Fremde Federn

Wasteland, Viessmann, Wasserkrise

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Europas Problem mit dem Plastikmüll, was der E-Auto-Boom mit einem Land wie Guinea macht und wie gut die wirtschaftliche Entwicklung der armen Länder läuft.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Was der E-Auto-Boom mit einem Land wie Guinea macht

piqer:
Rico Grimm

Geht es um Rohstoffe für E-Autos, geht es vor allem um Lithium. Die Reportagen aus Boliviens Salzwüsten, wo viel des begehrten Batterie-Rohstoffs herkommt, sind zahlreich. Die Kollegen der Washington Post allerdings waren an einem Ort, der auch Ressourcen-Hotspot der Energiewende ist, aber kaum Schlagzeilen macht. Guinea liefert einen großen Teil des weltweit verbrauchten Bauxits, dem zentralen Vorprodukt für Aluminium, das wiederum in E-Autos verbaut wird. Die Exporte haben sich seit 2015 verfünffacht und den Abbau spüren vor Ort vor allem jene, die sich nicht wehren können.

Riesige Flächen von Agrargebiet werden durch die Bauxit-Minen zerstört und die lokalen Bauern bekommen wenig, oft gar keine Entschädigung. Sie werden einfach vertrieben. Gleichzeitig zerstört der Abbau Wälder und verschmutzt die Flüsse und Bäche der Region.

Der Artikel ist wertvoll, weil er hilft, einen blinden Fleck der großen Autobauer zu illustrieren. Sie versuchen einige ihrer Rohstoffe nachhaltig zu beziehen, bei Bauxit bzw. Aluminium versuchen sie das allerdings nicht. Damit sich das ändert, braucht es Texte wie diese und generell mehr Aufmerksamkeit.

Wie gut läuft die wirtschaftliche Entwicklung der armen Länder?

piqer:
Thomas Wahl

Die Armen werden global immer ärmer, hört man allüberall in unseren Medien. Andererseits kann man auch lesen, dass global die Armut abnimmt. Die einen sehen die Entwicklung so, die anderen anders. Noah Smith versucht mit seiner systematischen, statistisch bewehrten Methode einen differenzierten Blick auf die Entwicklung zwischen armen und reichen Nationen. Er sagt zunächst:

Arme Länder holen nicht so schnell auf, wie wir es gerne hätten, aber sie holen schneller auf als zuvor.

Aber er macht auch deutlich, dass es schwierig ist, den globalen Prozess der „Entwicklung“ von Arm und Reich zu analysieren und zu beschreiben. Evolutionsprozesse umfassen verschiedene Facetten, verschiedene Variablen und damit haben die verwendeten Begriffe verschiedene Bedeutungen:

  • Es kann Einkommenswachstum und Armutsbekämpfung in armen Ländern bedeuten.
  • Es kann Konvergenz (d. h. wirtschaftlicher Aufholprozess) zwischen armen und reichen Ländern bedeuten.
  • Es kann Industrialisierung bedeuten, d. h. eine strukturelle Verlagerung von der Landwirtschaft zum verarbeitenden Gewerbe, was ein üblicher Weg ist, wie Länder reich werden.

Wichtig ist auch die Frage, welchen Zeitraum wir betrachten. Solche Statistiken reagieren bei ihren Ergebnissen oft sehr sensibel auf das Startjahr und seine konkreten Zahlenwerte.

Betrachten wir die Entwicklung in den letzten 30 Jahren oder in den letzten 5 Jahren? Oder betrachten wir künftige Projektionen und die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung? Es stellt sich auch die Frage des Niveaus im Vergleich zu den Wachstumsraten – sollten wir uns freuen, dass Bangladesch viel weniger arm ist als früher, oder sollten wir verzweifeln, dass es immer noch ziemlich arm ist? Und es gibt auch verschiedene Regionen – sollten wir den Durchschnitt der gesamten Entwicklungsländer betrachten oder sollten wir uns auf bestimmte Regionen wie Afrika oder Lateinamerika konzentrieren?

