Fremde Federn

Asyl-Politik, Drei-Tage-Woche, Nachhaltigkeit

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Halluzinierende Tech-CEOs, eine Kontroverse um den Überwachungs-Kapitalismus und warum eine Arbeitszeitverkürzung auf breiter Front möglich ist.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Migration und die Politik im Norden Europas

piqer:
Thomas Wahl

Skandinavien und hier insbesondere Schweden und Dänemark waren lange Zeit bevorzugte europäische Ziele für Migranten. Schweden sah sich früher selbst als „humanitäre Supermacht“. Das hat sich dramatisch verändert – die skandinavischen Länder vollzogen einen harten Kurswechsel in ihrer Asyl-Politik:

Die Rangliste des dänischen Ministeriums für Einwanderung und Integration bezieht sich auf die Zahl der Asylanträge im Verhältnis zur Bevölkerung zwischen 2008 und 2022. Deutschland konnte sich seit Beginn der Migrationskrise 2015 unter den Top 10 der Statistik halten. Dagegen ist Schweden von Platz 2 im Jahr 2015 auf Platz 16 im Jahr 2022 und Dänemark von Platz 9 im Jahr 2015 auf Platz 19 im Jahr 2022 zurückgefallen, wobei zu beachten ist, dass die Liste nicht berücksichtigt, wie viele Asylsuchende tatsächlich aufgenommen werden und welchen Schutzstatus sie erhalten.

In Dänemark setzte sich die bürgerliche Regierung von Lars Løkke Rasmussen sogar über das Schengen-Abkommen der EU hinweg und führte 2016  Grenz-Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze ein.

Das umstrittene „Schmuckgesetz“ erlaubt es den Behörden bis heute, Asylsuchenden Wertsachen ab einem Wert von umgerechnet rund 1340 Euro abzunehmen – in Deutschland undenkbar.

2019 gewann der Linksblock um die dänischen Sozialdemokraten die Wahl. Der Grund: Die Partei von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen warb mit harten Positionen in der Migrationspolitik und zog damit Wählerstimmen von den Rechten ab. Damit verfolgt das links regierte Dänemark weiter eine eigene strikte Migrationspolitik – unabhängig von den Entscheidungen und Entwicklungen in der EU.

Mit der Migrationskrise 2015 änderte auch Schweden seinen Kurs. Mit 163.000 registrierten Asylanträgen – mehr als je zuvor – nahm Schweden in diesem Jahr (bezogen auf die Einwohnerzahl) mehr Flüchtlinge und Migranten auf als jedes andere EU-Land.

Die Belastungsgrenzen des Landes wurden sichtbar und widersprachen dem langjährigen Ideal, Schutzbedürftigen bedingungslos Zuflucht zu gewähren. Die Regierung sah sich schließlich gezwungen, die Notbremse zu ziehen und verschärfte erstmals ihre Asylpolitik.

Das Thema Migration hat also das politische Klima in Schweden verändert: Die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten (Sverigepartiet) konnte in den letzten Jahren durch ihr asylkritisches Programm und eine zunehmende öffentliche Diskussion über Einwanderung und Integration an Einfluss zulegen. Insbesondere die Bandenkriminalität in den Ballungszentren und die Folgen einer gescheiterten Integration sind zunehmend Themen in den Medien und der politischen Debatte.

Bei der Wahl am 11. September 2022 wurden die Schwedendemokraten mit 20,5% der Stimmen zweitstärkste Kraft und errangen 73 von 349 Abgeordnetenmandate. Zwar reichte das nicht für ein eigenes Kabinett. Mit ihrer Unterstützung konnte aber ein Mitte-Rechts-Bündnis die Regierung übernehmen. Im Gegenzug erhielten die Schwedendemokraten starken Einfluss auf die Migrationspolitik des Landes. Dies führte auch zu einer Verschärfung der Asylpolitik und einer restriktiveren Haltung gegenüber Migration und Integration. Dass eine rechtspopulistische Partei maßgeblich die Regierung mit gestaltet, markiert einen tiefgreifenden Wandel in der politischen Landschaft Schwedens.

Und nun wird auch in Finnland eine Partei, die sich als patriotisch sowie EU-skeptisch bezeichnet und sich als opponierende Kraft gegen das „Establishment“ sieht, zweitstärkste Kraft bei der Parlamentswahl. 2019 erhielt die Finnenpartei, mit ihrer Chefin Riikka Purra, knapp 17,5 Prozent der Stimmen, dieses Jahr 20,1 Prozent. Nur die Konservativen waren etwas stärker und landeten bei der Parlamentswahl im April knapp auf dem ersten Platz. Sie holten mit 48 Sitzen 2 Mandate mehr als die Finnenpartei.

