Analyse

Drei Szenarien für die Zukunft der Bankenunion

Um den Teufelskreis aus maroden Banken und schwachen Staatsfinanzen im Euroraum zu durchbrechen, wurde die Bankenunion geschaffen. Doch das Projekt ist noch unvollendet. Wie stabil sind Europas Banken mehr als acht Jahre nach Beginn der Krise? Und wie geht es mit der Bankenunion weiter? Eine Analyse von Philipp Ständer.

Frankfurter Bankenviertel. Foto: Pixabay




In den vergangenen Monaten wurde die Bankenunion ihrem ersten richtigen Test unterzogen. Der Anspruch der Bankenunion ist, die Finanzstabilität im Euroraum zu erhöhen und die Steuerzahler vor den Kosten einer Bankenkrise zu schützen. Die Pleiten der italienischen Banken Veneto Banca und Banca Popolare di Vicenza sowie des spanischen Instituts Banco Popular zeigen, wo dieser Anspruch bereits Wirklichkeit ist und wo noch nicht. Zeit eine Bestandsaufnahme zu machen, wie belastbar Europas Bankenunion acht Jahre nach Beginn der Eurokrise wirklich ist.

Die globale Finanzkrise stellte den Euroraum vor besondere Herausforderungen. Durch die Einführung des Euro wurde die Integration des Bankensektors innerhalb der Eurozone vorangetrieben. Banken aus Ländern mit hohem Wachstum wie Spanien und Irland liehen sich viel Geld bei deutschen und französischen Banken. Als die Finanzkrise einsetze, stoppten die Kreditflüsse aus dem Ausland. Der Vertrauensverlust zwischen den Banken schadete der Wirtschaft europaweit.

Vertrauen ist im Bankensektor eine wichtige Währung, die über Wohl und Wehe eines Instituts entscheiden kann

Die Wechselwirkungen zwischen Banken und Staatsfinanzen trugen zur Zuspitzung der Eurokrise bei. Dieser sogenannte Staaten-Banken-Nexus wirkte in zwei Richtungen: Einerseits versuchten Regierungen während der Krise, den Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern und unterstützten ihren Bankensektor mit Krediten oder Bürgschaften. Solche Bankenrettungen, auch Bail-out genannt, fielen im Euroraum zwischen 2008 und 2014 mit etwa fünf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ins Gewicht. Manche Länder wie z. B. Irland waren mit der finanziellen Last der Rettung überfordert – aus der Bankenkrise wurde eine Staatsschuldenkrise.

Andererseits ist das Vertrauen in den Bankensektor eng mit der Bewertung ihrer Heimatstaaten verknüpft. Denn die Banken halten meist viele Staatsanleihen der eigenen Regierung. Bei italienischen Banken sind es derzeit 10% all ihrer Vermögenswerte. Wird deren Rückzahlung unsicher, nimmt das Vertrauen in die Stabilität der Banken ab – und Vertrauen ist im Bankensektor eine wichtige Währung, die über Wohl und Wehe eines Instituts entscheiden kann.

Dem Euroraum fehlten anfangs die Instrumente, um Bankenkrisen grenzübergreifend einzudämmen. Für Bail-outs musste jede Regierung selbst aufkommen, was zu großen Verwerfungen in der Risikobewertung von Staaten und Banken führte.

Wendepunkt 2012

Der Europäische Rat im Juni 2012 stellte jedoch einen Wendepunkt dar und entschärfte die Eurokrise nachhaltig. Die Staats- und Regierungschefs gaben grünes Licht für zwei Pfeiler der Bankenunion: Eine gemeinsame Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB und einheitliche Regeln für Bankenpleiten in Form eines europäischen Abwicklungsmechanismus für Banken. Damit wurden wichtige Schritte unternommen, um den Staaten-Banken-Nexus abzuschwächen. Ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds wurde diskutiert, vorerst aber nicht beschlossen.

Der Bankensektor konnte aber nicht über Nacht von allen Risiken befreit werden. 2013 und 2014 wurde der Großteil der für die Bankenunion notwendigen Gesetze verabschiedet. Die neue Aufsicht nahm 2014 mit dem ersten Banken-Stresstest ihre Arbeit auf. Der Test brachte Kapitallücken in 13 der 130 größten europäischen Banken ans Licht, darunter auch die drei italienischen Banken, die 2017 abgewickelt, beziehungsweise durch den Staat gerettet wurden. Im Durchschnitt konnten die Institute seitdem ihre Bilanzen stärken, in einigen Ländern leiden Banken aber immer noch unter ausfallgefährdeten Krediten.

Seit 2016 gelten auch einheitliche Regeln und Mechanismen für den Fall einer Bankenpleite: Zunächst beurteilt die Bankenaufsicht, ob eine betroffene Bank Pleite zu gehen droht und für das europäische Finanzsystem von systemischer Relevanz ist. Wenn beides zutrifft, übernimmt der europäische Ausschuss für einheitliche Abwicklung und entscheidet darüber, wie mit der notleidenden Bank weiter verfahren werden soll. Um bei einer Sanierung Hilfen aus dem zum Abwicklungsmechanismus gehörenden Fonds nutzen zu können, müssen die Gläubiger der Bank zunächst auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten (Bail-in). Dadurch sollen Steuerzahler vor unkalkulierbaren Kosten einer Bankenkrise geschützt werden. Durch diese Regel werden gleiche Bedingungen im Euroraum geschaffen, denn auch Banken aus finanzstarken Ländern können nun nicht mehr auf staatliche Hilfe hoffen.