Und je nachdem, wie man diese Fragen in seine Analysen und Bewertungen einbezieht, wird man zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Positionierung armer und reicher Staaten im Verlauf der jüngeren Geschichte kommen. So fasst Smith die Thesen eines Artikels von Oks & Williams wie folgt zusammen:

  • Ihre Geschichte über den Aufholprozess besagt, dass 1950–1980 der Höhepunkt war und die letzten Jahrzehnte viel schlechter wurden.
  • Sie stellen eine Hypothese über die Mechanismen der Entwicklung auf, die besagt, dass die Industrialisierung für arme Länder kein gangbarer Weg mehr ist.
  • Sie machen eine Vorhersage über die Zukunft der Entwicklung und argumentieren, dass es erheblichen Gegenwind gibt, der das Wachstum der armen Länder bremsen wird.

Der Blick von Smith auf den Prozess ist ein anderer, ein eher entgegengesetztes Narrativ: „Die letzten drei Jahrzehnte waren das goldene Zeitalter der Entwicklung.“ Seine Geschichte basiert u. a. auf einem Papier von Patel, Sandefur und Subramanian aus dem Jahr 2021:

Die grundlegende Wirtschaftstheorie besagt, dass arme Länder (um aufzuholen TW.) schneller wachsen sollten als reiche, aber bis 1990 schien dies nicht der Fall zu sein – die reichen Länder hielten ihren Vorsprung oder zogen sogar davon. Ausnahmen wie Südkorea, Taiwan und Singapur waren nur selten zu beobachten. Doch um 1990 herum, so stellen Patel et al. fest, kehrten sich die Dinge um – plötzlich gab es eine negative Korrelation zwischen dem Einkommen eines Landes und seiner Wachstumsrate, so wie es laut Wirtschaftstheorie sein sollte. Die armen Länder holten endlich auf.

Und das betraf definitiv nicht nur China. Im Durchschnitt begannen die ärmeren Länder in den letzten drei Jahrzehnten, beim Wirtschaftswachstum zu den reichen Ländern aufzuschließen. Ein Effekt, den, so Smith, auch andere Wirtschaftswissenschaftler festgestellt haben (z. B. Kremer, Willis und You (2021)). Dieses beschleunigte Wachstum der Wirtschaften in den armen Ländern ging mit einer massiv sinkenden Armut einher.

Es wird gerne darüber gestritten, ob „extreme Armut“ – gemessen an Menschen, die mit weniger als 2,15 Dollar pro Tag auskommen müssen – eine angemessene Schwelle ist. Ich persönlich denke, dass niedrigere Schwellenwerte wichtiger sind als höhere – der Übergang vom Hungertod zur Ernährungssicherheit ist wichtiger als beispielsweise die Anschaffung eines Motorrads. Aber diese Debatte ist eigentlich egal, denn wenn man sich alle drei von der Weltbank definierten Armutsschwellen ansieht – 2,15 $/Tag, 3,65 $/Tag und 6,85 $/Tag – dann sind sie alle in allen Regionen der Welt seit zwei bis drei Jahrzehnten fast kontinuierlich gesunken.

Auch wenn natürlich Chinas Hyperwachstum statistisch wie real eine beträchtliche Rolle beim Rückgang der globalen Armut spielt, zeigt auch Indien z. B. ab 2005 einen atemberaubenden Rückgang der Armut.

Smith diskutiert dann die These, dass Automation und Robotik es den ärmeren Ländern unmöglich machen würden, sich zu industrialisieren und damit Wohlstand zu generieren. Wenn die ostasiatischen Länder dies geschafft haben, warum sollte es in Afrika unmöglich sein? Warum sollten z. B. afrikanische Gesellschaften nicht in der Lage sein,

ihr soziales Gefüge stabiler zu gestalten, ihre Arbeiter gesünder und besser auszubilden, starke staatliche Gewaltmonopole zu schaffen usw.? Oks und Williams äußern sich sehr pessimistisch über den Zustand der afrikanischen Politik und Gesellschaft, aber wir haben all diese Dinge schon einmal gehört – korrupte Rohstoffeliten, Gewalt, Instabilität usw. Wenn wir einfach davon ausgehen, dass diese Probleme auf Dauer bestehen bleiben, dann sollten wir vielleicht die Hände in den Schoß legen und Afrika aufgeben. Aber dazu bin ich noch nicht bereit, vor allem wenn man bedenkt, wie chaotisch und dysfunktional beispielsweise China vor einem halben Jahrhundert aussah.

Trotz Klimawandel oder auch gerade wegen ihm – ohne Wachstum werden sich die Probleme dieser Welt nicht lösen lassen.