Seit letzter Woche verhandeln die beiden Parteien mit den Christlichdemokraten und der Schwedischen Volkspartei, die bei der Wahl jeweils gut 4 Prozent der Stimmanteile erhielten. Neben wirtschaftlichen Fragen und der EU-Politik – die Finnenpartei steht der Union kritisch gegenüber – spielt vor allem die Migration eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen.

Die Pläne der beiden starken Parteien sind bei der Migrationsfrage keinesfalls deckungsgleich:

Die Finnenpartei strebt eine striktere Begrenzung vor allem der erwerbsbedingten aussereuropäischen Migration an. Ausnahmen sollen nach ihrem Willen nur für Hochqualifizierte gelten. Auch die Aufnahme von Flüchtlingen und den Familiennachzug will sie erschweren. Für die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen hingegen sprach sich Purra im Wahlkampf dezidiert aus. Die Konservativen setzen auf mehr Migration, um Finnlands demografische Schieflage abzumildern. 2022 verzeichnete das Land die niedrigste Geburtenrate der vergangenen 150 Jahre, während die Zahl der Verstorbenen so hoch lag wie letztmals im Zweiten Weltkrieg.

Damit geraten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und der finnische Wohlstand in Gefahr. Eigentlich brauchte das Land laut einer Studie des wirtschaftsnahen finnischen Forschungsinstituts ETLA

eine jährliche Nettozuwanderung von 44 000 Personen, um die Zahl der arbeitsfähigen Erwachsenen langfristig zu stabilisieren. Demnach müsste sich die Immigration fast verdreifachen. Dies würde sich positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken und die Finanzierung des Wohlfahrtsstaats sichern.

Auch die geltenden Regeln bei der Einwanderung müssten entbürokratisiert und vereinfacht werden. Den Finnen ist die Problemlage durchaus klar. Bei aktuellen Umfragen stimmen 55 Prozent ganz oder teilweise der Aussage zu, dass einerseits wegen der Demographie Einwanderung erleichtert werden muss – so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebungen vor 25 Jahren. Selbst unter den Anhängern der Finnenpartei befürworteten 60 Prozent zumindest die erleichterte Einwanderung von Qualifizierten.

Gleichzeitig gaben fast 40 Prozent der Befragten an, dass die Nachteile der Immigration derzeit die Vorteile überwögen. Etwa ebenso viele sind der Ansicht, dass derzeit hauptsächlich Geringqualifizierte einwanderten. Fast zwei Drittel beklagten sich über die öffentliche Debatte: Probleme in Zusammenhang mit Migration würden nicht offen diskutiert.

Ein Stimmungsbild, wie man es wohl auch in Deutschland finden könnte. Eine andere Migrationspolitik scheint gefordert und wie man in Skandinavien sehen kann, auch möglich. Und wer als Politiker zu spät kommt, den bestraft (in Demokratien) der Wähler.

Auch eine 3-Tage-Woche ist möglich

piqer:
Moritz Orendt

Letzte Woche hat die Hans-Böckler-Stiftung eine Studie zur 4-Tage-Woche veröffentlicht. Die Ergebnisse sind ein einziger Aufruf, in möglichst vielen Teilen der Arbeitswelt sofort flächendeckend die Arbeitszeit zu verkürzen:

  • 81% der Beschäftigten wollen eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich.
  • Die Motivation ist wenig überraschend mehr Zeit: für sich, für die Familie, für ehrenamtliches Engagement.
  • Der Lohnausgleich wird durch eine erhöhte Produktivität ausgeglichen.

Dass die Arbeitszeitverkürzung nicht zwingend bei 4 Tagen enden muss, zeigen einige Pionierunternehmen, zum Beispiel die Tür an Tür Digitalfabrik. Deren 36 Beschäftigte arbeiten alle maximal 20 Stunden pro Woche. Der Laden läuft. Die Arbeitsstellen sind begehrt. Auf die letzte offene Stelle haben sie 40 Bewerbungen erhalten. Das zeigt für mich, dass die Abstimmung mit den Füßen auf eine kurze Arbeitswoche drängt.

Ich habe Mitgründer und Geschäftsführer Daniel Kehne gefragt, was die Motivation hinter ihrem Arbeitsmodell ist und wie das alles dann in der Praxis funktioniert.

