Faktencheck

Ist die weltweite Armut „nur“ wegen China zurückgegangen?

In den letzten Jahren ist die extreme Armut auf der Welt schneller zurückgegangen als je zuvor. Viele meinen, dass diese außergewöhnliche Entwicklung vor allem auf die rasanten Entwicklungen in China zurückzuführen sei – und sich im Rest der Welt wenig getan hätte. Stimmt das? Ein Faktencheck von Max Roser.

Gemäß der Definition der Weltbank leben Menschen in extremer Armut, wenn sie weniger als 1,90 internationale Dollar pro Tag zum Leben haben. Internationale Dollar sind eine inflationsbereinigte und um Preisunterschiede zwischen den Ländern korrigierte Vergleichswährung (daher „international“).

Der Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung ist gemäß dieser Definition in den letzten 200 Jahren erheblich gesunken: laut den jüngsten Berechnungen von über 80% im Jahr 1820 auf knapp 10% im Jahr 2015. In den letzten Jahren ist die extreme Armut schneller zurückgegangen als je zuvor. Wenn ich – in Gesprächen oder via Social Media – auf diese Entwicklung hinweise, höre ich häufig die Antwort: „Ja, aber nur wegen China.“

Dieser Beitrag geht der Frage nach, ob das stimmt. Ist der erhebliche Rückgang der globalen Armut tatsächlich nur auf den Rückgang der Armut in China zurückzuführen?

Der historische Rückgang der extremen Armut in China

Werfen wir zuerst einen Blick auf die historische Entwicklung der extremen Armut in China. Der folgende Chart zeigt auf Basis von Berechnungen der Weltbank, wie sich der unter der internationalen Armutsgrenze lebende Anteil der chinesischen Bevölkerung verringert hat.

Im Jahr 1981 lebten etwa 88% der chinesischen Bevölkerung in extremer Armut (sprich: unter der internationalen Armutsgrenze). Laut den jüngsten Berechnungen ist dieser Anteil inzwischen auf 2% gesunken.

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Der Vergleich einer Welt mit und ohne China

Das ist eine außergewöhnliche Errungenschaft: Vor knapp 40 Jahren lebte fast jeder Chinese in extremer Armut, mittlerweile tut es fast kein Chinese mehr. Aber erzählt diese Entwicklung schon die ganze Geschichte der weltweit zurückgehenden Armut?

Um zu sehen, ob China allein für den Rückgang der extremen Armut verantwortlich ist, haben wir den Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen neu berechnet und China vollkommen außer Acht gelassen – wir vergleichen also einen Planeten mit China mit einem Planeten ohne China (hier mehr zur Methodik).

Der folgende Chart zeigt das Ergebnis. Die blaue Linie zeigt die sinkende globale Armut unter Berücksichtigung Chinas, die rote Linie die Berechnungen ohne China.

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Wir sehen, dass die Reduzierung der globalen Armut auch dann erheblich war, wenn wir China nicht berücksichtigen. 1981 lebte fast jeder Dritte der nicht-chinesischen Weltbevölkerung in extremer Armut. Bis zum Jahr 2013 ist dieser Anteil auf 12% gefallen.

Der Chart zeigt interessanterweise auch, dass die Einbeziehung Chinas den Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung bis zum Jahr 2005 erhöht hat – aber seitdem ist es umgekehrt und die Einbeziehung Chinas reduziert nun die globale Armutsrate. Das ist darauf zurückzuführen, dass die chinesische Armutsquote ab dem Jahr 2005 unter die globale Armutsquote gesunken ist.

Dazu noch eine Randbemerkung: Es ist natürlich absurd zu sagen, „die Reduzierung der globalen Armut ist nur auf China zurückzuführen“. Uns geht es um Menschen und nicht um Länder – und weil mehr als jeder fünfte Mensch auf der Welt ein Chinese ist, ist es für die Welt als Ganzes eine wirklich wichtige Errungenschaft, dass die extreme Armut in China so erheblich gesunken ist.

Aber der Rückgang der extremen Armut auf der Welt ist mehr als das. Die extreme Armut ist in China und im Rest der Welt zurückgegangen.

 

Zum Autor:

Max Roser ist Ökonom an der University of Oxford und bloggt regelmäßig auf dem von ihm gegründeten Portal Our World in Data, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.