In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Die Ungleichheits-Bilanz
piqer:
Julia Friedrichs
Die ersten beiden Folgen der neuen Serie „Oben und unten“ von Zeit Online waren großartig. Aus den Zahlen der Ökonominnen Charlotte Bartels und Timm Bönke hat das Team um Felix Rohrbeck Animationen gebaut. Diese zeigen, wie genau Deutschland seit den „Wir-sind-alle-Mittelschicht“-Jahren, den Lindenstraßen-Schwarzwaldklinik-Jahren der 1980er ungleicher wurde. Man sieht, wie die Vermögen am oberen Ende explodierten, während die der „ärmeren Hälfte“ stagnierten. Oder wie die Steuerbelastung der Gutverdiener sank, während die der Mitte zulegte.
Nicht die EZB? Reiche tragen eventuell Schuld an niedrigen Zinsen
piqer:
Rico Grimm
Eine Studie mit Sprengkraft stellt die NZZ hier vor. Denn bisher ist ein Narrativ vor allem auf konservativer Seite klar: „Die bösen Zentralbanken berauben mit ihrer Geldpolitik die ehrlichen Bürger ihrer Zinsen“. Manche sagen sogar, dass die Zentralbanken „enteignen“ würden. Das hört man aber wirklich nur in rechtsoffenen Kreisen, die der AfD nahestehen. Eine weitere plausiblere Begründung war lange Zeit, dass die niedrigen Zinsen damit zusammenhängen, dass die Bevölkerung immer älter wird.
Die neue Studie nun stellt eine andere These auf: Es sind die Reichen selbst, die Schuld sind an den niedrigen Zinsen. Mehr noch: Es ist die Ungleichheit. Wie ist der Zusammenhang dahinter?
Reiche Menschen können es sich erlauben, anteilig mehr ihres Vermögens zu sparen als arme Menschen. Sie können deswegen also auch mehr investieren (und haben auch Zugang zu besseren Investment-Möglichkeiten), verdienen Geld und können es dann wiederum anlegen. Der Zinseszins-Effekt tut sein übriges. Dieses Geld allerdings, dass da in Bitcoins, Gemälden, Aktien steckt, ist im klassischen Sinne unproduktiv. Es wird zwar mehr, aber schafft keinen gesellschaftlichen Mehrwert.
Was wäre der Ausweg (die NZZ schreibt das nicht in ihrem Artikel)? Steuern für Reiche erhöhen, mehr umverteilen.
EU nach Corona: „Back to the future“?
piqer:
Eric Bonse
Die Europapolitik spielt kaum eine Rolle im deutschen Wahlkampf. Leider! Denn die Europäische Union steht vor einer Zeitenwende. Nach Corona ist (fast) nichts mehr, wie es einmal war, auch die Klimakrise und das Desaster in Afghanistan zwingen zum Umdenken.
Wer sich dafür interessiert, wo die EU steht und was geplant ist, kann sich nun aus erster Hand informieren: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat – pünktlich zu ihrer Rede zum „State of the Union“ – eine Bilanz ihrer Arbeit in Brüssel gezogen. Wie nicht anders zu erwarten, fällt sie rundum positiv aus.
„Back to the future“ heißt die Werbebroschüre, mit der die deutsche CDU-Politikerin ihre Arbeit präsentiert und verteidigt. Die verspätete Impfkampagne ist darin ein durchschlagender Erfolg, die europäische Klimapolitik sucht weltweit ihresgleichen, und der schuldenfinanzierte Wiederaufbaufonds ist nicht weniger als historisch.
