Fremde Federn

Frauenleben, 30-Stunden-Woche, Covid-19

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Ein historischer Technologie-Thriller mit schrulligen Hauptfiguren, warum die amerikanischen Parteien von innen zerfasern und wie Taiwan es schaffte, den Covid-19-Ausbruch zu verhindern.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Die Corona-Epidemie schränkt die Globalisierung ein – der Ökonom Gabriel Felbermayr im Interview

piqer:
Hauke Friederichs

Die Börsenkurse sinken, Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter zu Hause arbeiten, Messen werden abgesagt. Das alles sei nicht wirklich eine Gefahr für die Wirtschaft, sagt Gabriel Felbermayr im Interview mit ZEIT Online. Der 43-jährige Ökonom leitet seit einem Jahr das bedeutende Kieler Institut für Weltwirtschaft. Ihn besorgt die Auswirkung, die das Corona-Virus auf große Volkswirtschaften wie China hat.

„Eigentlich sollte China um knapp sechs Prozent in diesem Jahr wachsen, nun erlebt es vielleicht im ersten Quartal eine Rezession. Deutschland verzeichnet bereits ein niedriges Wachstum, mit der Corona-Krise können wir vielleicht in diesem Jahr auch unter die Nulllinie rutschen“, sagt Felbermayr. „Corona verschärft die Krise der deutschen Industrie.“

So sei die Produktion von Automobilen in der Bundesrepublik bereits im Vergleich zum letzten Hochstand vor zweieinhalb Jahren um ein Viertel eingebrochen. Für Deutschland, das Land vieler großer Autoproduzenten und -zulieferer ist das eine alarmierende Nachricht. Gerade China fällt aktuell als Kunde aus. Nicht nur für Limousinen und Nutzfahrzeuge, auch Maschinenbauer machen dort aktuell kaum neue Geschäfte.

Die Angst vor Corona hält der österreichische Wirtschaftswissenschaftler für eine viel größere Gefahr als die Krankheit selber. Wenn ein paar Tausend Leute nicht ihren Job erledigen können, weil sie selbst von Corona betroffen sind, unter Quarantäne stehen oder weil der Arbeitgeber will, dass sie „Home Office“ machen , dann sei das „ökonomisch betrachtet nicht weiter schlimm“. Anders, wenn das Konsumklima sich radikal ändert.

„Wenn die Menschen aber vor lauter Sorgen vor einer Infektion ihr Verhalten ändern, zu Hause bleiben, weniger kaufen, dann hat das plötzlich einen riesigen Effekt“, sagt Felbermayr.

Und was könnte eine Konsequenz der Seuche sein. Wird eine Lehre aus Corona eine Deglobalisierung sein?

Die Globalisierung bekomme sicher einen Dämpfer, sagt der Ökonom: „Ich glaube, man wird in vielen Unternehmen überlegen, wie groß die Sicherheitspuffer sein müssen. Wir werden künftig mehr Lagerhaltung sehen. Unternehmen werden sich fragen, muss ich wirklich alles dort produzieren, wo es am billigsten ist? Vielleicht ist es aus Sicherheitsgründen doch besser, statt in China wieder mehr in Europa zu fertigen.“

Was kommt nach der „zusammenbrechenden
neoliberalen Welt“?

piqer:
Achim Engelberg

Ein Zweikampf zwischen Joe Biden und Bernie Sanders um den demokratischen Präsidentschaftskandidaten wird die nächsten Monate ein zentrales Thema sein. In den Leitmedien wird das Phantasma einer Auseinandersetzung zwischen einem „Gemäßigten“ und einem „Radikalen“ beschworen.

Rückblende: Der Schriftsteller Gore Vidal (1925-2012) war einer der scharfzüngigen Kritiker des politischen Systems der USA. Im Gegensatz zu vielen Kommentatoren kam er aus einer Politikerfamilie mit Verbindungen zu den Kennedys, er schrieb mehrere vielübersetzte Romane über amerikanische Präsidenten und war berühmt für seine sarkastischen Kommentare:

Die USA haben eine Einheitspartei mit zwei Flügeln: Die Demokraten und die Republikaner. Beide dienen den Interessen der Konzerne und die eine (gemeint waren die Republikaner) ist etwas mehr für Krieg als die andere.

