Podcast Future Economies

Wie die EU mit Handelspolitik Klimaschutz vorantreibt

Ein Gespräch mit der Klimaökonomin Susanne Dröge darüber, warum die internationale Klimapolitik so schwer zu koordinieren ist und mit welchen handelspolitischen Maßnahmen sich das ändern ließe.

future economies ist ein Podcast, der sich mit dem Wechselspiel aus Wirtschaft und Klimawandel beschäftigt. In der neuesten Folge haben Sarah Brehmer und Henrike Adamsen mit Susanne Dröge gesprochen, die als Senior Fellow der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik arbeitet. In dem Gespräch ging es um die Frage, warum es so schwierig ist, eine internationale Klimapolitik zu koordinieren und mit welchen handelspolitischen Maßnahmen sich das ändern ließe. Im Folgenden lesen sie einen Auszug aus der Sendung. Den Podcast in voller Länge können sie hier anhören oder direkt über den Player am Ende des Beitrags.

Frau Dröge, in vielen klimapolitischen Debatten gilt der CO2-Preis als das Mittel der Wahl im Kampf gegen den Klimawandel. Wie viele Länder haben denn bisher überhaupt einen CO2-Preis festgelegt?

Susanne Dröge: Es sind über 40 Länder. Laut Weltbank gibt es weltweit über 60 Initiativen. Das müssen nicht immer Staaten sein, das könne auch Zusammenschlüsse sein wie die EU. Aber auch in Südkorea, China und Thailand gibt es einen vom Staat eingerichteten CO2-Preis. Aber das sind nur rund 20 Prozent der globalen Emissionen, die damit abgedeckt sind.

Unsere Atmosphäre ist ein globales öffentliches Gut: Niemand kann von den positiven Effekten erfolgreicher Klimapolitik ausgeschlossen werden, da der geringere Temperaturanstieg sich überall auswirken würde. Wie kann man nun die Anreize, zumindest in der Theorie, so verändern, dass es nicht mehr attraktiv ist, Trittbrett zu fahren? Und wie wichtig ist da die Idee von so genannten Climate Clubs, wie sie die scheidende Bundesregierung auf den Weg gebracht hat?

Das ist das spieltheoretische Konzept nach dem Motto „Jeder stellt sich besser, wenn er erst mal nicht kooperiert“. Und die Frage ist, wie man diesen Anreiz zur Nicht-Kooperation überwindet? Das hat damit zu tun, ob die Auszahlungsfunktion (das Ergebnis der Interaktion mit anderen Ländern, Anm. d. R.) verändert werden kann, indem man kooperiert oder Angebote macht oder einen Club gründet. Bei letzterem verändert sich der Anreiz, da man die Nachteile vermeiden will, die entstehen, wenn man ausgeschlossen wird, weil man zum Beispiel keinen CO2-Preis einführt und dann eben nicht Teil des Clubs ist. Und der Club sagt: „Wer mit uns Handel betreibt, der muss eben an der Grenze den CO2-Preis zahlen“. Die andere Möglichkeit ist, dass sich so ein Club gegenseitig mit Technologien versorgt, worauf Nichtmitglieder keinen Zugriff haben. Mit diesen klimafreundlichen Technologien gehen dann noch mehr Benefits einher als nur der Klimaschutz.

Man kann also über verschiedene Konstellationen nachdenken, in denen man die Ausgangsfunktionen verändert oder aber Transparenz über die dauerhaften Schäden herstellt. Wenn man dann über die Zeit abdiskontiert, sind die Schäden eventuell so hoch, dass es doch Sinn macht zu kooperieren. Das ist aber erst mal nur die Theorie.

Kann denn die EU als Climate Club gesehen werden?

Ja, die EU mit ihren inzwischen 27 Mitgliedsstaaten hat sich ja quasi einen gemeinsamen Rahmen gesetzt in den Verträgen zur EU. Und der Rahmen besagt, dass Klima-, und in dem Fall ist es eigentlich die Umweltpolitik, Gemeinschaftsaufgabe ist. Das heißt auch, dass man erst mal beschlossen hat, Umweltschutz und Klimaschutz, gemeinsam voranzutreiben. Dieser Club hat allerdings so viele Clubgüter, dass man das jetzt nicht so eng geführt als den Beispiel-Club schlechthin bezeichnen kann. Es ist kein Vorbild, dass sich weltweit übertragen lässt, weil der EU-Club als solcher ja noch sehr viel mehr politische Felder beackert.

