Analyse

Die verworrene Geschichte einer venezianischen Bankenliquidation

Bei der Liquidation der Veneto Banca und der Banca Popolare di Vicenza ist Italien erneut einen besonderen Weg gegangen. Daraus ergeben sich Fragen sowohl für die italienische, als auch für die europäische Ebene. Eine Analyse von Silvia Merler.

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Die lange und beschwerliche Reise der Veneto Banca und der Banca Popolare di Vicenza (BPVI) ist zu Ende gegangen. Der Schluss der Geschichte hebt einmal mehr ein Muster hervor, das Italiens Ansatz für den Umgang mit Bankenkrisen während der letzten Jahre charakterisiert hat. Das besondere Feature dieses Ansatzes besteht in dem Verlangen, Lösungen für langlebige Probleme aufzuschieben (wie im Fall der Monte dei Paschi di Siena, MPS) sowie in der Tendenz, die ökonomische Logik der politischen unterzuordnen. Daraus ergeben sich Fragen sowohl für die italienische als auch für die EU-Ebene.

Die Veneto Banca und die BPVI mussten im April 2016 eine Kapitalerhöhung starten. Wenn die Operation gescheitert wäre – wie es damals allgemein erwartet wurde – hätten die Banken abgewickelt und einem Bail-in (also einer Gläubigerbeteiligung) unterzogen werden müssen. Am 11. April wurde die Gründung eines neuen, vom Bankensektor finanzierten Backstops mit dem Namen Atlas bekanntgegeben.

Der Atlas-Fonds

In dem er als „Underwriter letzter Instanz“ agierte, verhinderte Atlas kurzfristig die Abwicklung. Aber Atlas verteilte das Risiko über die Bilanzen des übrigen italienischen Bankensektors. Die Kosten dieser Aktion sind nun offensichtlich, da einige der teilnehmenden Banken den Wert ihrer Atlas-Anteile schon abgeschrieben haben (in manchen Fällen als Verlust). Auf jeden Fall beendete Atlas nicht die Probleme der zwei Banken – beide kündigten 2017 an, dass sie noch mehr Kapital benötigen würden.

Das warf die heikle Frage auf, wie mit den Kleinanlegern umgegangen werden sollte. Anfangs versuchte die italienische Regierung, eine vorsorgliche Rekapitalisierung zu erwirken. Diese Option basierte auf der Annahme, dass die Banken systemisch sind, da das Ziel darin bestand, „eine ernsthafte Störung in der Wirtschaft eines Mitgliedsstaats zu beheben und die Finanzstabilität zu bewahren“.

Aber die außerordentliche staatliche Unterstützung kann bei vorsorglichen Rekapitalisierungen nicht genutzt werden, um Verluste zu begleichen, die eine Institution erlitten hat oder in näherer Zukunft erleiden wird. Um also eine vorsorgliche Rekapitalisierung durchzuführen und die Kleinanleger zu verschonen, wäre es notwendig gewesen jemanden zu finden, der privates Kapital bereitstellt, um das Loch zu stopfen.

Allerdings war keine italienische Bank darauf erpicht, dies zu tun. Und das ist kaum überraschend. Es war nicht das erste Mal, dass die italienischen Banken dazu aufgerufen wurden, das schwächste Glied im System zu retten, und frühere Episoden sind nicht unbedingt Erfolgsgeschichten gewesen. Schließlich hätten die beiden venezianischen Banken wieder in Ordnung sein sollen, nachdem sie durch den Atlas-Fonds mit dem Geld anderer Banken rekapitalisiert worden waren. Aber das waren sie nicht.

In Ermangelung privater Investoren wäre eine Option die Abwicklung gewesen. Aber dies hätte einen Bail-in von vorrangigen Anleihegläubigern bedeutet, wozu im italienischen Fall zahlreiche Kleinanleger gehört hätten, denen die Banken die Anleihen durch Falschberatung verkauft hatten. Wie in jedem guten Theaterstück wird auch diese festgefahrene Situation durch einen Retter in der Not gelöst – in diesem Fall wird dieser durch die Intesa Sanpaolo verkörpert, Italiens größte Privatkundenbank.

