Millionen von Menschen sehen Abend für Abend die Fernsehnachrichten. Für viele sind diese Sendungen ein Abbild der Realität und eine Hauptinformationsquelle über die Welt: Die Agenda-bestimmende Rolle der Medien hat eine Fülle an Literatur hervorgebracht, und es ist weithin dokumentiert, dass die Medien das Wahlverhalten, die ökonomischen Erwartungen und sogar das Fortpflanzungsverhalten beeinflussen. Aber wie setzt sich die Fernsehberichterstattung zusammen? Welche Themen dominieren? Mit welcher Tonalität werden diese unterlegt? Und: Wie schneidet die Berichterstattung über Wirtschaft und Unternehmen ab?
Mit einem einzigartigen Datensatz, der von Media Tenor, einem auf Medienanalysen spezialisierten Unternehmen erstellt wurde, wird im Folgenden diese Frage untersucht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Berichterstattung zu Unternehmen und der Gesamtwirtschaft.
Für diesen Zweck analysierte Media Tenor die Abendnachrichtensendungen der führenden Fernsehsender in den USA und Deutschland mit einer Reichweite von 27,4 Millionen Zuschauern (USA) und 16,5 Millionen Zuschauern (Deutschland). Zwischen Januar 2002 bis Dezember 2018 wurden für die USA 424.164 Sendungen und für Deutschland 545.969 (Deutschland) nach ihrer Tonalität („positiv“, „neutral“, „negativ“) und Thema kategorisiert. Neben auf „Wirtschaft“ und „Unternehmen“ bezogenen Nachrichten wurde weiter unterschieden in die Themenschwerpunkte „Kriminalität“, „Innenpolitik“, „Umwelt“, „Außenpolitik/Konflikte“, „Kriminalität und Terrorismus“. Die TV-Berichte wurden von geschulten Analysten auf der Grundlage eines standardisierten Prozesses klassifiziert. Wortlaut und Inhalt aller TV-Sendungen von mehr als fünf Sekunden Dauer wurden ausgewertet und codiert. Media Tenor beansprucht eine Genauigkeitsrate von über 80%, mit der Inhalt und Tonalität (positiv, neutral, negativ) erfasst werden.
Die Nachrichtenschwerpunkte verteilen sich in den USA wie in Deutschland annähernd gleich auf die hier ausgewiesenen sechs Themenschwerpunkte, lediglich „Wirtschaft“ und „Außenpolitik“ kommen auf zweistellige Prozentanteile an der Berichterstattung (24% in den USA bzw. 31% in Deutschland). Die Außenpolitik ist mit einem Anteil von 12% (Deutschland) bzw. 13,3% (USA) ebenfalls ein Nachrichtenschwerpunkt. Auffällig ist in Anbetracht der Bedeutung des Klimawandels, dass die Berichterstattung über Umweltthemen in beiden Ländern unter 5% liegt. „Unternehmensberichterstattung“, „Kriminalität“; „Innenpolitik“ kommen jeweils auf weniger als 10%.
Anteil der TV-Berichterstattung nach Themenschwerpunkten und Tonalität: Deutschland
Anteil der TV-Berichterstattung nach Themenschwerpunkten und Tonalität: USA
Negative Meldungen dominieren
Was insgesamt auffällt: In beiden Ländern haben positive Nachrichten mit jeweils ca. 16% einen geringen Anteil am gesamten Nachrichtenfluss. Aber es gibt Unterschiede im Gewicht zwischen negativen und neutralen Nachrichten. Während in den USA negative Nachrichten dominieren (ca. 46% aller Nachrichten gegenüber ca. 36% in Deutschland), ist der Anteil der Nachrichten mit neutraler Tonalität im deutschen Fernsehen höher (ca. 48% gegenüber ca. 38% in den USA). In den USA ist negative Tonalität der Wirtschafts- und Unternehmensberichterstattung mit einem Anteil von über 50% deutlich am höchsten und wird naturgemäß nur von Nachrichten über Kriminalität übertroffen. In Deutschland schneiden Unternehmen (31,12% negative Tonalität) und Wirtschaft (41,3%) besser ab und sind von der Tonalität der Berichterstattung vergleichbar mit der Innen- oder auch der Außenpolitik.
Auch bei Umweltthemen fällt auf, dass der Anteil an Berichten mit positiver Tonalität gering ist (12,75% in Deutschland und 17,71% in den USA). Dabei ist in Deutschland der Anteil an Berichten mit neutraler Tonalität am stärksten ausgeprägt (fast 63%). In den USA ist der Anteil an Meldungen neutraler und negativer Tonalität ausgewogener.
Um die Nachrichtenlage präziser zu erfassen, wird in einem nächsten Schritt ein Medien Sentiment Indikator (MSI) konstruiert. Dafür werden für jeden Monat die negativen Meldungen von den positiven Meldungen abgezogen und durch die Anzahl aller Nachrichten dividiert. Dabei zeigt sich, dass der MSI für beide Länder gleichermaßen und unabhängig von den Themen im Durchschnitt negativ ist. Der auf Wirtschaft und Unternehmen bezogene MSI ist dabei für beide Länder negativer als der alle nicht wirtschafts- und unternehmensbezogene Meldungen umfassende MSI.
