Fremde Federn

Rüstungsexporte, Bankensterben, Terror der Ökonomie

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Warum Banken die neuen Stahlwerke sind, wie Edeka seine Marktmacht gegenüber Lieferanten einsetzt und was man erfährt, wenn man bei AfD-Wählern an der Tür klingelt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Sag leise Servus zu Deiner Bank

piqer:
Georg Wallwitz

Viel Mitleid werden sie nicht bekommen. Aber es lohnt vielleicht doch der erneute Hinweis: Keine Branche eignet sich so sehr für die Digitalisierung wie die Finanzbranche. Und nirgendwo werden so schnell so viele Jobs verloren gehen wie hier. Die Banken sind heute das, was die Stahlwerke in den 1980er-Jahren waren: Bald werden sie nur noch einen Bruchteil ihrer Beschäftigten brauchen.

Der hier gepiqte Blogger geht davon aus, dass Frankfurt (das sich derzeit noch eine Welle von Brexit-Umsiedlern auf sich zukommen wähnt) etwa 2/3 seiner Finanz-Jobs verlieren wird. Man wird sich dort zwischen den dann leer stehenden Banktürmen sehr warm anziehen müssen.

Eben bin ich über die Jahrespräsentation der Sparkasse Köln/Bonn gestolpert, die schön illustriert, wohin die Reise geht: Sparkassenkunden haben im Durchschnitt einmal im Jahr ihre Filiale aufgesucht und sich zweimal beim Callcenter gemeldet. In der Internetfiliale waren sie 120-mal und ihre mobile App haben sie 192-mal benutzt. Nachzulesen hier, auf Seite 36. Den menschlichen Kontakt suchen wir anscheinend nicht mehr in der Bankfiliale. Die Zeiten ändern sich sehr schnell.

Streit um die Essener Tafel: Wie Flüchtlinge und Bedürftige zu Konkurrenten werden

piqer:
Alexandra Rojkov

Seit Wochen tobt die Debatte: Die Entscheidung der Essener Tafel, vorerst keine Migranten mehr aufzunehmen, spaltet das Land. Die einen beschimpfen Jörg Sartor, den Chef der Tafel, als Nazi. Andere loben seinen „Mut“.

Die New York Times hat der Kontroverse um die Essener Tafel nun einen Artikel gewidmet. Korrespondentin Katrin Bennhold lässt darin nicht nur Betroffene und Verantwortliche zu Wort kommen. Sie zeigt, welche Probleme entstehen können, wenn Flüchtlinge und Bedürftige plötzlich zu Konkurrenten werden. Das gilt nicht nur für die Produkte der Tafel, sondern zum Beispiel auch für bezahlbaren Wohnraum.

Es sind oft ärmere Stadtteile, die die Zuwanderung am meisten spüren. Gleichzeitig, so sagt es ein Essener Lokalpolitiker, käme die Kritik an der Essener Entscheidung oft von Menschen, die wenig mit Flüchtlingen zu tun hätten.

Wie entlastet man Orte und Stadtteile, die ohnehin viele Schwierigkeiten haben? Wie schafft man es, dass sich Abgehängte nicht noch abgehängter fühlen? Der Artikel kann keine Antworten geben, wirft aber wichtige Fragen auf.

Sind die Klimaziele von Paris eigentlich noch erreichbar?

piqer:
Ralph Diermann

Auf der Klimakonferenz von Paris hat die Welt beschlossen, die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen. Als Zielmarke wurden 1,5 Grad ausgegeben. Ist dieses Ziel realistisch? Und wenn ja – was muss passieren, um es zu erreichen?

Diese Fragen beantwortet Christopher Schrader in einem, nun ja, deprimierenden Beitrag für „Spektrum der Wissenschaft“. Dazu hat der Wissenschaftsjournalist einen noch nicht offiziell veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats IPCC sowie einige Studien ausgewertet. Vereinfachend zusammengefasst: Es sieht schlecht aus. Selbst wenn alle Staaten ihre CO2-Ziele erreichen, wird die Temperatur bis 2100 um mindestens 3,2 Grad steigen.

Basis dieser Zahlen ist das globale Kohlenstoffbudget – also die CO2-Menge, die wir noch ausstoßen dürfen, um das 1,5- oder das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Ist es erschöpft, bleiben zwei – beides nicht sehr realistische – Möglichkeiten: Entweder darf danach nicht ein einziges Gramm CO2 mehr ausgestoßen werden. Oder sämtliche Emissionen werden aus der Atmosphäre zurückgeholt (wofür es bislang aber noch keine im großen Stil einsetzbaren Technologien gibt).

Unter der Annahme, dass die CO2-Emissionen bis dahin auf heutigem Niveau stagnieren, ist das Budget laut IPCC bereits 2026 erschöpft, wenn das 1,5-Grad-Ziel mit 66 % Wahrscheinlichkeit eingehalten werden soll. Nur wenig mehr Zeit bleibt beim 2-Grad-Ziel: Hier ist es bei gleichen Annahmen Anfang der Vierziger Jahre so weit.