Nachdem sein Vetter Al Gore gegen George W. Bush den Kampf ums Weiße Haus verloren hatte, gab er 2001 der FAZ eines seiner scharfen Interviews, in dem er auch seinen Verwandten angreift:

Die Amerikaner haben sich weder für den einen, noch für den anderen Kandidaten interessiert. Denn beide hatten keine Themen. Das wichtigste Thema, über das sie hätten reden müssen, wurde nicht diskutiert: Die Umwandlung der amerikanischen Kriegswirtschaft in eine Friedenswirtschaft. Amerika ist seit fünfzig Jahren eine Garnison. Und obwohl das Pentagon schon 51 Prozent der Haushaltsmittel einkassiert, verlangen die Generäle immer mehr Geld. Sie geraten außer Kontrolle.

Kurz danach kam der 11. September 2001 und die Macht des Militärs wuchs weiter. Aufschlussreiches bringt er über die oligarchische Struktur der USA.

Im Freitag gab es nun ein Spezial zum „Super Tuesday“, in dem der weltberühmte Wissenschaftler und Publizist Noam Chomsky über die neoliberale Welt, die zusammenbricht, spricht und die gravierenden Verschiebungen aufzeigt.

Er zitiert einen amerikanischen Politiker:

Ich habe keine Verwendung für diejenigen – unabhängig davon, welcher Partei sie angehören –, die dem törichten Traum nachhängen, sie könnten die Uhr in jene Tage zurückdrehen, als die unorganisierte Arbeiterschaft eine nahezu hilflose Masse darstellte… Nur eine Handvoll unbelehrbarer Reaktionäre hegt den hässlichen Gedanken, die Gewerkschaften zu zerschlagen.

Da Bernie Sanders die Wiederherstellung der Gewerkschaftsmacht im Falle seiner Wahl angekündigt hat, glaubt man hier den „sozialistischen wilden Mann“ sprechen zu hören. Aber Noam Chomsky erläutert, dass das Zitat vom konservativen Präsidenten Dwight Eisenhower (Amtszeit: 1953–61) stammt, und kommentiert:

Seine Bemerkungen sind ein gutes Beispiel dafür, wie weit die politische Klasse unter Clintons „New Democrats“ und den Reagan-Gingrich-Republikanern nach rechts gerückt ist. Letztere sind so weit abgedriftet, dass sie im internationalen Spektrum neben neofaschistischen Parteien und eindeutig rechts der „Konservativen“ einzuordnen sind.

Gleichzeitig gibt es eine Interpretation von Slavoj Žižek, der als in Jugoslawien geborener Philosoph eine Außensicht anbietet, die aufzeigt wie ver-rückt im Wortsinne die neue Weltordnung ist. Während Trump als unschuldig gilt und nicht angeklagt wird, steht Julian Assange, der Staatsverbrechen öffentlich gemacht hat, nach schlimmen Jahren vor Gericht.

Gestern, genauer: vor rund 20 Jahren, sah Gore Vidal eine Einheitspartei. Heute sieht Slavoj Žižek eine Aufsplitterung:

Der wahre Konflikt besteht nicht zwischen den zwei Parteien, die Konfliktlinie verläuft innerhalb der Parteien selbst. Die USA sind dabei, sich aus einem Zwei- in einen Vier-Parteien-Staat zu verwandeln. Eigentlich besetzen vier Parteien den politischen Raum: Establishment-Republikaner und Establishment-Demokraten, dann neurechte Alt-Right-Populisten und demokratische Sozialisten.

Was daraus entsteht, weiß er auch nicht. In einem aber ist Slavoj Žižek sich sicher:

Es gibt keinen Weg zurück; das politische Leben der USA muss sich radikal neu erfinden. Aber ist Sanders eine echte Alternative? Oder ist er – wie einige „radikale Linke“ behaupten – nur ein (relativ gemäßigter) Sozialdemokrat, der das System retten will? Das Dilemma ist keines. Die demokratischen Sozialisten haben eine Massenbewegung des radikalen Aufbruchs angestoßen. Der Ausgang solcher Bewegungen ist nicht vorgezeichnet.

Wie lange verdrängte der Bundestag die Klimakrise?

piqer:
Daniela Becker

Wie lange verdrängte der Bundestag die Klimakrise? Die kurze Antwort ist: Bis heute.