Naomi Klein über halluzinierende Tech-CEOs

piqer:
René Walter

Die bekannte Kapitalismuskritikerin Naomi „No Logo“ Klein schreibt im Guardian in einer netten Polemik über die leeren Versprechungen von AI-Unternehmen, deren CEOs immer wieder betonen, dass künstliche Intelligenz bei der Bewältigung der großen anstehenden Probleme helfen können.

Laut Naomi Klein halluzinieren nicht die Maschinen, sondern deren Macher, die davon sprechen, künstliche Intelligenzen könnten dabei helfen, den Klimawandel zu besiegen, weisere Regierungsentscheidungen zu fällen, das Vertrauen in Konzerne zu stärken oder die von David Graeber sogenannten „Bullshit Jobs“ wegzuautomatisieren.

Man kann dem zustimmen. Zurecht kritisiert sie bezüglich des Klimawandels etwa den Energieverbrauch der Data-Centers und von Model-Trainings. So verbrauchte etwa ChatGPT alleine im Januar 2023 genau so viel Energie wie eine Kleinstadt.

Doch wie auch bereits in Ted Chiangs gestern von mir gepiqden Text ist auch das von Naomi Klein gezeichnete Bild oft unterkomplex. Sie erwähnt etwa nicht, dass Optimierungen chemischer Prozesse in Solaranlagen weitere Kostensenkungen für erneuerbare Energien auslösen dürfte. Sie erwähnt ebenfalls nicht, dass AI bereits experimentell dafür eingesetzt wurde, einen Fusionsreaktor zu betreiben. Folgerichtig hat Microsoft gestern erst einen Deal mit dem Fusionsenergie-Unternehmen Helion abgeschlossen, das nicht zufällig OpenAI-CEO Sam Altman zu seinen Investoren zählt.

Ich denke, eine gute und kämpferische linke Kritik an global agierenden AI-Unternehmen ist immens wichtig – ich wünschte allerdings, diese Kritik wäre besser durchdacht und detaillierter als das altbekannte und platte „Capitalism bad“. Aber ich mag das Bild der halluzinierenden Tech-CEOs sehr gerne, und Naomi Klein ist grade nicht zuletzt wegen ihrer bissigen Art immer eine Lektüre wert.

Wie wirkt das 20. Jahrhundert nach?

piqer:
Achim Engelberg

Es bürgerte sich ein, die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mit zwei Weltkriegen und der Shoah als Katastrophenzeitalter einzustufen. Mit guten Argumenten plädiert Christoph Paret in einem Artikel dafür, den man kurze Zeit auch über blendle lesen kann, dass man auch die zweite Jahrhunderthälfte als verheerend ansehen sollte. Unsere Bilder über die vergangene Epoche bekommen Risse:

Wie es aussieht, verabschiedet sich eine ganze Fachrichtung von der An­nahme, die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts habe die Verheerungen der ersten beendet und eine bes­sere Zeit eingeläutet (Demokratisierung, Li­beralisierung, Dekolonisierung, Wohlstandsgewinne). Nicht vor, nach 1945 hätten sich katastrophale Exzesse vollzogen, die es nötig machten, nicht nur menschheitsgeschichtliche, sondern so­gar erdgeschichtliche Zeitdimensionen in Anschlag zu bringen. All dies kondensiert im Stichwort „Große Beschleunigung“.

„Wir leben nicht mehr lange.“ So lautet der fatalistische Titel des Artikels; eine Lösung gibt es nicht. Bekanntlich sah der legendäre Walter Benjamin (1892-1940) es anders als Marx, der wollte, dass der Zug der Industrialisierung von der Arbeiterklasse übernommen wird.

Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.

Klaus Dörre, der als Gesellschaftswissenschaftler an der Universität Jena lehrt, drängt Linke in dem schon etwas älteren, frei zugänglichen Essay „Das Zeitfenster schließt sich„, das Vorwort zur zweiten Auflage seinen viel beachteten Buchs „Die Utopie des Sozialismus„, in diese Richtung.

