Arbeitswelt

Die Gig Economy gab es schon im 18. Jahrhundert

Es scheint so, als würden momentan viele althergebrachte Arbeitsformen durchbrochen werden. Aber bereits vor der Industrialisierung hatten die meisten Menschen mehrere Jobs, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ein Blick in die Vergangenheit enthüllt einige der Herausforderungen, Vorteile und Folgen der Gig Economy.

Uber-Fahrer. Bild: Pixabay

Der Taylor Report, das ist der jüngste Bericht der britischen Regierung zur modernen Arbeitswelt, hat einen besonderen Fokus auf die sogenannte „Gig Economy“ gelegt. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass traditionelle Arbeitsmodelle – bei denen Menschen eine klare berufliche Laufbahn und einen Job fürs Leben haben – umgedreht werden. Sie umfasst „selbstständige“ Uber-Fahrer bis zu freiberuflichen Web-Entwicklern und erlaubt den Beschäftigten mehr Freiheiten – aber sie verweigert ihnen auch Sozialleistungen und schützende Regulierungen.

Es mag zwar so aussehen, als wenn jetzt gerade althergebrachte Arbeitsformen durchbrochen werden. Aber die Geschichte zeigt uns, dass das „eine Person, eine Karriere“-Model eigentlich ein relativ neues Phänomen ist. Vor der Industrialisierung im 19. Jahrhundert übten die meisten Menschen mehrere Jobs aus, um sich ihren Lebensunterhalt zusammenzustückeln. Ein Blick in die Vergangenheit enthüllt einige der Herausforderungen, Vorteile und Folgen der Gig Economy.

Ich bin auf die Tagebücher von drei Männern gestoßen, die im Großbritannien des 18. Jahrhunderts gelebt haben. Sie bieten einen faszinierenden Einblick, wie Menschen aus der Mittelschicht – die mutmaßlichen Profiteure der heutigen Gig Economy – verschiedene Beschäftigungen ausgeübt haben. Edmund Harrold lebte zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Manchester und war ein gelernter Barbier. Er miete einen kleinen Laden, rasierte die Köpfe seiner Kunden und verkaufte Haare und handgemachte Perücken. Während seinen freien Stunden arbeitete er als Buchhändler und schließlich auch als Auktionator, er verkaufte verschiedenste Dinge in den Kneipen Manchesters und in den Dörfern außerhalb der Stadt. Er verlieh Geld, wenn er es hatte, und verdiente mit seinen Anteilen 10% Zinsen.

Ein weiterer enthusiastischer Anhänger der Gig Economy war Thomas Parsons. Er arbeitete 1769 in der Stadt Bath als Steinhauer und als Amateur-Wissenschaftler – eine Arbeit, die wir normalerweise als Freizeitvergnügen einordnen würden. John Cannon wiederum arbeitete in der West Country-Region als Landarbeiter, Steuereintreiber, gescheiterter Brauer und als Lehrer.

Genau wie die Menschen, die heute ihr Geld in der Gig Economy verdienen, wurden auch diese drei Männer in eine Welt der Unsicherheit geworfen. Sie hatten ihre Unabhängigkeit, aber machten sich regelmäßig Sorgen, ob sie genug Geld für ihre Rechnungen haben würden und hatten Angst vor dem Scheitern. Parsons quälte sich mit der Bedienung seiner Schulden, in einem Eintrag notiert er:

„Bin verschuldet und weiß nicht, wie ich bezahlen soll. Das bereitet mir großes Unbehagen – mit was für einer Fülle von Sorgen ich meine Gedanken beschäftigen muss!“

Harrold dankt in einem Eintrag Gott für sein „erträgliches Geschäft“ und merkt an, dass er sehr komfortabel lebt. Im nächsten Monat schreibt er dann, dass er zu wenig Geld und zu wenig Arbeit habe, und nicht wisse, was er tun solle.

Alle drei Tagebuchschreiber verdienten einen komfortablen, wenn auch für die Geschäftsleute der damaligen Zeit eher bescheidenden Lebensunterhalt. Sie verdienten zwischen 50 und 70 Pfund pro Jahr, womit sie zur wachsenden Mittelschicht gehörten. Aber in einer Wirtschaft der vielen Jobs war ihr Einkommen unsicher, was einen großen Einfluss auf ihr Leben hatte. Cannon beschrieb sich als einen „Tennisball des Schicksals“.

