Fremde Federn

Wirtschaftsunwissen, Geldkonzerne, EU-Haushalt

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Warum wir eine CO2-Steuer brauchen, weshalb das neue EU-Budget kein großer Wurf ist und wie das Bild von der Ungleichheit in Deutschland an der (richtigen?) Statistik hängt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Wie globale Geldkonzerne heute die Welt prägen

piqer:
Antje Schrupp

Pünktlich zum 200. Geburtstag von Karl Marx erschien in verschiedenen europäischen Zeitungen ein detailliert recherchierter Artikel über Blackrock, einen der größten globalen Finanzkonzerne – deutscher Medienpartner war der Tagesspiegel.

Welchen politischen und wirtschaftlichen Einfluss haben inzwischen diejenigen, die Abermilliarden an Fondsgeldern verwalten, rund um den Globus? Was sagt es über den Kapitalismus aus, wenn diese Geldkonzerne große Aktienpakete bei konkurrierenden Konzernen halten und insofern kein Interesse an marktwirtschaftlicher Konkurrenz haben? Was bedeutet es für demokratische Prozesse, wenn diese Player sich regelmäßig mit Regierungschefs treffen und Medienhäuser vor ihnen kuschen? Ist das überhaupt noch der Kapitalismus, über den Marx schrieb, wenn doch zum Beispiel das Privateigentum an Produktionsmitteln offensichtlich keine Rolle mehr spielt?

Diese Recherche greift ein sehr wichtiges Thema auf, für das in der deutschen Fassung allerdings die antisemitische Metapher der „Finanzkrake“ als Leitmotiv gewählt wurde – eine problematische Formulierung vor dem Hintergrund, dass der CEO von Blackrock, Larry Fink, jüdischer Herkunft ist. Soweit ich es beurteilen kann, kommen immerhin die anderen europäischen Versionen der Geschichte – in Spanien, Italien, Portugal, Polen, Schweden – ohne dieses Narrativ aus.

Blackrock ist ja auch nur einer von mehreren Playern, die auf diese Weise heute weltpolitische Entscheidungen prägen. Klar wird: Das Thema ist längst kein rein ökonomisches mehr, sondern ein politisches. Das immerhin ist heute noch genauso wahr wie zur Zeit von Karl Marx.

Hinweis der Redaktion: Eine frühere Version des Textes konnte so gedeutet werden, dass die AutorInnen des Originalartikels das Wort „Finanzkrake“ aus antisemitischen Beweggründen wählten. Dieser Eindruck sollte nicht entstehen. Der Passus wurde entsprechend geändert.

Die Zukunft von Demokratie und Wirtschaft – meinungsstark aber kenntnisarm?

piqer:
Thomas Wahl

Die Zukunft von Volkswirtschaft und Demokratie basiert auf den Kenntnissen seiner Bürger über ihre Gesellschaften. Das ist Voraussetzung für Klugheit und konstruktive Kritik. Umso erschreckender, wenn sich Studenten als zukünftigen Eliten „zumeist meinungsfreudig und gesellschaftskritisch“ geben, aber kaum etwas über unsere Vergangenheit oder den Sozialstaat wissen. Der Autor hat Studenten der Politikwissenschaften befragt, wobei Antworten zur DDR durchschnittlich lediglich zu etwa einem Drittel richtig waren. So

wussten nur 17 Prozent, dass es … bis 1987 die Todesstrafe gab, und nur etwas mehr als ein Viertel vermutete zu Recht, mindestens tausend Menschen seien dem DDR-Grenzregime insgesamt zum Opfer gefallen.

Die Kenntnisse über Renten oder Vermögensverteilung waren ebenfalls gering. Die Studenten

glaubten mehrheitlich, die durchschnittliche Altersrente habe 1988 mindestens 680 DDR-Mark betragen, tatsächlich waren es 480 DDR-Mark. Nicht einmal jeder Dritte gab an, dass die reichsten zehn Prozent der Kontoinhaber 60 Prozent des Geldvermögens besaßen. Dass die Produktivität der zentralistischen Planwirtschaft im Vergleich zur sozialen Marktwirtschaft nur etwa 30 Prozent erreichte, wussten immerhin 40 Prozent der Befragten.