Zieht man die (für von der Leyen typischen) Übertreibungen ab, so ist die Broschüre eine lesenswerte Zusammenfassung der europapolitischen Herausforderungen. Schade nur, dass die Wahlprogramme fehlen! Denn der Ausgang der Bundestagswahl wird mit darüber entscheiden, wie es in der EU weiter geht …
Rot-grün-rotes Kopfzerbrechen
piqer:
Jannis Brühl
Es schmerzt in der linken Hirnhälfte. Ausgerechnet die in Umfragen nicht besonders weit über der Fünf-Prozent-Grenze liegende Linke macht die Bundestagswahl spannend. Weil Zweierbündnisse wohl unmöglich sein werden, steht Rot-Grün-Rot wieder im Raum. Wie schwierig das für die Zentristen Scholz und Baerbock (und Habeck) ist, beschreibt dieser SZ-Text. Ein Must-Read zur Wahl, in dem die Situationen der unterschiedlichen Strömungen in SPD und Grünen nachgezeichnet werden.
Während die einen von einem Bündnis mit der Linken träumen, wollen die anderen diese Option am liebsten wegignorieren (was das Wahlergebnis ihnen unmöglich machen könnte):
In der ersten Euphorie erzielte Baerbock so gute Umfragewerte, dass sich die Hoffnung breitmachte, selbst Christian Lindner könne am Ende gar nicht anders, als eine weit vorne liegende Grüne mit zu wählen. Das freilich war zu Ende, als sich Baerbocks Fehler häuften und der FDP-Chef sich zur Aussage entschied, dass er eine Grüne nicht zur Kanzlerin wählen werde. Um die Vision trotzdem aufrechterhalten zu können, begannen manche bei den Grünen, leise auch mal über Grün-Rot-Rot nachzudenken…das Ziel einer Kanzlerin mochte man nicht einfach aufgeben…Schon im Frühjahr konnte man prominente Grüne treffen, die sich vor einem Linksruck in der Fraktion sorgten. Tatsächlich wird eine erhebliche Zahl an ziemlich jungen Frauen und Männern neu in die Fraktion kommen; nicht wenige angetrieben vom Ziel, resoluter für die eigenen Überzeugungen zu kämpfen.
Diese Fragen könnten am Ende die entscheidenden für Rot-Grün werden: Wie soll man mit der FDP eine zentral gesteuerte Klimapolitik machen? Oder eine sozialere Politik als die große Koalition zuvor?
Für mich ist auch wichtig: Wie unangenehm und überhaupt machbar wird Regieren für ein Linksbündnis mit einer schwarz-gelb-blauen Opposition, die in einen harten Kampagnenmodus schalten wird? Einen Vorgeschmack gab Laschet ja schon im Triell (und die außenpolitischen Positionen der Linken sind ja auch leicht angreifbar, weil unterirdisch).
Auch wenn die befragten Roten und Grünen hier und da ziemlich rumeiern: ein spannender Einblick in taktische Überlegungen vor einer sehr spannenden Wahl.
Wie gerecht kann ein CO2-Preis sein?
piqer:
Alexandra Endres
Vielleicht ist es nur eine gefühlte Wahrheit, aber die Pläne der Parteien und Kanzlerkandidat*innen zur Klimapolitik scheinen mir im bisherigen Bundestagswahlkampf (vor allem in den Fernseh-„Arenen“ und Triellen) doch ziemlich einseitig diskutiert zu werden. Nämlich mit Blick auf die Kosten des Klimaschutzes. Es geht weniger um die Chancen einer ehrgeizigen Klimapolitik und schon gar nicht um die Dringlichkeit der Klimakrise. Verschenkte Chancen.
Das mag daran liegen, dass Klimaschutz zunächst natürlich kostet: Ein CO2-Preis macht die Nutzung fossiler Brennstoffe teurer und Investitionen in Alternativen müssen erst einmal finanziert werden. Der Nutzen zeigt sich später – Energieökonomin Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) twittert: „Jeder Euro, den wir jetzt investieren, spart 15 Euro an Klimaschäden ein“.
Bislang war es in der deutschen Energiewende oft so, dass ärmere Haushalte stärker belastet wurden, während die Wohlhabenden überproportional von Subventionen profitierten (Ulrike Herrmann von der taz hat das hier pointiert aufgegriffen). Auch aus dieser Warte ist die (oft instrumentalisierte) Frage nach den sozialen Auswirkungen eines CO2-Preises berechtigt: Wer zahlt, wenn Heizöl, Benzin und Diesel teurer werden? Menschen mit niedrigem Einkommen müssen einen größeren Teil ihres Budgets für lebensnotwendige Dinge ausgeben als andere, also auch für Energie. Belastet sie ein CO2-Preis nicht unverhältnismäßig stark?
