Zukunft der Arbeit

Die deutschen Medien haben den Blues

Die Veränderung der Arbeitswelt gehört zweifelsohne zu den wichtigsten Themen unserer Zeit und erhält entsprechend große mediale Aufmerksamkeit. Allerdings wird der technologische Fortschritt in der Presse oftmals wie ein Naturereignis dargestellt, auf dessen Gestaltung Menschen keinen Einfluss haben – dabei war Selbstentmachtung war noch nie ein Weg in eine bessere Zukunft. Ein Kommentar von Hans-Jürgen Arlt.

Auch Roboter haben menschliche Eltern. Foto: Pixabay

Man sagt, die Medienöffentlichkeit spiegele das Selbstbild einer Gesellschaft. Aber welches Bild macht sich die Bundesrepublik von der Zukunft der Arbeit?

Zu dieser großen Frage haben wir eine kleine Untersuchung gemacht und insgesamt 360 Artikel der Jahre 2014 und 2015 von elf führenden Tages- und Wochenzeitungen analysiert, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt, die taz, der Spiegel und die ZEIT. Hier ein Überblick über die Befunde in sieben Punkten.

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Die Presseberichterstattung beschäftigt sich ausführlich mit den negativen Entwicklungen, die die Arbeit unter den Bedingungen der digitalen Ökonomie haben wird und bereits hat. Die sogenannte „Entgrenzung“ der Arbeit, also die Möglichkeit, zu jeder Zeit und überall zu arbeiten, wird dabei in zweifacher Weise beschrieben. Einerseits als Vereinnahmung: Die Arbeit lässt die Menschen nicht mehr los, die Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter mit Leib und Seele zu beanspruchen, ohne Rücksicht auf andere Interessen und Bedürfnisse. Andererseits als Ausgrenzung: Ein wachsender Teil der Arbeit hat keinen festen Platz mehr in den Unternehmen. Arbeitstätigkeiten werden wie in der Plattform- oder Gigökonomie häppchenweise feilgeboten und die Leute können sich in internationaler Konkurrenz darum bemühen, ein Stückchen (meist schlecht bezahlter) Arbeitstätigkeit abzubekommen. Weniger soziale Sicherungen, mehr Konkurrenz, stärkere Kontrolle, Verlust von Arbeitsplätzen sind häufig zu lesende Stichwörter.

Solche negativen Entwicklungen werden oftmals in einem Ton der Unabänderlichkeit dargestellt – gerade so, als wenn es sich bei diesen Entwicklungen um ein vorbestimmtes Schicksal handelt. Zwar werden auch positive Aspekte benannt, etwa größere Chancen, Orte und Zeiten seiner Arbeitstätigkeiten selbst zu bestimmen und weniger in Hierarchien eingebunden zu sein. Aber solche positiven Folgen werden mehr als Abfallprodukt, denn als Absicht präsentiert, und auch nur dann in Ordnung gefunden, wenn sie der Wirtschaft dienen. Dementsprechend finden die Gewerkschaften mit ihrem Ruf nach „guter Arbeit“ in der Berichterstattung keine große Resonanz oder Unterstützung für ihre Forderung

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Sehr auffällig ist die nationale Prägung der Berichterstattung. Ein immer wiederkehrender Tenor lautet, dass die Veränderung der Arbeitswelt schon in Ordnung sein wird, wenn sie denn nur den internationalen Spitzenplatz der deutschen Wirtschaft nicht gefährdet. Wir haben es mit globalen Konkurrenzverhältnissen zu tun, es können nicht alle Gewinner sein, aber solange die Verlierer keine deutschen, sondern ausländische Unternehmen sind, braucht man sich keinen Kopf zu machen.

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Die Digitalisierung wird als eine Art Naturereignis dargestellt, dem sich alle anzupassen haben. Der eigentlich naheliegende Gedanke, dass die Digitalisierung selbst ein Resultat von Arbeit ist, kommt in der Berichterstattung nicht vor – das ist schon ziemlich überraschend, weil in der historischen Rückschau sicherlich niemand bestreiten würde, dass der Pflug und die Eisenbahn, die Nähmaschine und die Bohrmaschine, das Fließband und der Computer Menschenwerk sind. Dagegen wird der Digitalisierungsprozess behandelt, als würde er ohne das Zutun von Menschen vonstattengehen.

