Fremde Federn

Autobahnland, Altruismus, ARD

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wer den Kryptomarkt zu Fall brachte, eine praxisorientierte Beispielsammlung zur Zukunft der Arbeit und wie es um die Lebensadern der deutschen Wirtschaft bestellt ist.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Das Haus des Nichts – wer den Kryptomarkt zu Fall brachte

piqer:
Rico Grimm

Es ging ja überall bergab, aber nirgendwo mit solcher Wucht wie an den Kryptomärkten. Zur Zeit dümpelt Bitcoin über dem alten Allzeithoch bei 24.000 Dollar herum. Interessant bei diesem Abverkauf war, dass die Kryptos nicht auf positive Signale vom Aktienmarkt reagierten. Was sonst immer der Fall war. Warum taten sie es nicht?

Weil im Hintergrund sehr große Verkäufer unterwegs waren. Nun kommt langsam auch ans Licht, wer das war. Allen voran Three Arrows Capital, ein Hedgefonds, der dank seines ausgezeichneten Rufes Hunderte Millionen unbesicherter Kredite von anderen großen Instiutionen der Kryptowelt bekam – und die wiederum in hochriskante, andere würden sagen verzweifelte Wetten auf steigende Kurse setzte.

Am Ende hatten die Gründer des Hedgefonds ein System gebaut, in dem die Kredite des Einen dazu genutzt werden mussten, die Kredite des Anderen zurückzuzahlen. Ein Paradebeispiel für ein Pyramidensystem.

Der Text, den ich heute empfehle, nimmt uns mit ins Innere dieses Hedgefonds, so gut es eben geht, wenn die Gründer abgetaucht sind, weil sie mutmaßlich Angst vor der Mafia haben.

Mehrere Dinge fallen auf: Erstens, die sogenannten Profis agieren wie 19-jährige Youtube-Trader. Nicht alle, aber manche eben doch. Zweitens, das alles war nur möglich, weil keine Transparenz über die Kredite herrschte. Hätten die Firmen voneinander gewusst, dass sie alle Three Arrows Geld leihen, hätten sie es wohl nicht gemacht. Das ist ein elementarer Unterschied zu Kreditprotokollen, bei denen jeder sehen kann, wer welchen Kredit hat. Drittens ist interessant, wie konsequent die Hedgefonds-Gründer soziales bzw. kulturelles Kapital in finanzielles Kapital umwandeln konnten: Aggressive Social-Media-Auftritte waren Teil der Strategie und haben ihnen die Reputation für die Kredite verschafft.

Absolut unwichtiges Details, aber witzig: Einer der Gründer tradete am Anfang seiner Karriere halbnackt in den Hong-Kong-Büros von Credit Suisse.

Agiles Arbeiten und Home Office – Tipps für Betriebsvereinbarungen

piqer:
Ole Wintermann

Heute soll es mal nicht um den Hinweis auf einen einzigen Text gehen, der sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt. Vielmehr möchte ich euch auf eine sehr praxisorientierte Beispielesammlung des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans Böckler Stiftung hinweisen.

Die Veränderungen der Arbeitswelt – vielleicht etwas sehr pauschal zusammengefasst unter dem Begriff New Work – beschäftigt Arbeitgebende und Arbeitnehmende seit Jahren. Die Arbeitnehmervertretungen waren dabei nicht unbedingt immer diejenigen, die die Entwicklung vorangetrieben haben. Umso mehr liegt es im Interesse der Beschäftigten, dass die Arbeitnehmervertretungen die Entwicklung wieder beispielgebend „mit“bestimmen. Aus diesem Grunde halte ich die verlinkte Sammlung guter Beispiele von Regelungen zum HomeOffice, Desksharing, agiles Arbeiten und cloudbasierte Kollaboration aus dem konkreten Unternehmensalltag für sehr wichtig. Betriebsräte wie auch HR-Abteilungen sollten einen Blick in diese Sammlung werfen, bevor sie beim Formulieren einer neuen Betriebsvereinbarung versuchen, das „Rad wieder mal neu zu erfinden“.

„Lkws werden nur noch als Luftverschmutzer wahrgenommen“

piqer:
Charly Kowalczyk

Seit 90 Jahren gibt es nun die erste Autobahnstrecke von Köln nach Bonn. Seitdem kommen immer neue Autobahnabschnitte dazu. Deutschland ist ein Autobahn-Land geworden ist. Die Gesamtlänge des deutschen Autobahnnetzes am 1. Januar 2021 betrug rund 13.200 Kilometer. Tendenz weiter steigend.

