Analyse

Wird die Zinswende Schuldenkrisen auslösen?

Angesichts des momentanen weltweiten Aufschwungs ist zu erwarten, dass die Zinsen bald wieder steigen werden – was einige fortgeschrittene Volkswirtschaften angesichts ihrer hohen Schulden auf den ersten Blick vor erhebliche Probleme stellen könnte. Allerdings gibt es auch gute Gründe, warum man nicht übermäßig besorgt sein muss. Eine Analyse von Olivier Blanchard und Jeromin Zettelmeyer.

Flugshow über Rom: Wie problematisch wäre eine steigende Zinskurve für Italien? Foto: Pixabay

Seit einigen Quartalen produziert die Weltwirtschaft nun schon überwiegend positive Konjunkturnachrichten. Es scheint so, als würden wir gerade eine breitangelegte Erholung erleben, und zum ersten Mal seit 2010 scheint diese alle großen Regionen der Welt zu umfassen.

Sicherlich gibt es kurzfristig noch einige offene Fragen und Herausforderungen: Wie schnell wird sich der Erholungsprozess wieder verlangsamen? Wie und wann sollte der (geld-)politische Stimulus, der diese Erholung gestützt hat, zurückgefahren werden?

Aber diese Herausforderungen sind eher gutartiger Natur und erscheinen lösbar. Allerdings gibt es am Horizont bereits einige neue Risiken. Diese ergeben sich aus der Wechselwirkung von Altlasten der Krise und der Unsicherheit darüber, was das neue ökonomische „new normal“ sein könnte. Dazu zählen vor allem vier Punkte:

  • In Folge der Krise und des schwachen Wirtschaftswachstums sind die öffentlichen Schulden in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften auf den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg gestiegen.
  • Das Produktivitätswachstum, und mit ihm das Potenzialwachstum, hat sich abgeschwächt. Es ist noch unklar, ob es künftig wieder steigen wird.
  • Es ist zu erwarten, dass die Zinsen nicht auf ihrem niedrigen Niveau verbleiben und wieder steigen werden. Um wie viel und in welchem Tempo ist ebenfalls unklar.
  • In vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften gibt es starke populistische Bewegungen (oder sogar Regierungen), die eine riskante makroökonomische Politik unterstützen (wie z. B. einen Euro-Austritt oder Protektionismus).

Zusammen ergeben diese vier Punkte einen gefährlichen Cocktail. Nehmen wir einmal an, dass die Zinsen deutlich steigen. In Kombination mit schwachem Wachstum, hohen Schulden und populistischem Druck wäre dies nach allgemeiner Lesart ein Rezept für eine neue Schuldenkrise.

Aber ist dieses allgemeine Gefühl des Unbehagens tatsächlich gerechtfertigt? Wenn man die Dinge durchdenkt und sich anschaut, wo sich eine solche Schuldenkrise entfalten könnte, dann gibt es zwei Gründe, warum man nicht übermäßig besorgt sein muss. Der erste Grund basiert auf Empirie, der zweite auf ökonomischen Prinzipien.

Die Fälligkeitsstruktur der Staatsschulden

Zum ersten Grund: Die meisten Regierungen werden Zeit haben, sich den steigenden Zinsen anzupassen – teilweise deswegen, weil sich der Zinsanstieg langsam vollziehen dürfte, vor allem aber aufgrund der Fälligkeitsstruktur der Staatsschulden in fortgeschrittenen Ländern. Diese Fälligkeitsstruktur bestimmt, wie schnell sich ein Zinsanstieg in einen Anstieg der Zinszahlungen von Regierungen übersetzt. Und viele Länder haben die lange Niedrigzinsphase genutzt, um die Fälligkeitsstruktur ihrer Schulden zu verlängern.

Dies lässt sich sehr konkret an den Beispielen Japan und Italien zeigen. Sogar Japan, dass in Relation zum Bruttoinlandsprodukt weltweit die höchsten Schulden hat, muss 2017 nur 30% und bis Ende 2018 insgesamt nur 50% seiner Verbindlichkeiten bedienen, wie der folgende Chart zeigt:

Quelle: Bloomberg, Stand: Juni 2017

Das impliziert, dass die direkten Effekte auf den japanischen Staatshaushalt zu Beginn der Zinswende begrenzt wären. Wenn beispielsweise im ersten Jahr Schulden in Höhe von 30% des BIP refinanziert werden müssen, dann führt selbst ein starker Zinsanstieg von 200 Basispunkten binnen eines Jahres nur zu einem Anstieg der Zinszahlungen in Höhe von 0,6% des BIP, und um 1% binnen zwei Jahren.