Ein guter Deal für Intesa

Intesa bot an, die „guten“ Teile der zwei venezianischen Banken für den symbolischen Preis von einem Euro zu kaufen. Alle notleidenden Kredite (non-performing loans, NPLs), das Aktienkapital und die nachrangigen Schulden werden einem Bail-in unterzogen. Das Aktienkapital wird größtenteils vom Atlas-Fonds gehalten, dessen teilnehmende Banken bereits begonnen haben, ihre Anteile abzuschreiben. Die nachrangigen Anleihegläubiger sind Teil des Bail-in und werden später entschädigt (wie im Fall der Banca Etruria).

Viele haben den Deal mit der Abwicklung der spanischen Popular verglichen, aber er erinnert eher an die Banca Romagna Cooperativa (BRC), einen kleinen italienischen Kreditgeber, der im Juli 2015 liquidiert wurde. Die Aktiva und Passiva der BRC wurden an die zur ICCREA-Gruppe gehöhrende Banca Sviluppo transferiert. Während dieses Prozesses wurden das BRC-Aktienkapital und die nachrangigen Schulden im Liquidationszustand zurückgelassen. Diese Operation wurde im Rahmen der nationalen Insolvenzgesetze durchgeführt, indem nur Teile der Aktiva und Passiva bei der Liquidation verkauft wurden. In diesem Fall wurden nachrangige Anleihegläubiger durch den institutionellen Garantiefonds der italienischen Genossenschaftsbanken entschädigt, „um die Reputation des Sektors zu schützen“.

Intesa macht einen sehr guten Deal, da ihre Teilnahme an der Operation daran gebunden ist, dass sie kapitalneutral für die eigene Bilanz ist. Um dies zu erreichen, wird Intesa vom Staat eine Finanzspritze in Höhe von etwa 4,8 Milliarden Euro erhalten, die unter anderem die Kosten für Entlassungen abdeckt. Zusätzlich erhält Intesa noch Garantien in Höhe von 400 Millionen Euro für den Fall, dass einige der akquirierten Kredite nicht bezahlt werden. Außerdem werden die latenten Steuerforderungen (Deferred Tax Credits) der zwei Banken an die Intesa übertragen. Des Weiteren wird der Staat noch Absicherungen von maximal zwölf Milliarden Euro bereitstellen, um Verluste aus den NPLs abzudecken. Die tatsächliche Rechnung wird somit erst in der Zukunft bekannt sein. Das Geld wird aber nicht Italiens Schulden erhöhen, da sie Teil jener 20 Milliarden Euro sind, die bereits im letzten Jahr für Bankenprobleme bereitgestellt worden waren.

Systemisch oder nicht?

Die Operation ist nur möglich, weil die Banken nicht abgewickelt, sondern liquidiert werden, was die Tür für Liquidationshilfen öffnet. Da es kein EU-Insolvenzrecht gibt, geschieht die Liquidation auf Basis der nationalen Insolvenzordnungen, welche in diesem Fall die italienische „forced administrative liquidation“ ist, die von der italienischen Notenbank verwaltet wird.

Damit eine Bank liquidiert werden kann, muss das Single Resolution Board (SRB) entscheiden, dass eine Abwicklung nicht im öffentlichen Interesse wäre, was neben anderen Dingen die Einschätzung beinhaltet, dass eine Pleite wahrscheinlich nicht erhebliche negative Folgen für die Finanzstabilität haben würde.

Das SRB hat dies für die beiden Banken festgestellt. Allerdings wirft diese Entscheidungen Fragen zu Italiens ursprünglichem Streben nach einer vorsorglichen Rekapitalisierung auf, die wiederum auf dem Argument der Systematizität basierte. Waren diese Banken nun also systemisch oder nicht? Wenn ja: warum wurden sie nicht abgewickelt? Und wenn nicht: warum wurde dann zunächst nach einer vorsorglichen Rekapitalisierung gefragt?

Das Dekret der Regierung konstatiert, dass „es eine außergewöhnliche Notwendigkeit und Dringlichkeit gibt, Maßnahmen zu ergreifen, die auf den geordneten Marktaustritt der Banken zielen, und um in der Wirtschaft und in den Bereichen, in denen sie operieren, eine ernsthafte Störung zu vermeiden“. In gewisser Weise betont diese Aussage wieder jenes öffentliche Interesse, das das SRB negiert hat – aber eben ohne die Konsequenzen.