Auch der heutige Sozialstaat wurde völlig falsch eingeschätzt. Er sei abgebaut worden und dramatisch unterfinanziert. Allerdings fehlte konkretes Wissen:

Schon bei den Antworten auf die ersten … Fragen – wie viel Geld wird … für den Sozialstaat jährlich ausgegeben und wie hoch liegt die Sozialleistungsquote – zeigte sich aber, dass die befragten Studenten offenbar in einem anderen Land … leben.“

Die Kenntnisse über Reichtum vs. Armut waren ähnlich diffus:

Wer zu den obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher gehört, muss nach Meinung einer absoluten Mehrheit 10.000 Euro und mehr netto im Monat zur Verfügung haben. Damit aber gehört man zu weniger als 1 Prozent.

Warum wir unbedingt eine CO2-Steuer brauchen

piqer:
Ralph Diermann

Das mit den Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie ist schon eine absurde Sache. Wer etwa mit Erdgas heizt, muss deutlich mehr Steuern bezahlen als derjenige mit Ölkessel im Keller, obwohl Gasheizungen viel weniger CO2 emittieren. Bezogen auf den Energiegehalt ist der Aufschlag auf Strom noch mal höher, was wiederum die Attraktivität der klimafreundlichen Wärmepumpen schmälert. Ähnlich widersinnig ist der hohe Nachlass bei der Besteuerung von Diesel, obwohl doch der Verkehr das große Sorgenkind beim Klimaschutz ist. Warum also einen Anreiz für einen fossilen Kraftstoff schaffen?

SZ-Wirtschaftsredakteur Michael Bauchmüller begründet in einem Essay, warum wir dringend einen Neustart bei den Energiesteuern brauchen – einen Neustart, der konsequent auf das Ziel der CO2-Minderung ausgerichtet ist. Zwar hat es, so Bauchmüller, mit der Ökosteuer schon vor zwanzig Jahren einen ersten Versuch in diese Richtung gegeben. Das System hat heute jedoch keinerlei Lenkungswirkung mehr. Er schlägt stattdessen vor, eine Abgabe für alle fossilen Energieträger einzuführen, deren Höhe sich nach den CO2-Emissionen bemisst. Das wäre auch sozial gerecht (vorausgesetzt die Einnahmen fließen an die Bürger zurück), da einkommensschwache Haushalte in der Regel weniger Energie verbrauchen. In der Schweiz gibt es eine solche Abgabe schon länger, dort erhält jeder Bürger die gleiche Rückerstattung.

Bauchmüller fasst die Argumente für eine CO2-Steuer sehr überzeugend zusammen und liefert zugleich Ideen für deren Ausgestaltung. Der Autor steht mit seiner Forderung bei weitem nicht alleine da. Zahlreiche Wissenschaftler, Expertenkommissionen, Verbände und Unternehmen – längst nicht nur aus der Öko-Ecke – teilen diese Überzeugung, ebenso Umweltministerin Schulze. Allein die CDU/CSU stellt sich taub.

Wie unser Bild von der Ungleichheit in Deutschland an der (richtigen?) Statistik hängt

piqer:
Thomas Wahl

Die Autorin stellt die These auf, unsere Vorstellung, „dass die unteren 40% der Lohnempfänger heute trotz des langen Konjunkturaufschwungs sogar schlechter dastünden als noch vor zwanzig Jahren“ sei falsch. Und sie belegt dies mit seriösen Quellen. „Die erschreckende Zahl von 40% Abgehängten stammt aus dem fünften Armuts- und Reichtumsbericht, der von der damaligen Bundesarbeitsministerin … A. Nahles vor einem Jahr präsentiert wurde.“ Doch dies führe in die Irre.