Für Italien, das allgemein als das große Sorgenkind der Eurozone wahrgenommen wird, sehen die Zahlen sogar noch besser aus: Wie ebenfalls aus dem obigen Chart hervorgeht, werden 2017 nur Schulden in Höhe von 10% des BIP fällig, bis Ende 2018 sind es 24%. Natürlich macht das Haushaltsanpassungen erforderlich – aber die Fälligkeitsstruktur gibt den Regierungen Japans und Italiens Zeit, um Konsolidierungspläne zu entwickeln.

Steigende Zinsen, anziehendes Wachstum

Damit kommen wir zum zweiten Grund, warum ein Zinsanstieg nicht sonderlich besorgniserregend wäre: Die Ursache für die steigenden Zinsen dürfte darin liegen, dass das Wachstum selbst anspringt. Es ist schwer vorstellbar, dass ein wirtschaftlicher Erholungsprozess sich selbst in eine Schuldenkrise übersetzt – auch dann nicht, wenn die Zinsen schnell steigen sollten. Steigende Zinsen wären lediglich das Gegenstück eines steigenden nominalen Outputs, der tendenziell zu einer Reduzierung der Schuldenquote führen würde.

Und auch die langfristige Schuldentragfähigkeit sollte nicht negativ beeinträchtigt werden: Ein zyklischer Aufschwung dürfte nicht dabei helfen, das langfristige Potenzialwachstum zu steigern – und somit auch nicht die langfristigen Zinserwartungen erhöhen. Damit ein globaler Aufschwung eine Schuldenkrise verursachen kann, müsste diese Krise das Resultat einer zunehmenden Verschuldung der Regierungen sein, die nicht durch ein anhaltendes Wirtschaftswachstum wettgemacht wird.

Sollte sich die Schuldentragfähigkeit jedoch tatsächlich verschlechtern, dann würden die eben genannten Argumente wenig Grund zur Beruhigung geben. Die Investoren könnten das Vertrauen verlieren, die Risikoaufschläge stark ansteigen. Im Extremfall könnte ein Land seinen Marktzugang verlieren und/oder eine Währungskrise erleben.

Sind konkrete Szenarien vorstellbar, die diese Eigenschaften haben? Ja. Sind sie zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich? Nein. Um dies zu erklären konzentrieren wir uns erneut auf Japan und Italien, schließlich haben diese beiden Länder die höchsten Staatsschulden und Refinanzierungszwänge. Außerdem repräsentieren sie die zweit- bzw. drittgrößten Anleihemärkte der Welt (Platz 1 belegen die USA).

Der Fall Japan

Es ist allseits bekannt, dass die japanischen Staatsschulden „unsustainable on current policies“ sind, wie es der Internationale Währungsfonds ausdrückt. Das ist schon seit einer gewissen Zeit so. Japans Primärdefizit liegt bei knapp 4% des BIP und die Bruttostaatsschulden übersteigen 200% des BIP. Sogar die Netto-Schulden, die von der öffentlichen Hand gehaltene Sicherheiten ausklammern und die Einlagen des Staates sowie Reserveguthaben abziehen, liegen immer noch bei 120% des BIP. Zudem sind sowohl die japanische Arbeitslosenquote als auch das prognostizierte Potenzialwachstum niedrig, weshalb der Spielraum für ein dauerhaft höheres Wachstum gering ist.

Dennoch zählen die Zinsen für japanische Staatsanleihen zu den niedrigsten weltweit. Der – ebenfalls allseits bekannte – Grund dafür ist, dass der beständige Fluss japanischer Ersparnisse und eine starke heimische Ausrichtung der Portfolios eine stabile Nachfrage für diese Anleihen geschaffen hat. Fast 90% der japanischen Staatsanleihen werden im Inland gehalten, von Geschäftsbanken, Pensionsfunds und in der letzten Zeit auch von der Bank von Japan (BoJ), der japanischen Zentralbank.

Gleichzeitig zeigen Schätzungen, dass das Angebot an Staatsanleihen etwa ab Mitte der 2020er Jahre die heimische Nachfrage übertreffen wird, falls es in der Zwischenzeit keine nennenswerte Haushaltsanpassung gibt. Diese Lücke wird zunehmend von ausländischen Investoren geschlossen werden müssen, die höchstwahrscheinlich höhere Risikoaufschläge verlangen werden.

