Im letzten Juni sagte Janet Yellen, die Präsidentin der US-Notenbank Federal Reserve, in einem vielbeachteten Interview, dass sie zu Lebzeiten nicht mit einer neuen schweren Finanzkrise rechne. Dies war Wasser auf die Mühlen der Verfechter einer Deregulierung des Finanzsystems, die in den USA ohnehin immer mehr Zuspruch erhalten. Sie argumentieren, die zu strenge Regulierung hindere die US-amerikanische Wirtschaft daran, ihre produktiven Kräfte zu entfalten. Die Kreditvergabe werde übermäßig gehemmt, und die Liquidität in den Finanzmärkten sei gesunken. Zudem sei zweifelhaft, ob die verschärfte Regulierung überhaupt geeignet sei, die Finanzstabilität zu sichern.
Keine Evidenz für schädliche Wirkung der Nachkrisenregulierung
Tatsächlich vermag diese Kritik aber kaum zu überzeugen. So gibt es bislang keine Evidenz dafür, dass die strengere Regulierung der amerikanischen Banken zu einer Beschränkung des Kreditangebots geführt hätte. Wie die folgende Abbildung zeigt, sind die Kredite an den nicht-finanziellen Privatsektor relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwar von einem Höchststand von fast 170% im Jahr 2008 auf nur noch gut 150% im Jahr 2016 gefallen. Dies entspricht aber immer noch dem Stand des Jahres 2005 und liegt 20 Prozentpunkte oberhalb des Wertes von 2000. Die Unternehmenskredite erreichten im Jahr 2016 relativ zum BIP bereits wieder das Niveau von 2008.
Zudem steigen die Kredite inzwischen wieder stärker als das BIP, und das „Deleveraging“ nach der Krise scheint beendet. Ein besonders starkes Wachstum verzeichnen die Konsumentenkredite, die mit mehr als 5% pro Jahr wachsen – ähnlich wie vor der globalen Finanzkrise. Gerade in diesem Bereich beobachtet man zudem eine Wiederbelebung des Verbriefungsmarktes, und es hat sich – so wie vor der Finanzkrise im Immobilienmarkt – ein Subprime-Segment entwickelt. Die aggregierten Zahlen deuten also nicht auf eine durch die Regulierung verursachte Kreditklemme hin – im Gegenteil: man könnte eher befürchten, dass sich bereits wieder neue Risiken aufbauen.
Die USA haben auf die Finanzkrise umfassend und zeitnah reagiert. Die Banken wurden konsequent kapitalisiert, was die Kreditvergabe sogar befördert haben könnte, statt sie einzuschränken. Zusätzlich wurden mit dem Dodd-Frank Act viele Maßnahmen eingeführt, die das Finanzsystem stabiler machen sollen. Unter dem Eindruck der Erfahrungen aus der Finanzkrise definierten die USA Vorgaben für die Liquidität und Kapitalausstattung global systemrelevanter Banken (G-SIBs), die über die Empfehlungen des Basler Ausschusses („Basel III“) hinausgehen („gold-plating“). Dies ist aufgrund der Bedeutung großer amerikanischer Banken für die globale Finanzstabilität zu begrüßen. Zugleich hat die strengere Regulierung jedoch Befürchtungen geweckt, dass diese die internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen G-SIBs einschränken könnte.
Die USA bereiten erste Schritte in Richtung Deregulierung vor
Daher mehren sich in den USA die Stimmen für eine Deregulierung der amerikanischen Banken. Im Juni verabschiedete das Repräsentantenhaus den Financial Choice Act. Dieser soll wesentliche Elemente des Dodd-Frank Acts außer Kraft setzen. Im Hinblick auf die Stabilität des globalen Finanzsystems sind vor allem zwei Vorschläge zur Deregulierung kritisch zu sehen: Zum einen sollen die durch den Dodd-Frank Act geschaffenen Mechanismen zur Bankenabwicklung abgeschafft werden. Die nach der Finanzkrise gegründete Orderly Liquidation Authority soll aufgelöst und das Insolvenzrecht um ein neues Kapitel zum Umgang mit scheiternden Banken erweitert werden. Dieser Vorstoß lässt jedoch die Erfahrung aus der Finanzkrise außer Acht, dass gerade große, komplexe Banken aufgrund ihrer Verflechtung mit dem Finanzsystem kaum nach dem normalen Insolvenzrecht abgewickelt werden können.
