a protected area, or to close down nuclear power stations. His passion was the idea of transporting the green idea to the heart of German society by meeting people and winning them over through debate.“

In Schleswig-Holstein ist ihm diese Politik augenscheinlich geglückt, wenn ihm der aktuelle CDU-Ministerpräsident im Gespräch mit dem GUARDIAN bescheinigt:

„He could have told the mussel farmers: I don’t care about you and your line of work. But he managed to bring ecological and economic concerns together.“

Der Text geht am Ende auf die Gründe ein, weshalb die persönliche Erfolgsgeschichte von Habeck gegenwärtig zum Stehen gekommen ist: Er muss der eigenen Partei Entscheidungen zumuten, die den grünen Genen widersprechen (z.B. LNG), die rechte Springer-Presse fährt Kampagnen gegen seine Politik und schließlich ist Deutschland vielleicht ganz einfach strukturell konservativ und hadert mehr mit Veränderungen (als man dies vielleicht in Schleswig-Holstein macht).

The first generation to reach real sustainability

piqer:
Dominik Lenné

Hannah Ritchie ist unüberhörbar Schottin. Sie ist Geowissenschaftlerin, die über die Zusammenhänge von Umwelt und Klima mit Armut, Bildung und Gesundheit geforscht hat. Sie arbeitet seit 2017 bei Our World In Data (OWID), einem Projekt zur Aufbereitung und Darstellung verlässlicher globaler Daten, dessen Grafiken vorbildlich sind.

Der Piq ist ihr TED-Talk, der kürzlich online ging und als Gegengift zu dem Ärger und dem Pessimismus gedacht ist, die einen überfallen können, wenn man die beinahe täglichen Meldungen über die sich vor unseren Augen entwickelnde Klimakrise betrachtet. Er ist mit einer Fülle von Kurven aus dem OWID-Fundus gespickt, für die allein das Video sich schon lohnt.

Sie beginnt damit, zu konstatieren, dass wir durch die schlechten Nachrichten gelähmt werden können und knallt uns erstmal die hässlichen ansteigenden Kurven von Emissionen, Landverbrauch, Plastikproduktion und so weiter um die Ohren. Dann allerdings kontrastiert sie das mit vielen instruktiven Grafiken, was die Menschheit schon erreicht hat: Alphabetisierung, phantastische Reduktion der Kindersterblichkeit und der extremen Armut. Sie geht weiter über zu den Lichtblicken, die sogar in den Emissionsdaten zu finden sind, wie etwa dass die Pro-Kopf-CO₂-Emission der Menschheit bereits zu sinken begonnen hat. Schließlich entwirft sie die Vision einer Menschheit, die ein gutes Leben für Alle in der Gegenwart mit der Erhaltung der Welt für die Zukunft verbindet – die allerdings nicht von selbst Wirklichkeit wird.

Sie sei eine Gelegenheit, die wir ergreifen oder verpassen können.

P.S.: Ihr Buch zum selben Thema erscheint am 9. Januar 2024.

Geht Vier-Tage-Woche durch KI nicht ohne Arbeitskampf?

piqer:
IE9 Magazin

Der Arbeitsmarkt- und KI-Forscher Christian Kellermann bringt spannende Perspektiven in die Debatte um künstliche Intelligenz ein. Er erklärt im Interview, wie künstliche Intelligenz zu kürzeren Arbeitszeiten führen kann, wenn dafür gekämpft wird.

Christian Kellermann: „Ich gehen davon aus, dass große KI-Sprachmodelle genau wie Dampfmaschine oder Elektrizität eine General-Purpose-Technologie sind, eine Allzwecktechnologie, die in Bereiche ausgreifen kann, in denen wir in den letzten 150 Jahren geringe Produktivitätsfortschritte gesehen haben, zum Beispiel in kognitiv-kreative Bereiche. Und auch diese Produktivitätsgewinne kann man verteilen, was allerdings kein Automatismus ist – wie es auch in den vergangenen 150 Jahren kein Automatismus war.“

Kellermann ist optimistisch, dass KI nicht zu massenhafter Arbeitslosigkeit führen wird, weil KI zwar einzelne Tasks vieler Berufe, aber selten alle Aufgaben von Menschen übernehmen kann. Er widerspricht damit den Horrorzahlen, die von Millionen von verlorenen Jobs sprechen.