Wir werden den Klimawandel bekämpfen, indem wir eine Menge grüner Energie, grünen Verkehr und grüne Infrastruktur aufbauen. In den USA hat der Inflation Reduction Act bereits zu massiven Investitionen in Energie, Produktion und Infrastruktur geführt. Andere Länder werden diesem Beispiel folgen. Und was China tut, stellt die Bemühungen aller anderen Länder in den Schatten. Diese massiven Investitionen werden eine große Nachfrage nach billigen Industrieerzeugnissen aus armen Ländern schaffen, was die Industrialisierung ankurbeln könnte. Aber es wird auch einen Rohstoffboom auslösen. Vielleicht werden Öl, Gas und Kohle nicht mehr so gefragt sein (und das ist auch gut so!), aber Metalle werden es sicher sein. Das wird den Rohstoffexporteuren einen gewissen Auftrieb geben.

Wir wissen auch nicht genau, wohin die demografischen Entwicklungen führen werden. Alternde, schrumpfende Bevölkerungen im Westen werden weniger konsumieren, aber in Afrika wird die sinkende Geburtenrate eher zu mehr Wohlstand führen. Also ist die Zukunft offen, der Untergang nicht gewiss. Wir sollten nicht verzweifeln, so Noah Smith’ letzter Satz.

Europas Problem mit dem Plastikmüll

piqer:
Jürgen Klute

„Monat für Monat hinterlässt jede Europäerin und jeder Europäer durchschnittlich drei Kilogramm Plastikmüll. Im Jahr 2060 könnten es gar neun pro Monat sein, prognostiziert die OECD.“ So heißt es in dieser von Investigate Europe erstellten Recherche.

Eigentlich will die Europäische Union Plastik recyceln. Denn grundsätzlich ist Plastik ein Stoff, der sich gut recyceln lässt. Doch tatsächlich, so hat diese Recherche von Investigate Europe ans Licht gebracht, wird nur rund 40 Prozent des in der EU genutzten Plastiks recycelt. Der Rest wird entweder in Länder außerhalb der EU exportiert oder er wird innerhalb der EU verbrannt. Zudem landet ein erheblicher Teil des Plastikmülls in den Meeren.

Die Recherche ist faktenreich und schildert die „Entsorgungswege“ des Plastikmülls. Sie zeigt zudem auf, weshalb das politisch von der EU beabsichtigte Recycling in der Praxis eben nicht funktioniert. Das hat unter anderem damit zu tun, dass privatwirtschaftlich betriebene Müllverbrennungsanlagen langfristige Verträge mit Kommunen abschließen, in denen die Kommunen sich zur Lieferung von Mindestabfallmengen verpflichten müssen, damit die Müllverbrennungsanlagen sich für die privaten Betreiber auch rechnen.

Deutlich wird in der Recherche, dass die Lösung dieses Problems – dass nach Einschätzung von Fachleuten in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen wird, da der Verbrauch von Plastik exponentiell steigt – vielschichtig ist, aber eben auch drängend. Ohne kluge politische Regulierung wird das Problem kaum zu lösen sein. Ob es dazu kommt – da kann man/frau durchaus Zweifel entwickeln.

Neben der deutschen Sprachvariante gibt es diese Recherche auch in englischer, italienischer und französischer Sprache.

Den Viessmann-Wärmpumpen-Verkauf verstehen

piqer:
Rico Grimm

Es war für Branchenkenner und Energiewende-Interessierte ein Paukenschlag. Der deutsche Mittelständler Viessmann aus Hessen verkauft für 12 Milliarden Euro seine komplette Klimatechnik-Sparte an den US-Konzern Carrier Global. Darin enthalten ist das für die deutsche Energie- und Wärmewende so wichtige Wärmepumpengeschäft. Was bedeutet das für den hiesigen Klimaschutz?

Alle guten Texte, die ich dazu gefunden habe, sind hinter einer Paywall. Ich habe den einen bei der SZ verlinkt, der zugänglich und umfangreich ist und die wichtigsten Dinge anreißt.

