Anfang März 2020 drohte die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Ungewissheit schnell die internationalen Finanzmärkte zu ergreifen. Refinanzierungsprobleme machten Unternehmen und Staaten zu schaffen. Doch mit ihrem weitreichenden Handeln verhinderten die Zentralbanken, dass die Welt zusätzlich zu der schweren Gesundheits- und Wirtschaftskrise einen Zusammenbruch der Finanzmärkte erlebte. Diese Intervention war im Angesicht der Krise essenziell, um die Realwirtschaft zu schützen. Allerdings hat sie auch negative Auswirkungen – etwa auf die Klimakrise, Vermögensungleichheit und Finanzstabilität.
Wenn es sich bei der Intervention im März um einen Einzelfall handelte, würden die negativen Auswirkungen nicht so sehr ins Gewicht fallen. Doch sowohl Bundesregierung als auch EU-Kommission verlassen sich immer mehr auf die geldpolitische Krisenbekämpfung. Seit der Finanzkrise wurden die Zentralbanken zur Krisenintervention gedrängt, ihre Bilanzsummen wuchsen beständig. Die Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise stellten selbst die Interventionen nach der großen Finanzkrise in den Schatten. So wuchs zum Beispiel die Bilanzsumme der EZB in der Finanzkrise von 2007 bis 2010 um 813 Milliarden Euro – aber allein zwischen Februar und Dezember 2020 um 2.261 Milliarden. Doch was bedeutet eine Verstetigung von Zentralbankinterventionen für die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel und Ungleichheit?
Zentralbanken sind nicht neutral
Laut EZB sollen ihre Maßnahmen stets „marktneutral“ stattfinden: Die Zentralbank will zwar die Preise bewegen, aber ohne relative Preise zu verschieben – es sollen keine Sektoren gegenüber anderen bevorteilt oder benachteiligt werden. Dieser Anspruch hält allerdings der empirischen Beobachtung nicht stand. Denn allein die Entscheidung, welchen ihrer geldpolitischen Kanäle die EZB wählt, ist nicht neutral. So profitieren Banken und dadurch eher kleine und mittelständische Unternehmen von Veränderungen der Refinanzierungsbedingungen, während beim Ankauf von Unternehmensanleihen insbesondere größere – am Kapitalmarkt aktive – Unternehmen profitieren. Letztere stammen dazu besonders häufig aus CO2-intensiven Sektoren, was zu einer Verzerrung führt. Allein von März bis Juni 2020 investierte die EZB über 7,6 Milliarden Euro in Anleihen von Unternehmen des fossilen Brennstoffsektors. Von Neutralität kann hier nicht mehr die Rede sein.
Diese Erkenntnis scheint langsam auch in der EZB anzukommen. So hinterfragten Präsidentin Christine Lagarde und Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel öffentlich das Prinzip der Marktneutralität, da Finanzmärkte die Risiken des Klimawandels nicht adäquat einpreisen und somit ein Fall von Marktversagen vorliegt. Dies könne mittelfristig ein Problem für die Preisstabilität werden und sollte deswegen angegangen werden. Die Tatsache, dass die EZB hier aktiv werden möchte, ist lobenswert. Allerdings sollte dies nicht nur auf Grund der Preisstabilität geschehen, sondern um die Klimakrise nicht zu verschärfen. Als Grundlage dafür könnte das sekundäre Mandat der EZB dienen, welches die Unterstützung der „allgemeinen Wirtschaftspolitik der EU“ vorschreibt.
Geldpolitik steigert die Vermögensungleichheit
Eine Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt, dass die stetigen Höhenflüge der Aktienkurse in großen Teilen auf die lockere Geldpolitik zurückzuführen sind. Doch was bedeutet es für die Vermögensungleichheit, dass wegen der Zentralbankintervention die Aktienkurse steigen? Es profitieren vor allem Menschen mit hohem Vermögen, da diese in der Regel mehr Wertpapiere besitzen.
Das wurde durch die Pandemie im letzten Jahr besonders deutlich: Als sich COVID-19 im Februar in Europa verbreitete, fielen die Aktienkurse, während die Arbeitslosenzahlen stiegen. Mittlerweile haben sich die Aktienmärkte erholt, der DAX durchbrach kürzlich erstmals die 14.000 Marke, während die realwirtschaftliche Lage angespannt bleibt. Die Zentralbanken sind sich der Wirkungen ihrer Politik auf die Aktienmärkte durchaus bewusst. Der Anstieg von Wertpapierpreisen ist als Transmissionsmechanismus der Geldpolitik vorgesehen. Die Folgen für die Vermögensungleichheit werden dabei allerdings nicht thematisiert – wann haben Sie das letzte Mal einen Zentralbanker über Ungleichheit sprechen hören?