Denn auch das zeigt der Ukraine-Krieg: Die hohen Energiepreise, mit denen wegen des Konflikts an den internationalen Börsen gehandelt wird, sind für den privaten Verbrauch schlicht unbezahlbar. Hält die inflationäre Entwicklung länger an, wird sie die Residualeinkommen – Geld, das nach Abzug von Steuern, Sozialabgaben und Fixkosten für Miete, Heizung etc. übrigbleibt, – dramatisch senken. Einmal mehr wird sich dann zeigen, dass kapitalistischer Besitz als expansives dynamisches Prinzip zur Evolution immer aufwendige­rer Schutzmechanismen zwingt. Nachhaltigkeit bedeutet letztendlich, dieses Besitzprinzip außer Kraft zu setzen – durch kollektive Eigentumsformen, die Selbstverantwortung stärken, mit einer auf die Wirtschaft ausgeweiteten Demokratie sowie durch solidarische Rückverteilung des gemeinsam erzeugten Reichtums, partizipative Planung und einen Übergang zu nachhaltigen Produktions­ und Lebensweisen. In den Klimabewegungen, in Gewerkschaften, Umweltverbänden, politischen Parteien und der scientific community werden solche Alternativen mittlerweile ernsthaft diskutiert. Das signalisiert den Gebrauchswert konkreter Utopien, über den Oscar Wilde schreibt: »Eine Weltkarte, in der Utopia nicht verzeichnet ist, ist keines Blickes wert, denn sie unterschlägt die Küste, an der die Menschheit ewig landen wird.« Weiter heißt es: »Ungehorsam ist für jeden Geschichtskundigen die eigentliche Tugend des Menschen. Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt, durch Ungehorsam und Aufsässigkeit.«

Ted Chiang über AI-Accelerationism und McKinsey

piqer:
René Walter

Nachdem er vor einigen Wochen in einem viel beachteten Text im New Yorker Magazine AI-Systeme mit komprimierten, verschwommen JPGs des Internets verglichen hatte, legt der bekannte SciFi-Autor Ted Chiang nun in einem zweiten Text nach.

Darin vergleicht er AI-Systeme mit Unternehmensberatungen und geht insbesondere auf die Externalisierung unbequemer Unternehmensentscheidungen an eben diese Unternehmensberatungen ein – „Es tut uns leid um ihren Job, aber wir folgen nur dem Rat der Experten“ –, und die dadurch entstehende Entkoppelung sozialer, gesellschaftlicher Verantwortungen. Ebenfalls kritisiert er das von ihm eigentlich favorisierte bedingungslose Grundeinkommen als eine weitere Verlagerung von sozialer Verantwortlichkeit von Unternehmen an den Staat: Gewinne werden privatisiert, die entstehenden Verluste dem Staat aufgebürdet. Ähnliche Gedanken hatte Chiang bereits im vergangenen Monat während seiner Keynote der Summit on AI in society geäußert.

Ich bin selbst nicht der größte Antikapitalist und stimme dem Text nicht in allen Details zu. Das Bild, das Chiang vom Kapitalismus zeichnet, und in dem es die einzige Aufgabe eines Managements ist, Jobs wegzurationalisieren und durch Automation zu ersetzen, ist unterkomplex und oft allzu einfach gestrickt.

So ist es zwar nicht von der Hand zu weisen, dass KI-Systeme in vielen Sektoren eine Menge Arbeitsplätze vernichten können: Eine jüngst von OpenAI vorgestellte Studie spricht davon, dass bis rund 80% aller Arbeitskräfte von Automatisierungen durch KI betroffen sein könnten, 20% davon könnten im Arbeitsaufwand um mehr als die Hälfte verringert werden. Aber dieselbe Studie spricht ebenfalls davon, dass die größten Automatisierungspotenziale eben nicht in Jobs im Niedriglohnsektor liegen, sondern ironischerweise gerade bei den Vielverdienern im Management, den Juristen und, natürlich, auch in Unternehmensberatungen. Capitalism eats itself.

Selbstverständlich aber hat Chiang Recht, wenn er AI-Systeme als parasitär zu menschlicher Arbeitskraft beschreibt, die die Fähigkeit der Extraktion von Mustern aus vor allem geistiger Arbeitskraft in den Händen einiger weniger Unternehmen konzentriert (namentlich sind das derzeit vor allem OpenAI und Microsoft). Gleichzeitig aber zeigt ein vor wenigen Tagen geleaktes internes Dokument von Google, dass gerade die Softwarekonzerne fürchten, dass die immer zahlreicher werdenden Open-Source-AI-Systeme ihre marktdominierende Position langfristig gefährden können.

Aktuell streiken Drehbuchautoren in Hollywood, unter anderem wegen der Bedrohung ihrer Arbeit durch künstliche Intelligenz; Illustratoren in der Gaming-Branche sprechen bereits von einem spürbaren Rückgang der Aufträge; ehemalige Kunden von freien Autoren erzeugen ihre Texte heute selbst und IBMs CEO Arvind Krishna hat gerade angekündigt, sämtliche Einstellungen in der Verwaltung zu pausieren und Automatisierungspotenziale abzuschätzen. Er spricht davon, dass alleine IBM dank künstlicher Intelligenz in den kommenden Jahren bis zu 7.800 Verwaltungsjobs streichen kann.