Diese (falsche) Darstellung hat wichtige Implikationen: Von einem ernsthaften Gestaltungsanspruch kann keine Rede sein, er wird von den Medien gegenüber der Politik und den Gewerkschaften auch nur sehr selten angemahnt. Zu den wenigen Ausnahmen gehört ein Text in der Süddeutschen Zeitung, der die Möglichkeit anspricht, endlich damit aufzuhören, „sich dem zu beugen, was irgendein Zeitgeist unaufhaltsam nennt“. Gipfel der Blickverengung ist es, wenn nicht nur die Technik als Sachzwang dargestellt, sondern auch noch die Digitalisierung auf Technik reduziert wird, wie beispielsweise in einem FAZ-Beitrag: „Die “Industrie 4.0“ beziehungsweise der heute als Revolution beschriebene Weg dorthin ist eine technische Angelegenheit.“

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Es herrscht eine dramatische Veränderungsrhetorik. „Nichts wird bleiben, wie es ist, das Internet verändert unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft, unser Leben“, meint zum Beispiel die WirtschaftsWoche. Woran sich allerdings nichts ändert, ist das Primat der Wirtschaft über die Arbeit. Die Kernbotschaft des Kapitalismus bleibt weitestgehend unangefochten: Arbeit, die sich nicht rechnet, können wir nicht brauchen. Was keinen Gewinn bringt, das sollen weiterhin Frauen unbezahlt erledigen oder, wenn es gar nicht anders geht, die öffentlichen Hände richten. Das wird so natürlich nicht gesagt – aber es ist die unausgesprochene Konsequenz.

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Erwerbsarbeit ist alternativlos. Wir haben dem Schlusskapitel unserer Studie, in dem wir die Befunde diskutieren, die Überschrift „Arbeit als existenzsichernde Leistung – eine bedrohte Lebensart“ gegeben. Wenn man im Zusammenhang mit den neuen Kommunikations- und Informationstechnologien schon von Revolution und epochalem Umbruch redet, dann ist es auch sinnvoll, in größeren historischen Dimensionen zu denken. Dass jede einzelne Person sich mit ihrer Arbeitsleistung eine eigenständige soziale Existenz aufbauen kann und – von Erbschaften einmal abgesehen – auch muss, war eine Errungenschaft der Moderne. Ihr ging die Befreiung aus feudalen Herrschaftsverhältnissen voraus, unter welchen die Arbeitenden vor allem Leibeigene, Knechte und Mägde waren und das Handwerk in Zünften organisiert war.

Die individuelle bezahlte Arbeitsleistung als Zentrum der sozialen Existenz hatte und hat außerhalb von Wirtschaftswunderzeiten für größere Teile der Bevölkerung stets etwas Prekäres, nicht nur im Alter und im Krankheitsfall. Technik, die menschliche Arbeitskraft ersetzt, bedeutet daher neben Produktivitätssteigerungen und Arbeitserleichterungen immer auch eine Bedrohung der aktuellen Existenzgrundlage für Beschäftigte. Wirtschaftsunternehmen, aber auch Nonprofit-Organisationen, selbst Kirchen und Gewerkschaften, stellen ja Leute nur ein, wenn sie Arbeitskräfte brauchen und bezahlen können – und nicht deshalb, weil Arbeitsuchende anklopfen, die auf ein Erwerbseinkommen angewiesen sind.

Im Kontext der Digitalisierung, die stark Richtung Robotisierung und Einsatz künstlicher Intelligenz entwickelt wird, wird auch in den Medien nachdrücklich die Frage gestellt, ob in Zukunft ausreichend bezahlte Arbeitstätigkeiten angeboten werden. Immerhin haben wir selbst in Deutschland, einer der erfolgreichsten Wirtschaftsnationen, seit mehr als dreißig Jahren Massenarbeitslosigkeit, auch wenn gegenwärtig über die rund 2,5 Millionen registrierten Arbeitslosen kaum noch jemand redet.

Abgesehen von Randdebatten wie zur Maschinensteuer und zum bedingungslosen Grundeinkommen stellt sich auch der Journalismus nicht die Frage, wie die Erwerbsarbeit als zentrale Integrationsinstanz unserer Gesellschaft besser ergänzt und längerfristig vielleicht sogar ersetzt werden könnte. Nationalismus und Demokratiefeindlichkeit, die inzwischen sogar den Einzug in das Weiße Haus und in den Vorhof des Élysée Palastes geschafft haben, fallen nicht vom Himmel, sie sind (nicht nur, aber auch) Ausdruck sozialer Abstiegsängste.