Für die ausführliche Antwort kann man sich durch diese umfangreiche SZ-Datenrecherche scrollen, in der auf Grundlage der Bundestagsprotokolle rekonstruiert wurde, seit wann und in welcher Form über Klimawandel gesprochen wird.

Als Bundeskanzler Helmut Schmidt am 4. Juli 1979 in Bonn ans Redepult des Deutschen Bundestages tritt, steht er noch unter dem Eindruck des Wirtschaftsgipfels in Tokio.

Was Schmidt den Bundestagsabgeordneten von dem Treffen mitbringt, sind Formulierungen wie diese: „In den letzten drei Jahrzehnten haben sich die Emissionen an Kohlendioxid auf der ganzen Welt verdreifacht.“

Es ist eine der ersten Debatten des Bundestages, in denen es um den Klimawandel geht, auch wenn ihn noch keiner so nennt. Der Ausstoß von Treibhausgasen durch die Menschheit führt zu einer beschleunigten Erhitzung der Erde: Dass dieser Zusammenhang besteht, hat die Wissenschaft damals längst belegt. Die „möglichen Konsequenzen für das Klima“ seien „noch nicht sicher abzuschätzen“, sagt Schmidt.

Seit mehr als 40 Jahren ist das Thema bekannt, aber:

Die Auswertung begleitet die Abgeordneten durch die Jahrzehnte. Sie zeigt, wie Generationen von Bundestagsmitgliedern das Thema diskutieren – und lässt erkennen, wie wenig sie die Bedrohung beachten, die vom Klimawandel ausgeht.

Die Grünen kommen in den 1980er Jahren ins Parlament, mit Ihnen auch neue Themen; aber die Klimakatastrophe verfängt nicht.

Die Umweltbewegung beschäftigt sich noch nicht hauptsächlich mit dem Klima, ebenso wenig wie die Abgeordneten im Bonner Bundestag. In den Achtzigerjahren hat sie ganz andere Probleme auf dem Schirm.

Was die industrialisierte Menschheit anrichten kann, wird immer deutlicher: in Form von saurem Regen, der Zerstörung der Ozonschicht oder dem greif- und sichtbaren Waldsterben.

Im Bundestagswahlkampf 1983 wird das Waldsterben heftig diskutiert. „Es ist ein Thema, das grüne Belange in ihrer Breite gesellschaftsfähig macht – und die Grünen wählbar“, sagt Historiker Uekötter.

Im Herbst ziehen 28 Grünen-Abgeordnete, davon ein nicht voll stimmberechtigter aus West-Berlin, in den Bundestag ein. Marieluise Beck bringt Kanzler Helmut Kohl einen verdorrten Tannenzweig mit, als Symbol für Waldsterben und sauren Regen.

Die 1990er Jahre waren im politischen Diskurs praktisch verlorene Jahre.

Das Kyoto-Protokoll entsteht in dieser Zeit – Uekötter zufolge genau in dem Geiste, den Erfolg im Kampf gegen das Ozonloch beim Klima zu wiederholen. Die Vereinbarung der Vereinten Nationen legt erstmals Ziele für den Ausstoß von Treibhausgasen in den Industrieländern fest. Doch obwohl die Vereinbarung – vor allem, um die USA an Bord zu holen – vage gehalten ist, dauert es sieben Jahre, bis sie größtenteils ratifiziert ist. In dieser Zeit, 1998, kommt Rot-Grün an die Macht und gibt sie 2005, bald nach der Kyoto-Ratifizierung, wieder ab. Aber die Debatte im Bundestag verändert all das kaum.

In den Folgejahren werden die Warnungen der Wissenschaftler immer schriller, es folgen zahlreiche Nachfolgekonferenzen zu Kyoto – doch es passiert so gut wie nichts. Die Debatten um den Klimawandel spiegeln den entsprechenden Zeitgeist wider. Doch effektive Maßnahmen werden nicht umgesetzt.

