Bilanzoptimierung

Wieso die geplante Reform der Entwicklungsbanken die sozialen Fortschritte von Entwicklungsländern bedroht

Die G20-Finanzminister treiben die Bilanzoptimierung der multilateralen Entwicklungsbanken voran, um deren Kreditpotential zu steigern – allerdings dürfte darunter die Finanzierung von sozialer Infrastruktur in den ärmsten Ländern der Welt leiden. Die G20 muss daran erinnert werden, dass es zu früh ist, voreilige Siege im Kampf gegen die extreme Armut zu verkünden.

Den konzessionären Finanzierungsfenstern traditioneller Entwicklungsbanken droht die Schließung. Foto: Pingnews.com via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Das Communiqué des G20-Finanzministertreffens vom 17./18. März 2017 in Baden-Baden enthielt eine wichtige Passage, die allerdings weniger Aufmerksamkeit als Handels- und Währungsfragen gefunden hat:

„Angesichts knapper öffentlicher Mittel und der Schlüsselrolle des Privatsektors im Hinblick auf eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung begrüßen wir die Maßnahmen der multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) zur Mobilisierung von privatem Kapital. Wir rufen die MDBs auf, die Gemeinsamen Prinzipien zur Mobilisierung privater Finanzmittel zu finalisieren und Zielsetzungen zur Mobilisierung privater Finanzmittel bis zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs im Juli 2017 zu erarbeiten. Wir sehen dem gemeinsamen Bericht der MDBs über die Umsetzung des Aktionsplans zur Optimierung ihrer Bilanzen (…) im Juli 2017 entgegen.“

Was versteht die G20 unter MDB-Bilanzoptimierung – und warum ist das wichtig?

Die in der Passage angesprochene „Bilanzoptimierung“ von multilateralen Entwicklungsbanken klingt zunächst nicht nach einer sonderlich spannenden Geschichte – allerdings könnte diese Reform fatale Folgen für die sozialen Fortschritte von Entwicklungsländern haben, allen voran für jene auf dem afrikanischen Kontinent.

Als Hintergrund braucht es eine kurze Geschichte internationaler Finanzinstitutionen. Die Weltbank (IBRD) wurde 1944 als Schwesterorganisation des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf der Konferenz von Bretton Woods gegründet. In den 60er Jahren, als viele arme Staaten die Unabhängigkeit von kolonialer Herrschaft erlangten, schuf die Weltbank die International Development Association (IDA), die Zuschüsse und Darlehen zu sehr günstigen Vorzugsbedingungen vergeben sollte. Anders als die IBRD hat die IDA ein sogenanntes „konzessionäres Fenster“: Konzessionäre Fenster agieren wie Treuhandfonds, sie werden regelmäßig durch Geldtransfers von den Mitgliedsländern alimentiert. Nicht-konzessionäre Fenster werden dagegen durch Anleihen der Entwicklungsbanken finanziert.

In schneller Folge wurden dann regionale Entwicklungsbanken gegründet, unter anderem die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), die Asiatische Entwicklungsbank (AsDB) und die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank (IADB). Diese folgten dem Weltbank-Modell mit seinen zwei Finanzierungsfenstern.

Da die multilateralen Entwicklungsbanken Ausfallgarantien der reichen Mitgliedsländer und bevorzugten Gläubigerstatus genießen, werden ihre Anleihen von den großen Ratingagenturen als „Investmentqualität“ bewertet. Die Kernkompetenz multilateraler Entwicklungsbanken besteht in der Auswahl, Überwachung und Durchsetzung von Krediten, welche physisches und humanes Entwicklungskapital bilden, für das sich keine günstige private Finanzierung finden lässt. Die Finanzierung globaler Kollektivgüter gehört folglich nicht zur ursprünglichen Kernkompetenz multilateraler Entwicklungsbanken.

Die multilateralen Entwicklungsbanken werden vom (politischen) Westen dominiert, was aber nicht immer mit den ökonomischen Kräfteverhältnissen harmoniert

Die traditionellen multilateralen Entwicklungsbanken werden noch immer vom (politischen) Westen dominiert, was aber nicht immer mit den ökonomischen Kräfteverhältnissen der Gegenwart harmoniert. So ist beispielsweise die Steuerung der Asiatischen Entwicklungsbank besonders verzerrt: Japan bleibt wichtigster Anteilseigner und Entscheidungsträger, obwohl das AsDB-Mitglied China inzwischen die größte Wirtschaft der Region ist. Solange keine Erhöhung der Anteilsquoten und damit der Kapitalbeiträge durch China (und Indien) zugelassen werden, wird die verzerrte Repräsentation im Rat der AsDB negative Konsequenzen auf ihre Kapitalausstattung und Ausleihevolumen haben.