In seiner Forschung, aber auch als Romanautor, beschäftigt er sich außerdem mit dem Potenzial von KI in der medizinischen Forschung, insbesondere bei der Berechnung von Proteinen. Er glaubt, dass KI ein mächtiges Werkzeug ist, um Krankheiten zu heilen. Mit seinem Near-Future-Roman „Adam und Ada“ warnt Kellermann allerdings vor der Gefahr, sich von KI fremdbestimmen zu lassen oder zu glauben, dass Technik alle unsere Probleme lösen kann.

Welche Rolle spielte Schmiergeld bei der Einheit?

piqer:
Achim Engelberg

Wieder einmal ist von der Zeitenwende die Rede. Zeitgleich werden immer mehr Dokumente bekannt, die die Welt hinter den Kulissen vor der historischen Zäsur 1989 erhellen oder Fragen aufwerfen, die sowohl letzte Zeitzeugen wie analysierende Historiker beantworten.

Anna Loll und Stephan Ozsváth folgen der Spur eines aufgetauchten Dokuments des tschechoslowakischen Geheimdienstes. Sie stellen Fragen wie:

Hat die Bundesregierung damals die ungarische Grenzöffnung erkauft? Welche Rolle spielte die Verschuldung der Ostblockstaaten im Westen? Wie hat die Bundesregierung im Jahr des Mauerfalls mit der Schuldenproblematik des Ostblocks Politik gemacht?

Spannend, wie das Dokument von verschiedenen Akteuren und Experten unterschiedlich gedeutet wird – vom Schlüssel zum Verständnis bis hin zur Fälschung.

Freilich, der Umbruch war nicht gekauft, aber Zeitenwenden führen dazu, dass einige versuchen, ihre Position zu verändern. Das ist nicht neu, wie ein Rückblick auf die erste deutsche staatliche Einheit von 1871 zeigt. Auch hier spielte hinter den Kulissen Schmiergeld eine Rolle. Aber wie bei der zweiten staatlichen Einheit waren andere Faktoren fundamentaler. Die finanziellen Mittel steigerten allerdings das Tempo.

Zurück zu 1989 und der Bedeutung der Grenzöffnungen in Ungarn und in der Tschechoslowakei, die vor dem Mauerfall am 9. November 1989 erfolgten. Am Anfang sahen viele Beobachter, die gebannt auf die Demonstrationen schauten, nicht sofort, dass untergründig Weichen gestellt werden für ein Abschmelzen des Ostblocks. Einer, der vieles früh erkannte, war der 2020 verstorbene Klaus Hartung. Im taz-Nachruf heißt es zum Gipfelpunkt seines publizistischen Lebens, seiner Chronistenarbeit bei der Zeitenwende 1989/90:

Sein Datum war nicht der „amtliche Mauerfall“ des 9., sondern der weithin ignorierte Mauerfall am 3. Novem­ber. Hartung saß kettenrauchend im Inlandressort und erklärte uns, dass der Eiserne Vorhang soeben verschwunden sei. Mit dem visumfreien Verkehr von der DDR in die ČSSR und der Aufhebung der Visumpflicht für DDR-Bürger für den Grenzübertritt von der ČSSR nach Bayern am 3. November war der Weg in die Freiheit offen.

