Analyse

Die Folgen des Putschversuchs für die türkische Wirtschaftspolitik

Die türkische Wirtschaft befindet sich schon seit Monaten unter Druck, der gescheiterte Putschversuch dürfte das konjunkturelle Klima weiter eintrüben. Von besonderer Bedeutung für die Erdogan-Regierung ist es jetzt, internationale Investoren zu beruhigen – was für die Opposition im Land wohl nichts Gutes heißt.

Foto: OCHA / Berk Özkan via Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die ersten Marktreaktionen auf den Putschversuch in der Türkei sind gemischt ausgefallen. Die türkische Landeswährung Lira konnte am Montag gegenüber dem US-Dollar einige der am Freitagabend erlittenen Kursverluste wieder wettmachen. Der türkische Leitindex ISE 100 gab dagegen kräftig nach, die Renditen türkischer Staatsanleihen stiegen deutlich an.

Es wäre natürlich viel zu früh, aus diesen Marktreaktionen abzuleiten, welche mittel- und langfristigen ökonomischen Folgen der Putschversuch für die Türkei hat. Gewöhnlich gibt es nach überraschenden Ereignissen zunächst eine Schockreaktion, der dann oftmals eine von spekulativen Investoren getriebene Phase mit starken Kursschwanken folgt. Erst nach einigen Tagen wird klarer, in welche Richtung die Märkte tatsächlich tendieren.

Ziemlich eindeutig dürfte es allerdings sein, dass sich die türkische Konjunktur angesichts der zunehmenden Unsicherheit weiter abkühlen wird. Bereits vor dem Putschversuch war die Wirtschaft zwar ordentlich gewachsen, aber nicht mehr so dynamisch wie in den Jahren zuvor. Insbesondere der wichtige Tourismussektor hat unter der Terrorwelle der letzten Monate und den inzwischen aufgehobenen russischen Sanktionen gelitten.

Es ist gut möglich, dass die Erdogan-Regierung versuchen wird, mit einer Ausweitung der öffentlichen Ausgaben die zu erwartende Stimmungseintrübung abzufedern. Eigentlich hätte die Regierung auch den nötigen Spielraum dafür. Das Haushaltsdefizit lag 2015 bei gerade einmal 1,2% der Wirtschaftsleistung. Die Zentralbank hat bereits am Wochenende angekündigt, im Bedarfsfall mit einer „unbegrenzten“ Liquiditätsversorgung gegen die Folgen des Putsches anzugehen.

Allerdings sind die Handlungsoptionen der türkischen Geld- und Fiskalpolitik dennoch eingeschränkt. Die Inflationsrate lag im Juni bei 7,6% und somit über dem Zielband der Zentralbank von 3 bis 7% (Zielwert: 5%). Auch würde eine geldpolitische Lockerung in Form von Leitzinssenkungen wohl den Kurs der heimischen Währung schwächen – was aus mehreren Gründen problematisch ist.

Das Problem des „Hot Money“

Denn die Türkei ist zur Finanzierung ihres Leistungsbilanzdefizits von derzeit 4,5% auf ausländische Gelder angewiesen. Wie in vielen Schwellenländern sind auch in der Türkei große Teile der Verschuldung von Staat und Unternehmen in Fremdwährungen (vor allem in US-Dollar) denominiert – eine schwächere Lira würde also die Bedienung dieser Schulden erschweren. Außerdem würden steigende Importpreise die Inflation noch weiter anheizen.

Das Problem des „Hot Money“, also des ausländischen Geldes, dass bei Unsicherheiten schnell die Flucht ergreifen und schwere Krisen auslösen könnte, ist an sich nichts Neues. Aber die teils heftigen ersten Marktreaktionen zeigen schon, wie allergisch Großanleger auf politische Turbulenzen reagieren. Viel wird jetzt davon abhängen, ob die Erdogan-Regierung den Finanzmarktinvestoren glaubwürdig versichern kann, dass sie das Heft des Handelns auch weiterhin fest in der Hand hält.

Die Wahrung von Menschenrechten spielt für Finanzinvestoren höchstens eine untergeordnete Rolle

Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Wahrung von Menschenrechten und anderen demokratischen Werten für die meisten Großanleger bei ihrer Investitionsentscheidung leider höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. Was für sie zählt, ist in allererster Linie ein „stabiles wirtschaftliches und politisches Umfeld“, das attraktive Renditen bei vertretbarem Risiko verspricht – das dürfte auch die türkische Regierung wissen.

