Um den Klimawandel abzubremsen, muss der Ausstoß von Treibhausgasemissionen verringert werden. Ein zentrales Instrument hierfür ist ein höherer Preis für Emissionen. Steigende CO2-Preise – egal, ob sie durch eine Emissionssteuer oder eine Verknappung der Emissionszertifikate realisiert werden – haben in der Theorie zwei zentrale Ziele.
Steigende CO2-Preise sollen die CO2-Emissionen sofort reduzieren: Die staatliche CO2-Bepreisung bringt für die Konsument_innen höhere Preise für CO2-haltige Produkte und Aktivitäten mit sich. Damit geht die von ihnen nachgefragte Menge zurück. Der Nettopreis, den die Unternehmen erhalten, sinkt hingegen, weil sie in der Regel nur einen Teil des CO2-Preises auf die Verbraucher_innen überwälzen können. Bei einem geringeren Nettopreis reduzieren die Unternehmen die von ihnen angebotene Gütermenge. Im Ergebnis heißt das: Produktion, reales Bruttoinlandsprodukt (BIP), Beschäftigung und Einkommen gehen in dem Land, in dem der CO2-Preis einseitig erhöht wird, zurück. Gleichzeitig verringert sich das Volumen der produktionsbedingten Emissionen – die territorialen Emissionen sinken.
Mittelfristig sollen steigende CO2-Preise den technologischen Fortschritt fördern: Unternehmen reagieren auf höhere Preise für CO2-Emissionen, indem sie ihre Produktionstechnologien anpassen. Sie setzen neue, energiesparende und emissionsärmere Maschinen ein. Es kommt zu technologischen Fortschritten, die es ermöglichen, eine gegebene Gütermenge mit einem geringeren Ressourceneinsatz herzustellen – und damit auch mit einem geringeren Emissionsvolumen. Technologische Veränderungen nehmen jedoch Zeit in Anspruch. Sie sind daher eine mittelfristige Konsequenz eines höheren CO2-Preises.
Industrie- und innovationspolitische Unterstützung eines hohen CO2-Preises
Um allerdings insbesondere das zweite Ziel tatsächlich erreichen zu können, sind weitere staatliche Maßnahmen notwendig. Zwar ist ein höherer CO2-Preis für Unternehmen ein Anreiz, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Emissionen durch technologischen Fortschritt reduzieren. Und die Verbraucher_innen verstärken diesen Anreiz durch ihren Wunsch, emissionsärmere Produkte zu nutzen. Dennoch reicht dies allein nicht aus. Der Staat muss eine aktive Rolle spielen, damit die ökologische Transformation gelingt.
Das betrifft vor allem die Investitionen in Basistechnologien, die sich in viele Wirtschaftssektoren ausbreiten, im Zeitablauf immer günstiger werden und ihrerseits die Erfindung und Herstellung neuer Produkte erleichtern. Hier ist der Staat gefragt, denn private Unternehmen sind häufig nicht bereit, in solche Technologien zu investieren, weil deren wirtschaftlicher Erfolg mit großen Unsicherheiten verbunden ist. Außerdem ist die Zeitdauer, die bis zur Marktreife und Gewinnerzielung vergeht, sehr lang. Des Weiteren zeichnen sich einige emissionsärmere Technologien und Produkte durch positive externe Netzwerkeffekte aus, die ohne staatliche Förderung nicht voll zur Geltung kommen. Ein aktuelles Beispiel dafür: Die verstärkte Nutzung von Elektrofahrzeugen setzt voraus, dass es ein leistungsfähiges Netz von Ladesäulen gibt.
Diese staatlichen Maßnahmen umfassen die Finanzierung von Grundlagenforschung, die Subventionierung von Technologien bzw. Produktionsverfahren mit positiven externen Effekten, staatliche Investitionen, die die für den Einsatz neuer Technologien erforderliche öffentliche Infrastruktur ermöglichen, oder langfristige staatliche Abnahmegarantien für Unternehmen, die innovative klimafreundliche Technologien und Produkte einführen wollen. Denkbar ist auch eine „vertikale“ Industriepolitik, mit der der Staat ausgewählte Branchen bzw. Sektoren fördert, die für die ökologische Transformation der Wirtschaft als besonders relevant angesehen werden.