Aber die japanische Zinskurve spiegelt diese Erwartung bislang nicht wider. Die Rendite für 10-jährige Anleihen liegt fast bei 0%. Sogar 20-jährige Anleihen rentieren gerade einmal mit 0,5%. Warum? Vermutlich deswegen, weil die Investoren glauben, dass die japanische Regierung schon irgendeinen Weg finden wird, um ihr Primärdefizit schrittweise zu eliminieren. Da die Bank von Japan mittlerweile Staatsschulden im Wert von über 70% des BIP hält, ist es verlockend zu denken (oder zu hoffen), dass eine „bond burning“-Operation durch die Zentralbank (oder diskreter: in Form einer Restrukturierung der Bonds in Nullzinsanleihen mit unbegrenzter Laufzeit) dabei helfen könnte, Japans Haushaltsprobleme zu lösen.

Eine „bond burning“-Operation der japanischen Zentralbank würde die Schuldendienstkosten des japanischen Staates nicht verringern

Allerdings unterliegt diese Annahme einem Denkfehler – denn die Bank of Japan gehört der japanischen Regierung, und wenn die BoJ die Schulden der Regierung überlässt, dann steckt sich die Regierung das Geld nur von der einen in die andere Tasche. Mit anderen Worten: Ein „bond burning“ der Zentralbank würde nicht die gemeinsamen Schuldendienstkosten der öffentlichen Hand verändern, die aus den Zinsen bestehen, die Halter von Staatsanleihen außerhalb des öffentlichen Sektors bekommen, und aus den Zinsen, die die BoJ für hochdotierte Mindestreserven zahlt.

Nehmen wir nun an, dass die Investoren anfangen zu zweifeln und einen höheren Aufschlag verlangen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn ihnen klar wird, dass die Regierung nicht wirklich die Absicht hat, den Schuldenstand zu stabilisieren oder dies einfach nicht möglich ist, weil die erforderliche Erhöhung der Steuereinnahmen (oder die Reduzierung der Ausgaben) zu groß ist, um politisch machbar zu sein. Dies löst eine Flucht aus japanischen Staatsanleihen aus und erhöht die Risikoaufschläge.

Daran schließt sich folgendes Szenario an: Aus Angst vor den Folgen des Zinsanstiegs für den Staatshaushalt interveniert die BoJ und begrenzt den Anstieg, indem sie noch mehr Staatsanleihen aufkauft. Das führt zu einem Anstieg der Einlagen bei den Banken und wiederum zu höheren Reserven, die die Banken bei der BoJ halten. Der Yen wertet in dem Ausmaß ab, in dem ausländische Investoren ihre Bestände verkaufen, was zu einer höheren Inflation führt. Da die Inflation – oder die Inflationserwartungen – steigen, fragen die Banken vermehrt ausländische Assets nach, was wiederum zu einer weiteren Abwertung und zu mehr Inflation führt.

Dieses Szenario ist nicht notwendigerweise schlecht für die japanische Wirtschaft. Eine höhere Inflation reduziert den Realwert der Schulden, und wenn die Regierung ihre Ausgaben nicht eins zu eins mit den steigenden Preisen ausweitet, fällt auch das Primärdefizit. Beides trägt dazu bei, die Schuldentragfähigkeit zu verbessern. Tatsächlich hat einer von uns argumentiert, dass eine höhere (aber kontrollierte) Inflation der beste Weg sein könnte, den Realwert der Schulden zu senken und eine Stabilisierung zu erreichen – und dass es besser wäre, dies zu tun, bevor eine Schuldenkrise die Anpassung erzwingt.

Denn wenn dieser Prozess durch eine Schuldenkrise ausgelöst wird, dürfte er nur schwer zu kontrollieren und mit hoher Inflation, einer starken Abwertung und schweren sozialen, ökonomischen und politischen Kosten verbunden sein – dieses Szenario ist mit Abstand das besorgniserregendste.

Wie erwähnt würde eine „bond burning“-Operation durch die Bank of Japan die Schuldendienstkosten des japanischen Staates nicht verringern. Und der IWF geht davon aus, dass eine kontinuierliche Konsolidierung um 0,5% des BIP pro Jahr bis 2030 erforderlich wäre, um die öffentliche Schuldenquote „auf einen Abwärtspfad zu führen“. Dies entspräche einer Veränderung des Primärsaldos um 7,5% des BIP, was in der Tat eine sehr große Anpassung wäre. Die Inflation dürfte ebenfalls anziehen, wenn die Investoren realisieren, dass die Staatsanleihenkäufe durch die Zentralbank die Gesamtschuld (Regierung plus Zentralbank) nicht verringern, sondern lediglich die Zusammensetzung der Schulden verändern (von langfristigen Anleihen hin zu Geld).