Eine zweite Frage ist, ob hier in gewisser Weise ein Bauernopfer gebracht wurde. Die Liquidation macht de facto Mittel des Atlas-2-Fonds (eines Nachfolgers des Atlas-Fonds) frei, der eigentlich 450 Millionen Euro zur Absicherung der NPLs der venezianischen Banken investieren sollte. Dies wird nun nicht länger nötig sein und Atlas-2 könnte somit mehr Geld in die Absicherung der nachrangingen Tranchen der NPLs der Monte dei Paschi investieren, was eine Voraussetzung ist, damit die MPS eine vorsorgliche Rekapitalisierung erhält. Diese nachrangige Tranche hat einen Wert von 1,6 Milliarden Euro, aber Anfang dieses Monats gab es Zweifel, dass dies ohne die Teilnahme von Beteiligungsfonds erreicht werden könnte, die sich unlängst zurückgezogen hatten. Jetzt hätte Atlas-2 genug Geld, um diesen Job zu machen und eine Auflösung des MPS-Deals zu verhindern.

Eine dritte Frage betrifft die vorrangigen Anleihegläubiger. Die Europäische Kommission hat kommuniziert, dass diese keinen Teil der Last tragen müssen, wie sie auch schon 2013 in der „Bankenmitteilung“ geschrieben hatte. Aber in einem Erklärstück der Bank of Italy – die wie erwähnt die italienische forced administrative liquidation verwaltet – heißt es, dass unter dieser Prozedur „alle Gläubiger, also nicht nur die nachrangigen Anleihegläubiger, erst nach der Liquidation der Bankaktiva entschädigt werden, und wahrscheinlich teilweise und nach einigen Jahren“. Das Dekret der italienischen Regierung verhindert die Transfers zur Intesa nicht ausdrücklich, aber in den kommenden Tagen werden wir noch mehr Klarheit in dieser Frage benötigen.

Die italienischen Behörden versuchen, ein Problem auszusitzen, und lassen es zu, dass oftmals politische Bedenken ökonomische Themen dominieren

Zusammenfassend lässt sich sagen: Diese Episode bestätigt jenes Muster, dass sich beim Management der Probleme des italienischen Bankensektors während der letzten Jahre gezeigt hat. Die Behörden versuchen, ein Problem auszusitzen, und lassen es zu, dass oftmals politische Bedenken ökonomische Fragen dominieren. Dies konnten wir bei der Rekapitalisierung der MPS beobachten, die bis nach dem italienischen Verfassungsreferendum verschleppt wurde, bei der Gründung von Atlas, und nicht zuletzt in dem nie enden wollenden Bemühen, Kleinanleger, die im Besitz nachrangiger Anleihen sind, zu schützen – wobei es besser gewesen wäre zu verhindern, dass diesen Anlegern die Produkte überhaupt erst verkauft werden. Und wir sehen dieses Muster auch hier wieder bei der Verwendung von generösen Liquidationshilfen.

Manche in Italien werden diesen letzten Zug als ein Happy End verstehen. Andere werden es als das interpretieren, was es tatsächlich ist: eine politische Entscheidung. Für Brüssel wird diese Episode vielleicht schlussendlich demonstrieren, dass die Harmonisierung des Insolvenzrechts für Banken eine unverzichtbare Ergänzung zum gemeinsamen Bankenabwicklungsregime (BRRD) ist, worauf andere bereits zuvor deutlich hingewiesen haben. Solange wie dies nicht umgesetzt ist, wird auch weiterhin die Möglichkeit bestehen, nationale Insolvenzordnungen als Fluchtweg zu nutzen, um einer Abwicklung zu entgehen.

 

Zur Autorin:

Silvia Merler ist Affiliate Fellow am Thinktank Bruegel. 

Hinweis:

Dieser Beitrag wurde zuerst vom Thinktank Bruegel in englischer Sprache veröffentlicht und mit Zustimmung von Bruegel ins Deutsche übersetzt.