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Diese Altlasten könnten den Aufschwung im Euroraum stoppen

Derzeit scheinen vor allem politische Unsicherheiten die Erholung des Euroraums zu gefährden – dabei besteht die Gefahr, dass die Lösung der schon seit längerem bestehenden ökonomischen Probleme ans Ende der Tagesordnung rutscht. Solange diese Altlasten aber nicht behoben sind, wird die Währungsunion instabil bleiben.




Viele Zeichen deuten derzeit auf eine wirtschaftliche Erholung im Euroraum hin: das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs über die letzten zwei Jahre um knapp 2% jährlich und die meisten Prognosen sagen eine Fortsetzung dieses Trends voraus. Die Arbeitslosenquote ist seit der Krise um fast 3 Prozentpunkte auf etwas mehr als 9% zurückgegangen. Die jährliche Inflationsrate erreichte nach einer langen Phase sehr niedriger Inflation diesen Februar wieder 2%.

Gleichzeitig scheinen die politischen Unwägbarkeiten im Euroraum kein Ende zu nehmen: In Frankreich könnte eine rechtspopulistische und eurokritische Präsidentschaftskandidatin die Wahlen im Mai für sich entscheiden. In Griechenland könnte ein fehlender Kompromiss zwischen der Tsipras-Regierung, den übrigen Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds zu einer neuen Krise führen. Hinzu kommen externe Risiken, wie der Ausgang der Brexit-Verhandlungen oder die Wirtschaftspolitik der neuen amerikanischen Regierung.

In Anbetracht dieser Herausforderungen könnte es leicht passieren, dass schon länger bestehende Risiken ans Ende der Tagesordnung geschoben werden. Aber auch die Altlasten der Krise könnten den Aufschwung im Euroraum gefährden, wie ein Blick auf die neusten Zahlen zeigt.

Nach wie vor hohe Schuldenstände

Die meisten Länder haben zwar seit der Krise ihr Staatsdefizit gesenkt: Im 3. Quartal lag dieses im Euroraum zuletzt bei -1,7% des BIP. Während der Krise war es auf über -7% gestiegen. Allerdings sind die angehäuften Staatsschulden immer noch ein Problem. Vor dem Beginn der Finanzkrise war die Staatsverschuldung in vielen Ländern vergleichsweise gering. Im Jahr 2007 hatte Irland eine Staatsverschuldung von 24% des BIP, Spanien von 36%. Nur Italien und Griechenland waren mit ungefähr 100% des BIP verschuldet. Durchschnittlich betrug die Staatsverschuldung im Euroraum 65%. Jetzt liegt sie trotz eines zuletzt leichten Rückgangs bei über 90%.

Die hohen Schuldenstände erschweren es den betroffenen Ländern im Falle eines Abschwungs mit Konjunkturprogrammen gegenzusteuern

Die hohen Schuldenstände erschweren es den betroffenen Ländern im Falle eines Abschwungs mit Konjunkturprogrammen gegenzusteuern, weil dann die Zinsen für Staatsanleihen wieder in die Höhe schnellen und den Schuldendienst verteuern könnten. Der Rettungsschirm des ESM ist zu klein, um mehrere oder größere Euroländer aufzufangen, und in der Eurozone gibt es keine Fiskalkapazität, die den Ländern unter die Arme greifen könnte.

Die Kombination aus soliden aber niedrigen Wachstumszahlen, vergleichsweise niedriger Inflation und vermutlich steigenden Zinsen in der Zukunft macht es unwahrscheinlich, dass die Länder aus ihren Schulden herauswachsen können. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat durch ihr Anleihekaufprogramm zwar die Märkte beruhigt und die Zinslast der Länder reduziert, doch es bleibt abzuwarten, wie die Märkte reagieren werden, wenn die EZB eventuell 2018 das Ende des Quantitative Easing (QE) einleiten könnte.

Wie hoch der optimale Schuldenstand im Euroraum sein sollte, ist umstritten. Im Stabilitäts- und Wachstumspakt ist die Obergrenze bei 60% des BIP festgelegt. Ein Blick auf die neusten Quartalszahlen von 2016 zeigt, dass 13 der 19 Euroländer derzeit über dieser Grenze liegen. Spanien, Belgien, Zypern, Italien, Portugal und Griechenland sind sogar mit mehr als 100% des BIP verschuldet. Verschiedene Berechnungen zeigen, dass die Höhe einer tragbaren Staatsverschuldung von Land zu Land unterschiedlich ist. Fest steht jedoch, dass die Schulden im Durchschnitt sehr hoch sind und dass die Staatsschulden, wenn überhaupt, nur langsam abgebaut werden können. In der Zwischenzeit bleiben die Euroländer verwundbar.