Diese Verzerrungen waren eine wichtige Motivation für China und die übrigen BRICS-Staaten, die Gründung neuer Entwicklungsbanken voranzutreiben, wovon die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) sicherlich die Bekannteste ist. Die erfolgreiche Gründung dieser Institute gab wiederum Anlass zu einer US-gesteuerten Kampagne zur Zusammenlegung der konzessionären und nicht-konzessionären Fenster traditioneller Entwicklungsbanken, deren Ergebnisse sich unter anderem im eingangs erwähnten G20-Communiqué zeigen. Trotz schwacher Kapitalausstattung soll so das Kreditpotential gewahrt oder gesteigert werden.

Unter der neuen Trump-Regierung ist eine weitere Verknappung der Kapitalausstattung traditioneller Entwicklungsbanken und damit Druck auf die Schließung der – für die ärmsten Länder dieser Welt so wichtigen – konzessionären Fenster zu befürchten. So lassen sich in Zeiten gekürzter Entwicklungsausgaben die Refinanzierungspflichten für die USA verringern.

„Win-win-win“

So ist es auch kein Zufall, dass die AsDB als vielzitierter „Pionier der Bilanzoptimierung“ gefeiert wird. Die Aktiva ihres konzessionären Fensters (AsDF) wurden per 1.1. 2017 als Eigenkapital mit der Kernbilanz verschmolzen, womit eine Verdreifachung des AsDB-Kapitals erzielt wurde. Nach Schätzung des Center for Global Development hat die Bilanzoperation das Ausleihepotenzial der Bank um 50% erhöht. Auch in anderen internationalen Finanzinstitutionen sind Bilanzreformen zu beobachten: Nach seiner 18. Refinanzierungsrunde plant die IDA, ihre nicht-konzessionären Kredite durch ein neues Fenster für den Privatsektor zu hebeln. Die AfDB öffnete unlängst auch den ärmsten Mitgliedsländern ihr nicht-konzessionäres Fenster.

Die Bilanzoptimierung der AsDB ist vom Washingtoner Center for Global Development als „win-win-win“ vermarktet worden: Den armen AsDF-Ländern öffne sich ein höheres Kreditpotenzial zu Vorzugsbedingungen; reichere AsDB-Länder könnten sich auch mehr verschulden, allerdings zu nicht-konzessionären Bedingungen; und die AsDF-Geberländer hätten 50% weniger Kapital für reine Zuschüsse aufzubringen, da der Pool zuschussberechtigter Länder schrumpfe. Ist das zu schön um wahr zu sein – ein Free Lunch?

Im Gegensatz zu dieser optimistischen Einschätzung hat eine Arbeitsgruppe der AfDB den Zusammenschluss der beiden Kreditfenster kritisiert: Er werde zu niedrigeren konzessionären Krediten an die ärmsten asiatischen Staaten führen. Das gelte besonders für die Finanzierung der sozialen Infrastruktur, weil diese in der Regel nicht bankfähig sei. Damit werde die ohnehin schon bei der AsDB vorhandene Vorliebe für bankfähige Projekte der „harten“ Infrastruktur in Energie, Telekommunikation und Transport verstärkt.

Konsultieren wir eine simple MDB-Bilanz um herauszufinden, wann ein Zusammenschluss der beiden Fenster das Ausleihepotenzial einer Entwicklungsbank erhöhen kann:

  • Auf der Passivseite kommt es auf das konzessionäre zum nicht-konzessionären Eigenkapitalverhältnis an: Je mehr nicht-konzessionäres Eigenkapital verschmolzen werden kann, desto mehr Wirkung wird die Fusion entfalten.
  • Auf der Aktivseite zählt die Schuldnerstruktur. Ein hoher Anteil von konzessionären Schuldnern senkt den Hebeleffekt der Fusion, im Extremfall in Richtung 1 (nur Zuschüsse, keine Kredite).

