Kommentar

Was steckt hinter der Austeritäts-Obsession?

Frei nach Keynes heißt es häufig, Ökonomen sollten wie Ärzte sein. In Sachen Sparpolitik muss die Behandlung allerdings wohl noch lange fortgesetzt werden, kommentiert Simon Wren-Lewis.

Das Schwaben-Syndrom hat sich auch über Deutschland hinaus ausgebreitet. Foto: Pixabay

Martin Wolf schreibt in der Financial Times: “The austerity obsession, even [sic] when borrowing costs are so low, is lunatic.” Der IWF, die OECD und so ziemlich die gesamte informierte Meinung stimmen dem zu. Nichtsdestotrotz haben diejenigen, die von dieser Austeritäts-Obsession betroffen sind, die Kontrolle über die Höhe der öffentlichen Investitionen in den USA, Deutschland und Großbritannien. Da stellt sich die interessante Frage: Leiden sie alle an derselben Krankheit?

Die US-Republikaner sind ein ziemlich klarer Fall

Die Diagnose im Fall der Republikanischen Partei in den USA ist ziemlich klar. Unter Berücksichtigung der verbliebenen Präsidentschaftskandidaten und den Handlungen des Kongresses besteht das wirtschaftspolitische Hauptziel darin, die Steuern zu senken, insbesondere für die extrem Reichen. Das erfordert, früher oder später, weniger öffentliche Ausgaben. Und was ist mit den Beweisen dafür, dass höhere öffentliche Investitionen jedem in der Wirtschaft helfen würden, inklusive den Reichen?

Das Problem ist, dass diese Gruppe unter der Wahnvorstellung leidet, nach der der einzige Weg, der Wirtschaft zu helfen, darin besteht, die Reichen weniger zu besteuern und das Biest, also den Staat, auszuhungern. Das ist ein ziemlich klarer Fall eines Patienten, der vom Virus der neoliberalen Ideologie befallen ist.

Deutschland: Das Schwaben-Syndrom

Der Zustand der herrschenden Klasse in Deutschland ist allerdings wesentlich schwieriger zu diagnostizieren. Einige heimische Ärzte nennen es das „Schwaben-Syndrom“: das ist ein Glaube, nach dem die Volkswirtschaft genauso wie ein Haushalt funktioniert und der Imperativ darin besteht, das Budget auszugleichen. Das scheint aber eher eine Benennung als eine Erklärung der Krankheit zu sein. Außerdem könnte noch eine Allergie im Spiel sein: Eine Aversion gegen keynesianische Volkswirtschaftslehre und gegen alles, was auch sich auch nur im Entferntesten keynesianisch anhört.

Die Natur der Krankheit ist in Deutschland rätselhafter als in den USA

Jedoch gibt es auch ziemlich starke mikroökomische Argument für zusätzliche öffentliche Investitionen in Deutschland: Obwohl die deutschen Straßen nicht in einem so schlechten Zustand wie die in den USA sind, schrumpft der öffentliche Kapitalstock Deutschlands nun schon seit über einem Jahrzehnt. Es besteht auch die Möglichkeit, dass das Schwaben-Syndrom noch durch eine alternde Bevölkerung verstärkt wurde, die sich Sorgen um ihre Rente macht. Es wird spannend sein zu sehen, wie diese Krankheit durch die jüngsten Injektionen mit dem Flüchtlings-Impfstoff beeinflusst wird.

Die Natur der Krankheit ist in Deutschland also rätselhafter als in den USA. Unglücklicherweise gibt es zwischen den deutschen Amtsträgern und ihren Kollegen im Rest von Europa häufige Kontakte. Daher haben sich zahlreiche weitere Fälle dieser Krankheit – was auch immer sie genau sein mag – anderweitig ausgebreitet, und in einem besonderen Fall (Griechenland) befindet sich der Patient auch weiterhin in einem kritischen Zustand. Die Krankheit verursacht zudem Komplikationen und Unfälle: Einer dieser Fälle ist Finnland, dass sich derzeit in intensiver Pflege befindet.

Großbritannien: Nur kurz Entwarnung

Die Konservative Partei in Großbritannien weist ebenfalls Symptome auf, die mit dem Schwaben-Syndrom in Verbindung stehen. Wie in Deutschland erlebte der Ausbruch seinen Höhepunkt ungefähr 2010/11. Eine gewisse Zeit lang dachte man, dass die Zahl der Fälle in Großbritannien zurückginge, aber im letzten Jahr kam es zu einem erneuten Ausbruch. Trotzdem gibt es einige, die sagen, dass die Partei die Symptome nur vortäuscht, um Wahlen zu gewinnen, während andere immer noch behaupten, dass Tests klare Spuren des ideologischen Virus nachgewiesen hätten.

Auf jeden Fall ist eines klargeworden: Die traditionelle Behandlungsmethode für die Austeritäts-Obsession, die gelegentliche Beratungen durch gutausgebildete Ökonomen beinhaltet, hatte nur eine geringe Wirkung. Wir wissen inzwischen auch, dass die Schockbehandlung durch die Finanzkrise den neoliberalen Virus nur noch ansteckender macht. Eine Verlängerung der Behandlung ist das einzig bekannte Heilmittel für diesen Virus. Wie auch beim Schwaben-Syndrom dürfte unsere größte Hoffnung darin bestehen, dass die Öffentlichkeit Schritt für Schritt immuner gegen diese Krankheit wird, wenn deren Konsequenzen klarwerden.

 

Zum Autor:

Simon Wren-Lewis ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Oxford University und Fellow am Merton College. Außerdem betreibt Wren-Lewis den Blog Mainly Macro, wo dieser Beitrag zuerst auf Englisch erschienen ist.