Mehr als Geld

Geld stellte eine Sorge dar, aber die Tagebücher machen deutlich, dass – wie heute – Arbeit mehr als die Bezahlung ist. Die Erfahrungen dieser drei Männer zeigen, dass Menschen ihre Beschäftigung wählen, weil unterschiedliche Jobs unterschiedliche Formen der Erfüllung bieten. Manche Aufgaben brachten ihnen Geld, aber andere Rollen mehrten ihren sozialen Status. In manchen Fällen stuften sie die Erfüllung und den Status, den ihnen ihre Jobs brachten, genauso hoch wie den materiellen Nutzen ein.

Die Möglichkeiten zum Aufbau von Netzwerken, Reputation und Macht konnten genauso wichtig wie das verdiente Geld sein. Tatsächlich konnte der Wert der Arbeit mit Blick auf das Verhältnis von Status und Arbeit eine entgegengesetzte Beziehung haben: Parsons verdiente den größten Teil seines Geldes durch seine Arbeit als Steinhauer, aber es waren seine wissenschaftlichen Experimente, die ihm einen höheren Status verliehen. Dieser Status wiederum half ihm dabei, Aufträge zu bekommen.

Diese historischen Aufzeichnungen der Gig Economy erinnern uns daran, dass wir Arbeit als mehr als nur eine Form des Lohnerwerbs verstehen müssen – nämlich als etwas, das ausschlaggebend für unser soziales und kulturelles Leben ist. Wir definieren uns durch die Jobs, die wir machen. Obwohl sich der Taylor-Bericht zur britischen Gig Economy auf Löhne, Sozialleistungen und Regulierungen fokussiert, erkennt er ebenfalls eindeutig an, dass Arbeit auch eine Erfahrung ist. Der Report ist übersäht mit Wörtern wie „Zufriedenheit“ und „Sehnsucht“.

Zudem könnten wir anerkennen, dass Arbeit – sogar Gig-Arbeit – vom Status abhängt. Heutzutage sind Arbeiter darauf angewiesen, auf Online-Plattformen ein gutes User-Rating zu haben. Und Aktivitäten, die einer Person helfen, ihren Status zu erhöhen, lassen die Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit bzw. zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit verschwimmen. Für Männer wie Parsons, Harrold und Cannon war Arbeit eine soziale Geschäftsmethode: Sie war nicht nur eine produktive Aktivität, sondern auch eine Unternehmung, die ihnen Fähigkeiten, Unabhängigkeit und Selbstwert brachte.

Was zählt als Arbeit?

Diese Betrachtung der Gig Economy in einem historischen Kontext verlangt von uns, die simple Kategorie der „Arbeit“ besser zu definieren. Sollten wir Arbeit als Aufgaben definieren, die wir für Bezahlung machen? Oder sollten wir auch produktive Arbeit einbeziehen, die nicht bezahlt wird?

Harrold war auf dem Papier der Versorger seiner Familie. Aber der Haushalt war auch auf die Arbeit seiner Frau angewiesen. Sarah vermietete einen Raum ihres Hauses an Gäste, verkaufte Secondhand-Kleidung und wusch die Sachen anderer Leute. Für diese Tätigkeiten erhielt sie Geld. Aber wie bei vielen Frauen im 18. Jahrhundert (und heute) waren große Teile ihrer Arbeit unbezahlt: Sie sorgte für die Kinder, backte Brot und braute Bier. Diese Tätigkeiten erhielten den Haushalt und seine Reproduktion, aber weil sie unbezahlt waren, werden sie auch weiterhin nicht als Arbeit betrachtet. Obwohl sie ihre Tage arbeitend verbrachte, würde Sarah in den formalen Steuer- oder Zensusaufzeichnungen nicht als „beschäftigt“ gelistet werden.

In der heutigen Gig Economy werden mehr und mehr informelle häusliche Tätigkeiten zu Formen von bezahlter Arbeit. Wird deren Erfassung uns helfen, die in den Haushalten stattfindende unsichtbare Arbeit besser anzuerkennen?

Die Gig Economy ist sicherlich eine Herausforderung für das Wohlbefinden der Beschäftigten. Die Erschütterungen, die sie mit sich bringt, bieten allerdings auch die Möglichkeit, die Diversität der verschiedenen Arten von Arbeit in einer Gesellschaft besser zu berücksichtigen, und die Menschen wahrzunehmen, die diese Arbeit leisten.

 

Zur Autorin:

Tawny Paul ist Senior Lecturer für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der University of Exeter.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.The Conversation