Das Nettoergebnis der Zusammenlegung beider Kreditfenster auf das Ausleihepotenzial hängt allerdings nicht nur vom Eigenkapitalverhältnis des konzessionären zum nicht-konzessionären Fenster und vom Hebeleffekt der Fusion beider Fenster ab. Ein weiterer Parameter ist der (höhere) Konzentrationsanteil fragiler und konfliktgestörter Staaten mit Niedrigeinkommen für noch verbleibende Zuschüsse.

Die Kennziffern der folgenden Tabelle zeigen, dass die Weltbankgruppe (WBG) sich recht gut für die von der G20 empfohlenen Bilanzoptimierung eignet: Sie verfügt über ein relativ hohes Eigenkapitalverhältnis des konzessionären Fenster IDA zum nicht-konzessionären Fenster IBRD und über einen hohen Hebeleffekt. Damit kann das Ausleihpotenzial der Weltbankgruppe tatsächlich erheblich gesteigert werden.

MDB-Bilanzquoten

MDBAfDBAsDBIADBWBG
Eigenkapitalverhältnis4,162,240,074,38
Hebeleffekt2,493,793,264,13
WordPress Table

Quelle: Eigene Berechnungen; diverse MDB-Jahresberichte.

Anders sieht es hingegen bei der Inter-Amerikanischen und der Afrikanischen Entwicklungsbank aus. Die für die Bilanzoptimierung zur Verfügung stehenden Manövriermassen beider Banken sind beschränkt, wenngleich aus verschiedenen Gründen: Die inter-amerikanische IADB hat ihr konzessionäres Fenster bereits weitgehend abgewickelt, sodass das Eigenkapitalverhältnis gegen Null tendiert – es ist fast kein konzessionäres Eigenkapital mehr vorhanden, das in das gesamte Kapital der Entwicklungsbank überführt werden könnte.

Das Problem bei der afrikanischen AfDB ist wiederum, dass noch eine große Mehrheit der AfDB-Schuldner (30 um genau zu sein) von der Vorzugsfinanzierung des konzessionären Fenster AfDF abhängt, wie die folgende Tabelle veranschaulicht:

Afrikas Staaten mit AfDF-Berechtigung Afrikas Staaten mit AfDF-Berechtigung Afrikas Staaten mit AfDF-Berechtigung Afrikas Staaten mit AfDF-Berechtigung
AfDB-SchuldenfähigkeitAfDB-Schuldenfähigkeit
NeinJa
Prokopfeinkommen oberhalb der AfDF-BerechtigungsschwelleNein30 (nur AfDF)3 (Blending)
Prokopfeinkommen oberhalb der AfDF-BerechtigungsschwelleJa4 (AfDF-Lücke)3 (nur AfDB)
WordPress Table
Anzahl der Staaten (von 54 insgesamt). Quelle: AfDB

Eine Fensterfusion der afrikanischen Entwicklungsbank, die nach dem Muster der AsDB Kreditpotenzial für harte Infrastrukturinvestitionen schaffen könnte, hätte somit vermutlich negative Folgen für die sozialen Entwicklungsziele auf dem afrikanischen Kontinent. So warnt beispielsweise Inge Kaul, Professorin an der Hertie School of Governance, eindringlich und vollkommen zurecht davor, dass sich die Politik hüten sollte, die multilateralen Entwicklungsbanken mit der Finanzierung globaler Kollektivgüter zu überfrachten, gerade auf Kontinenten wie dem afrikanischen, wo immer noch extreme Armut vorherrscht.  Denn noch immer muss ein Drittel Schwarzafrikas – das sind knapp 400 Millionen Menschen – laut Daten der Weltbank mit einem Einkommen von weniger als 1,90 Dollar pro Tag zurechtkommen, lebt also in extremer Armut.

Die G20 muss daran erinnert werden, dass es zu früh ist, voreilige Siege im Kampf gegen die extreme Armut zu verkünden und die multilateralen Entwicklungsbanken weg von der Armutsbekämpfung hin zu den Präferenzen der reichen Welt zu schieben.

 

Zum Autor:

Helmut Reisen war bis 2012 Forschungsdirektor am Development Centre der OECD in Paris. Seitdem betreibt er die unabhängige entwicklungspolitische Beratungsfirma ShiftingWealth Consulting und den Blog Weltneuvermessung.