Medien Sentiment Indikator MSI für Deutschland und die USA
Sind schlechte Nachrichten gute Nachrichten?
Für diese Beobachtungen gibt es zwei Erklärungsansätze: Entweder bildet die Dominanz der schlechten Nachrichten die Realität ab, oder es gibt einen „Bias“ der Medien, schlechte Nachrichten gegenüber guten Nachrichten zu bevorzugen oder zumindest stärker zu gewichten. Eine Erklärung für diesen Bias könnte sein, dass es sich letztlich um Angebot und Nachfrage handelt: Medien (hier die Fernsehberichterstattung) haben eine Neigung, stärker über negative als über neutrale oder positive Ereignisse zu berichten, da dies der Nachfrage der Zuschauer entspricht.
In der Tag legt eine große Menge an Literatur in der Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften nahe, dass Menschen mehr auf negative als auf positive Informationen reagieren. Mehrere Studien in der Psychologie dokumentieren den Beweis für diese Negativitätsverzerrung: die relative Stärke negativer gegenüber positiver Information. Solche psychologischen Befunde finden sich auch in den Wirtschaftswissenschaften wieder, wo experimentelle Arbeiten zur Verlustaversion darauf hindeuten, dass die Akteure einem Verlust mehr Gewicht beimessen als einem Gewinn in derselben Größenordnung. Belege für eine solche Verlustaversion wurden für einzelne Entscheidungsträger in verschiedenen Labor- und Praxisumgebungen, einschließlich der makroökonomischen, dokumentiert.
Nachhall der Krisen?
Als weitere Erklärung für die Dominanz negativer Berichte bietet sich an, dass es im Untersuchungszeitraum eine Reihe von Finanzmarktkrisen gab, wie das Platzen der Technologie-Medien-Telekommunikations-Blase gleich zu Beginn des Jahrtausendwechsels (die Erholung an den Kapitalmärkten setzte erst im Frühling 2003 ein, also noch innerhalb des Betrachtungszeitraums), sowie die „Subprime-Krise“, die in den USA im Jahr 2008 zum Ausbruch kam und die dann folgende Schuldenkrise des Eurosystems, die im Jahr 2009 eruptierte.
Tatsächlich zeigt sich im Zeitverlauf die Tendenz hin zu einem höheren Anteil negativer Nachrichten, die 2008 einsetzte und in Deutschland stärker ausgeprägt ist als in den USA. Vor 2008 dominierten in der Bundesrepublik die neutralen Nachrichten. Deren Anteil stieg dann sprunghaft auf über 40% und dann über 50% an und zeigt erst seit 2018 wieder eine rückläufige Tendenz. Auch bei der rein auf Wirtschaft und Unternehmen bezogenen Berichterstattung haben in Deutschland die neutralen Nachrichten zunächst überwogen, bis diese dann zugunsten negativer Berichte an Boden verloren.
Nachrichten nach Tonalitätsanteilen (alle Themen)
Tonalität nach Anteilen bei der Berichterstattung zu Wirtschaft und Unternehmen (W + U)
Im Zeitverlauf der MSIs wird noch deutlicher, dass es mit dem Jahr 2008 eine Niveauabsenkung beim Mediensentiment insgesamt gab, das erst in jüngerer Zeit wieder Erholungstendenzen aufzeigt, beim übergreifenden Mediensentiment stärker als bei der Wirtschafts- und Unternehmensberichterstattung. Allerdings scheint sich die 2009 einsetzende ökonomische Erholung nicht im Mediensentiment widerzuspiegeln.
Um die ökonomische Entwicklung abzubilden, wurden die OECD Composite Leading Indicators für die beiden Länder gewählt und als z-Score standardisiert. Die Betrachtung zeigt, dass sich die wirtschaftliche Erholung nicht in einer Verbesserung der MSIs widerspiegelt, was die Vermutung nahelegt, dass sich das Mediensentiment noch im Nachkrisenmodus befindet.
MSI (gesamte TV-Berichterstattung) im Vergleich mit dem z-Score des Konsumentenvertrauens
Schlussbetrachtung
Auf Grundlage der von Media Tenor Daten ausgewerteten TV-Berichterstattung in Deutschland und den USA zeigt sich: Bei der Fernsehberichterstattung dominieren die negativen Meldungen in beiden Ländern, während positive Nachrichten weniger als ein Fünftel von den gesamten Nachrichten ausmachen. Diese Tendenz ist bei rein auf Wirtschaft und Unternehmen bezogenen Meldungen noch etwas stärker ausgeprägt. Die Krisen nach 2008 scheinen die Dominanz negativer Meldungen weiter verstärkt zu haben, und dies nachhaltig. Die Berichterstattung blieb unbeeindruckt von der seither stattfindenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, was nicht nur wirtschafts- und unternehmensbezogene Meldungen betrifft, sondern die gesamte Nachrichtenlage umfasst.
„Bad news sind good news“ – von diesem Ansatz scheinen die Nachrichtensender in den USA wie auch in Deutschland nicht ganz frei zu sein. Die Krisen scheinen diese Tendenz verstärkt zu haben.
Zum Autor:
Hans-Jörg Naumer ist Leiter der Abteilung Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors. Auf Twitter: @NaumerOekonom
Hinweis:
Das diesem Beitrag zugrundeliegende Paper finden Sie hier.