All das läuft auf eine simple Folgerung hinaus: Wir müssen die CO2-Emissionen so schnell wie möglich viel drastischer als bislang geplant reduzieren. Realistisch?

Die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, setzt rapide, weitreichende Veränderungen voraus. Zurzeit ist der politische Wille dazu nicht besonders erkennbar.

kommentiert Schrader. Einen Hauch optimistischer ist er, was das Grad-Ziel betrifft. Allerdings:

Es setzt einen radikalen Wandel in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik innerhalb der kommenden beiden Jahrzehnte (…) voraus.

Interview: Ökonom Guy Standing über Selbstausbeutung und den Terror der Ökonomie

piqer:
Marcus Ertle

Wer angesichts der Start-up-Euphorie immer schon skeptisch war und das Gefühl hat, dass die Gesellschaft zunehmend ökonomisiert wird – der wird sich nach diesem Interview bestätigt fühlen. Der Wirtschaftswissenschaftler Guy Standing blickt kritisch auf ein System, in dem die Menschen zunehmend zu Prekariats-Unternehmern werden, die ganz auf sich gestellt sind und heute nicht wissen, ob sie nächsten Monat die Miete zahlen können.

Wer glaubt, dass dieses Prekariat vor allem aus arbeitslosen Geisteswissenschaftlern und Schulabbrechern besteht, der dürfte, glaubt man Standing, in den nächsten Jahren brutal ernüchtert werden. Denn der Terror der Ökonomie hat System und Widerstand wird zur Pflicht.

Um jeden Preis? Supermärkte und ihre Lieferanten

piqer:
Ali Aslan Gümüsay

Der Wirtschaftsteil der ZEIT zeichnet sich durch eine sozio-politische Sicht aufs Wirtschaften aus. So auch in diesem Artikel über die Marktmacht von Supermärkten gegenüber Lieferanten. Aufhänger sind die Konsequenzen der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka. Sigmar Gabriel hatte sich mit einer Ministererlaubnis 2016 über das Bundeskartellamt hinweggesetzt. Ziel sei es, so Arbeitsplätze zu sichern. Die Monopolkommission trat darauf geschlossen zurück.

Der Artikel beschreibt, wie Edeka (und andere) gewonnene Marktmacht gegenüber Lieferanten einsetzt. Es werden Praktiken wie Nachverhandlungen von Preisen und große finanzielle Beteiligungen an Promotionen beschrieben. Es gelte grundsätzlich, so ein Manager: Je stärker die Marke des Herstellers, desto besser sei seine Verhandlungsposition.

Daher wird das Problem für Lieferanten akuter, weil immer mehr Eigenmarken in Supermärkten verkauft werden. Die Lieferanten sind dabei im Grunde austauschbar.

In Sachen Qualität ist das ein zweischneidiges Schwert. Einerseits setzten die Supermärkte klare Vorschriften und somit gewisse Standards. Andererseits herrscht ein Preiskampf ums Ziel, nur diese Vorschriften (nicht weniger, aber eben auch nicht mehr) zu erfüllen.

Auf Lieferantenseite hat dieses ebenfalls eine zunehmende Konzentration zufolge, sodass vermehrt Konzerne mit Konzernen verhandeln. Kleine und regionale Lieferanten werden dadurch immer weniger, weil sie im Preiskampf nicht mithalten können. Wir Endkunden müssen uns freilich fragen, ob wir das wollen, oder vielleicht doch lieber den ‚beschwerlichen’ Fußweg zum nächstliegenden Wochenmarkt antreten. Auch Bequemlichkeit hat ihren (versteckten) Preis.

Deutsche Waffen für die Welt – verhindert die Rüstungslobby schärfere Exportregeln?

piqer:
Hauke Friederichs

Ob in Syrien, im Jemen oder im Irak: Bei fast allen Konflikten kommen weltweit deutsche Waffen zum Einsatz. So rollen beispielsweise türkische Leopard-2-Panzer in die von Kurden kontrollierten Gebiete ein, die aus der Bundesrepublik stammen und überwiegend einst der Bundeswehr gehörten. Solche Exporte sind immer hoch politisch, denn keine Waffe und kein Rüstungsgut darf Deutschland verlassen, ohne dass die Bundesregierung der Ausfuhr zugestimmt hat.

Die Große Koalition hatte bei den Sondierungsgesprächen schärfere Regeln für Rüstungsexporte beschlossen: „Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemenkrieg beteiligt sind“. Gegen den Willen von weiten Teilen der CDU und CSU hatte die SPD sich hier durchgesetzt. Von einem „Achtungserfolg für Rolf Mützenich, der diesen Satz auch gegen den Widerstand von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Verhandlungen durchgesetzt hatte“, schreibt Markus Bickel in „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Und weiter:

Doch die Freude bei Mützenich und anderen Rüstungskritikern währte nur kurz. Zu groß war der Widerstand seitens der Waffenindustrie, die unmittelbar nach Bekanntwerden des Sondierungsbeschlusses ihre Reihen schloss. Vehement sprach sich der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) Ende Januar gegen ‚die nun angekündigten deutschen Sonderwege für einzelne Länder‘ aus – und verlangte, dass der Koalitionsvertrag ’noch deutlich über die Sondierungsergebnisse hinausgreift und ‚abgerundet‘ wird‘.