Zum anderen sieht der Financial Choice Act vor, dass Banken sich von weiten Teilen des Dodd-Frank Acts sowie den Kapital- und Liquiditätsanforderungen nach Basel III befreien lassen können, wenn sie über eine ungewichtete Eigenkapitalquote (Leverage Ratio) von mindestens 10% verfügen. Der Vorschlag wurde von Ökonomen scharf kritisiert. Kritisch sei, dass nach den gegenwärtigen Vorschlägen auch G-SIBs die Erleichterungen in Anspruch nehmen könnten. Zudem sei es problematisch, das Risikoprofil der Banken gar nicht zu berücksichtigen. Außerdem sei fraglich, ob die zur Diskussion gestellte Höhe der zu erfüllenden Leverage Ratio ausreichend hoch gewählt sei, um Banken davon abzuhalten, übermäßige Risiken einzugehen.
Schließlich blendet der Vorschlag die Erkenntnis aus der Finanzkrise aus, dass der Fokus auf die Stabilität einzelner Banken (mikroprudenzielle Perspektive) nicht ausreicht, sondern dass das System als Ganzes betrachtet werden muss (makroprudenzielle Perspektive). Die vorgeschlagene Befreiung von Dodd-Frank und Basel III schränkt jedoch die verfügbaren Instrumente zum Umgang mit makroprudenziellen Risiken deutlich ein.
Noch ist offen, ob der Financial Choice Act tatsächlich implementiert wird, da dafür die Zustimmung des Senats erforderlich ist. Allerdings hat das US-Finanzministerium bereits Reformen vorgeschlagen, die unmittelbar durch die Aufsichtsbehörden umgesetzt werden könnten und von denen insbesondere große Banken profitieren würden. So soll beispielsweise für Banken, die international aktiv sind, aber nicht als global systemrelevant gelten, eine vereinfachte Liquidity Coverage Ratio gelten. Bei der ungewichteten Eigenkapitalquote sind ebenfalls Erleichterungen vorgesehen – so sollen Guthaben bei den Notenbanken und US-Staatsanleihen zukünftig bei der Berechnung der Leverage Ratio unberücksichtigt bleiben, sodass Banken weniger Kapital vorhalten müssten.
Eine Reihe von Vorschlägen zielt zudem darauf ab, die bisher strengeren Anforderungen an G-SIBs auf das Niveau der Empfehlungen des Basler Ausschuss für Bankenaufsicht zu senken. Das Finanzministerium stellt dabei den Eigenkapitalzuschlag für G-SIBs, die Anforderungen an die Verlustabsorptionsfähigkeit (TLAC) sowie die strengeren Anforderungen an die ungewichtete Eigenkapitalquote infrage. Darüber hinaus sollen zukünftig höhere Schwellenwerte gelten, ab denen Banken an Stress-Tests teilnehmen, Abwicklungspläne erstellen müssen und einer intensiveren Aufsicht unterliegen. Außerdem soll die Volcker-Regel, die den Eigenhandel von Banken begrenzt, maßgeblich eingeschränkt werden.
Bei der Bewertung dieser Vorschläge ist zu beachten, dass viele Anforderungen an US-amerikanische G-SIBs immer noch weitgehend denen entsprächen, die derzeit für ihre europäischen Wettbewerber gelten – besonders problematisch wäre es, wenn die Regulierungsstandards für US-amerikanische Banken unter die global vereinbarten Mindeststandards gesenkt werden würden.
Die Bedeutung internationaler Kooperation in der Bankenregulierung
Aus gutem Grund wird die Regulierung vor allem großer, international tätiger Banken auf internationaler Ebene verhandelt. Denn bei solchen Banken strahlen Probleme unmittelbar auf das internationale Finanzsystem aus. Internationale Abkommen können einen Deregulierungswettlauf verhindern und so das globale Finanzsystem als Ganzes widerstandsfähiger machen.
Die Akzeptanz der internationalen Regelungen setzt aber voraus, dass deren Wirksamkeit allgemein anerkannt und wissenschaftlich belegt ist. Bei vielen der neu eingeführten Maßnahmen ist dies noch nicht der Fall. Vor allem die Interaktionen verschiedener Instrumente wurden bislang kaum untersucht. Um eine effektive Regulierung zu gewährleisten und die Akzeptanz der Regulierung zu erhöhen, ist in den kommenden Jahren eine umfassende Evaluierung des neuen Instrumentariums nach wissenschaftlichen Kriterien erforderlich. Sollten sich hierbei bestimmte Instrumente als wenig wirksam erweisen, so wäre eine Überarbeitung oder sogar Abschaffung angezeigt. Insofern ist die Initiative des Financial Stability Board zur Schaffung einheitlicher Standards bei der Evaluierung zu begrüßen.
