Martin Shkreli hat der Financial Times ein interessantes Interview gegeben. Shkreli wurde berühmt (bzw. berüchtigt), als er den Preis für ein lebensrettendes HIV/Aids-Medikament um 5.000% erhöhte, nachdem er das Patent gekauft hatte. Er gefällt sich in der Rolle des Bad Boys, bereut seine Entscheidung nicht im Geringsten und glaubt, dass er genau das Richtige getan hat, weil er für die Aktionäre den Unternehmenswert erhöhte. Shkreli sagt, er würde es jederzeit wieder tun.
Und Shkrelis Argumentation hat eine eiserne Logik. Wie ich zuvor schon argumentiert habe (hier und hier), macht es in einem kapitalistischen System keinen Sinn zu glauben, dass Unternehmen irgendein anderes Ziel als die Maximierung ihrer Profite verfolgen sollten. Wenn die Gesellschaft daran etwas ändern will, wie sie es in diesem Fall offensichtlich tun sollte, dann obliegt es der Regierung entweder Regulierungen wie z. B. Preisbeschränkungen vorzunehmen, ein besseres Versicherungssystem zu schaffen oder schlicht und ergreifend die Nutzer dieser Medikamente zu subventionieren. Aber es nicht Shkrelis Pflicht, soziale Bedenken in seiner Preispolitik zu berücksichtigen. Er würde sich immer wieder gleich verhalten, egal welche Produkte er verkauft: Ob es nun ein lebensrettendes Medikament oder ein Paar Schuhe ist – die Regeln sind dieselben.
Tatsächlich scheint sich Shkreli nur einer Sünde schuldig gemacht zu haben. Diese bestand darin, dass er so brutal offen und nicht heuchlerisch war. Viele Unternehmen (insbesondere die großen Pharmakonzerne) tun genau das gleiche, aber eben viel diskreter: sie treiben den Preis vielleicht nicht um 5.000% in die Höhe und erhalten dadurch auch keine unerwünschte Aufmerksamkeit. Sie erhöhen den Preis nur um 2.000% und fliegen unter dem Radar von Politikern und Meinungsmachern hindurch. Sie sind vielleicht schlauer und sorgfältiger als Shkreli, aber nicht anders. Sie legen gegenüber der (sehr vage definierten) Gruppe von Aktionären Lippenbekenntnisse ab, aber sie wissen genauso gut wie Shkreli, dass sie sich zuallererst auf ihre Profite fokussieren müssen, wenn sie ihre Jobs behalten wollen oder ihre Firma nicht sogar vom Markt verschwinden soll.
In einem kapitalistischen System können Sie nicht beides haben: Sie können nicht knallharte Effizienz verlangen und für Wettbewerb plädieren, und dann plötzlich in einigen Fällen Kapitalisten und Unternehmer dazu auffordern, einer vollkommen anderen Logik zu folgen. Wenn Sie sich andere Ergebnisse wünschen, dann darf sich die Regierung nicht weiter zurückhalten, sondern muss intervenieren und eine aktive Rolle spielen.
Das erinnert mich an eine ähnliche Geschichte, die ich vor vielen Jahren gelesen habe. Ein US-amerikanischer Basketballspieler (ich erinnere mich leider nicht mehr an den Namen) hatte es abgelehnt, sich als Role Model hochstilisieren zu lassen. Er antwortete einem Journalisten, der ihn kritisiert hatte, kein inspirierendes Beispiel für Kinder zu sein, indem er auf eine offensichtliche Tatsache hinwies: Sein Job wäre es, Körbe zu werfen – und nicht die Kinder anderer Leute zu erziehen. Und das ist genau der springende Punkt: Wenn man sich bessere Kinder und ein stärkeres Engagement der Eltern wünscht, bekommt man es durch Dinge wie bezahlte Elternzeit oder durch Kindergeld oder indem man den Eltern erlaubt, später zur Arbeit zu kommen, nachdem sie ihre Kinder abgesetzt haben – aber nicht, indem man alles gleich lässt und so tut, als wäre es die Pflicht von Sportlern sicherzustellen, dass Kinder gut erzogen werden.
Mit anderen Worten: Menschen folgen einer bestimmten Verhaltenslogik (die oftmals die dominanten sozialen Gepflogenheiten und das institutionelle Setup reflektiert). Und wenn man an dieser Logik etwas ändern will, braucht man eine aktivistische Regierung. Denn im Kapitalismus gibt es nichts umsonst.
Zum Autor:
Branko Milanovic ist Professor an der City University of New York und gilt als einer der weltweit renommiertesten Forscher auf dem Gebiet der Einkommensverteilung. Milanovic war lange Zeit leitender Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank. Er ist Autor zahlreicher Bücher und von mehr als 40 Studien zum Thema Ungleichheit und Armut. Außerdem betreibt er den Blog Global Inequality, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.