Dadurch, dass einige Länder einen CO2-Preis eingeführt haben und andere Länder nicht, entsteht das Problem von Carbon Leakage: Die Herstellung von Emissions-intensiven Gütern wird in Ländern mit CO2-Preis vergleichsweise teurer, somit steigt der Anreiz die Produktion in Länder ohne CO2-Preis zu verlagern. Das ist problematisch, weil damit die Emissionen vermehrt dort ausgestoßen werden, wo ihre Kosten durch den CO2-Preis abgedeckt sind. Wie ist denn die EU bisher mit dem Problem Carbon Leakage umgegangen?

Also bisher hat die Kommission dafür gesorgt, dass Industrien, die auf einer sogenannten Carbon-Leakage-Liste stehen, Emissionszertifikate umsonst zugeteilt bekommen. Das sind die Industrien, die besonders dem Risiko ausgesetzt sind, dass sie Marktanteile verlieren oder ihre Produktion verlagern. Das war am Anfang sehr großzügig und wurde sukzessiv immer weniger, damit auch der Anreiz bleibt zu investieren und sich eben nicht darauf zu verlassen, die Zertifikate umsonst zu bekommen.

Das macht es schwierig zu sagen, dass es ein Carbon Leakage Risiko gab oder gibt. Wenn man den Industrien zuhört, ist es riesig. Man kann das für verschiedene Preis-Szenarien ausrechnen: Es gibt Industriezweige, die viel leichter als andere ihre Produktionsteile, die besonders CO2 intensiv sind, auslagern können. Und das haben sie auch getan. Zum Beispiel hat die Zementindustrie schon sehr früh angefangen, den Klinker aus dem Ausland zu einzukaufen, wo kein Preis fällig war. Die hat dann aber trotzdem eine Freizuteilung von Emissionszertifikaten bekommen.

„Politisch und administrativ ist es eine riesige Umstellung, den Fußabdruck von Handelsgütern zu messen und als Besteuerungsgrundlage mit einzubeziehen“

Aber es gibt auf dem anderen Ende der Skala auch Industrieanlagen der chemischen Industrie und da sind tausende Prozesse miteinander verquickt. Dort würde man wahrscheinlich dazu übergehen, eine ganze Anlage auszulagern und nicht mehr in Europa zu produzieren. Denn dort gibt es eben nicht die Möglichkeit, durch Importe zu substituieren und billiger zu produzieren und dadurch diesen CO2-Preis-Effekt aufzufangen.

Beide Industrien haben bisher freie Zuteilung bekommen, nie 100 Prozent, aber bei Zement sehr nahe an 100 Prozent, und bei der chemischen Industrie auch nicht sehr viel weniger. Man muss also immer wieder spekulieren, dass die Annahmen, dass es zu Carbon Leakage kommen kann, stimmen. Es gibt aber sehr viele andere Standortkosten, die auch eine Rolle dafür spielen, wo produziert wird. Das muss man von einander trennen.

Erhöht sich durch die neuen Änderungen im EU-Paket „Fit for 55“ die Gefahr für Carbon Leakage?

Ja, das ist nun die Frage. Erstmal ist der CO2-Preis stark gestiegen. Und das andere ist, dass die insgesamt vorhandene Mengen an Zertifikaten sinkt. Und da die Freizuteilungen immer noch ein bisschen Anteil daran haben, wird es sowieso ein Auslaufmodell sein. Je stärker also das Emissions-Cap sinkt, desto weniger freie Zuteilung. Das ist jetzt der Fall. Also insofern ist das die große Herausforderung, wie man zukünftig anderweitig das Risiko von Carbon Leakage mindern kann.

Einer der Vorschläge, um Carbon Leakge zukünftig zu verhindern, bezieht sich auf den Handel zwischen Ländern mit CO2-Preis und Ländern ohne. Was steckt denn genau hinter dem sogenannten Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der gerade auf EU-Ebene diskutiert wird?

Die Idee ist, dass man das Problem des Carbon Leakage an einer der Wurzeln packt, nämlich dass Importe keinen CO2-Preis haben oder in den Herkunftsländern ein geringerer Preis erhoben wird. Man sagt also: „Okay, sorry, wer hier in der EU verkauft, der muss äquivalent so viel für CO2 zahlen wie die EU-Unternehmen, mit denen die Konkurrenz besteht.“ Und das wird jetzt mit diesem Mechanismus angegangen.

Und „Mechanismus“ klingt erst mal, als wenn es sehr flexibel ist und in verschiedene Richtungen funktioniert. Aber die Idee der Kommission ist momentan lediglich, bei Importen einen Preis zu erheben, wenn das die gleiche Produktgruppe ist wie jene Güter, die in der EU dem Emissionshandel unterliegen. Das hieße, dass eine Abgabe an der Grenze anfällt. Da wird geschaut, ob das Herkunftsland einen CO2-Preis hat oder nicht, inwiefern ein bestimmter CO2- Fußabdruck in dem Produkt vorhanden ist, und diese Preisdifferenz multipliziert mit dem CO2, das im Produkt steckt, setzt man dann an. Abziehen muss man, was noch an freier Zertifikate-Zuteilung vorhanden sein sollte, weil das sonst den Wettbewerb zugunsten der EU-Produzenten verzerrt. Und ein „Mechanismus“ müsste theoretisch in beide Richtungen funktionieren können. Denn man könnte ja auch sagen, dass es für Exporte, die aus der EU raus gehen, eine Erstattung des CO2-Preises gibt. Das ist aber nicht vorgesehen.