Darüber hinaus ist an bestehende physische Infrastrukturen mit einer langen Restlebensdauer und hohen Investitionsausgaben zu denken. Selbst wenn es emissionsärmere neue Technologien gibt: Es kann betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, noch viele Jahre an der emissionsintensiveren Infrastruktur festzuhalten, denn nur so fließt das für die Investition verwendete Kapital über die jährlichen Abschreibungen wieder in das Unternehmen zurück. Ist gesellschaftlich aber eine rasche Nutzung der neuen Technologien – und eine schnelle Stilllegung emissionsintensiver Produktionsanlagen – gewünscht, bedarf es einer staatlichen Flankierung, so wie beispielsweise beim Kohleausstieg in Deutschland.
Unerwünschte Nebeneffekte eines höheren CO2-Preises
Neben seinen positiven Konsequenzen und trotz der genannten staatlichen Fördermaßnahmen kann ein höherer CO2-Preis allerdings mindestens vier schwerwiegende unerwünschte Nebeneffekte haben:
Die Erhöhung des Preises für Treibhausgasemissionen kann zu steigender Armut und sozialen Spannungen führen. Vor allem für einkommensschwache Haushalte bedeutet eine starke Erhöhung der Preise für Energie und emissionshaltige Konsumgüter einen spürbaren Kaufkraftverlust.
Auf der Unternehmensseite ergeben sich sektorale Härten für die Unternehmen selbst und für die dort beschäftigten Personen – von Produktions- und Einkommenseinbußen bis zu Arbeitsplatzverlusten. Diese Konsequenzen betreffen vor allem Wirtschaftsbereiche mit einer hohen Kapitalintensität, wie z. B. den Maschinenbau oder die Stahlproduktion.
Wenn ein Land einseitig seinen CO2-Preis erhöht, droht einheimischen Unternehmen der Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Daraus entsteht der ökonomische Anreiz, emissionsintensive wirtschaftliche Aktivitäten in Länder mit einer weniger strengen Klimapolitik zu verlagern. Diese Verlagerung reduziert im Inland Produktion, Beschäftigung und Einkommen.
Wenn emissionsintensive wirtschaftliche Aktivitäten in Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen verlagert werden, kommt es zu „Carbon Leakage“, das die Emissionen im Ausland steigen lässt. Per Saldo kann das sogar die Umkehrung des eigentlichen Ziels verursachen: Das weltweite Emissionsvolumen steigt. Dies ist zu befürchten, wenn im Ausland mit umweltschädlicheren Technologien produziert wird und der Transport der im Ausland produzierten Produkte zudem mit hohen Emissionen verbunden ist.
Genau wie der Staat die positiven Effekte des CO2-Preises politisch verstärken muss, so muss er auch diese unerwünschten Nebeneffekte minimieren.
Sozialpolitische und außenwirtschaftliche Flankierung eines hohen CO2-Preises
Für eine sozialpolitische Flankierung zur Minderung innenpolitscher Spannungen und sozialer Härten bieten sich verschiedene Maßnahmen an. Denkbar sind z. B. Pauschalzahlungen an Bürger_innen und an alle Unternehmen, letztere z. B. proportional zur Lohnsumme, so wie es in der Schweiz praktiziert wird. Des weiteren sind differenzierte Zahlungen an besonders schwer betroffene private Haushalte oder eine Senkung von Steuern und Abgaben denkbar. Möglich ist auch eine Verringerung der Sozialversicherungsbeiträge. Von ihr profitieren sowohl die privaten Haushalte (weil ihr verfügbares Einkommen wächst, sofern ein Haushaltsmitglied sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist) als auch die Unternehmen (weil sinkende Lohnnebenkosten die Produktionskosten verringern und damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern).