In jüngster Zeit kommt hinzu, dass im Bundestag eine Fraktion sitzt, die sich aktiv gegen dieses Handeln wehrt: die AfD. Die SZ-Journalist*innen äußern auf Basis ihrer Recherche folgende Vermutung, warum die Politik derart versagt und nicht gehandelt hat:

  • Das gesellschaftliche Interesse an Umwelt- und Naturschutz brachte die Grünen in den Bundestag, aber das Interesse war nicht stark genug, um eine nachhaltige Veränderung beim Klimaschutz anzustoßen. Zunächst galt das Klima als eines von vielen Umweltthemen.
  • Eine gemeinsame internationale Anstrengung war lange Zeit undenkbar.
  • Die Politik konnte sich nicht auf Lösungsvorschläge verständigen und diese verfolgen.
  • Bis heute wird das Problem bagatellisiert oder sogar geleugnet.

2019 hat die gesellschaftliche Debatte durch Greta Thunberg und Fridays for Future neuen Schwung erhalten. Allerdings steht die noch junge Klimabewegung vor einer großen Herausforderung. Die heraufziehende Corona-Epidemie hat leider das Potenzial, eine langfristige Bedrohung wie den Klimawandel aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Warum das so ist, können Sie bei meinem Kollegen von KlimaSocial hier nachlesen.

Doch keine Mondlandung: Der Entwurf der EU-Kommission für ein Klimagesetz ist raus

piqer:
Alexandra Endres

Das EU-Klimagesetz soll das Kernstück des „Green Deals“ sein, also jenes Programms, mit dem die EU-Kommission den Kontinent bis zum Jahr 2050 klimafreundlich machen will. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte das Vorhaben einst mit der Mondlandung verglichen. Sie meinte damit, dass ihr „Green Deal“ ähnlich ambitioniert werden solle.

Jetzt hat von der Leyens Kommission ihren Entwurf für das Klimagesetz vorgestellt. Die taz liefert im hier gepiqten Text einen klaren, knackigen Überblick des Inhalts. Der Entwurf bleibe „weit hinter den Erwartungen zurück“, schreiben die Kollegen.

Und das steht drin:

  • Die EU als Ganzes soll bis 2050 weniger Treibhausgase ausstoßen, als sie kompensieren kann. Das Ziel ist nicht neu, es wird hier noch einmal bekräftigt. Ziele für die einzelnen Mitgliedsstaaten gibt es aber nicht. Das räumt beispielsweise Ländern wie Polen – und auch Deutschland, das zuletzt ja Schwierigkeiten hatte, seine eigenen Klimaziele zu erreichen – mehr Spielraum ein.
  • Das EU-weite Klimaziel für das Jahr 2030 soll verschärft werden, aber erst „ab September 2020“. Derzeit besagt es, dass Europa bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent reduziert. Diskutiert wird jetzt über ein Ziel von minus 50 oder 55 Prozent.

Formal sei dagegen wenig einzuwenden, schreibt die taz.

Politisch geht davon jedoch ein Signal der Zögerlichkeit aus. Das Europaparlament hat bereits gefordert, das Zwischenziel einer CO2-Reduzierung um 40 Prozent auf 50 bis 55 Prozent anzuheben. Frankreich, Italien, Spanien sowie neun weitere EU-Staaten verlangen zudem mehr Tempo. Ein Vorschlag für das 2030-Ziel solle spätestens im Juni kommen, heißt es in einem Schreiben an Klimakommissar Frans Timmermans.

Der Grund dafür: Im November findet der nächste UN-Klimagipfel statt, auf dem die Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens ihre neuen, schärferen Klimaziele vorlegen sollen. Bislang haben das aber nur drei Staaten getan. Die UN-Klimaziele beziehen sich auf das Jahr 2030. Und weil die Klimaverhandlungen im Rahmen der UN derzeit kaum vorwärts kommen, wäre es wichtig, dass die EU sich dort eindeutig positioniert. Mit einem schärferen Klimaziel. Wenn Europa aber erst „ab September 2020“ anfängt, darüber nachzudenken, könnte die Zeit für den Gipfel zu knapp werden.

Auch Umweltverbände würden sich wünschen, dass es schneller ginge. Für sie müsste die EU schon 2040 klimaneutral sein.

Die taz kritisiert außerdem:

Konkrete Maßnahmen (um das 2050er Ziel zu erreichen, Anm. AE) fehlen völlig. Die EU-Kommission setzt auf Folgeabschätzungen, Experten-Berichte und Reviews, mit denen europäische und nationale Gesetze auf ihre Klimaverträglichkeit abgeklopft werden sollen.