So wurde die Formulierung im Koalitionsvertrag abgeschwächt: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind“, heißt es nun. Was heißt hier unmittelbar? Interpretationsspielraum wurde so geschaffen. Jordanien, Bahrain, Kuweit und Marokko dürften weiter deutsche Rüstungsgüter erhalten, obwohl sie zu der Militärkoalition gehören, die im Jemen Krieg führt.

Alterung der Gesellschaft verstärkt ökonomische Effekte der Digitalisierung

piqer:
Ole Wintermann

Dystopien sind scheinbar untrennbar mit der Zukunft der Arbeit, der Künstlichen Intelligenz (KI) und Robotik verbunden. Ein Beitrag im Harvard Business Review toppt diese düsteren Zukunftsaussichten noch. Durch Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen Digitalisierung und Alterung der Gesellschaft tritt ein weiterer negativer Aspekt hinzu: Soziale Ungleichheit in Folge ungleicher Verteilung des Besitzes von KI und Arbeit sowie dem durch die Alterung bedingten Nachfrageausfall.

Die Autorinnen des Textes gehen davon aus, dass durch das Zusammentreffen dieser Faktoren in 10 bis 15 Jahren mit einem dramatischen ökonomischen Einbruch und sozialen Spannungen zu rechnen ist. Alterung führt in den nächsten Jahren zu Fachkräftemangel und infolgedessen zu erhöhten Investitionsanstregungen (c.p.) in KI. Der Mehrumfang an Investitionen und die Beschäftigungswirkungen vermögen eine Weile, den KI-induzierten Beschäftigungsrückgang abzumildern. Irgendwann jedoch kippt dieser Mechanismus; der Übertritt in die Rente sowie der dazukommende Kaufkraftverlust durch die sinkende Beschäftigung konterkariert die Investitionen und lässt den Anlagenwert fallen. Gleichzeitig bekommen die immer weniger werdenden menschlichen Arbeitskräfte deutlich höherer Gehälter, so dass die Einkommensungleichheit steigt.

Leider begehen die Autorinnen den Fehler davon auszugehen, dass die in vielen westlichen Ländern zu beobachtende Alterung und Schrumpfung sowohl vom Ausmaß her als auch bezüglich des zeitlichen Eintretens im Gleichschritt verläuft. Ein kurzer Blick auf die demografischen Dynamiken in Asien und Afrika, die sich sowohl von den westlichen als auch untereinander unterscheiden, hätte gezeigt, dass das Ergebnis der Überlegungen nicht ganz so eindeutig sein kann wie dargestellt.

Klingeln an AfD-Türen: „In die Räume der politischen Verlassenheit zurückzukehren“

piqer:
Christian Huberts

Organisiert vom Think Tank Progressives Zentrum und finanziert durch das Auswärtige Amt ist im Jahr 2017 die Studie „Rückkehr zu den politisch Verlassenen“ entstanden. Das Forscherteam um den Politikberater Johannes Hillje hat dabei an 5.000 Türen in deutschen und französischen Regionen geklingelt, in denen die Lebenswelten besonders prekär sind und die Wählergunst bei rechtspopulistischen Parteien liegt. Die Ergebnisse der rund 500 erfolgreichen Befragungen stellt Hillje in einem Interview mit Zeit Online vor. Ein paar Schlaglichter.

Die Narrative von Rechtspopulisten spiegeln sich kaum wieder:

Wir haben sehr viele populistische Narrative überhaupt nicht gehört, wenn wir die Menschen nach ihren Wahrnehmungen gefragt haben. Es gab kaum Angst vor Überfremdung oder vor Islamisierung, fast keine pauschale Kritik an den Medien oder Skepsis gegenüber Europa. Europa wurde oftmals als Teil der Lösung wahrgenommen, nicht als Problem. Wir konnten auch keine Sehnsucht nach einer stärkeren nationalen Identität feststellen.

Dennoch fühlen sich die befragten Menschen politisch Verlassen:

Wir haben oft gehört: Die Politiker seien unehrlich und es gebe eine zu große Nähe zu Lobbyisten. Sie wünschen sich, dass Politikergehälter gekürzt werden. Außerdem haben viele gesagt, die Politiker seien bürgerfern. Die Bundesregierung sei auf der ganzen Welt aktiv, kümmere sich aber nicht um die Probleme vor Ort in Deutschland. […] Es ist ein Gefühl des Verlassenseins von politischer Repräsentation.

Auch wenn es sich mehr um einen Impuls als um harte Fakten handelt, gibt die Studie doch einige kluge Handlungsvorschläge an die Politik:

Sorgen ernst nehmen ist gut, in die Räume der politischen Verlassenheit zurückzukehren, ist besser. Die Politik muss die eben genannten Pauschalisierungen entkräften. Indem sie transparenter wird. Indem sie mit Hilfe von Kommunen und Städten den Menschen Infrastruktur zurückgibt. Und indem sich Parteien wieder vor Ort zivilgesellschaftlich nützlich machen.