Wenn die Solvenzprobleme bis dahin also nicht gelöst wurden und ein steigender Anteil der Schulden in Form von Geld gehalten wird, dürften die Halter dieser Schulden erwarten, dass die Regierung ihre Solvenz durch eine Abwertung des realen Geldwerts wiederherstellt – was einem Anstieg der Inflation entspricht (ein genaueres Modell dafür, wie eine Haushaltskrise auf diesem Weg gelöst werden kann, hat Ricardo Reis kürzlich beschrieben).

Italien ist nicht Griechenland

Im Falle Italiens ist es einfacher, sich ein Szenario vorzustellen, das eine Haushaltskrise auslösen könnte. Seit geraumer Zeit leidet das Land unter sehr schwachem Wachstum. Die Auswirkungen des schwachen Wachstums auf die Staatsverschuldung waren jedoch begrenzt, da das durchschnittliche Wachstum der Eurozone und die Inflationsrate ebenfalls niedrig waren, was zu einer ultralockeren Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank führte.

Ein anziehendes Wachstum in der Eurozone wird jedoch unvermeidlich zu höheren Zinsen führen. Wenn das italienische Wachstum weiterhin nicht anzieht, könnte dies in Italien eine Lücke zwischen Zinsen und Wachstum öffnen, möglicherweise sogar dauerhaft. Dies wiederum könnte erneut die Sorge auslösen, dass die italienischen Staatsschulden nicht tragfähig sind und die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen deutlich erhöhen. Und anders als Japan kann Italien seine Währung nicht abwerten, was das Gespenst des Staatsbankrotts zurückkehren lässt.

Italien hat einige Fortschritte bei der Sanierung seines Bankensystems gemacht, das während des letzten Jahrzehnts wohl ein Hauptgrund für das schwache Wachstum war

Wie besorgniserregend ist dieses Szenario? Aus rein ökonomischer Sicht weit weniger als es zunächst den Anschein hat, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Es ist durchaus plausibel, dass Italiens Wachstum in der nahen Zukunft zum Eurozonen-Durchschnitt aufschließen wird. Dies ist zum Teil auf die zyklische Position des Landes zurückzuführen (wie Frankreich und Spanien hat Italien immer noch eine erhebliche Output-Lücke, während diese in Deutschland bereits geschlossen ist). Noch viel wichtiger ist, dass Italien einige Fortschritte bei der Sanierung seines Bankensystems gemacht hat, das während des letzten Jahrzehnts wohl ein Hauptgrund für das schwache Wachstum war – und tatsächlich haben die italienischen Wachstumsdaten zuletzt positiv überrascht.

Der zweite Grund: Stellen wir uns ruhig ein Super-GAU-Szenario vor, in dem Italien seinen Marktzugang zu verlieren droht. Grundsätzlich hat die Eurozone die nötigen Instrumente für einen solchen Fall. Vertreter des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der Europäischen Kommission und möglicherweise auch des IWF würden nach Italien reisen, um ein Anpassungsprogramm zu verhandeln. Ein solches Programm würde den Weg für ein OMT-Programm bereiten, also für die große geldpolitische Bazooka, mit der die EZB direkt und unbegrenzt auf dem italienischen Anleihemarkt intervenieren würde. Die kritische Frage sowohl für ausländische Investoren als auch für die stark in heimische Staatsanleihen investierten italienischen Sparer und Banken lautet, ob ein solches Programm eine Restrukturierung der italienischen Schulden erfordern würde.

Die Antwort wird von den Risiken abhängen, die ein solches Programm für die öffentlichen Gläubiger birgt (in diesem Fall sind das der ESM und die EZB). Die Erinnerungen an die Griechenlandkrise von 2010-2012, in der umfängliche Haushaltskonsolidierung zunächst zu einem schweren Konjunktureinbruch und schließlich auch zu einer Schuldenrestrukturierung geführt hat, sind immer noch frisch. Diesen Fehler werden die öffentlichen Gläubiger in Italien nicht wiederholen. Sollte es irgendwelche Zweifel an der Fähigkeit Italiens geben, seine Schuldentragfähigkeit im Rahmen eines normalen Drei-Jahres-Programms zu bewahren (oder wiederherzustellen), würden sie mindestens ein „reprofiling“ – also eine Verlängerung der Laufzeiten der Staatsanleihen – verlangen, um öffentliche Gelder zu schützen.

Allerdings zeigt sich, dass die Anpassung, die Italien machen müsste, um seine Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen, heutzutage um ein vielfaches kleiner ist als das, was Griechenland 2010 tun musste. Sie sind auch kleiner als die Anpassungen, die Japan braucht. Die folgende Abbildung vergleicht die Veränderung des Primärsaldos, die Italiens Schuldenquote auf dem heutigen Stand stabilisieren würde, mit der Anpassung, die Griechenland 2010 stabilisiert hätte, sowie mit der, die Japan heute bräuchte.