Außenwirtschaftlich kann ein Land aus ökonomischen wie ökologischen Gründen einen Grenzausgleichsmechanismus einführen. Er besteht aus zwei Komponenten: Aus dem Ausland importierte Produkte werden erstens mit einer Emissionsabgabe bzw. einem CO2-Zoll belastet. Die Höhe dieser Belastung entspricht dem CO2-Preis, den auch die einheimischen Unternehmen zahlen. Zweitens werden die Exporte der einheimischen Unternehmen von dem CO2-Preis befreit. So gewinnen inländische Unternehmen wieder Wettbewerbsfähigkeit hinzu, und das Problem des Carbon Leakage nimmt ab.
Wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klage gegen eine zu zögerliche Klimapolitik fordert Bundestag und Bundesrat auf, die Emissionsziele für den Zeitraum ab 2030 konkreter zu formulieren und vielleicht sogar davorliegende Emissionsziele weiter zu verschärfen. Einer wirtschafts- und sozialpolitischen Flankierung dieser Klimapolitik wird dadurch künftig eine noch größere Bedeutung zukommen. Welche Personengruppen, Branchen oder auch Regionen eine Kompensation für finanzielle Nachteile aus einem höheren CO2-Preis erhalten sollten, ist eine Frage von gesamtwirtschaftlichen Präferenzen und Werturteilen – und lässt sich daher nicht volkswirtschaftlich oder rein wissenschaftlich beantworten. Entsprechende Entscheidungen sind von großer Tragweite und können in einer Demokratie nur im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen politischen Diskussion getroffen werden.
Für diese Diskussion möchten wir drei Anstoßpunkte anbieten:
Umwelt- und wirtschaftspolitische Argumente sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Langfristig ist eine gute Klimapolitik auch eine gute Wirtschaftspolitik, denn ohne ein gesundes Ökosystem kann es kein gesundes ökonomisches System geben. Für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik wird es daher darauf ankommen, eine positive Vision einer nachhaltigen Wirtschaft zu entwickeln, die von vielen Bürger_innen als erstrebenswerte Zukunftsvorstellung geteilt wird. Nur so werden schwierige, aber notwendige Transformationsschritte mehrheitsfähig und umsetzbar.
Für eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz ist es mindestens genauso wichtig, individuelle soziale Härten abzufedern. Höhere CO2-Preise drohen die bereits bestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten noch zu vergrößern, weil sie arme und kleine Haushalte besonders hart treffen werden. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht weiter erodieren zu lassen – und Populist_innen und Spalter_innen das Handwerk in der nächsten Wirtschaftskrise nicht zu einfach zu machen –, sollten höhere CO2-Preise an soziale Kompensationen für besonders betroffene Bevölkerungsgruppen gekoppelt werden.
Die internationale Ebene sollte beim Klimaschutz und bei seiner wirtschaftlichen Flankierung mehr als eine Nebenrolle spielen. Zurecht nimmt die für Ende 2021 geplante Klimakonferenz in Glasgow beides in den Blick. Sie verlangt umweltpolitische Zusammenarbeit genauso wie wirtschaftliche Unterstützung. Industriestaaten, die vorrangig für den übermäßigen CO2-Ausstoß verantwortlich sind, haben Entwicklungsländern hier Zusagen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung von Reduktions- und Adaptionsmaßnahmen gemacht. Es wäre ein großer Konferenzerfolg, sich auf konkrete Umsetzungen für dieses Versprechen zu einigen und gleichzeitig eine Koalition von emissionsstarken Staaten zu schmieden, die die Idee eines möglichst umfassenden Klimaclubs vorantreibt.
Zu den Autoren:
Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung im Projekt „Global Economic Dynamics“ und Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Auf Twitter: @Petersen_econ
Thomas Rausch arbeitet als Senior Project Manager im Team Global Economic Dynamics (GED) der Bertelsmann Stiftung.
Beide Autoren kommentieren aktuelle internationale Wirtschaftsentwicklungen auch regelmäßig auf dem Blog des Projektes Global Economic Dynamics.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Policy Briefs der Bertelsmann Stiftung.