Quelle: Eurostat

Notleidende Kredite

Ein zweites Risiko für den Aufschwung im Euroraum sind die großen Bestände an notleidenden bzw. ausfallgefährdeten Krediten, die das Bankensystem in einigen europäischen Ländern weiterhin belasten. Diese non-performing loans (NPLs) werden häufig auch als „Schrottkredite“ bezeichnet, was jedoch irreführend ist, weil es sich lediglich um Kredite handelt, die seit 90 oder mehr Tagen nicht bedient worden sind. Nichtsdestotrotz stellen sie für Finanzsektor und Realwirtschaft ein großes Problem dar.

Im Zuge der Eurokrise nahm der NPL-Anteil in den Bankbilanzen stark zu, als immer mehr Unternehmen und Privatpersonen in Zahlungsschwierigkeiten gerieten. Im Euroraum stieg er von 1,8% in 2007 auf 7,9% im Jahr 2013 und ist seitdem zuletzt auf 5,4% im Jahr 2016 gefallen. Das entspricht Krediten im Wert von 937 Milliarden Euro. Zum Vergleich: In den USA kletterte der Anteil von 1,4% in 2007 auf 5% in 2009 und fiel danach konstant auf 1,5% in 2016.

Notleidende Kredite belasten die Wirtschaft durch zwei, sich gegenseitig verstärkende Kanäle: Zum einen werden Banken daran gehindert, ausreichend Kredite an die Realwirtschaft zu vergeben. Sie müssen für ausfallgefährdete Darlehen weiterhin Eigenkapital vorhalten, generieren aber keine Einkünfte mehr damit. Das schwächt die Profitabilität und damit auch die Krisenfestigkeit des Bankensektors. Zum anderen führen ungeklärte Ansprüche zwischen Gläubigern und Schuldnern dazu, dass letztere auch keinen Neustart versuchen und neu investieren können.

Die Euroländer sind dabei unterschiedlich stark betroffen. Deutschland lag im Dezember 2016 mit 2,6% leicht unter dem Vorkrisenniveau von 2,7%. In vier Ländern des Euroraums betrug der Anteil aber noch über 10%. In Ländern wie Irland und Spanien, die derzeit hohe Wachstumsraten verzeichnen, konnte der Bankensektor den Anteil notleidender Kredite deutlich gesenkt werden. Dort wo die Wirtschaft nach wie vor schwächelt, wie etwa in Griechenland, Italien und Portugal, ist das Problem weiterhin akut.

Anteil der notleidenden Kredite (NPLs) am gesamten Kreditportfolio

Quellen: IMF Global Financial Stability Report, EBA Risk Dashboard, eigene Berechnungen.

Die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft werden noch deutlicher, wenn man den Anteil der notleidenden Kredite in unterschiedlichen Sektoren betrachtet. Im EU-Durchschnitt sind 16,8% aller Kredite an kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) ausfallgefährdet. Auch Kredite an größere Betriebe liegen mit 7,5% deutlich über dem Durchschnitt der gesamten ausfallgefährdeten Kredite von 5,4%. Diesen Zahlen kann man entnehmen, dass in vielen Ländern die Realwirtschaft und besonders KMUs weiterhin Schwierigkeiten haben, ihre Schulden zurückzuzahlen. Sollten die Zinsen auf Unternehmenskredite, die heute historisch niedrig sind, wieder steigen, könnte das zu einem erneuten Anstieg von Unternehmenspleiten führen.

Die drei abgebildeten Sektoren stellen nicht das gesamte Kreditportfolio des Bankensektors dar. Banken vergeben zum Beispiel auch Kredite an die öffentliche Hand oder an andere Finanzinstitute. Quelle: EBA.

Der Abbau der hohen Staatsschulden und des Anteils der NPLs sollten weiter oben auf der Tagesordnung stehen; nicht zuletzt deshalb, weil die derzeitige konjunkturelle Erholung so viel Spielraum wie seit Beginn der Krise nicht mehr erlaubt. An Vorschlägen – von Strukturreformen, verbesserten Insolvenzverfahren bis hin zu Bad Banks und Eurobonds – mangelt es nicht. Dazu bedarf es jedoch eines politischen Konsens. Solange es diesen nicht gibt und Reformen auf nationaler wie auf europäischer Ebene ausbleiben, bleibt die europäische Wirtschafts- und Währungsunion auch aufgrund der Altlasten der Krise instabil.

 

Zu den Autoren:

Anna auf dem Brinke ist Wissenschaftlerin am Jacques Delors Institut – Berlin. Sie arbeitet zu Themen der europäischen Wirtschaftspolitik.

Philipp Ständer arbeitet am Jacques Delors Institut – Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den europäischen Finanzmärkten, dem Bankensystem und der Geldpolitik.

Hinweis:

Die Autoren veröffentlichen jeden Freitag das EU Economy Brief: eine Übersicht über die wichtigsten neuen Wirtschaftsdaten aus der EU. Die Briefings finden Sie hier.