Fremde Federn

ESG-Blase, Taliban, Nord Stream 2

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wieso der „Science-First“-Weg des Weltklimarates falsch ist, woher die Taliban ihr Geld haben und warum die Welt nicht besser wird, wenn man sein Gewissen an einen Fondsmanager delegiert.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Die ESG-Blase

piqer:
Georg Wallwitz

Es gibt einen alten Spruch, wonach jede gute Idee, wenn sie erst einmal an die Wall Street kommt, korrumpiert wird. So war es z.B. mit der Idee der Indexfonds, deren Grundgedanke es war, über lange Zeit das Marktportfolio zu halten, die aber heute alles Mögliche machen und sich nur noch des gut verkäuflichen „ETF“-Labels bedienen.

Ähnlich läuft es mit dem Thema ESG. Dahinter verbirgt sich ein gewaltiges Regulierungswerk ungezählter Aufsichtsbehörden, das sicherstellen soll, dass Geld nur noch in ökologisch und sozial korrekte Anlagen investiert wird. Das ist ein feiner Gedanke. Und er lässt sich verkaufen. Also springen alle Vermögensverwalter und Fondsanbieter auf den fahrenden Zug auf und verkaufen ihre Produkte als Beitrag zur Lösung allerlei globaler Krisen. Niemand muss mehr schlechtes Gewissen haben bei der Geldanlage, denn es gibt jetzt Prüfsiegel für ESG-Konformität. Damit entlastet sich der Privatanleger von der Mühe, sich selbst über die Effekte seiner Geldanlage Gedanken zu machen.

Aus der Praxis lässt sich allerdings berichten, dass der wesentliche Effekt des neuen ESG-Trends der Aufbau eines bürokratischen Monsters ist, nicht aber die Verbesserung der Welt. Die ESG-Labels und -Richtlinien sind zum reinen Verkaufswerkzeug geworden, das das Handeln der Firmen praktisch kaum beeinflusst.

Was lernen wir daraus? Um die Welt zu verbessern, reicht es nicht, sein Gewissen an seinen Fondsmanager zu delegieren. Man muss in seinem eigenen täglichen Handeln das Richtige tun. Es hilft nichts, bestimmte Aktien nicht zu haben, wohl aber auf Waren und Dienstleistungen bestimmter Unternehmen zu verzichten – auch wenn es mühsam ist.

Risikokapital – Milliarden für die Dekarbonisierung

piqer:
Thomas Wahl

Ist Kapitalismus die Ursache oder die Lösung für das Klimaproblem? Oder beides? Klar ist, dass die moderne Art der Massenproduktion massiv zum Ausstoß von CO2 beigetragen hat. Bekanntlich hat aber das kapitalistische Wirtschaftssystem auch schon mehrfach die Infrastrukturen sowie die Güterstruktur der Industriestaaten technologisch revolutionär umgestaltet. Etwas, was jetzt wieder notwendiger ist als je zuvor. Auch geht das nur über kapitalintensive und effiziente Güterproduktion. Ein weiteres Merkmal, eine Stärke „des Kapitalismus“. Insofern ist der Ausspruch von Vinod Khosla, einem „Venture Capitalist“, getätigt 2010, interessant:

“NERDS WILL invent the future”

Ihm ging es dabei nicht um neue Informationstechnologien, sondern um Technologien gegen die Klimaerwärmung.

… his speech, delivered at the California Institute of Technology (Caltech), was intended to inspire brilliant engineers and scientists to pursue climate-related innovation. The “clean tech” investment bubble had recently popped, so it then seemed an unsexy career option. But if top talent took on the hard engineering challenges involved, he argued, early commercial successes and rising public awareness would produce a “Netscape-like” moment, referring to the web browser which ushered in the consumer internet in the mid-1990s. “Ten years from now,” he predicted, “the level of invention will explode.”

Und so scheint es nun zu kommen. Das Kapital beginnt, sich auf die Umgestaltung unserer energetischen Infrastrukturen zu konzentrieren. Das Geld folgt einem neuen Innovationspfad und das auf verschiedenen Wegen, sei es als Venture Capital, durch Vermögensverwalter, über NGOs oder Investmentfirmen. Auch staatliche Gelder fließen, so der Artikel, als Investment in diese Branchen.