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Von routinemäßigen Rezensionen abgesehen haben Bücher und wissenschaftliche Studien, die im Digitalisierungsprozess eine neue Arbeitskultur und neue Wirtschaftsweisen angelegt sehen, wenig Einfluss auf die Berichterstattung. Auf ernsthaftes Interesse stößt nicht einmal der inzwischen schon klassische Hinweis, dass die größte Produktivkraft der Internetökonomie, nämlich Information und Wissen, sich gegen ihre Verwendung als Privateigentum logischerweise sperrt, weil man Wissen auch dann behält, wenn man es abgibt. „Die Open-Source-Praxis entwickelt sich zu einer strukturbildenden Leitidee, ähnlich wie die Praxis des Taylorismus in der industriellen Epoche soziale Verhaltens- und Denkweisen prägte“, meint etwa der Arbeitswissenschaftler Ulrich Klotz. Solche Prognosen sind dem etablierten Journalismus nicht einmal eine Erwähnung wert.

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In der Berichterstattung über die Zukunft der Arbeit spiegelt sich mehr Krisenstimmung als Aufbruchshoffnung. Das dürfte auch daran liegen, dass dem kreativen Potential der sogenannten Digital Natives primär unter technischen, aber nur beiläufig unter sozialen Gesichtspunkten Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die intensive Arbeit der Open-Source- Szene, nichtkommerzielle, an Gebrauchswerten orientierte Computeranwendungen anzubieten, wird, jedenfalls im Untersuchungszeitraum, als eine zu vernachlässigende Größe behandelt. Die volle Konzentration gilt den fünf Kommerzgiganten der Online-Kommunikation.

Auf neue, enthierarchisierte Organisationsmodelle wird durchaus hingewiesen, neue Führungsqualitäten werden häufig eingefordert, aber auch diese Neuigkeiten bleiben im Horizont der Wirtschaftlichkeit gefangen. Wenn und weil sie zu ökonomischem Erfolg verhelfen, werden sie thematisiert. Kriterien der Arbeits- und Lebensqualität wird kein eigenes Gewicht zuerkannt. Dass zu einem guten Leben mehr gehören könnte als wirtschaftsdienliche Arbeit oder gar überhaupt etwas vollkommen Anderes als Arbeit, ist selbst dem Feuilleton nur wenige Zeilen wert.

Fazit: Ein bisschen mehr Gestaltungswille, bitte!

Unsere Studie haben wir primär aus einem gesellschaftspolitischen Interesse durchgeführt: Es ging uns weniger darum, die analysierten Medien einer tiefgreifenden Kritik zu unterziehen, sondern wir wollten die Grundbotschaften und übergreifenden Erzählungen zu diesem wichtigen Thema herausfiltern. Journalismus ist kein Religionsersatz, und seine Aufgabe kann es nicht sein, den kollektiven Vorstellungen von der Welt Sinn und Ordnung zu geben – aber trotzdem ist genau dies seine stärkste Nebenwirkung. Denn für die aktuelle Orientierung der Bürgerinnen und Bürger liefert der Journalismus zuallererst Nachrichten und Deutungen.

Daher kommt man kaum umhin, im Resümee der Ergebnisse auch eine Portion Medienkritik zu äußern. Denn die Art und Weise, wie die Zukunft der Arbeit öffentlich betrachtet und beschrieben wird, muss nach unserer Auffassung auch öffentlich problematisiert werden. Besonders bedenklich finden wir die Beobachtung, dass politische Gestaltungsansprüche medial nur sehr reduziert zu beobachten sind.

Zurück bleibt der Eindruck von einer Republik, die in dieser großen Frage eher schlecht informiert ist und die weitestgehend vermittelt bekommt, dass der technologische Fortschritt ein Naturereignis wäre, dessen negativen Folgen sich die Arbeitswelt nolens, volens beugen und anpassen muss. Selbstentmachtung war noch nie ein Weg in eine bessere Zukunft.

 

Zum Autor:

Hans-Jürgen Arlt ist Honorarprofessor am Institut für Theorie und Praxis der Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Er forscht, lehrt und publiziert zu den Themen demokratische Öffentlichkeit und Zukunft der Arbeit. Von 1990 bis 2003 leitete er die Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Arlt war Zeitungsredakteur und hat mehrere Jahre in der Redaktion der Nürnberger Nachrichten gearbeitet.

Hinweis:

Die in diesem Text vorgestellte Studie Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema. Presseberichterstattung zwischen Mainstream und blinden Flecken finden Sie hier.