Allerdings zeigte nicht zuletzt der Fall der beiden italienischen Institute Veneto Banca und der Banca Popolare di Vicenza, dass mitunter zwischen Anspruch und Wirklichkeit der europäischen Bankenunion immer noch eine erhebliche Lücke klafft. Zum einen wird in Italien nun Steuergeld eingesetzt, um Banken zu retten, die durch das oben beschriebene Muster fallen, nämlich zu klein sind um von der EZB als systemrelevant eingestuft zu werden. Zum anderen verzerrt die Entscheidung Italiens, diese Banken mit Hilfe von Subventionen abzuwickeln, statt wie im Falle der spanischen Banco Populare diese Kosten auf den Bankensektor abzuwälzen, weiterhin den Wettbewerb.

Ein entscheidender Grund, warum die Bankenunion ihr Versprechen, den Steuerzahler vor Bankenpleiten zu schützen heute noch nicht einlösen kann, ist die fortwährende Schwäche einiger Bankensektoren, verursacht unter anderem durch eine bedrohlich hohe Zahl an notleidenden Krediten. Diese Altlasten der Krise verringern die Fähigkeit der Banken, ihre Kapitalpolster zu erhöhen und damit Verluste abzufedern. Besonders betroffen sind die Banken in Zypern, Griechenland, Italien und Portugal, wie die folgende Übersicht zeigt:

Anteil der notleidenden Kredite (NPLs) am gesamten Kreditportfolio

Quellen: EZB (Karte), IMF Global Financial Stability Report (Zeitverlauf), Europäische Bankenaufsichtsbehörde, eigene Berechnungen.

Es zweifelt inzwischen niemand mehr grundsätzlich an, dass der europäische Bankensektor noch einige Baustellen zu beheben hat und auch die Bankenunion noch nicht vollendet ist. Der Beschluss eines Aktionsplans zum Abbau notleidender Kredite vergangene Woche durch den EU-Finanzministerrat unterstreicht das. Allerdings ist trotz der geteilten Problemanalyse noch nicht klar, wieviel Risiken die Mitgliedstaaten in Zukunft bereit sind zu teilen und vor allem wie schnell sie sich zu solchen Schritten durchringen können. Drei grobe Szenarien sind denkbar:

Szenario 1: Gemeinsam umfassend aufräumen

Um ihre Banken möglichst schnell auf solide Füße zu stellen, könnten Regierungen und europäische Institutionen einen staatlich gestützten gemeinsamen Fonds einrichten, eine Art Bad Bank, der den Banken ihre notleidenden Kredite zu einem angemessenen Preis abkauft. Die dabei entstehenden Verluste müssten nach den neuen Regeln der Bankenunion zunächst von den Eignern und Gläubigern getragen werden. Für einige Banken könnte das eine Sanierung notwendig machen oder sogar zur Insolvenz führen. Der nun beschlossene Aktionsplan sieht solch einen gemeinsamen Fonds nicht vor, stattdessen soll jedes Land seine eigene Bad Bank einrichten.

Wenn sich der europäische Bankensektor umfassend von seinen Altlasten befreit hat, dürfte den Euroländern auch die Vollendung der Bankenunion leichter fallen. Dafür müssten einerseits Risiken weiter reduziert werden, indem Banken nur noch in begrenztem Maße Staatsanleihen ihres Landes halten dürfen. Andererseits müssten verbleibende Risiken zunehmend geteilt werden, zum Beispiel über einen europäischen Einlagensicherungsfonds, der gemeinsam die Spareinlagen der Bürger garantiert.

Szenario 2: Konflikt zwischen Mitgliedstaaten und EU-Aufsicht

Eine schnelle und umfassende Aufräumaktion ist für Banken nicht unbedingt attraktiv, denn eine Anerkennung der Verluste durch notleidende Kredite könnte für manche Institute die Insolvenz bedeuten. Im zweiten Szenario wollen deshalb einige Regierungen ihrem heimischen Bankensektor durch einen staatlichen Bail-out helfen, was aber mit Inkrafttreten des Abwicklungsmechanismus verboten wurde. Ein Verstoß gegen das Verbot könnte zu einem offenen Streit zwischen Regierungen und europäischer Aufsicht führen – bereits im Fall der Veneto Banca und der Banca Popolare di Vicenza war der Unmut zahlreicher Politiker über das Vorgehen der italienischen Regierung deutlich zu spüren.

Wenn einzelne Länder mit dem Prinzip „gleiche Regeln für alle“ brechen, wird das für die weitere Kooperation notwendige gegenseitige Vertrauen gefährdet. Es würde dann auch nicht zu einem langfristigen Kompromiss aus Risikoteilung und Risikoreduzierung – und somit nicht zur Vollendung der Bankenunion – kommen.