Bloomberg NEF, a research firm, reckons that last year investors poured more than $500bn into the “energy transition” (shorthand for decarbonising everything from energy and transport to industry and farming), twice as much as in 2010 (see chart 1). A slug of that has come in the form of risk-tolerant venture capital (VC) flooding into a range of fields (see chart 2). PwC, a consultancy, estimates that between 2013 and 2020 VC investments in climate tech grew at five times the rate of global startup funding overall. In 2021 these investments may near $60bn in America alone (see chart 3), up from $36bn last year.

Das trifft sich mit Ergebnissen aus FuE. So schätzt die Internationale Energieagentur, dass neue Patente in Bezug auf Kerntechnologien wie Batterien, Wasserstoff, intelligente Netze und CO2-Abscheidung andere Technologien, einschließlich fossiler Brennstoffe, zahlenmäßig weit übertreffen.

Die Frage ist jetzt: Endet dieser Boom ähnlich schnell wie der vor zehn Jahren oder entsteht eine neue Blockbuster-Branche, ein anhaltender Wachstumstrend?

The short answer is: quite possibly. The modern climate-tech business looks fitter and more financially sustainable than a decade ago, when VC firms lost over half of the $25bn invested in clean-tech startups between 2006 and 2011.

Der Druck des Klimawandels wird das Seinige tun. Zunehmend schwenken auch große Konzerne, inklusive Öl-/Gas- und Energieversorger, um. Jenseits ihrer oft plakativen Umweltversprechen, wie z. B. „Netto-Null“-CO2, investieren sie direkt in Klimatechnologien. Laut Energy Monitor, ein Webportal für Clean Tech, überstiegen solche Corporate-Venture-Investitionen zwischen 2017 und 2020 insgesamt die 58-Mrd.-Dollar-Marke. Allein Microsoft hat einen Klimafonds in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar aufgelegt.

Its fellow Seattle tech titan, Amazon, has launched one worth $2bn, financed entirely from the company’s balance-sheet. As such, says Matt Peterson of Amazon, its investments need not meet any internal rates of return. “The focus is on decarbonisation, which is a strategic need for Amazon,” he explains. The fund will measure success by seeing how much its investments reduce the company’s carbon footprint. It has backed startups such as CarbonCure, a low-carbon cement company, Redwood Materials, a battery-recycling firm started by J.B. Straubel, formerly Tesla’s chief technology officer, and Zero Avia, a hydrogen fuel-cell aviation firm.

Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Man konzentriert sich nicht nur auf die Startgelder, sondern finanziert auch die Wachstumsphasen. Man kooperiert miteinander und bleibt technologieoffener. Das Ziel ist eine technologische Zukunft für die Menschheit, ohne den Wohlstand zu opfern.

Der „Science-First“-Weg des Weltklimarates ist falsch

piqer:
Rico Grimm

Die Überschrift hört sich nach Clickbait an, ist es aber nicht. Denn der Text, den ich euch heute empfehle, argumentiert das stringent durch. Dessen Autor Mike Hulme ist selbst Klimawissenschaftler und plädiert dafür, anders über den Klimawandel nachzudenken:

Climate change is no longer first and foremost an issue of incomplete or imprecise scientific knowledge.

Dass Hulme mit dieser These Recht hat, zeigte sich auch nach Veröffentlichung des jüngsten Klimaberichts: Er enthielt im Grunde keine einzige Überraschung. Was wiederum daran liegt, dass die Klimawissenschaft in den letzten Jahren kaum noch grundlegend neue Erkenntnisse liefert, die verändern könnten, wie die Gesellschaft über den Klimawandel nachdenken muss. Sie präzisiert Thesen und Gedanken, sammelt neue Daten. Das ist wichtige Arbeit, aber eben keine, die es schaffen könnte, die Debatten nachhaltig zu drehen.

Hulme plädiert dafür, zukünftige Berichte in anderer Reihenfolge zu veröffentlichen. Er will den Fokus weg von der Problembeschreibung (Klimawissenschaft) hin zur Problemlösung (Klimapolitik) legen:

By continuing to publish their reports in the sequence they do – physical science, then adaptation, then mitigation — the IPCC perpetuate two myths. The myth that more precise climate prediction – even though not necessarily more accurate prediction – is necessary for policy to take shape and be implemented. And the myth that the obstacles to innovating and implementing climate policies are scientific before they are social, cultural, technological or political.

Passenderweise hat eine Gruppe anonymer Wissenschaftler:innen gerade den Entwurf für den wichtigsten Teil des Klimaberichts geleakt, für den Teil, in dem es um die Maßnahmen geht, die nötig sind.