Für Lkw-Fahrer Udo Skoppek ist es in gewisser Weise sein Zuhause. Er fährt gern auf der Autobahn, es ist sein Job. Seit 42 Jahren ist der Vater von zwei Töchtern auf Europas Straßen unterwegs. Skoppek erzählt von seiner Leidenschaft in diesem Interview, ist direkt, man erfährt viel von einem Menschen, für den LKW-Fahren eine Berufung ist. Einer, der auch noch schwärmen kann von seiner Arbeit, von der Abwechslung, die er empfindet. Es ist schön, ihm zuzuhören und etwas vom Leben zu erfahren, das mir zumindest fremd ist. Ich hab ja nicht einmal eine Fahrerlaubnis und finde Autobahnen öde. Skoppek beschreibt aber nicht nur seine Leidenschaft für den Beruf, sondern auch, wie sich die Arbeitsbedingungen in der Branche in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert haben:

„Die Probleme, die ich anspreche, die sind langsam gekommen, langsam gewachsen. Das sind Probleme im sozialen Bereich, das sind Probleme im gesamtgesellschaftlichen Bereich, das sind Arbeitsabläufe, Gesetze, die uns aufgedrückt werden, sag ich jetzt mal provokant – natürlich sind Gesetze notwendig. Dann bewegen wir uns auf einem Markt, der immer größer wurde und unseren Beruf immer unattraktiver machte, dem immer billigere Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Heute stehen nicht mehr genügend billige Arbeitskräfte zur Verfügung. Dieser billige Arbeitsimport hat unseren Beruf unattraktiv gemacht.“

Stattdessen werden händeringend nach neuen Fahrer/innen gesucht. Vor allem Fahrer/innen aus Osteuropa bleiben weg, aus verschiedenen Gründen. Auf Dauer zahlt sich nicht aus, Menschen immer schlechter zu bezahlen. Skoppek erzählt in diesem 8-Minuten-Interview auch ein bisschen davon, dass es familiär nicht so einfach ist, immer unterwegs zu sein, aber sie es als Familie „gewuppt“ hätten. Aber er ist auch ein engagierter Lkw-Fahrer, der Vorschläge macht, wie es Fahrerinnen und Fahrern besser gehen würde. Wie der Job attraktiver werden würde. Er fordert vor allem gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen in der Europäischen Union und dass das Lohngefälle in dieser Branche die Wettbewerbsbedingungen drastisch verändern würden – und von daher angeglichen werden müssten. Vielleicht hilft es ja tatsächlich, dass im Augenblick Fahrer/innen gesucht werden. Die Arbeitsbedingungen sich dadurch verbessern, damit sich überhaupt wieder einige bewerben. Vielleicht.

Skoppek berichtet, wie die Bevölkerung ihn als LKW-Fahrer weniger respektiere würde als früher. Früher hätte man noch einen Kaffee bei Kunden bekommen oder ein Frühstück. Heute sei dafür gar keine Zeit mehr. Überhaupt sei man in den Städten unerwünscht. Dabei ist die Bevölkerung früher wie heute darauf angewiesen, dass Städte und Dörfer durch Lkws mit Waren beliefert werden, ohne die wir alle nicht leben können.

Das Schöne an dem Interview ist gar nicht unbedingt, dass man viel Neues erfährt, sondern man bekommt Respekt für Menschen, die diesen Beruf ausüben. Respekt vor ihrer Arbeit. Schön ist natürlich auch, dass Skoppek den Beruf gerne macht. Am Schluss fragt ihn die Moderatorin, ob es noch eine Strecke von den über 13.000 Kilometern Autobahn gibt, die er unbedingt noch mal fahren möchte:

Ich hab, glaube ich, jede Autobahn, die wir in Deutschland haben, jeden Kilometer mittlerweile abgefahren. Die ich unbedingt fahren möchte, mit der Baustellen-Situation: klares Nein. (Moderatorin lacht). Es gibt keine präferierte Strecke, die so schön ist, dass ich im Moment dahin möchte.

Wie weit muss Altruismus gehen?

piqer:
Michaela Haas

Menschen, die die Singer-Herausforderung ernst nehmen, haben mich immer schon fasziniert. Philosoph Peter Singer hat bekanntlich vor 40 Jahren in seinem berühmten Aufsatz Hunger, Wohlstand und Moral das »Rätsel vom Teich und vom Briefumschlag« gestellt: Was, wenn wir an einem seichten Teich vorbeikommen, in dem ein kleines Kind ertrinkt? Keine Frage, wir müssen das Kind retten, auch wenn unsere – womöglich teuren – Schuhe dadurch ruiniert würden. Das Gesetz verpflichtet uns sogar dazu. Aber was, wenn wir einen Briefumschlag erhalten mit der Bitte, für hungernde Kinder im fernen Bangladesch zu spenden? Für Singer gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Kind im Teich und dem Kind in Asien. Wer Schaden zulässt, richtet Schaden an. Daraus entwickelte er den Grundsatz: »Wenn es in unserer Macht steht, etwas Schlechtes zu verhindern, ohne dabei etwas von vergleichbarer Bedeutung zu opfern, sollten wir dies tun.« Somit hätten wir die Pflicht, auch in fernen Regionen zu helfen, wenn wir das Geld nicht selbst für das Nötigste brauchen. Ethisch gesehen macht Geografie keinen Unterschied.

