Kommentar

Mario Draghi stößt ein Seil

Das QE-Programm der EZB ist zwar besser als nichts – aber eine echte wirtschaftliche Belebung wird die Liquiditätsschwemme auch nicht hervorrufen können. Sorgen macht vielmehr, dass es in Europa offenbar erste Zeichen für eine Verschlechterung des „Humankapitals“ gibt.

Auch geldpolitische Seile eignen sich eher zum Ziehen als zum Stoßen. Foto: Pixabay

Ich stehe dem Quantitative Easing-Programm der EZB sehr skeptisch gegenüber. Meiner Meinung nach befindet sich die Eurozone in einer Liquiditätsfalle – somit wird ein stärkeres Angebot an billigeren Krediten die Situation nicht grundlegend verändern. QE ist besser als nichts (vor allem mit Blick auf den Wechselkurs, das unausgesprochene Ziel der EZB), aber es ist sicherlich kein Game Changer.

Der Grund dafür ist ziemlich offensichtlich: Wenn Konsumenten und Firmen keine Kredite nachfragen, ist es egal, wie billig sie sind – dann wird die gewaltige Liquiditätsinjektion der EZB nur dazu führen, eine Vermögensblase aufzupumpen. Der Versuch, die Wirtschaft (und die Inflation) mit QE anzukurbeln, ist in etwa so effektiv wie „ein Seil zu stoßen“, wie es im Englischen heißt („pushing on a string“). Der wirtschaftliche Erholungsprozess wird bestenfalls moderat sein, wenn es keine erhebliche Ausweitung der Staatsausgaben gibt.

Zwei aktuelle EZB-Untersuchungen liefern sehr starke Belege zugunsten dieser Liquiditätsfallen-Sichtweise. Die erste Untersuchung ist der Eurozone Bank Lending Survey aus dem April. In der Pressemitteilung dazu heißt es:

„Die Bedingungen für die Neukreditvergabe der Banken wurden bei den Unternehmenskrediten abermals per saldo gelockert. Bei den Wohnungsbau- und Konsumentenkrediten kam es hingegen zu einer Verschärfung, die in erster Linie durch eine weitere Verringerung der Kreditmargen bedingt war.“

Das ist nicht überraschend. QE und Negativzinsen machen das Halten von Liquidität für Finanzinstitutionen so kostspielig, dass sich die Kreditkonditionen verbessern.

Aber warum sehen wir trotzdem kein nennenswertes Anziehen der wirtschaftlichen Aktivitäten und der Inflationsrate? Die Antwort ist auf der anderen Seite des Marktes zu finden: bei der Kreditnachfrage. Der in dieser Woche von der EZB veröffentlichte Survey on the Access to Finance of Enterprises in the euro area liefert eine klare und deutliche Ansage:

„Die Kundenakquise war während der aktuellen Befragung das dominierende Problem für die kleinen und mittleren Unternehmen der Eurozone. 27% der KMUs nannten dies als ihr Hauptproblem, im vorangegangenen Befragungszeitraum waren es noch 25% gewesen. Der Zugang zu Finanzmitteln wurde als das kleinste Problem wahrgenommen (10%, vorher 11%), nach den Punkten „Regulierung“, „Wettbewerb“ und „Produktionskosten“ (alle 14%) und der „Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften“ (17%).

Innerhalb des KMU-Sektors hatten kleine Unternehmen eher Probleme, Kredite zu erhalten (12%). Größere Firmen berichten dagegen, dass die Kundenakquise das größte Probleme darstellte (28%), gefolgt von der „Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften“ (18%) und „Wettbewerb“ (17%). Der Zugang zu Finanzmitteln wurde von größeren Firmen wesentlich seltener als Problem angegeben (7%, keine Veränderung zur früheren Umfrage).“

Das muss man eigentlich nicht weiter kommentieren, oder?

Es scheint in Europa immer schwieriger zu werden, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden

Nur noch eine kurze Anmerkung, die meiner Meinung nach künftig verstärkt diskutiert werden sollte: Es scheint in Europa immer schwieriger zu werden, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Was wäre, wenn dies das erste Zeichen einer Verschlechterung des Bestands an „Humankapital“ (schreckliches Wort) wäre, das sich nach acht Jahre der Krise in ramponierten Ausbildungen und Kompetenzen widerspiegelt? Wenn diese Krise früher oder später wirklich vorbei ist, sollten wir die Entwicklung bei der „Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften“ sehr genau beobachten.

Und könnte mir bitte noch einmal jemand die Geschichte von den Strukturreformen erzählen, die das Potenzialwachstum erhöhen?

 

Zum Autor:

Francesco Saraceno ist Ökonom an der Universität OFCE Sciences-Po. Er twittert unter @fsaraceno und betreibt den Blog „Sparse Thoughts of a Gloomy European Economist“, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.