Ein Lesetipp für alle, die mehr über die gebotene Eile vor dem UN-Klimagipfel wissen wollen und darüber, warum die EU sich hinsichtlich des 2030er Ziels so langsam bewegt, ist dieser Text von Verena Kern bei den Klimareportern.

Kern weist in ihm auch auf ein interessantes Detail hin:

Um in Zukunft zügiger zu Ergebnissen zu kommen, will sich die EU-Kommission laut Klimagesetzentwurf das Recht einräumen lassen, die Klimaziele ab 2023 alle fünf Jahre anzuheben, ohne sich von den EU-Regierungen oder dem Europaparlament viel hineinreden zu lassen.

(…)

Nach Einschätzung von Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik geht es bei dem Klimagesetzentwurf „weniger um neue Ziele als um neue Entscheidungsverfahren“. Der Entwurf ziele auf eine Machtverschiebung von den Mitgliedsstaaten in Richtung des Europaparlaments und vor allem der EU-Kommission, meint Geden.

Jetzt geht der Gesetzentwurf der Kommission aber erst einmal ins EU-Parlament. Voraussichtlich in der kommenden Woche soll dort die Debatte über das Klimagesetz beginnen. Auch die Regierungen der Mitgliedsstaaten müssen noch zustimmen. Bis das Gesetz kommt, wird es wohl noch ein paar Monate dauern.

Alt und arm – leider ein typisches Frauenleben

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Barbara Streidl

Zum Internationalen Frauentag gab es vielerorts Veranstaltungen, Demonstrationen, Podiumsdiskussionen und Lesungen. Während ich in der Stadtbibliothek Germering mit Erica Fischer über ihr Buch „Feminismus revisited“ und die Vergangenheit und Zukunft der deutschen und österreichischen Frauenbewegung sprach, druckte die taz einen Text zum Thema „Frauen in der Altersarmut“ ab.

Drei Frauen stehen im Fokus des Textes, die zeitlebens gearbeitet haben – und nach ihrer Erwerbsbiografie arm sind.

16,8 Prozent der über 65-Jährigen gelten als arm, das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmanns-Stiftung. Betroffen sind vor allem Frauen, Männer haben im Ruhestand deutlich mehr Geld: Sie bekommen im Schnitt eine Altersrente von 1.148 Euro, Frauen nur 711 Euro. In keinem anderen europäischen Land ist die Rentenlücke größer.

Ein Thema, über das weder diejenigen, die von Altersarmut betroffen sind, gerne sprechen, noch die, die heute jung oder ganz jung sind. Und doch werden wir alle einmal alt sein – und hoffentlich vorher Dinge in die Wege geleitet haben, die die Armut verhindern. Trotz Hausfrau. Scheidung. Oder einem Job als Erzieherin – der wie in der taz zu lesen ist, die Altersarmut nicht verhindert.

Fakten über Altersarmut gibt es auch in dem lesenswerten Buch „Kein Ruhestand“, mit der Autorin, Irene Götz, habe ich 2019 für den Lila Podcast gesprochen.

Die 30-Stunden-Woche: Wundermittel für eine gerechtere Gesellschaft?

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Moritz Orendt

Ich bin großer Fan der Arbeitszeitreduktion. Die meisten Menschen können weniger als drei Stunden am Tag produktiv arbeiten.

Die restlichen 5 Stunden Lohnarbeit daddeln sie auf Facebook oder bild.de, hängen ein bisschen vorm Kaffeeautomaten ab oder hocken auf dem Klo. An sich ist das ja nicht schlimm, aber vielen Menschen würden ja 2 Stunden im Büro abhängen reichen. Mehr Zeit zur freien Verfügung bringt in der Theorie viele positive Effekte mit sich, zum Beispiel:

  • mehr Zeit daheim und dort eine gerechtere Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit
  • mehr Zeit für das Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement
  • mehr Zeit für persönliche Hobbies und damit mehr Lebenszufriedenheit
  • mehr Zeit für bewussten Konsum und Schutz der Umwelt

Ich habe vor kurzem den „Mal angenommen“-Podcast entdeckt, der ausspinnt, wenn politische Ideen Wirklichkeit werden. Die Episode zur 30-Stunden-Woche ist hörenswert und auch für mich ein guter Realitätscheck für die mit der Arbeitszeitreduktion verbundenen Effekte.