Woher die Taliban ihr Geld haben

piqer:
Hasnain Kazim

In den zurückliegenden Tagen bin ich vielfach gefragt worden, woher die Taliban ihr Geld haben, wer sie eigentlich finanziert. Dazu ist, aus traurigen aktuellen Gründen, in den vergangenen Tagen viel geschrieben worden.

Dieser Text von Dezember 2020 fasst es meiner Meinung nach gut zusammen: Drogen, Abbau von Rohstoffen, Steuern und Schutzgelder, Spenden reicher Sympathisanten, Exporte, Immobilien – und die Unterstützung aus bestimmten Ländern.

The Taliban militants of Afghanistan have grown richer and more powerful since their fundamentalist Islamic regime was toppled by U.S. forces in 2001.
In the fiscal year that ended in March 2020, the Taliban reportedly brought in US$1.6 billion, according to Mullah Yaqoob, son of the late Taliban spiritual leader Mullah Mohammad Omar, who revealed the Taliban’s income sources in a confidential report commissioned by NATO and later obtained by Radio Free Europe/Radio Liberty.

Lesenswert!

Die zweite Schattenseite der Ostsee-Pipeline

piqer:
Sven Prange

In diesen Wochen stellt ein Konglomerat aus russisch-deutschen Firmen eine Röhre vor Rügen fertig, ohne dass dies groß die Menschen aufregt. Also die Röhre schon, aber nicht unbedingt die Tatsache, dass sie im Prinzip schon fertig ist. Die Diskussion über Sinn oder Unsinn dieser Röhre tut ja immer so, als ob sie noch grundsätzlich zu diskutieren sei. Bei der Röhre handelt es sich um die Pipeline Nord Stream 2, die künftig Gas aus Russland nach Deutschland transportieren soll.

Es ist nicht so, dass diese Pipeline jemals unumstritten gewesen wäre. Vor allem aber eine Seilschaft aus SPD-Politiker:innen, angefangen beim ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder bis hin zur heutigen Mecklenburg-Vorpommerischen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, hat diese Pipeline, zum Teil mit mehr als dubiosen Methoden, durchgesetzt. Kritiker:innen haben sich dabei vor allem auf ein Argument gestützt, das aber nicht durchdrang: die Pipeline spalte Europa. In der Tat sind sowohl die EU-Kommission als auch wohl eine Mehrheit der EU-Staaten gegen diese Pipeline. Sie fürchten, der russische Präsident Wladimir Putin könne so die EU-Macht Deutschland gegen osteuropäische EU-Staaten ausspielen. Denn die Pipeline schafft eine direkte Verbindung zwischen Deutschland und Russland.

Nichts an dieser Argumentation ist falsch. Aber das strategische Russland-Problem ist nicht das einzige Mega-Argument gegen diese Pipeline. Das sollten nämlich Deutschlands Klimaziele sein. Und das fächert dieser Film auf.

„Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, dann ist Gas eine Brücke ins Nichts“,

sagt Energieökonomin Prof. Claudia Kemfert vom „Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“. Und auch Klimaforscher Ralf Sussmann, der für das „Institut für Technologie“ in Karlsruhe arbeitet, erklärt, wie Erdgas zum Anstieg des Klimakillers Methan beiträgt. In 2962 Metern Höhe misst er auf der Zugspitze die Zusammensetzung der Atmosphäre.

„Wir stellen seit Jahren einen dramatischen Methan-Anstieg fest, und Methan ist um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2.“

Wenn die Bundesregierung also unbeirrt an der Inbetriebnahme festhält, distanziert sie sich von ihrem eigenen Klimaziel. Vermutlich ist es für dieses Argument zu spät. Falsch wird es dadurch aber nicht.

Wie ein eDollar den USA aus der Schuldenfalle helfen könnte

piqer:
Rico Grimm

Dieser Twitter-Thread ist nichts für Menschen, die ganz genau zu wissen glauben, wie die Zukunft aussieht.