In der oben verlinkten Keynote vergleicht Chiang die Entwicklung von künstlicher Intelligenz mit Goethes Zauberlehrling, der altbekannten Allegorie auf die Weisheit, dass sich manche Aufgaben eben nicht aufschieben oder automatisieren lassen. Open-Source-AI und Transparenz von KI-Systemen könnten ein Weg sein, um sich genau dieser unbequemen Aufgabe zu stellen, der Zähmung des Raubtierkapitalismus:

The Magic Apprentice is the tale of how you can’t avoid the hard work.
Taming capitalism is that hard work.

Briefe an die NY Times über die Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit

piqer:
Ole Wintermann

Dieser eher kurz gehaltene Text in der New York Times ist besonders lesenswert, da er die Zukunft der Arbeit mit dem Thema der Nachhaltigkeit verbindet und uns allen eine positive Perspektive bietet.

Die NYT hat ihre Leserschaft gebeten, Erfahrungsberichte über den Wechsel in einem Job im Bereich Nachhaltigkeit zu schicken. Die dargestellten Berichte zeigen zweierlei. Erstens ist es Menschen möglich, Teil eines positiven Ganzen zu sein und nicht nur für das Gehalt des CEO arbeiten zu müssen. Die Schilderungen betonen die Sinnhaftigkeit der neuen Tätigkeit – auch wenn diese in den meisten Fällen mit einem Gehaltsverzicht verbunden ist. Der Wechsel von einer stupiden und abstrakten hin zu einer erfüllenden sinnstiftenden Arbeit lässt die Menschen „aufblühen“. Und dies führt zum zweiten wesentlichen Punkt: Transformation in Richtung Nachhaltigkeit wird als etwas Positives begrüßt, es ist ein Geist des Aufbruchs spürbar, zumal wenn dies einhergeht mit der Erfahrung der Selbstwirksamkeit.

Vergleicht man dies mit der derzeitigen Abwehrhaltung in weiten Teilen unseres Landes gegenüber der nachhaltigen Transformation, so stellt dieser kleine Text einen wohltuenden Widerpart dar. Freut euch auf den anstehenden Wandel.

Geld stinkt nicht? Überwachungs-Kapitalismus-Kontroverse

piqer:
Magdalena Taube

Kann eine Firma, die vom „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) profitiert, Kunst sponsern, die sich kritisch mit Überwachungskapitalismus auseinandersetzt? Ja. Das zeigt eine aktuelle Ausstellung in Leipzig. Aber sollte sie das auch? Das ist eine wichtige ethische Frage.

Eine größere öffentliche Diskussion hat sich interessanterweise erst nachdem die Ausstellung eröffnet worden war, ergeben. Zuvor wurden hier und dort Gespräche geführt. Manche blieben aus Protest der Eröffnung fern. Dann erschien ein öffentliches Statement. Ein offener Brief. Mehr als 700 Unterschriften.

Der Titel: „Warum sponsert Palantir die Kunstausstellung ‚Dimensions‘ in Leipzig?“ Die ersten Zeilen:

Palantir ist ein US-amerikanisches Datenanalyse-Unternehmen. Das Geschäftsmodell von Palantir scheint es zu sein, all jene ethischen und gesetzlichen Grenzen auszureizen und zu überschreiten, die der Realisierung eines “gläsernen Menschen” entgegenstehen. Wir fragen uns, wie es zum Sponsoring der Ausstellung Dimensions in Leipzig durch Palantir kommen konnte und was die Firma damit bezweckt? Wir fragen uns, welche Interessen der in Berlin gescheiterte Kunstimpressario Walter Smerling und der von ihm geleitete Verein „Stiftung für Kunst und Kultur e.V.“ (Bonn) verfolgen? Wir fragen uns, welche Rolle Kunst, Kurator*innen und Künstler*innen einer solchen Ausstellung spielen?

Der offene Brief klärt auf, was genauer hinter Palantir steckt, wie der Organisator der Ausstellung in Leipzig zu Werke ging, was die Rolle der Kunst ist bzw. sein sollte und was sich aus einer ethischen Perspektive für Forderungen ergeben. Eine notwendige Diskussion ist daraus entstanden. Sie sollte nicht ohne Widerhall bleiben.