Für das SZ-Magazin interviewte ich vor Jahren Menschen, die diese Maxime zu ihrem Lebensprinzip erklärt haben und tatsächlich Wildfremden eine Niere spenden oder ihr Haus verkaufen, um Armen zu helfen. In dieser ausführlichen New-Yorker-Reportage porträtiert Gideon Lewis-Kraus William MacAskill, den Mitgründer der Effective Altruism Bewegung.

By the time MacAskill was a graduate student in philosophy, at Oxford, Singer’s insight had become the organizing principle of his life. When he met friends at the pub, he ordered only a glass of water, which he then refilled with a can of two-per-cent lager he’d bought on the corner; for dinner, he ate bread he’d baked at home. The balance of his earnings was reserved for others. He tried not to be too showy or evangelical, but neither was he diffident about his rationale. It was a period in his life both darkly lonesome and ethically ablaze.

Die Bewegung kontrolliert inzwischen mehr als 30 Milliarden Dollar und ist an einem Scheideweg angekommen: Wie sieht die Bilanz aus? Weitermachen wie bisher oder größere Bedrohungen angehen?

Die ARD muss sich grundlegend verändern – so kann es gelingen

piqer:
Simon Hurtz

Die Korruptionsvorwürfe gegen Patricia Schlesinger und das schlechte Bild, das der rbb dabei abgibt, haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eine tiefe Krise gestürzt. ARD und ZDF stehen seit Jahren unter großem Druck, viele fordern tiefgreifende Reformen, manche gar die Abschaffung des Rundfunkbeitrags. In den vergangene Wochen hat sich eine Art perfekter Sturm zusammengebraut: Man kann davon ausgehen, dass der Fall Schlesinger den Kritikerïnnen des öffentlich-rechtlichen Systems noch auf Jahre hinaus neue Nahrung geben wird.

Konrad Weber weiß, wie sich das anfühlt. Er arbeitete jahrelang als Digitalstratege für den Schweizer Rundfunk – der noch größerem Misstrauen ausgesetzt ist als das deutsche System. Rechte Parteien in der Schweiz wollen das Budget der SRG halbieren, in Frankreich wurde die Rundfunkgebühr bereits abgeschafft und nur vorläufig durch Einnahmen aus der Mehrwertsteuer ersetzt. In beiden Ländern könnte es sein, dass der ÖRR bald mit signifikant weniger Ressourcen auskommen muss.

Auch in Deutschland dürften solche Stimmen lauter werden. Wenn die ARD ihre eigene Legitimation sicherstellen will, dann muss sie sich dringend verändern. Konrad hat dafür zehn Vorschläge, die sich sowohl aus seiner Erfahrung beim SRF speisen als auch aus seiner Tätigkeit als Strategieberater für mehrere Landesrundfunkanstalten der ARD:

  • Baustelle 1: Lähmende Doppelstrukturen abbauen
  • Baustelle 2: Endlich echte Transparenz herstellen
  • Baustelle 3: Hierarchien und starre Strukturen abbauen
  • Baustelle 4: Kontrollgremien mit Expertise stärken
  • Baustelle 5: Digitale Vision entwickeln und Prioritäten setzen
  • Baustelle 6: System mit „festen Freien“ überarbeiten
  • Baustelle 7: Talent- und Köpfemanagement aufbauen
  • Baustelle 8: In junge Mitarbeitende investieren
  • Baustelle 9: Führungskräfte stärker überprüfen und weiterbilden
  • Baustelle 10: Arbeits- und Feedbackkultur grundsätzlich verändern

Ich hoffe, dass die ARD zumindest einen Teil dieser Vorschläge beherzigt und es schafft, sich neu zu erfinden. Denn ich zahle meinen Rundfunkbeitrag gern und schätze das Programm – und trotzdem glaube ich, dass fundamentale Veränderungen nötig sind. Ich zitiere aus dem Gastbeitrag von Leonard Novy für Übermedien:

Wenn es sie nicht gäbe, müsste man öffentlich-rechtliche Medien erfinden, lautet ein gerne bemühter Aphorismus. Doch dann würde man sie ganz anders bauen als in der Rundfunkära, deren Ende wir gerade erleben.