Fremde Federn

(K)ein Lithiumrausch im Erzgebirge, Klimakonferenz, Piketty

Diese Woche gibt es in den Fremden Federn unter anderem einen Hoffnungsschimmer für eine alte Bergbauregion, eine alternative Sichtweise auf die „Klimaflüchtlinge“ und eine dystopische Vision für das Internet.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Macron, übernehmen Sie!

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Eric Bonse

Noch ist Angela Merkel Kanzlerin. Aber ist sie auch noch die  „Führerin“ Europas? Spätestens seit dem Zusammenbruch der Jamaika-Gespräche muss man daran zweifeln. Denn von Berlin gehen keine Impulse mehr für die EU-Politik aus; in den Koalitionsverhandlungen spielte sie nur eine Nebenrolle.

Das sorgt für Unruhe in Paris. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron setzte auf Merkel und auf eine neue Große Koalition, um seine eigenen Pläne für eine große EU- und Euro-Reform voranzubringen. Beide Hoffnungsträger haben ihn nun hängen lassen, der Zeitplan gerät durcheinander.

Doch gleichzeitig ist Macrons Horror-Szenario ausgeblieben: Die FDP übernimmt nicht das deutsche Finanzministerium, Christian Lindner kann nicht alles blockieren. Deshalb denkt man nun in Paris darüber nach, ob Macron nicht erneut die Initiative ergreifen sollte:

The most optimistic among French diplomats and officials, who for now are a minority, believe Macron should seize the moment. “There’s a vacuum. He should embark on a few trips abroad and show that he’s still determined. Basic idea: There’s a new European leader in town,” one said. “Give a big speech to the European Parliament, make trips to Spain and Italy to show at last that he knows those two countries do count in Europe.”

Klingt doch gut, oder? Auf Merkel kann man derzeit jedenfalls nicht zählen…

Europas zynisches, milliardenschweres Geschäft mit der Milch

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Dirk Liesemer

Andreas Pichler hat einen inhaltlich starken, clever komponierten Dokumentarfilm über die europäische Milchwirtschaft gedreht. Wer bis jetzt Billigmilch gekauft hat, wird innehalten. Sein Film ist ein Appell, das Konsumverhalten zu überdenken. Gezeigt wird, wie massive Subventionen und Freihandelsverträge ein absurdes System hervorgebracht haben: Oben ist eine mächtige Industrie entstanden, die nicht nur die Milchpreise drückt, sondern auch mit immer neuen Produkten ferne Märkte erschließt (etwa in Afrika, wo gleichzeitig die dortigen Milchwirtschaften zerstört werden, was wiederum zu Fluchtbewegungen führt). Unten sind Bauern, die nur noch aufgrund der EU-Zuwendungen überleben (falls sie nicht, wie in Frankreich, zu hunderten Selbstmord begehen).

Im Film sieht man den konventionell produzierenden Bauern die Verzweiflung an und hört fassungslos ihre zynischen, aber nachvollziehbaren Sprüche. Sie sind längst Gefangene eines Systems, von dem auch sie früher oder später noch verdaut werden. All das kann depressiv machen und ein Stück weit sollte es das auch, aber Andreas Pichler zeigt darüber hinaus einen Ausweg aus der Misere: eine ökologische, kleinbäuerliche Landwirtschaft. Mit einer solchen ließe sich laut UNO und Weltbank sogar eine noch viel größere Weltbevölkerung ernähren.

Der Film steht bis zum 19. Februar 2018 auf arte.tv.

Das Erzgebirge könnte wieder (ein bisschen) Bergbauregion werden

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Rico Grimm

Anfang der 1990er Jahre endete die mehr als 500 Jahre alte Bergbautradition des sächsischen Erzgebirges – aber in den nächsten Jahren könnte sie wieder beginnen. Denn das Gestein in der Region Altenberg enthält Lithium, den wichtigsten Rohtoff für Batterien und damit für eine etwaige Verkehrswende hin zu mehr Elektroautos. Der Preis von Lithium kennt – getragen von den E-Auto-Fantasien – in den letzten Monaten nur eine Richtung, nach oben.

Entsprechend wertvoll sind die Vorkommen. Die Firma, die sie sich im Erzgebirge gesichert hat, schätzt, dass das Lithium darin für bis zu 10 Millionen Fahrzeuge reichen könnte. Beginnt jetzt also ein neuer Gold-, pardon Lithiumrausch in der Region? Nöö. Denn die Region empfängt mehrere Hunderttausend Touristen jedes Jahr, 2.000 Menschen arbeiten in der Tourismus-Branche. Im Bergbau werden es vielleicht 150 sein – der läuft heute größtenteils automatisiert ab.