Wie Taiwan es schaffte, den Covid-19-Ausbruch zu verhindern

piqer:
Theresa Bäuerlein

Im Januar dieses Jahres wurde vorausgesagt, dass Taiwan eines der Länder sein würde, die am schlimmsten von der Ausbreitung des Virus betroffen sein würden. Das ist nicht passiert. Bis zum 9. März gab es nur 45 gemeldete Fälle. Wie Taiwan das geschafft hat und was andere Länder daraus lernen könnten beschreibt dieser Artikel. Kurz gesagt:

Der kleine demokratische Inselstaat war besser als alle anderen vorbereitet, handelte und handelt effektiver als alle anderen, und das Leben geht relativ normal weiter dort. Die Bevölkerung ist mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden, Panik blieb aus.

Ein offenbar wichtiger Faktor: Taiwan hat aus den Erfahrungen mit dem Sars-Virus 2003 gelernt und das „Nationale Gesundheits-Kommando-Zentrum“ gegründet, das sofort und koordiniert handeln konnte.

„Goldene Morgenröte“: Aufstieg und Fall einer Neonazi-Partei

piqer:
Simone Brunner

Deutschland, Italien, Slowakei, Frankreich: Ganz Europa ringt um seinen Umgang mit Rechtsaußen.

Doch von einer europäischen Rechtspartei hat man schon lange nichts mehr gehört, die noch vor wenigen Jahren verlässlich in den internationalen Schlagzeilen gelandet ist: die griechische Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“. Derzeit müssen sich führende Mitglieder der Partei vor Gericht verantworten. Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung, ausgehend von der Ermordung des Musikers Pavlos Fyssas. Im Frühling werden die Urteile erwartet.

Wie der Prozess die Anatomie einer Neonazi-Organisation freigelegt und die Partei letztlich auch entzaubert hat, beschreibt Daniel Trilling in diesem großartigen Guardian-Longread. Er beschreibt Prägung, Aufstieg und Fall einer der wohl radikalsten Rechtsaußen-Parteien Europas, vor dem Hintergrund der griechischen Finanz- und zuletzt auch der Flüchtlingskrise, die gerade dieser Tage mit rechten Ausschreitungen auf Lesbos wieder ein neues, trauriges Kapitel schreibt.

Der Text berührt ganz zentral auch jene Fragen, die sich in ganz Europa und insbesondere auch in Deutschland akut stellen: Wie medial und politisch mit Rechtsaußen umgehen? Sind die Behörden auf dem rechten Auge blind?

Michaloliakos and his associates represent a nightmare that haunts Europe: that the worst parts of its history are bound to resurface. (…) But this story is about more than individual extremists. It is a warning about what can happen when a society feels hurt, humiliated, angry and ignored.

Opa erzählt vom Krypto-Krieg

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Jannis Brühl

Eine der interessantesten Episoden der Technologie-Geschichte bleibt der Wettlauf zwischen Code-Knackern und Code-Entwicklern. Zwischen staatlichen Stellen, die die einzigen sein wollen, die ihre Botschaften stark verschlüsseln können, und jenen, die auch einfachen Menschen ermöglichen wollen, sicher zu kommunizieren. Dieser Artikel zeichnet die im Wortsinne kryptische Auseinandersetzung zwischen NSA und freien Hackern nach: den Krypto-Krieg.

Der Text erschien 1993 in der Wired und beschreibt die Hochphase der Auseinandersetzung. Levy ist einer der besten Tech-Journalisten, er hat auch „Hackers“, über den Ursprung der Kultur, geschrieben und erst kürzlich „Facebook – The Inside Story“.

In diesem Artikel ist Levy ganz nah dran an den Hackern, die mit dem Diffie-Hellmann-Schlüsselaustausch und Pretty Good Privacy (PGP) die Verschlüsselung für die Massen erst ermöglichten und dafür verfolgt wurden: von der Regierung als Waffenschmuggler, von Unternehmen wie RSA wegen Urheberrechtsverletzungen. Manche der Ansichten von damals erscheinen naiv, aber der Grundkonflikt findet sein Echo im Versuch westlicher Regierungen, die Verschlüsselung von WhatsApp und Facebook zu schwächen.

Ein historischer Technologie-Thriller mit schrulligen Hauptfiguren.