Die Logik des Deals: Viessmann ist eigentlich Heizungsbauer. Damit ist die Firma groß geworden. Die Klimatechnik-Sparte war eher Nebengeschäft – bisher. Die ganze Welt braucht nun Wärmepumpen. Die ganze Welt hat aber schon viel Erfahrung mit Klimaanlagen (Wärmepumpen sind vereinfacht gesagt umgedrehte Klimaanlagen.) Deswegen hätte Viessmann als Mittelständler mit globalen Giganten konkurrieren müssen, die bessere Lieferketten, höhere Volumina und dadurch niedrigere Kosten und mehr Erfahrung haben. Der US-Konzern Carrier Global hat all das. Was er aber nicht hat: Kompetenz vor Ort und gut vernetzte Handwerker. Die hat Viessmann.

Was es für die Verbraucher bedeutet: „Der Wettbewerb um den deutschen Heizungskeller bedeutet aller ökonomischen Erfahrung zufolge nämlich schon bald: günstigere Preise für alle, die bei sich eine Wärmepumpe einbauen wollen“, schreibt Lisa Nienhaus in der SZ (€).

Was das für den deutschen Standort bedeutet: Die FAZ (€) zeigt Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen ein deutscher Mittelständler an einen Global Player verkauft hat: Wella an Procter & Gamble, Birkenstock an eine Beteiligungsgesellschaft. Die Erfahrungen sind gemischt. Klar ist, dass Carrier Global einen deutschen Hersteller kauft, mit Blick auf die Energiewende hierzulande. Es wäre widersinnig, Viessmann in Hessen nun komplett zu entkernen.

Was die Familie Viessmann antreibt: Wiederum die FAZ hat mit Firmenchef Max Viessmann telefoniert. Für ihn sei das eine ganz rationale Entscheidung gewesen. Es sei nicht ums Geld gegangen. Viessmann allein hätte nicht genug Kraft gehabt gegen die asiatische Konkurrenz zu bestehen.

Die Wasserkrise in Spanien

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Dominik Lenné

Die Getreideernte in Spanien ist 2023 praktisch verloren, sagt der Bauer und Biologe Daniel Trenado mit Bezug auf die aktuelle Dürre. Große Teile der spanischen Landwirtschaft, Feldbau und auch Viehzüchter, sind in Gefahr des Bankrotts. Bei den Oliven, die im Oktober geerntet werden, gibt es noch gewisse Chancen, aber auch hier sind Ertragseinbußen um die 50% wahrscheinlich. Dieser Artikel im deutschsprachigen spanischen Web-Journal „Costa“ gibt einen guten Überblick über die Situation. Dass der Mittelmeerraum trockener wird und in Gefahr der Desertifikation steht, ist laut Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung seit 2008 robustes Ergebnis der Wissenschaft – von den Experten ist deshalb niemand überrascht.

Nicht das ganze Ausmaß des Problems sei auf die Klimakrise zurückzuführen, auch die Bewässerungssysteme in Spanien seien teilweise in katastrophalem Zustand, nötige Investitionen seien verschleppt worden.

Wie in Deutschland ist das Thema Viehzucht und deren Verringerung ein neuralgischer Punkt der Diskussion. Ein zu großer Teil des geernteten Getreides geht dafür drauf, aber eine Änderung anzustreben grenzt an Landesverrat.

Fazit: Die Erdsystemkrise entwickelt sich vor unseren Augen sprunghaft in einer schwer vorhersagbaren Kette von Ereignissen, von denen jedes Einzelne noch verkraftet werden kann. Der landwirtschaftliche Reichtum zerrinnt uns Körnchen für Körnchen zwischen den Fingern. So hörte ich kürzlich einen Waldexperten feststellen: „Die Buche werden wir in Deutschland verlieren.“ (Siehe etwa hier.) Dazwischen immer wieder Pausen, die das Gefühl der Harmlosigkeit aufkommen und Raum für das Festhalten am 1960er-Paradigma des Wohlstands lassen.

Fachkräftemangel oder toxische Unternehmenskultur?

piqer:
Ole Wintermann

Wer kennt sie nicht, die Klagen der Arbeitgeber:innen in den Medien über den „Fachkräftemangel“? Arbeitgeber:innen in den verschiedensten Branchen stellen fest, dass es zunehmend schwerfällt, neue Arbeitskräfte zu rekrutieren. Was dabei auffällt: Arbeitgeber:innen sind stets die Opfer des scheinbaren Fachkräftemangels. Sie sind selbst nie Ursache.