Ein Scheitern der Bemühungen, die Bankenunion weiter voranzutreiben ist aus zwei Gründen gefährlich: Erstens würde ein Kräftemessen zwischen Regierungen und europäischen Institutionen den ohnehin langwierigen Abbau von notleidenden Krediten zusätzlich bremsen und schwache Banken die Wirtschaft weiterhin belasten. Zweitens stellt sich ohne einen Ausbau der Bankenunion bei der nächsten Krise in einigen Euroländern wieder die Frage nach der Tragfähigkeit ihrer Staatsverschuldung.

Szenario 3: Ausnahmen unter Auflagen

Seit dem Verbot von Bail-outs können Banken erst mit Unterstützungsgeldern rechnen, wenn Gläubiger einen Teil der Verluste selbst getragen haben. Riskant dabei ist, dass sich Banken gegenseitig Geld leihen und somit die Insolvenz einer Bank Verluste bei der nächsten Bank verursachen kann. So ist auch unter dem neuen Regelwerk eine Ansteckung zwischen Banken möglich.

Im dritten Szenario wäre es einzelnen Mitgliedstaaten daher gestattet, ihre Banken auf eigene Kosten und unter strengen Auflagen zu sanieren, um mit den Altlasten der Krise abzuschließen. Eigner und Gläubiger würden an den Verlusten in diesem Fall nur in geringem Maße beteiligt. Banken in Krisenländern könnten dadurch die Wirtschaft wieder mit ausreichend Krediten versorgen. Der Preis dafür wäre wiederum eine höhere Staatsverschuldung.

Ob es nach solchen kontrollierten Ausnahmen zu einem Ausbau der Bankenunion kommt, hängt davon ab, inwieweit das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten ausreicht, damit die Regeln in Zukunft eingehalten werden. Denkbar ist, dass Länder, die nicht an einer Aufweichung interessiert sind, im Gegenzug zu den gestatteten Ausnahmen den Abbau von Staatsverschuldung und Wirtschaftsreformen in Krisenländern einfordern.

Strikte Regeleinhaltung oder einhaltbare Regeln?

In den aktuellen Entwicklungen rund um die Bankenunion und die italienische Bankenkrise finden sich Elemente aus allen Szenarien wieder: Die Mitgliedstaaten zeigen sich gewillt, das Problem der faulen Kredite anzupacken (Szenario 1). Trotzdem herrscht Unmut darüber, dass die Kommission Italien eine Art Ausnahme gewährt hat, um die Probleme mit den drei Banken Monte dei Paschi di Sienna (MPS), Veneto Banca und Banca Popolare di Vicenza in den Griff zu bekommen (Szenario 2). Im Falle von MPS wurde eine Sanierung unter der Ausnahmeregel einer „vorsorglichen Rekapitalisierung“ gestattet, was im Resultat auf eine Verstaatlichung der Bank und eine Kapitalspritze in Höhe von 5,4 Milliarden Euro hinausläuft (Szenario 3). Das Vertrauen zwischen den Akteuren ist dadurch angeschlagen.

Der einheitliche Abwicklungsmechanismus ist nicht so einheitlich, wie er scheint

Die Bankenunion ist damit nicht gescheitert, aber der Öffentlichkeit wurden die noch bestehenden Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit deutlich vor Augen geführt. Erstens ist der einheitliche Abwicklungsmechanismus nicht so einheitlich, wie er scheint. Werden Banken von der EZB als zahlungsfähig oder als nicht systemrelevant eingestuft, können Kommission und Regierungen andere Wege der Sanierung oder Abwicklung wählen, bei denen der Steuerzahler wieder beteiligt werden darf. Zweitens hat das Vertrauen in die europäische Bankenaufsicht gelitten. Sie war nach dem Stresstest 2014 möglichweise zu nachsichtig mit den italienischen Instituten und hat ebenfalls verpasst, die Schieflage der gescheiterten spanischen Banco Popular frühzeitig zu erkennen.

Außerdem müssen sich Aufsicht und Mitgliedstaaten darüber klar werden, was ihnen wichtiger ist: strikte Regeleinhaltung oder einhaltbare Regeln. Die Entwicklungen in Italien deuten darauf hin, dass die europäischen Akteure den Abbau von notleidenden Krediten und die Konsolidierung des Bankensektors vorantreiben wollen, auch wenn dabei das Regelempfinden einer harten Probe unterzogen wird. Das scheint angesichts des fortbestehenden Problems der notleidenden Kredite pragmatisch, gefährdet aber auch das für die Vollendung notwendige Vertrauen.

 

Zum Autor:

Philipp Ständer ist Wissenschaftler am Jacques Delors Institut – Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der europäischen Wirtschaftspolitik, Kapitalmärkten und dem Bankensystem.

Hinweis:

Dieser Artikel basiert auf dem Europa Briefing “Bankenunion: Wie stabil sind Europas Banken?“, das das Jacques Delors Institut – Berlin und die Bertelsmann Stiftung im Rahmen des Projekts „Repair and Prepare: Strengthen the Euro“ veröffentlicht haben.