Arbeit neu denken

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Ali Aslan Gümüsay

Die Zeitschrift Nature hat sich intensiv der Zukunft der Arbeit gewidmet. In der Einführung heißt es, dass laut einer Schätzung des World Economic Forum 65% aller Kinder, die gerade in die Grundschule kommen, Jobs in der Zukunft wahrnehmen werden, die es heute noch nicht gibt.

Emily Anthes beschreibt darauf (etwas sprunghaft) drei Wege, wie eine digitale Revolution Arbeit prägen wird. Erstens werden Roboter nicht einfach Menschen ersetzen, sondern verstärkt neben ihnen arbeiten. Zweitens werden scheinbar autonome und flexible Arbeitskräfte neue Wege der Kollaboration finden – und somit, würde ich hinzufügen, die Grenzen von Unternehmen noch mehr verschwimmen lassen. Drittens, digitale Fähigkeiten und Fertigkeiten sind mehr als nur eine technische Herausforderung.

Robert C. Allen blickt zurück, um nach vorne zu schauen und erklärt, dass Auswirkungen von technologischem Fortschritt vielfältig waren und kontextabhängig sind.

Yuval Noah Harari schreibt, dass Roboter vielseitig Menschen ersetzen werden, selbst wenn Menschen vereinzelt (noch) besser wären und dass dieser Austausch jeweils abrupt zu kommen vermag. Man denke hier nur an selbstfahrende Autos. Er fordert die (konzeptionelle) Entwicklung einer post-Arbeit Ökonomie, Gesellschaft und politischer Systeme.

Zuletzt der verlinkte Artikel von Ian Goldin, der auf die größer werdende Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich verweist, und bei all dem individuellen Erfolg vor einem kollektiven Kollaps warnt. Er schreibt, dass Technologie einer der Faktoren für steigende Ungerechtigkeit ist. Das stimmt natürlich nicht ganz: es ist unser Umgang mit Technologie. Er fordert richtig, dass wir unsere Einstellungen gegenüber Arbeit überdenken müssen:

„We need to remove the stigmas associated with part-time employment, retirement and volunteer work. We should nurture a greater respect and pay for creative, caring and home-based activities.”

Ja!

Was von der Klimakonferenz 2017 zu halten ist

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Nick Reimer

Der Deutschlandfunk betitelt seine Bilanz der diesjährigen, 23. „Conference of the Parties“ – der COP 23 – so: „Die Stunde der Buchhalter“. Denn in Bonn ging es in diesem Jahr vorrangig um das Kleingedruckte, also um die „Klimabürokratie“. Vor zwei Jahren hatten sich die 195  Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention auf einen neuen Welklimavertrag geeinigt, das Paris-Protokoll. Dabei blieben aber viele wichtige Details offen, etwa wie die Klimapläne der Vertragsstaaten vergleichbar werden oder wie die von den Industriesstaaten zugesagten 100 Milliarden Dollar zu definieren sind, die ab 2020 in den globalen Süden fließen sollen.

Prof. Niklas Höhne vom NewClimate Institute urteilt:

Die Konferenz hat das Pflichtprogramm mit Erfolg absolviert. Es ging darum, das Regelwerk weiter voran zu treiben, so dass es in einem Jahr verabschiedet werden kann. Das reicht aber bei weitem nicht aus, das Klima wirklich zu schützen. Ein bisschen ist passiert, aber leider noch viel zu wenig.

Der Deutschlandfunk selbst urteilt: Ein kleiner Schritt voran. Das Fidschi-Momentum zur Umsetzung im Klimaschutz enthält einen Arbeitsplan für das nächste Jahr – unter anderem sollen die Staaten einen Dialog aufnehmen über höhere Ambitionen im Klimaschutz – und Grundlagen für das Regelbuch des Pariser Abkommens.

Zudem gab es eine Einigung über den unter dem Dach des Kyoto-Protokolls eingerichteten Anpassungsfonds: Der soll künftig auch unter dem Pariser Klimaabkommen weiter geführt werden. Das Kyoto-Protokoll läuft noch bis 2020, von da an greifen die Regeln des Pariser Abkommens.

In der Sendung „Wissenschaft im Brennpunkt“ diskutiert Niklas Höhne mit dem Deutschlandfunk-Klimareporter Georg Ehring über die Resultate der zweiwöchigen Veranstaltung. Vorbildlich jedenfalls: Die in Bonn verkündete Allianz von Staaten, die bis zum Jahr 2030 komplett aus der Kohleverstromung austeigen wollen. Großbritannien ist dabei, Kanada, Belgien, Frankreich und Italien sind dabei, Deutschland gehört jedoch nicht dazu.

