Erschreckende Zahlen kursieren seit längerem in den Medien: 47% der Arbeitsplätze seien in den USA durch die Computerisierung bedroht, in Deutschland sogar 59%. Diese Zahlen wecken Befürchtungen, dass der Mensch den „Wettlauf gegen die Maschinen“ verlieren könnte und uns zukünftig massive Arbeitslosigkeit droht. Der Spiegel hob den Kampf Mensch gegen Maschine unlängst auf die Titelseite und bilanzierte: „Der Angriff der Roboter gefährdet die Existenz der Mittelschicht.“ Aber wie gefährdet sind unsere Arbeitsplätze wirklich? Geht uns zukünftig die Arbeit aus?
Ersetzbarkeit menschlicher Arbeitskraft
Computergesteuerte Maschinen haben seit den 1980ern zunehmend Aufgaben übernommen, die zuvor noch Menschen ausgeübt hatten. Das betrifft insbesondere sogenannte Routine-Tätigkeiten. Damit sind Tätigkeiten gemeint, die eindeutigen Regeln folgen und sich deswegen mithilfe von Algorithmen automatisiert ausführen lassen. Diese Tätigkeiten werden immer seltener von Menschen ausgeübt und Berufe mit zuvor hohen Anteilen von Routine-Tätigkeiten haben an Bedeutung eingebüßt.
Andererseits übernehmen Arbeitskräfte zunehmend andere Aufgaben. Vor allem abstrakte und interaktive Tätigkeiten gewinnen an Bedeutung. Diese Tätigkeiten lassen sich kaum automatisieren. Ob die Computerisierung unterm Strich menschliche Arbeitskraft ersetzt hat oder im Gegenteil sogar mit einer höheren Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft einherging, blieb bisher weitestgehend im Dunkeln.
Arbeitssparende und arbeitsschaffende Effekte technologischer Neuerungen
In einem neuen Forschungspapier sind wir dieser Frage nachgegangen. Grundlage dafür ist ein strukturelles Modell, das sowohl arbeitssparende als auch arbeitsschaffende Effekte der Digitalisierung berücksichtigt und gegenüberstellt. Einerseits können neue Maschinen und Algorithmen zunehmend menschliche Arbeit in sogenannten Routinetätigkeiten (z.B. Rechnen, Buchführung oder repetitiver Kundendienst) ersetzen, was zu einem Rückgang der Arbeitsnachfrage führt, im Fachjargon „technologische Substitution“ genannt.
Dem stehen aber auch arbeitsschaffende Effekte gegenüber. So können Firmen durch die neuen technischen Möglichkeiten ihre Produktionskosten und dadurch ihre Preise senken, was zur Steigerung der Produktnachfrage beiträgt. Zudem erhöht der Anstieg der Produktnachfrage das Einkommen der Akteure in der Wirtschaft, welches teilweise für lokal gehandelte Produkte wie Hotels, Restaurants oder andere persönliche Dienstleistungen ausgegeben wird (Produktnachfrage-Multiplikator). Diese beiden Mechanismen gehen mit einer steigenden Arbeitsnachfrage einher.
Automatisierung und Digitalisierung erhöhten die aggregierte Arbeitsnachfrage in Europa
Das theoretische Modell lässt damit offen, ob die arbeitssparenden oder doch die arbeitsschaffenden Effekte dominieren – diese Frage lässt sich nur empirisch beantworten. Wir haben daher Daten für 238 europäische Regionen in 27 EU-Länder für den Zeitraum 1999 bis 2010 ausgewertet, um die Größenordnung der genannten drei Effekte (Technologische Substitution, Produktnachfrage, Produktnachfrage-Multiplikator) empirisch zu schätzen.
Ergebnis: Unterm Strich zeigen die Daten, dass der Gesamteffekt des technologischen Wandels auf die Arbeitsnachfrage in dem betrachteten Zeitraum in Europa positiv war. Zwar haben Maschinen menschliche Arbeit ersetzt und die Arbeitsnachfrage reduziert. Allerdings hat die gestiegene Produktnachfrage, vor allem durch die Multiplikator-Effekte, in einem noch größeren Umfang die Arbeitsnachfrage erhöht, wie die folgende Abbildung zeigt:
Nicht-Lohneinkommen spielen eine zentrale Rolle für die Arbeitsnachfrageeffekte
Die Größenordnung der positiven Arbeitsnachfrageeffekte der Digitalisierung hängt allerdings zentral davon ab, wer die Gewinne des technologischen Wandels erhält. Um dies zu zeigen, ermitteln wir eine obere und untere Grenze der Schätzwerte. Die obere Grenze liegt bei einem positiven Arbeitsnachfrageeffekt von 11,6 Millionen Arbeitsplätzen und beruht auf der Annahme, dass alle Einkommensarten in der regionalen Wirtschaft für den Konsum ausgegeben werden. Wenn beispielsweise infolge der Digitalisierung die Wettbewerbsfähigkeit und Produktnachfrage steigt, so führt dies in diesen Unternehmen zu höheren Lohneinkommen, Gewinnen und Kapitaleinkommen. Zur Ermittlung des oberen Schätzwertes gehen wir davon aus, dass alle Einkommensarten auch für den Konsum von lokalen Produkten und Dienstleistungen verwendet werden.