Fahrlässig wäre es, die internationalen Abkommen zur Bankenregulierung grundsätzlich in Frage zu stellen. Daher bereitet es Sorgen, dass die Basler Verhandlungen, die das Ziel hatten, die Revisionen des Basel-III-Abkommens für den Bankensektor zum Abschluss zu bringen, seit Monaten auf Eis liegen. Dies hat aber weniger mit den Deregulierungsbestrebungen der US-amerikanischen Regierung zu tun. Vielmehr sind es europäische Länder – allen voran Deutschland und Frankreich –, die dem Abschluss des Abkommens im Weg stehen.
Stillstand bei den Verhandlungen zum Abschluss von Basel III
Ein wesentlicher offener Streitpunkt ist der sogenannte „Output Floor“ in der Eigenkapitalregulierung. Dieser sieht vor, dass die Eigenkapitalanforderungen, die auf Basis bankinterner Risikomodelle bestimmt werden, die nach dem „Standardansatz“ berechneten Anforderungen nicht beliebig stark unterschreiten können. So würde beispielsweise ein Output Floor von 70% implizieren, dass die anhand interner Modelle ermittelten risikogewichteten Aktiva maximal 30% unterhalb denjenigen des Standardansatzes liegen dürften – genau dies wird bislang von Deutschland und Frankreich abgelehnt. Sie fürchten wohl auch, dass ihre Banken im internationalen Wettbewerb zurückfallen könnten. Denn Banken in diesen Ländern haben in besonders großem Maße von den internen Modellen Gebrauch gemacht und müssten bei der Einführung eines Output Floors entweder ihr Kapital erhöhen oder risikogewichtete Aktiva abbauen.
Die besondere Betroffenheit sollte die Reformbemühungen jedoch nicht hemmen. Schließlich waren es gerade die internen Risikomodelle, die es möglich machten, dass manche Banken in Europa vor der Finanzkrise mit kaum mehr als 2% Eigenkapital relativ zur Bilanzsumme arbeiteten. In der Krise reichte dieser Puffer angesichts der hohen Verluste bei weitem nicht aus, wodurch dem Steuerzahler erhebliche Kosten entstanden. Zudem ist inzwischen anerkannt, dass selbst komplexe interne Modelle die Realität nur unzureichend erfassen können. Dies ist einer der Gründe, warum den risikogewichteten Eigenkapitalanforderungen eine nicht-risikogewichtete Anforderung, die Leverage Ratio, zur Seite gestellt wurde. Leider ist die derzeit diskutierte Leverage Ratio von 3% aber viel zu niedrig, um einen wirksamen Backstop darstellen zu können.
Die Blockadehaltung von Deutschland und Frankreich ist bedenklich – nicht nur, weil sie die dringend erforderliche weitere Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen vor allem großer Banken zu verhindern sucht, sondern auch, weil sie von der US-Regierung als mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit aufgefasst werden könnte und so einen Vorwand liefert, sich von den internationalen Vereinbarungen zu distanzieren. Dies könnte einen Deregulierungswettlauf zur Folge haben, der vermutlich nicht auf die USA beschränkt bliebe. So könnte beispielsweise das Vereinigte Königreich versuchen, die Attraktivität des Finanzplatzes London nach dem Brexit durch laxe Regulierung zu sichern. Eine weltweite Deregulierung im Finanzsektor wäre ausgesprochen gefährlich und würde die seit der Krise erzielten Fortschritte rückgängig machen.
Ein Deregulierungswettlauf würde langfristig allen schaden, auch denen, die sich kurzfristige Wettbewerbsvorteile erhoffen. Die Bankenregulierung sollte kein Instrument sein, um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Banken zu stärken. Sie sollte dazu dienen, die Stabilität des globalen – und damit des heimischen – Finanzsystems zu sichern. Ein konstruktiver Abschluss der Basler Verhandlungen wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Ein erfolgloser Abbruch der Verhandlungen könnte hingegen die globale Kooperation in der Finanzmarktregulierung in Frage stellen. Das wären schlechte Nachrichten für die globale Finanzstabilität.
Zu den AutorInnen:
Isabel Schnabel ist Professorin für Finanzmarktökonomie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Auf Twitter: @Isabel_Schnabel
Felix Rutkowski ist Referent für Finanzmärkte im wissenschaftlichen Stab des Sachverständigenrates.