Die Antwort ist: Die Einnahmen aus dem Preis können an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden – und wenn man das geschickt anstellt, dann können Haushalte mit niedrigem Einkommen sogar profitieren. Das ist das Ergebnis von Berechnungen des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin (MCC):
Ein Ergebnis lautet: Wenn der Staat eine einheitliche „Klimadividende“ zahlt und dafür alle von den privaten Haushalten kassierten CO2-Preis-Einnahmen verwendet, dann werden nur die einkommensstärksten Haushalte unterm Strich nennenswert belastet. Bei 50 Euro je Tonne CO2 zahlt der Durchschnittshaushalt im reichsten Fünftel etwa 100 Euro im Jahr drauf. Die Mittelschicht bleibt praktisch ungeschoren, Durchschnittshaushalte im ärmsten, zweit- und sogar drittärmsten Fünftel sind dann sogar im Plus: Klimaschutz und sozialer Ausgleich gehen Hand in Hand
Eine solche „Klimadividende“ ist im Wahlprogramm der Grünen vorgesehen, nur heißt sie da „Energiegeld“. Auch die FDP sieht eine „Klimadividende“ vor. Sie will aber zunächst mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis die Strompreise senken. Union, SPD und Linke wollen ebenfalls den Strompreis senken, wie genau, darüber haben sie unterschiedliche Vorstellungen.
Je nachdem, wie die kommende Bundesregierung den Ausgleich regelt, entstehen unterschiedliche Verteilungswirkungen. Während eine „Klimadividende“, wie das MCC sie beschreibt, den Haushalten mit niedrigem Einkommen zugute käme, profitierten von niedrigeren Strompreisen vor allem jene Menschen (und Betriebe), die viel Strom verbrauchen, aber wenig Heizöl, Diesel und Benzin.
Das MCC hat einen CO2-Preis-Rechner entwickelt, der die Unterschiede je nach möglicher Art der Kompensation zeigt. Für Laien ist der ziemlich komplex, weil er so viele Details berücksichtigt.
Einfacher zu handhaben ist der neue CO2-Preis-Rechner des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS; dieser piq): Er unterscheidet zwischen Ein-, Zwei-, Drei- und Vier-Personen-Haushalten mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen. Es wird davon ausgegangen, dass die Einnahmen aus dem CO2-Preis vollständig an die Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt werden.
Für jeden Haushaltstyp lassen sich nun zwei Variablen einstellen: Wie hoch soll der CO2-Preis sein? Und wie hoch der Anteil, der in die Pro-Kopf-Rückzahlung (Das FÖS nennt sie „Ökobonus“) fließen soll? Das Ergebnis zeigt, wie viel jeder Haushalt am Ende in der Summe zahlt – oder zurückerhält.
Darüber könnte man doch mal debattieren.
Wie hoch sind die externen Kosten einer Tonne CO2? 3000 $
piqer:
Dominik Lenné
Ökonomen wollen alles in Geldwert umrechnen. Die in Geld bewerteten Schäden einer wirtschaftlichen Entscheidung, die außerhalb der Bilanz des Verursachers liegen, sind die externen Kosten. Diese werden teilweise als Begründung für den CO2-Emissionspreis hergenommen: er müsse mindestens so hoch sein wie die externen Kosten, um diese zu internalisieren und so soziales wirtschaftliches Handeln herbeizuführen. Hier ist natürlich sehr viel Interpretationsspielraum, aber lassen wir uns einmal darauf ein.