Für jedes Land zeigen wir die nötige Haushaltsanpassung für drei unterschiedliche Annahmen zu den langfristigen Realzinsen, zu denen sich die Regierungen refinanzieren können: 1, 2 und 3 Prozent (dies entspricht langfristigen Nominalzinsen von knapp 3, 4 oder 5 Prozent):

Quellen: IWF World Economic Outlook (April 2017), eigene Berechnungen

Unter der Annahme langfristiger realer Refinanzierungskosten von 2% und einer Potenzialwachstumsrate von 0,85% (entspricht den mittelfristen Annahmen des IWF) lautet das Hauptergebnis: Italien muss sich praktisch kaum anpassen, um seine Schuldenquote zu stabilisieren (natürlich wären weitere Schritte erforderlich, wenn es die Schuldenquote senken will). Selbst wenn man reale Kreditkosten von 3% annimmt – das entspräche Nominalzinsen von knapp 5%, was fast so viel wäre wie während der Kriseneskalation 2011/12 – bräuchte es lediglich eine absolut machbare Konsolidierung in Höhe von 1,5% des BIP, um die Schuldenquote zu stabilisieren.

Die Ursache dafür ist, dass Italien 2016 bereits einen Primärüberschuss von 1,4% des BIP erreicht hat – im Gegensatz zu Japan, dessen Primärdefizit etwa 4% betrug, während Griechenland im Referenzjahr 2009 ein Primärdefizit von 10% hatte. Und diese weitaus bessere Ausgangslage bedeutet eben, dass Italien eine viel geringere zusätzliche Konsolidierung benötigt.

Natürlich wird Italien seinen Staatshaushalt weiter konsolidieren müssen. Aber hauptsächlich deswegen, weil es seine Schuldenquote verringern möchte und sich im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts auch dazu verpflichtet hat – und nicht, weil die italienische Schuldenquote Gefahr läuft zu explodieren.

Ein Anpassungsprogramm für Italien müsste nicht sonderlich hart sein und könnte sich auf wachstumsfördernde Maßnahmen konzentrieren

Die Implikation dieser Analyse lautet: Ein Anpassungsprogramm für Italien müsste nicht sonderlich hart sein und könnte sich stattdessen auf wachstumsfördernde Maßnahmen wie beispielsweise eine Reform der Produktmärkte und eine beschleunigte Bereinigung des Bankensektors konzentrieren. Unterm Strich wäre ein solches Programm also ökonomisch und letztlich auch politisch weitaus weniger riskant als es das Griechenland-Programm von 2010 war. Angesichts dessen müssten die öffentlichen Kreditgeber auch nicht auf einer Schuldenrestrukturierung bestehen, noch nicht einmal auf einer „weichen“.

Nur ein Schuss Populismus macht den Cocktail wirklich explosiv

Können wir uns also entspannt zurücklehnen? Nein. Die obige Analyse ist von einer kooperativen italienischen Regierung ausgegangen, die gewillt ist, den bereits seit Jahren laufenden Reform- und Konsolidierungsprozess fortzusetzen und sogar zu beschleunigen. Doch angesichts der spätestens im nächsten Frühjahr stattfindenden Wahlen kann man sich nicht sicher sein, dass dies tatsächlich der Fall sein wird.

Sogar eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass eine populistische Koalition die Wahlen gewinnen könnte, dürfte zu höheren Risikoaufschlägen führen, was die Aufgabe für die momentane italienische Regierung schwieriger macht. Und es ist offensichtlich, dass alles möglich ist, wenn eine populistische Regierung die Wahlen tatsächlich gewinnen sollte, was uns an den Anfang unserer Argumentation zurückbringt: Die Kombination aus hohen Schulden, steigenden Zinsen und einem anhaltend niedrigen Wachstum könnte Italien und anderen Ländern Probleme bereiten – die aber wie gezeigt keinesfalls unlösbar sind. Nur wenn man diesem Cocktail noch einen gehörigen Schuss Populismus hinzufügt, wird er wirklich explosiv.

 

Zu den Autoren:

Olivier Blanchard ist seit Oktober 2015 Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics (PIIE). Zuvor war Blanchard sieben Jahre lang Chef der Forschungsabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Jeromin Zettelmeyer ist am PIIE als Senior Fellow tätig. Zwischen 2014 und 2016 war er Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik im deutschen Bundeswirtschaftsministerium.

 

Hinweis:

Dieser Artikel basiert größtenteils auf dem PIIE Policy Brief „Will Rising Interest Rates Lead to Fiscal Crises?“