Neue Kritik an Pikettys Werk – dieses Mal an den Daten

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Rico Grimm

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich über zwei Forscher geschrieben, die sich mit Piketty kritisch beschäftigten. Der eine scheint ins Schwarze getroffen zu haben, der andere noch nicht einmal in Pikettys Buch hineingeschaut zu haben. Das ist bei den beiden Studien, die ich euch heute empfehlen will, anders.

Da ist zum einen die Kritik von Richard Sutch, die der Journalist Patrick Bernau in der FAZ so zusammenfasst:

Piketty peile zu viele Zahlen über den Daumen, und zwar mit unklaren Annahmen. Wenn ihm Daten fehlten, zeichne er gelegentlich einfach eine gerade Linie in seine Grafiken. Auf diese Weise gingen wichtige Ungleichheitstrends unter – zum Beispiel, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in Amerika der Vermögensanteil der Reichen gesunken und später wieder gestiegen sei. Solche Details seien aber wichtig, um Politikmaßnahmen einzuschätzen.

Da ist zum anderen die Arbeit einer Gruppe US-Forscher, die glauben, dass Pikettys zentrale These nicht stimmt:

Have passive rentiers replaced the working rich at the top of the U.S. income distribution? Using administrative data linking 10 million firms to their owners, this paper shows that private business owners who actively manage their firms are key for top income inequality.

(Diese Studie habe ich im Blog von Tyler Cowen gefunden, immer sehr empfehlenswert!)

Warum klimabedingte Migration nicht unbedingt schlecht sein muss

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J. Olaf Kleist

Das Zukunftsthema der Flüchtlings- und Migrationspolitik sind die sogenannten „Klimaflüchtlinge“. Ich habe schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass es „Klimaflüchtlinge“ nicht gibt. Zum einen sind es oft  nicht das Klima oder durch dessen Änderungen ausgelöste Naturphänomene, die zu Vertreibungen führen, sondern die sozio-politischen Reaktionen darauf (z.B. Konflikte um knappe Ressourcen), die zu Vertreibungen führen, zum anderen sind Naturkatastrophen keine Vertreibungsgründe, die laut Genfer Flüchtlingskonvention aus Flüchtenden Flüchtlinge machen. Doch sehen wir vermehrt Migration nach Naturkatastrophen und -veränderungen – und damit politische und rechtliche Grauzonen für die Betroffenen, da die Instrumente der Flüchtlingspolitik hier (nicht immer) greifen.

Nicht alle Konsequenzen aus dem Klimawandel führen zu Migration oder zu den gleichen Arten von Migration, wie diese hilfreichen Grafiken des Think Tanks Overseas Development Instituts zeigen. Anpassung an die neuen Bedingungen oder zirkuläre Migration können ebenso Strategien sein wie Flucht, mit denen Betroffene auf Klima bedingte Gefahren reagieren.

Migration kann in vielen Fällen zu einer erhöhten Gefährdung der Flüchtenden führen. Migration darf aber nicht nur als Bedrohung verstanden werden – sondern ist eben auch oft eine Lösung. Allzu oft werden Szenarien von Massenflucht durch Klimawandel projiziert, die ein Sicherheitsrisiko seien und daher verhindert werden müssten. Erst durch Migration können sich viele durch Klimawandel Betroffene in Sicherheit bringen. Die AutorInnen des Berichts, der hinter den Grafiken steckt, rufen daher auf, die Komplexität des Zusammenhangs zwischen Klima und Migration ernst zu nehmen und Strategien zu entwickeln, die in Notfällen auch eine sichere Migration für Betroffene ermöglichen. Angesichts zunehmender Relevanz des Themas muss die Internationale Gemeinschaft beginnen, klimabedingte Migration als Lösungsansatz zu verstehen anstatt als Bedrohungsszenario.

Das Internet der Zukunft: Alles in den Händen von Google, Facebook und Amazon?

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Magdalena Taube

Der Programmierer André Staltz entwirft in diesem Beitrag eine dystopische Vision für das Internet: Das Trinet. Betrieben wird es von Google, Amazon und Facebook. Hier ist das Internet kein Netz der Netzwerke mehr, sondern eine technische Infrastruktur, die von drei Anbietern betrieben wird, die eine komplette Produktpalette anbieten. Zugang zum „freien Netz“ gibt es für den normalen User nicht mehr – der Datenvertrag lässt nur noch die Nutzung bestimmter Dienste zu (in Portugal ist das bereits Realität, hier wird das Netz in „Paketen“ angeboten, genau wie Kabelfernsehen). Über Netzneutralität braucht man in diesem Szenario gar nicht mehr zu sprechen. Ziemlich düstere Aussichten.