Darin skizziert die Ökonomin Tascha Che, wie ein digitaler US-Dollar den USA helfen kann. Interessant sind schon die Prämissen, die ihr Denken leiten:

1.  „Entgegen der landläufigen Meinung ist Amerikas größtes Exportgut nicht Technologie, nicht Hollywood… Es ist der Dollar.“

2.  „Der Dollar ist das größte Geldnetzwerk der Welt – er wird für 40-50 % der globalen Handelsabwicklung und der internationalen Kredite verwendet.“

Tascha sieht den Dollar als Netzwerk, so wie es Facebook oder das Internet selbst ist. Dadurch zieht sie einen anderen Schluss als herkömmliche Geldpolitik. Gut ist, wenn es möglichst viele Dollar da draußen gibt, der Dollar also viel genutzt wird und dadurch das Netzwerk wächst. Denn damit lassen sich ihrer Logik folgend die enormen Schulden, die die Vereinigten Staaten in den letzten Jahrzehnten angehäuft haben, senken.

Der Clou wäre die große Nachfrage, die es nach USD in der Welt gibt, erst durch Netzwerkeffekte anzuheizen und dann zu besteuern. Tascha macht aber klar, dass ihre Idee nicht für die Ewigkeit gedacht ist:

All that digitalUSD does is to buy you time, to get your affairs in order before your reserve currency status is lost to competition, along with your biggest export.In a world where anybody can issue and distribute a digital token at minimum cost, money will be dragged off its pedestal. The USD will have to cede its monopoly to a great many competitions eventually.

„False Balance“: Nicht jede Meinung verdient eine Bühne

piqer:
Simon Hurtz

Im Juni beschrieb Christian Drosten das Prinzip „False Balance“ in einem Interview mit der Schweizer Republik:

Okay, hier ist eine Mehrheits­meinung, die wird von hundert Wissenschaftlern vertreten. Aber dann gibt es da noch diese zwei Wissenschaftler, die eine gegenteilige These vertreten. In der medialen Präsentation aber stellt man dann einen von diesen hundert gegen einen von diesen zweien. Und dann sieht das so aus, als wäre das 50:50, ein Meinungs­konflikt.

Dieses Problem zeigt sich nicht nur bei der Berichterstattung über die Corona-Pandemie, sondern bei etlichen wissenschaftlichen Themen. Fast alle Forscherïnnen sind sich einig, dass der Mensch massiv zur globalen Erhitzung beigetragen hat und die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung darstellt. Trotzdem kommen in Medien immer wieder Leugner oder Skeptikerinnen zu Wort. Das ist nicht per se verwerflich, spiegelt aber nicht den wissenschaftlichen Konsens wider.

Doch es wäre zu einfach, nur die Zahl der Forschenden zu zählen, die eine bestimmte Auffassung vertreten, und diese Meinung dann zur Wahrheit zu erklären. In der Demokratie setzt sich die Mehrheitsmeinung durch, in der Wissenschaft gelten andere Anforderungen, schreibt Servan Grüninger:

Für einen Konsens ist entscheidend, dass er sich auf belegbare empirische Aussagen und überzeugende theoretische Argumente stützen kann. Dazu müssen verschiedene Forschende hinsichtlich einer bestimmten Frage mit gegenseitig erkennbaren und nachvollziehbaren theoretischen Annahmen und Forschungsmethoden zum gleichen Ergebnis kommen. Aus diesem Grund ist es vernünftig, wissenschaftlichen Konsenspositionen in politischen Debatten höheres Vertrauen entgegenzubringen als spekulativen Einzelmeinungen. Aus dem gleichen Grund – eben weil die Anforderungen daran so hoch sind – ist wissenschaftlicher Konsens aber seltener als viele meinen.

Oder anders ausgedrückt:

Eine wissenschaftliche Position ist nicht deshalb überzeugend, weil sie von einer Mehrheit von Wissenschaftler*innen vertreten wird. Es ist gerade umgekehrt: Eine Mehrheit von Wissenschaftler*innen vertritt eine bestimmte Position, weil sie wissenschaftlich überzeugend ist. Das ist ein entscheidender Unterschied, wenn es darum geht, den wissenschaftlichen Kenntnisstand medial ausgewogen abzubilden.

Das stellt hohe Anforderungen an den Wissenschaftsjournalismus. Wer über ein Thema berichtet, darf sich nicht auf Quantität verlassen, sondern muss qualitative Kriterien anlegen. Das setzt voraus, dass Journalistïnnen erkennen können, welche Meinungen wissenschaftlich fundiert und abgesichert sind.

Grüninger erklärt das Problem gut verständlich, mit vielen Links und praktischen Beispielen – und gibt am Ende noch vier Ratschläge, wie Wissenschaftsjournalismus besser werden kann.