Sie hatten erwähnt, dass insbesondere die Zement- und die chemische Industrie vom Carbon Leakage betroffen sind. Aber warum werden denn nicht gleich alle Industriesektoren in diesen Mechanismus eingeschlossen?

Man muss sich vorstellen, dass es politisch und administrativ eine riesige Umstellung ist, den Fußabdruck von Handelsgütern zu messen und als Besteuerungsgrundlage mit einzubeziehen. Denn normalerweise ist die Grundlage für Zollabgaben entweder der Preis oder das Gewicht. Das heißt, es ist ein totaler Systemwechsel. Gleichzeitig ist es auch eine handelspolitische Frage, ob dies erlaubt ist oder nicht.

Und um herauszufinden, ob ein CBAM so designed werden kann, dass es aus handelsrechtlicher Sicht (fast) wasserdicht ist, fängt man mit wenigen Sektoren an, die dem Risiko von Carbon Leakage unterliegen. Dafür gibt es eine Einführungsphase, in der vor allem erst mal die Übung veranstaltet wird, dass Unternehmen ihre Importe bei dieser neu zu gründenden Behörde anmelden. So wird versucht nachzuvollziehen, wie hoch der CO2-Fußabdruck ist. Gibt es keine Daten, wird ein Pauschalwert angenommen und dann schaut man, wie weit wir damit kommen. Wir reden hier von über 50 Sektoren und endlosen Listen von Produkten, die dann in diese Kategorie fallen können. Um das alles aufzusetzen, braucht es Zeit. Deswegen bezieht sich der CBAM erst mal auf wenige Sektoren.

Wie kann man sich diese Veränderungen denn zum Beispiel aus der Sicht eines Stahlunternehmens vorstellen? Wie müsste es vorgehen, um dieser Berichterstattung gerecht zu werden?

Wenn Stahlunternehmen etwas aus dem Nicht-EU-Ausland einführen, dann müssten die Unternehmen erst mal herausfinden, wie die dortige Produktionsmethode ist. Da können sie ihren Lieferanten darum bitten, dass der das verifiziert. Wie das dann nachprüfbar ist, muss man klären, zum Beispiel über internationale Informations- und Datenbestände. Dazu wäre eine Plattform gut, wo das eingetragen und erfasst wird. Die Unternehmen können darüber natürlich auch selbst Auskunft geben, außer sie haben keine Ahnung, wie viel CO2 in den Produkten drin ist. Aber auch da können sie Richtwerte anwenden. Und mit diesen Daten müssten sie dann auch einmal im Jahr abrechnen, was sie an virtuellen Zertifikaten bräuchten, um ihre Importe abzudecken.

Eine mögliche Konsequenz ist, dass durch den CBAM der Handel mit der EU zurückgehen könnte, da es Länder und Unternehmen einfach als zu umständlich ansehen, sich mit diesen ganzen komplizierten Regularien auseinanderzusetzen. Ist das eine ernstzunehmende Gefahr?

Wer gerne mehr Handel betreiben will, wird sagen, das ist eine Gefahr. Wenn es aber um schmutzige Güter geht, ist es für die EU natürlich der gewünschte Effekt. Denn man will ja eben nicht die Güter importieren, die klimaschädlich produziert werden. Es gibt da also die Klimaseite und die Handelsseite. Es gibt Risiken, dass Handel über Länder umgelenkt wird, in denen die Produktion klimafreundlich ist oder in denen man keine Daten hat und günstigere Durchschnittswerte annimmt. Im Moment sieht es in dem Vorschlag nicht so aus, dass das passieren kann. Aber es kann auch sein, dass Länder wie Russland sagen, wir splitten die Aluminium-Unternehmen auf und das mit Wasserkraft produzierte Aluminium exportieren wir in die EU, aber für unsere eigene Produktion nehmen wir dann Kohle-basierten Strom. Das nennt sich Reshuffling.

Im Endeffekt braucht man auf jeden Fall mehr Kooperation. Man muss nachvollziehen können, was produziert wird und ob wirklich Carbon Leakage vermindert wird oder ob sich Emissionen nicht einfach durch andere Dynamiken verschieben und dann global nichts erreicht wird. Das sind die Risiken, die auf jeden Fall damit einhergehen.

 

Die Sendung in voller Länge