Hartung schrieb: „Man stelle sich vor, ein Traum geht in Erfüllung, und keiner merkt es so richtig: Die Mauer ist gefallen. Seit Freitagnacht kann sich ein DDR-Bürger aus Karl-Marx-Stadt in seinen Trabi setzen und nach München fahren. Einen Personalausweis und Sprit – mehr braucht er nicht. Seit Freitagnacht wird nur noch Mauer gespielt, mit Beton, Stacheldraht, Flutlicht und Patrouille.“

Heute, in einer anderen Wendezeit, ist es aufschlussreich zu sehen, wie langsam viele damals erkannten, was geschah. Der Nebel der Gegenwart umhüllte auch viele, die hinter den Kulissen agierten. Und es bleibt immer ein Rest, der nicht aufgeht. Nur Verschwörungsgläubige präsentieren Rechnungen, die vollständig aufgehen.

Die letzte DDR-Wirtschaftsministerin erinnert sich an die Treuhand

piqer:
Christian Gesellmann

Seit April dieses Jahres erforscht der Untersuchungsausschuss 7/2 des Thüringer Landtags die Frage: „Treuhand in Thüringen: Erfolgsgeschichte oder Ausverkauf?“ Der Treuhandanstalt gehörten ab Juli 1990 alle rund 8.400 einst nach sowjetischem Vorbild verstaatlichten sogenannten Volkseigenen Betriebe der DDR. Ihre Aufgabe war es, die Betriebe zu privatisieren. Praktisch über Nacht war die Anstalt zum größten Arbeitgeber der Welt geworden, verantwortlich für mehr als vier Millionen Arbeitnehmer*innen. Eine Aufgabe, die in dieser Größenordnung ohne Beispiel war und für die es der Anstalt an allem fehlte: Personal, Erfahrung, Zeit, Kontrolle, Wissen, Übersicht. Was auch gar nicht so schlimm ist, fand die damalige Bundesregierung, denn es sollte vor allem schnell schnell schnell gehen.

Die Treuhand steht für mich für die größte Vernichtung von Produktivvermögen in Friedenszeiten. Eine solche Vernichtungsaktion von Dingen, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter riesigen inneren Schwierigkeiten, mit viel Schweiß von vielen, vielen Menschen und mit von außen errichteten Hürden aufgebaut worden waren, ist bemerkenswert. Und das in nur vier Jahren. An den Folgen krankt Ostdeutschland bis heute. Und viele, viele Menschen litten und leiden daran bis jetzt. Nicht wenige Suizide gehen auf diese Politik zurück.

Das sagt Christa Luft, sie war die letzte Wirtschaftsministerin der DDR. Sie wird bald 85 Jahre alt und im Treuhand-Untersuchungsausschuss ist sie als Expertin eingeladen worden. Aus diesem Anlass empfehle ich ihren Gastbeitrag für das Lower Class Magazine über ihre Erinnerung an die Treuhand, eine Institution, für die der Bochumer Ökonom Marcus Böick den Begriff Trauma-Anstalt geprägt hat.

Die Form des Beitrags erinnert mich an die wunderbaren Erzählsalons von Katrin Rohnstock, in denen zumeist Ostdeutsche über ihr Leben vor und nach der Wende reden. Es ist ein biografisches Erzählen, ein entschieden auktoriales, aber eines, das nicht rechtfertigen oder gefallen will, keine These verfolgt, keinen Punkt – sondern Sinn ergeben will. Auch für die Erzählende selbst. Die 1938 geborene Luft beginnt ihren Beitrag mit ihrem eigenen Werdegang und wie viele Biografien von Spitzenfunktionären der DDR ist ihre selten von freien Willensentscheidungen geprägt gewesen. Ein bisschen so, wie die Bürger Ostdeutschlands auch nicht aus freien Stücken ihre gesamte Volkswirtschaft der Treuhand übereignet haben:

„Tatsächlich gab es zwei Sorten von Treuhand, wenn ich das so sagen darf. Es gab eine Treuhand, die unter der Regierung Modrow gegründet worden ist und am 1. März 1990 die Arbeit aufnahm. Man kann es nachlesen im Gesetzbuch. Die hatte die Aufgabe, das Volkseigentum im Interesse der Allgemeinheit zu erhalten und nicht etwa zu privatisieren oder zu verscherbeln“, erzählt Luft, und ich möchte ergänzen, dass die Grundlage dieses, von einer frei gewählten Regierung verabschiedeten Gesetzes auf den Entwürfen von Bürgerrechtlern basierte.