Dieser Beitrag in der New York Times nennt verschiedene Gründe für Fachkräftemangel, die eindeutig auf der Seite der Arbeitgeber:innen liegen. Ganz oben auf der Liste der schlechten Eigenschaften, die zu mehr Kündigungen durch Arbeitnehmer:innen führen, steht: Eine toxische Unternehmenskultur, die gegenseitigen Respekt und Kommunikation auf Augenhöhe vermissen lässt.

Die Zahl der Kündigungen durch Arbeitnehmer:innen in den USA liegt immer noch um den Faktor 3 über den Kündigungen durch Arbeitgeber:innen. Pro Monat kündigt jeder 30 Beschäftigte sein Arbeitsverhältnis.

Gegenmaßnahmen der Arbeitgeber:innen sind Mentoring- und Karriere-Programme, die Erhöhung des Grads an Diversität, mehr Inklusion, wettbewerbsfähige Löhne, Optionen für Remote-Arbeit.

Also, liebe Arbeitgeber:innen, lernt dazu und geht auf eure Beschäftigten zu, wertschätzt sie und nehmt Abschied von einer Gutsherren-Mentalität, die nicht ins 21. Jahrhundert gehört.

Kinderarbeit in den USA nimmt stark zu

piqer:
Ole Wintermann

Die New-York-Times-Autorin Hannah Dreier ist für die Recherche zur Kinderarbeit in den USA u. a. nach Alabama, Florida, Georgia, Michigan, Minnesota, South Dakota und Virginia gefahren und hat mit mehr als 100 Wanderkinderarbeitern gesprochen, darunter 12-jährige Dachdecker in Florida und Tennessee sowie minderjährige Schlachthofarbeiter in Delaware, Mississippi und North Carolina. Kinder ernten Kaffee und bauen Lavafelsenwände hinter Ferienhäusern auf Hawaii. Mädchen im Alter von 13 Jahren waschen Hotellaken in Virginia. Von der Kinderarbeit profitieren im weiteren Verlauf der Wertschöpfungskette u. a. Fruit of the Loom, Walmart, Ben & Jerry’s. 12-Jährige arbeiten für Lieferanten von Hyundai und Kia.

Der neue Umfang der Kinderarbeit in den USA ist Folge der Ausbeutung unbegleiteter Migrantenkinder aus Mittelamerika. Etwa 2/3 dieser Kinder arbeiten in Vollzeit; dies sind mehrere Hunderttausend Kinder allein in den USA. Arbeitsunfälle und gesundheitliche Schäden vernichten ein ganzes Arbeitsleben, bevor es überhaupt nach einer Ausbildung begonnen hätte.

„Unaccompanied minors have had their legs torn off in factories and their spines shattered on construction sites, but most of these injuries go uncounted. The Labor Department tracks the deaths of foreign-born child workers but no longer makes them public.“

Eine Mischung aus der Rolle eines politischen Spielballs zwischen den Republikanern und den Demokraten, der finanziellen Abhängigkeit nach der Ankunft in den USA, geldgierigen Mittelsleuten und der absoluten politischen Machtlosigkeit sowie stillen politischen Duldung der Zustände verhindert ein Ende der Kinderarbeit. Im Gegenteil: Die Republikaner wollen in einigen Bundesstaaten die Möglichkeit der Kinderarbeit deutlich ausweiten.

Der Kapitalismus frisst seine Kinder. Widerlich.

Der Tesla-Bürgermeister weiß es doch auch nicht

piqer:
Rico Grimm

Ein fantastisches Interview! Nicht, weil es auf den ersten Blick besonders informativ wäre, sondern weil es auf den zweiten so viel erzählt. T-Online hat den Bürgermeister von Grünheide, Arne Christiani, getroffen. In dessen Gemeinde hat E-Auto-Konzern Tesla seine erste große europäische Fabrik eröffnet und nun etwas mehr als ein Jahr nach Eröffnung der „Gigafactory“ versucht der Journalist gemeinsam mit dem Bürgermeister Bilanz zu ziehen. Der allerdings leistet sich etwas, was man sonst gar nicht mehr gewohnt ist: Er hat zu vielen Dingen keine Meinung, jedenfalls keine offizielle. Man merkt hier wirklich jeder Antwort an, dass dieser Bürgermeister einen Drahtseilakt absolvieren muss und deswegen ist es ein fantastisches Interview. Oft genug sind diese ja bis zur gröbsten Langweile glattgebügelt, sodass man am Ende eigentlich nichts über den Menschen lernt.