Zur Ermittlung des unteren Grenzwertes gehen wir stattdessen davon aus, dass lediglich Lohneinkommen lokal wieder in Konsum münden, während die übrigen Einkommensarten nicht in der EU ausgegeben werden. In diesem Fall liegt der Effekt auf die aggregierte Arbeitsnachfrage bei nur noch 1,9 Millionen Jobs. Der Produktnachfrage-Multiplikator hängt demnach zu einem großen Teil davon ab, welche Einkommensarten in die Region zurückfließen.
Dies deutet darauf hin, dass die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekte der Digitalisierung weniger davon abhängen, wie viele Arbeitsplätze ersetzbar sind, sondern vor allem auch von der Verteilung der Gewinne der Digitalisierung.
Steigende Arbeitsnachfrage bedeutet nicht zwangsläufig mehr Arbeitsplätze
Dabei ist zu beachten, dass sich die Ergebnisse auf die Arbeitsnachfrage beziehen, nicht auf die tatsächliche Anzahl der Arbeitsplätze. Die Arbeitsnachfrage spiegelt wider, wie viele Beschäftigte die Unternehmen bei einem bestimmten Lohnniveau einstellen möchten. Aufgrund kurz- oder mittelfristiger Anpassungskosten infolge von Verschiebungen zwischen Berufen, Sektoren oder Regionen lassen sich die Effekte nicht eins-zu-eins in die Anzahl neuer Arbeitsplätze übersetzen. Beispielsweise können die von den Unternehmen gesuchten Qualifikationen von den am Arbeitsmarkt verfügbaren Qualifikationen abweichen. Oder die Unternehmen suchen Arbeitskräfte in Regionen, in denen es nicht genügend Arbeitskräfte gibt. In solchen Fällen wird die steigende Arbeitsnachfrage eher zu steigenden Löhnen, als zu steigender Beschäftigung führen, wenn die Unternehmen um knappe Fachkräfte konkurrieren.
Keine Angst vor Massenarbeitslosigkeit
Auch wenn die Ergebnisse sich nicht eins-zu-eins in die Zahl der Arbeitsplätze übersetzen lässt, so liefern sie dennoch Aussagen über Beschäftigungswirkungen in der längeren Frist, wenn sich beispielsweise die Qualifikationen an die neuen Anforderungen anpassen. Sie deuten darauf hin, dass Ängste vor technologischer Arbeitslosigkeit in der langen Frist möglicherweise überschätzt werden. Zumindest für die betrachteten europäischen Länder und den betrachteten Zeitraum scheint der Mensch vielmehr mit der als gegen die Maschine zu rennen.
Nichtsdestotrotz bleibt offen, ob die gestiegene Arbeitsnachfrage auch zu den Qualifikationen der Arbeitskräfte passen wird oder ob die Arbeitsplätze dort entstehen, wo es genügend Arbeitskräfte gibt. So ist durchaus denkbar, dass Arbeitskräfte, deren Fähigkeiten durch die neuen Maschinen ersetzt werden können, ihre Jobs verlieren. Sie profitieren nur dann von der steigenden Arbeitsnachfrage, wenn sie sich die auf dem Arbeitsmarkt benötigten Qualifikationen aneignen können.
Zu den Autoren:
Terry Gregory ist im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung“ tätig. Als Senior Researcher im Schwerpunkt „Arbeitsmärkte im Wandel“ forscht er zu Themen der empirischen Arbeitsmarktforschung und Regionalökonomik. Sein Fokus liegt dabei auf den Arbeitsmarktwirkungen von Digitalisierung und Automatisierung, Arbeitsmarktungleichheiten sowie den Wirkungen von Mindestlöhnen.
Anna Salomons ist Associate Professor für Angewandte Ökonometrie an der Utrecht University in den Niederlanden. Sie erforscht die Auswirkungen von technologischem Wandel und Offshoring auf Beschäftigung, Ungleichheit und Polarisierung.
Ulrich Zierahn ist im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung“ tätig. Als Senior Researcher im Schwerpunkt „Arbeitsmärkte im Wandel“ erforscht er die Folgen von technologischem Wandel, internationalem Handel und Offshoring für die Dynamik individueller Erwerbsverläufe und für die Einkommens- und Beschäftigungsergebnisse in regionalen Arbeitsmärkten.