Der Wissenschaftszweig, der die externen Kosten unserer Emissionen abschätzt, verwendet Computerprogramme, die die Entwicklung der Weltwirtschaft und ihrer Teile mit und ohne Emissionen prognostiziert und dann vergleicht. Der Artikel geht über eine Studie, die die Tatsache untersucht, dass klimabedingte Extremereignisse wie Dürren, Hitzewellen, Waldbrände oder große Sturmsysteme mit ihren Windschäden und Überflutungen nicht nur momentane, begrenzte Schäden verursachen, sondern die Entwicklungskraft einer Region nachhaltig schädigen. Dies führt dann in der Zukunft zu einem wesentlich geringeren Sozialprodukt als ohne Klimaerwärmung.
Das ist natürlich sehr anspruchsvoll. Man muss nicht nur Häufigkeit und Schwere der Extremereignisse für die verschiedenen Regionen vorausschätzen, sondern auch deren Einfluss auf die Entwicklung. Für Ersteres nimmt man die Ergebnisse der Klimaforschung zu Hilfe, für Letzteres die Auswertung vorliegender Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung nach vergangenen Extremereignissen.
Auf diese Art kommen die Autoren der Studie auf globale externe Kosten in der Größenordnung von 3.000 $/t_CO2, die fast vollständig im globalen Süden anfallen. Auch wenn dieser Wert einen sehr großen Unsicherheitsbereich aufweist, deutet er doch darauf hin, dass alle hierzulande bisher diskutierten Emissionspreise völlig eurozentrisch und global gesehen ein Witz sein könnten.
Allerdings lassen sich diese Schäden-durch-Entwicklungshemmung eindämmen, wenn der Wiederaufbau nach Extremereignissen schnell und vollständig von den Industrieländern bezahlt wird. Das sollte wohl das Mindeste sein!
Der Wert der Digitalisierung: Gemeinwohl in der digitalen Welt
piqer:
Magdalena Taube
Mein Kollege bei der Berliner Gazette, Chris Piallat, der hauptberuflich als Referent für Digital- und Netzpolitik für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen tätig ist, hat gerade ein lesenswertes Buch herausgegeben. Es heißt „Der Wert der Digitalisierung. Gemeinwohl in der digitalen Welt“ und ist in der Open-Acess-Reihe des Bielefelder transcript Verlags verfügbar. Das heißt, es ist als PDF oder EPUB kostenlos zugänglich.
Auf über 400 Seiten erkunden die von Chris versammelten Autor*innen eine digitale Zukunft, die im Hier und Jetzt längst unsere Realität ist.
„Wir können den Wandel nicht weiter aussitzen, sondern müssen ihn gemeinsam aktiv gestalten. Doch welchen ethischen Herausforderungen müssen wir uns hierbei stellen? Wie wahren wir die Menschen-, Grund- und Bürgerrechte? Und wie können wir unsere Werte für die Gestaltung disruptiver Innovationen und der digitalen Zukunft nutzen? Die Autor*innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis zeigen auf, wie technologische Phänomene mit unseren Werten in Einklang gebracht werden können und diskutieren normative Impulse und Ideen für die Regelung des Gemeinwohls in der digitalen Welt.“
„Horse Race Journalism“: Wenn Politik zum Pferderennen wird
piqer:
Simon Hurtz
Ende August triellierten sich Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock. RTL und n-tv gaben der Veranstaltung einen vielsagenden Titel: „Wer war am besten?“ Diese Frage fasst nicht nur das erste TV-Triell gut zusammen. Sie spiegelt auch wider, wie Medien über den Wahlkampf berichten: Die politische Auseinandersetzung wird kommentiert wie ein Pferderennen.
Diesen „Horse Race Journalism“ beleuchten Michael Borgers und Stefan Fries in einem Hintergrund für den Deutschlandfunk. In den knapp 20 Minuten kommen mehrere Expertïnnen zu Wort, die deutlich machen, dass die Art der Berichterstattung womöglich auch die Wahlentscheidung beeinflusst:
Diese TV-Duelle können schon sehr wichtig sein, um sich auch bei Themen eine Meinung zu bilden.
