Kommentar

Warum es gut ist, dass Hans-Werner Sinn in den Ruhestand geht

Für die wirtschaftspolitische Debattenkultur ist der Abschied des ifo-Präsidenten vor allem eines: Die Chance auf einen qualitativen Neuanfang. Denn Hans-Werner Sinn hat die Diskussionen hierzulande zuletzt nicht mehr bereichert – er hat sie erdrückt.

Die Medienlandschaft (zu) fest im Griff: Hans-Werner Sinn: Foto: Metropolico.org via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Am heutigen Freitag ist es also so weit: Hans-Werner Sinn wird mit einem großen Festakt nach 17 Jahren an der Spitze des ifo-Instituts in den Ruhestand verabschiedet. Es gibt sicher viele Menschen, die den charismatischen Ökonomen mit dem Käpt´n Ahab-Bart vermissen werden.

Aber für die wirtschaftspolitische Debattenkultur in Deutschland ist Sinns Abschied vor allem eines: Die Chance auf einen qualitativen Neuanfang.

Denn Hans-Werner Sinn hat die Diskussionen hierzulande zuletzt nicht mehr bereichert – er hat sie erdrückt. Das ist überhaupt nicht seine Schuld, sondern vielmehr die von uns Medienvertretern, die Sinn und seinen immer an der Schwelle zur Apokalypse balancierenden Thesen ein Gewicht gegeben haben, dass in krassem Missverhältnis zum an sich viel breiteren Meinungsspektrum der deutschen und internationalen Volkswirtschaftslehre stand.

Die Medien haben Sinn ein Gewicht verliehen, dass in krassem Missverhältnis zum viel breiteren volkswirtschaftlichen Meinungsspektrum stand

Sinn hat es geschafft, durch das Nadelöhr des Journalismus zu schlüpfen, dass einem ohne Zweifel hoch qualifizierten Wissenschaftler die mediale Deutungshoheit über so ziemlich alles verleiht, was irgendwie nach Geld und Wirtschaft riecht. Die EZB hat die Zinsen gesenkt? Ruf mal den Sinn an und frag, was das jetzt bedeutet. Griechenland will seine Kreditbedingungen neuverhandeln? Hol mal ein Statement von ifo ein, dass taugt bestimmt für eine Schlagzeile. Was heißt der Mindestlohn für Deutschland? Sinn wird schon was Kluges dazu sagen.

Seit Jahren führt Sinn die Rangliste der Ökonomen, die in den deutschen Medien am meisten Gewicht erhalten, mit großem Vorsprung an, ablesbar etwa am jährlichen FAZ-Ökonomenranking. Aber gemessen an einer in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Umfrage unter gut 1.000 deutschen Volkswirten sind Sinns Meinungen etwa in Sachen Geldpolitik, Konjunkturprogramme, deutsche Exportstärke und Austeritätspolitik eher eine Randerscheinung unter Deutschlands Ökonomen (international sowieso).

Hoffnung auf mehr Pluralität

Besonders eindrucksvoll ablesbar war diese mediale Geilheit auf Sinns Statements noch mal in den letzten Wochen. Gefühlte 87 Zeitungen druckten anlässlich des bevorstehenden Abschieds Interviews mit Sinn ab, ohne dass in diesen auch nur ein Hauch von Nachrichtenwert, Exklusivität oder Erkenntnisgewinn mitschweben musste.

Wie gesagt: Man kann Sinn nun wirklich nicht vorwerfen, dass er sich und sein Institut PR-mäßig an die Spitze gebracht hat. Im Gegenteil: An seinem Gespür für Themensetzung und deren Präsentation könnten sich viele deutsche Ökonomen eine Scheibe abschneiden (und es gibt noch eine Reihe von weiteren Gründen, Sinn zu vermissen, wie sie etwa Mark Schieritz im Herdentrieb-Blog ausführt).

Aber es besteht jetzt auch die große Chance, dass wir Medien nach Sinns Abschied künftig eher in der Lage sind, die durchaus vorhandene Pluralität in der deutschen Ökonomenzunft besser abzubilden. Es würde uns allen jedenfalls guttun.