„Am 1. März 1990 war aber schon klar, dass es am 18. März bei den Volkskammerwahlen eine andere Parteien-Konstellation geben wird und dass die SED/PDS dann nicht mehr in der Regierung sein wird. Es kam dann ja so, dass die „Allianz für Deutschland“ – also CDU, DSU (ein Partner der CSU) und der „Demokratische Aufbruch“ – gewannen. Gesteuert und in jeder Hinsicht gefördert wurde das von der Bundesregierung. Und Herr de Maizière machte sich dann sofort als neuer Ministerpräsident daran, die alte Modrow-Treuhand auf Geheiß der Bundesregierung aus dem Feld zu räumen und eine neue Treuhand zu gründen. In deren Auftrag stand dann, sie solle das Volkseigentum so rasch wie möglich privatisieren. Aus einer Anstalt zur Bewahrung des Volkseigentums im Interesse der Allgemeinheit war eine Privatisierungsanstalt geworden.“

Das Reden über und Forschen zur Geschichte der Treuhand ist nicht nur wichtig für die Aufarbeitung zahlreicher persönlicher Biografien in Ostdeutschland. Die historische Aufarbeitung der damaligen politischen Entscheidungen wird auch für den zukünftigen sozialen Frieden eine Rolle spielen.

Gesichtserkennung – jeder kann identifiziert werden

piqer:
Jannis Brühl

Mich beunruhigt schon länger der Gedanke, dass frei verfügbare, „demokratisierte“ Gesichtserkennungstechnik Privatsphäre auf bislang unvorstellbare Weise beeinträchtigen wird. Und das mindestens genauso stark wie ihr Einsatz durch Sicherheitsbehörden im öffentlichen Raum. Allerdings beruhigte mich meist, dass mir nur wenige praktische Beispiele eines besonders gehässigen Einsatzes solcher Technik unterkamen. Dieser Artikel des neuen techjournalistischen Portals 404 zeigt aber, dass meine Befürchtungen nach und nach wahr werden (mehr zu dem US-Projekt 404 hier).

Joseph Cox beschreibt, wie Gesichtserkennung, Social Media und Doxing in einer irritierenden Kombination zusammenkommen: Er fand einen Tiktok-Account – offensichtlich ein Taylor-Swift-Fan –, der auf Zuruf aus seiner Community willkürlich ausgewählte Menschen nur anhand von Kurzauftritten in Videos identifiziert:

screenshotting the video of the target, cropping images of the face, running those photos through facial recognition software, and then revealing the person’s full name, social media profile, and sometimes employer to millions of people who have liked the videos

Dazu setzt der Betreiber des Demaskier-Accounts frei verfügbare Webseiten wie Pimeyes und FaceID ein. Die Betroffenen wissen meist nicht, dass sie Teil dieses Experiments sind – bis ihre Social-Media-Konten mit Mentions und DMs überschwemmt werden. Autor Cox fasst zusammen:

The TikTok account, conversations with victims, and TikTok’s own lack of action on the account show that access to facial recognition technology, combined with a cultural belief that anything public is fair game to exploit for clout, now means that all it takes is one random person on the internet to target you and lead a crowd in your direction.

Der Gedanke, Bildmaterial von sich ins Netz zu stellen, kommt einem nach der Lektüre noch dümmer als ohnehin schon vor. Vielleicht wird die Post-Privacy-Welt, von der Piraten und Co. einst schwadronierten, doch noch Realität. Wobei strenge EU-Gesetze, die biometrische Daten besonders schützen, den Irrsinn hoffentlich etwas eindämmen können.