Aus der Perspektive Erdogans ist es also allein schon aus ökonomischen Gründen zwingend notwendig zu demonstrieren, dass er die politischen Zügel weiterhin fest in der Hand hält und sich die Folgen des Putschversuchs auf die türkische Wirtschaft in Grenzen halten.

Studie: Langfristige Folgen von Putschversuchen

Eine Argumentationshilfe für Erdogan könnte dabei eine Studie mit dem Titel „Political Man on Horseback: Coups and Development“ sein. Darin analysiert der am Stockholmer Institute for Transition Economics lehrende Ökonom Erik Meyersson, welche langfristigen wirtschaftlichen Folgen zahlreiche Umstürze und Umsturzversuche zwischen 1955 und 2001 hatten. Er unterscheidet grundsätzlich zwischen einem Putsch in einem demokratischen und einem autokratischen System. Außerdem hat er sich angeschaut, ob der Putsch erfolgreich oder nicht erfolgreich war.

Meyerssons Berechnungen zeigen, dass ein erfolgreicher Putsch weder in autokratischen noch in demokratischen Regimen in der Regel zu einer Verbesserung der ökonomischen Situation (gemessen am Pro-Kopf-Wachstum) führt.

Das gilt besonders für Umstürze in demokratischen Regimen: „Wenn Putsche demokratisch gewählte Anführer stürzen, dann ist das in den allermeisten Fällen [ökonomisch] schädlich“, so Meyersson. Im Durchschnitt führt ein militärischer Umsturz in einem demokratischen System während des folgenden Jahrzehnts zu einer Reduzierung des Pro-Kopf-Wachstums von ca. 1% pro Jahr.

Meyersson_Putsch_Demokratie_Autokratie
Quelle: Erik Meyersson: Political Man on Horseback: Coups and Development, April 2016, S. 42

Die für den aktuellen Putschversuch in der Türkei entscheidende Erkenntnis liefert die rote „failure“-Linie in dem linken unteren Chart: Sie zeigt, dass sich gescheiterte Umsturzversuche in demokratischen Systemen historisch gesehen nicht sonderlich bremsend auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes auswirken.

Aus Meyerssons Untersuchung geht im Übrigen auch hervor, dass entgegen der landläufigen Meinung Putschversuche in Demokratien nur sehr selten am Ende einer langen Periode des wirtschaftlichen Niedergangs stehen. Vielmehr folgen sie oftmals auf eine Phase erheblichen ökonomischen Wachstums, dass sich unmittelbar vor dem Umsturz etwas abgekühlt hat – der aktuelle Putschversuch in der Türkei passt somit absolut ins Muster.

Viele Erdogan-Gegner würden wahrscheinlich aus nachvollziehbaren Gründen die Türkei – wenn überhaupt – dann nur sehr zähneknirschend als Demokratie bezeichnen. Im jüngsten „Demokratie-Index“ des Economist rangiert das Land zwischen Uganda und Thailand auf Platz 97 und wird als „Hybridregime“ definiert. Für seine Demokratie-Klassifizierung hat Meyersson allerdings den Democracy-Dictatorship Index (DD Index) verwendet, wonach die Türkei (noch) als „parlamentarische Demokratie“ eingeordnet wird.

Fazit: Erdogan braucht Stabilität um jeden Preis

Die ökonomische Betrachtung der Putschfolgen spricht leider nicht dafür, dass die Türkei sich in den kommenden Jahren zu einem demokratischeren Ort entwickeln wird. Die Popularität Erdogans und seiner AKP beruht in wesentlichen Teilen auf dem wirtschaftlichen Aufschwung, den die Türkei im letzten Jahrzehnt erlebt hat. Für die Regierung ist es daher existenziell, auch weiterhin für ein konstant hohes Wachstum zu sorgen.

Dafür ist das Land wie erwähnt auf den konstanten Zufluss ausländischer Gelder angewiesen. So ist es ziemlich bezeichnend, dass Vize-Premierminister Mehmet Simsek am Sonntag eine mehr als zweistündige Telefonkonferenz mit ausländischen Investoren abhielt – laut Simseks eigenen Angaben war es das längste Telefongespräch, was er jemals geführt habe.

Die Beruhigung der Investoren wird aber nur gelingen, wenn die politische Lage insofern stabilisiert wird, als dass weitere Umsturzversuche unwahrscheinlicher werden – was in der Logik Erdogans am Ehesten durch eine weitere Repression der Opposition gelingen dürfte.