Weg von kurzfristigen Interventionen
Während Geldpolitik kurzfristig bei der Stabilisierung des Wirtschafts- und Finanzsystems hilft, verstärkt sie also gleichzeitig die sozial-ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Hier zeigt sich: eine Politik, die sich hauptsächlich auf die Zentralbank verlässt, reicht nicht, um die Transformation herbeizuführen. Es braucht eine progressive Agenda für die EZB, die sich diesen Fragen widmet.
Klar ist, dass die EZB die Transformation nicht allein herbeiführen kann. Vielmehr braucht es eine expansive Fiskalpolitik, eine gerechte Steuerpolitik und einen einheitlichen CO2-Preis, der die externen Kosten fossiler Brennstoffe internalisiert. Außerdem brauchen wir einen stabilen Finanzmarkt, der ohne ständige Interventionen (durch Zentralbanken) auskommt.
Dafür müssen endlich auch die Schattenbanken reguliert werden. Im Gegensatz zu Banken, die vorgeschrieben durch Basel 3 höhere Cash-Puffer halten (müssen), ist ein unmittelbarer Zusammenbruch aufgrund von Illiquidität bei Schattenbanken wie Geldmarktfonds oder Hedgefonds weiterhin ein großes Problem. So war ein großer Teil der Verwerfungen am US-Staatsanleihenmarkt im März 2020 auf stark gehebelte Geschäfte von Hedgefonds zurückzuführen. Als die Zentralbanken durch ihre Anleihenkäufe am Markt intervenierten, stabilisierten sie nicht nur den Markt für Staatsanleihen, sondern retteten gleichzeitig eine Reihe von Hedgefonds.
Eine progressive Agenda für die EZB
Zentralbanken stehen mächtige Instrumente zur Verfügung. Sollten sie – und wenn ja, wie – politische Ziele jenseits ihres traditionellen Preisstabilitätsmandats unterstützen? Wir sind der Meinung, dass es einer klaren progressiven Agenda für die Rolle der Zentralbanken abseits von Preisstabilität bedarf. Zentralbanken müssen auf die negativen Auswirkungen ihrer Politik aufmerksam machen und diese proaktiv steuern. Sie sollten bestehende Herausforderungen wie den Klimawandel und die Vermögensungleichheit nicht verstärken, sondern bei deren Lösung unterstützen.
Dafür gibt es zum Teil bereits konkrete Vorschläge wie eine nachhaltigere Gestaltung der Refinanzierungsprogramme der EZB oder die Dekarbonisierung der Programme zur Quantitativen Lockerung (QE). Digitales Zentralbankgeld könnte zur Finanzstabilität beitragen und durch gezielte Geldpolitik auch Vermögensungleichheit bekämpfen.
Die erste Strategieüberprüfung der EZB seit 17 Jahren zeigt, dass auch ZentralbankerInnen sich dieser Herausforderungen durchaus bewusst sind. Doch wie sind sie mit der Unabhängigkeit und der demokratischen Legitimation von Zentralbanken vereinbar? Um Antworten auf diese und weitere Fragen geben zu können, werden noch einige Debatten zu führen sein. (Einen Anstoß dazu geben wir vom 3. bis 5. Februar auf der Online-Konferenz Next Generation Central Banking, zu der Sie sich hier kostenlos anmelden können.)
Zu den Autoren:
Gerhard Schick ist promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages, Mit-Initiator des Vereins Bürgerbewegung Finanzwende und dessen geschäftsführender Vorstand. Er hat sein Bundestagsmandat für die Arbeit in der Nichtregierungsorganisation zum 31.12. 2018 niedergelegt. Auf Twitter: @SchickGerhard
Michael Peters ist studierter Volkswirt mit finanzwissenschaftlichem Schwerpunkt. Als Referent für Finanzmärkte der Bürgerbewegung Finanzwende beschäftigt er sich insbesondere mit Banken, dem Schattenbanksystem und der Europäischen Zentralbank. Auf Twitter: @miguelitoj89