Das sagt Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart. Der Wahlkampf 2021 unterscheide sich von früheren Bundestagswahlen:
Wir haben das diesmal nicht nur im Rahmen der heißen Phase des Wahlkampfes, sondern wir hatten das auch schon viel früher bei der Kandidatenentscheidung innerhalb der Union. Wer hat denn da die besseren Karten? Laschet oder Söder? Da ging das eigentlich los. Und dann hat man geschaut, analog dazu: Wie sieht das bei den Grünen aus? Habeck oder Baerbock?
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik tritt die Amtsinhaberin nicht wieder an. Um ihre Nachfolge bewerben sich mit Laschet, Scholz und Baerbock zwei Kandidaten und eine Kandidatin, die alle eine realistische Chance haben (zumindest sah es lange Zeit so aus).
Dieser Wahlkampf ist also ungewöhnlich, und das macht ihn für viele Medien spannend. „Horse Race Journalism“ berge jedoch die Gefahr, komplexe Themen auf ein simples Narrativ zu reduzieren, sagt Wahlforscher Thorsten Faas:
Am Ende geht es um eine Frage: Habe ich gewonnen, habe ich verloren? Wer hat gewonnen? Wer hat verloren? Und es ist schon sehr, sehr wichtig, weil es diesen hohen Stellenwert in der Debatte hat.
Journalistïnnen stützen sich bei ihren Analysen teils auf Umfragen: Wie hat das Publikum das Triell erlebt, wen sehen sie vorn? Diese Umfragen sind aber längst nicht so aussagekräftig, wie Medien teils suggerierten. Oft fehlen wichtige Informationen über die Erhebung, etwa die Zahl der Befragten, der Zeitpunkt der Befragung und die genaue Formulierung der Frage. Kommunikationswissenschaftlerin Christina Holtz-Bacha wünscht sich deshalb mehr Transparenz:
Es gibt bestimmte Kriterien, die eigentlich mitgegeben werden müssen in der Umfrageberichterstattung, weil es wichtig ist zu wissen, wann wurde eine Umfrage durchgeführt und mit welcher Frageformulierung, was war die Stichprobe. Das sind wichtige Informationen, die es uns erlauben, die Umfrageergebnisse richtig einzuschätzen und zu interpretieren. Wir wissen allerdings aus der Forschung, dass das oft nicht der Fall ist.
Das Radio-Feature zeichnet nach, wie solche Umfragen seit Monaten immer wieder in die Berichterstattung eingeflochten werden, um die eigene Position zu untermauern oder Fragen aufzuwerfen. Bis zu einem gewissen Grad ist das legitim, doch das Ausmaß wirkt etwas übertrieben:
Wer führt im Rennen, wer liegt hinten, wer holt auf? Diese Fragen spielen nicht nur in viele Berichte hinein, auch die Umfragen selbst ziehen eine umfassende Berichterstattung nach sich. Allein im Juli und August haben die acht größten Umfrageinstitute zusammen mehr als 50 Ergebnisse von Sonntagsfragen veröffentlicht – also im Schnitt alle ein bis zwei Tage.
Zwei Trielle standen zum Zeitpunkt der Sendung noch an – und damit wohl zwei Diskussionsrunden, in denen es wieder um eine Frage gehen wird: „Wer war am besten?“ Das ist ein wenig ermüdend, könnte aber auch Vorteile haben, sagt Kommunikationsforscher Brettschneider:
Es wäre negativ nur dann, wenn es nur diese Art von Berichterstattung gäbe. Aber wenn sie denn das Ziel verfolgt, damit Interesse zu wecken, und dann gibt es für diejenigen, die sich interessieren, auch eine tiefergehende, themenbezogene Berichterstattung, dann wäre das das perfekte Match. Also auf der einen Seite aufmerksam machen auf die Wahl, Interesse wecken, auf der anderen Seite aber auch Stoff für Nachdenken liefern. Und dafür braucht es dann wieder die Inhalte. Problematisch ist nicht der Horse Race Journalism, problematisch ist, wenn es nur Horse Race Journalism gibt.