… wie konnte das Zerrbild vom großen Lohnverfall entstehen? Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Hartmut Görgens spricht in seinem Buch „Irrtum und Wahrheit über die Reallohnentwicklung seit 1990“ von einem Mythos, … aus einer falschen Interpretation statistischer Daten … So argumentiert DIW-Chef Fratzscher in seinem Buch „Verteilungskampf“ mit dem Reallohnindex des Statistischen Bundesamtes, der … in den Jahren nach 1995 zurückging und sich erst nach der Finanzkrise 2009 erholte und 2014 dann wieder das Niveau von Anfang der neunziger Jahre erreicht hat. Allerdings spiegelt dieser Reallohnindex keineswegs die Entwicklung der Bruttostundenlöhne wider, sondern – bis …. 2007 – die Entwicklung der Verdienste pro Kopf und zwar unabhängig davon, ob jemand vollzeit- oder teilzeitbeschäftigt war.

Die von Görgens verwendeten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der Bundesbank hingegen belegen ein Wachstum der Stundenlöhne um 15%. Für ihn zeigt dies „dass die gewerkschaftliche Lohnpolitik erfolgreich war und sich die Ergebnisse in Hinblick auf das mäßige Wirtschaftswachstum sehen lassen können“.

Auch das Stimmungsbild der Bevölkerung widerspricht der These von den abgehängten 40%: „Aktuell beurteilen nur noch rund acht Prozent der Bundesbürger ihre wirtschaftliche Lage als schlecht oder sehr schlecht – so wenige wie zu keinem Zeitpunkt der Wiedervereinigung“ ….

Wie sehr können wir also unseren statistikbasierten Weltbildern trauen? An allem ist zu zweifeln – da hat Marx recht.

Interview mit Unternehmer und Psychiater: Werden unsere Kinder Idioten oder arbeitslos?

piqer:
Marcus Ertle

Treffen sich ein IT-Unternehmer und ein Jugendpsychiater und reden über die Zukunft „unserer“ Kinder. Tja, dann kommt so etwas heraus wie dieses Doppelinterview mit dem Start-Up-Papst Frank Thelen und dem Mediziner Michael Winterhoff.

Eigentlich müsste man dieses Gespräch auf eine Theaterbühne bringen. Der eine sieht die Kindheit als schutzbedürftige Phase menschlicher Entwicklung, in der Kinder vor allem Feinmotorik, Grobmotorik, Koordination, Muttersprache und soziale Fähigkeiten einüben sollen. Der andere findet das alles ganz nett, was ihn aber vor allem umtreibt, ist die Sorge um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Um die ist es nämlich schlecht bestellt, wenn nicht schon im Kindergarten mit der digitalen Ertüchtigung des Nachwuchses begonnen wird.

Es ist herrlich grotesk, wie die beiden Herren aneinander verzweifeln und zugleich ist es gesellschaftlich höchst relevant, denn die Angst vor der Herrschaft der Ökonomie, die fast schon in der Wiege beginnt – sie wird in diesem Gespräch sehr anschaulich.

Das neue EU-Budget ist kein großer Wurf

piqer:
Eric Bonse

Die EU-Kommission hat ihren Budgetentwurf für die Jahre 2021-2027 vorgestellt. Folgt man den Ankündigungen von Haushaltskommissar Günther Oettinger, so wird künftig mehr Geld in die Grenzsicherung, die Terrorabwehr und die Digitalisierung fließen. Mit Kürzungen müssen dagegen die Bauern und die strukturschwachen Regionen rechnen, heißt es in Brüssel.

Doch steht dahinter wirklich eine neue, zukunftsweisende Prioritätensetzung? Der Brüsseler Thinktank Bruegel hat die Zahlen überprüft und zeigt sich skeptisch. Denn für eine echte Neuausrichtung wären größere Kürzungen in den Bereichen Agrar und Kohäsion nötig, die bisher fast drei Viertel der EU-Ausgaben ausmachen. Diese lassen sich jedoch nicht durchsetzen.

Sogar relative reiche Regionen in Deutschland sperren sich gegen den Verlust der gewohnten EU-Hilfen. Doch auch die Alternative – ein deutlich höheres EU-Budget – ist versperrt. Das Europaparlament forderte eine Erhöhung auf 1,3 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Doch die Kommission plant nur rund 1,1 Prozent – und selbst dagegen gibt es noch Widerstand.

So rettet man sein Unternehmen vor dem Kapitalismus

piqer:
Antje Schrupp

Ein Problem des gegenwärtigen Wirtschaftssystems ist, dass es durch die Logik der Finanzströme und des Kapitalmarktes Anreize setzt, die dem eigentlichen Sinn des Wirtschaftens – nämlich gute und für die Menschen nützliche Dinge herzustellen und zu vertreiben – entgegensteht.

Natürlich muss man sich als Unternehmer der Dynamik von Aktiengesellschaften und Kapitalmärkten nicht bedingungslos unterordnen. Man kann auch andere Prioritäten an das eigene ökonomische Tun anlegen als möglichst schnell möglichst viel Kohle zu machen. Solange man im Rahmen des Vernünftigen profitabel ist, kann man den Trend ignorieren und sein eigenes Ding machen.

Allerdings: Was passiert, wenn man zu alt wird, um den eigenen Betrieb weiter zu führen? Spätestens wenn die Unternehmensgründer, die meist von einem starken inhaltlichen Interesse motiviert waren, abtreten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihre Unternehmen letztlich doch in den Sog der Finanzmärkte geraten, dass sie sich von ihren Idealen und Prinzipien verabschieden oder gewinnmaximierend verhackstückt werden.

Dieser Text in Brandeins erzählt die Geschichte des Öko-Versandhauses Waschbär, dessen Eigentümer Ernst Schütz genau das verhindern wollte. Und dem das gelang.

Es ist also möglich, den „Sinn“ eines Unternehmens zu retten, allerdings muss man dafür auf sehr viel Geld verzichten. Und wer macht das schon. Das Beispiel von Waschbär kann vielleicht auch andere motivieren, so etwas zu versuchen, aber natürlich werden das immer Einzelfälle bleiben: Von daher ist diese Geschichte auch eine Mahnung, dass sich politisch etwas Grundsätzliches ändern müsste, weil ein Wirtschaftssystem, das es strukturell erschwert, Gutes zu tun, nicht wirklich akzeptabel ist.

Der syrische Kommunist

piqer:
Alexander Sängerlaub

Mehr als fünf Millionen Menschen sind bisher aus Syrien vor Krieg und Verfolgung geflohen. Sie haben sich aufgemacht, weil ihr Land ihnen keine Heimat, keine Sicherheit, keine Freude, keine Zukunft und keine Hoffnung geben kann. Dahinter stehen fünf Millionen einzelne Geschichten. Von Menschen, die Verwandte und gute Freunde an den Tod verloren haben. Von Menschen, die gestern noch friedlich auf der Straße nach der Arbeit gegen das syrische Regime demonstriert hatten, um dann von der eigenen Regierung beschossen zu werden. Menschen, die dachten, dass es nicht schlimmer werden könnte und denen dann der IS begegnet ist als vermeintlicher Befreier von der syrischen Armee. Menschen, denen nichts mehr übrig blieb, als mit ihrem nackten Leben zu fliehen und auf eine bessere Zukunft und Sicherheit fernab ihrer Heimat zu hoffen.

Sind wir menschlich, dann werden wir nicht müde uns die einzelnen Geschichten dieser Menschen anzuhören, weiterzuerzählen und Empathie zu empfinden. Wir, die Deutschen, die es besser wissen müssten, was es bedeutet, in einem autoritären Terrorstaat zu leben, der Menschen verfolgt, um sie umzubringen. Und was das Gefühl wert ist, wenn einem jemand mit offener Tür Schutz vor Verfolgung und dem Grauen bietet.

Eine dieser Geschichten ist die von Anmar:

Rote Haare, weißer Bart, helle Haut: Anmar ist Syrer.

Unsere Redaktion hat ihn durch Zufall auf einem Retreat in Brandenburg kennengelernt, wo er auf unseren Autor Yannick getroffen ist. Ihm hat er seine Geschichte erzählt.

Der Text erschien in der aktuellen Ausgabe des utopischen Politikmagazins Kater Demos zum Schwerpunkt „Das Fremde“. Veröffentlicht haben wir ihn in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung „Der Freitag“.