Geoökonomie

Warum selbst ein ramponiertes Bretton Woods auch 80 Jahre später noch eine große Errungenschaft ist

Bretton Woods scheint angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen immer mehr ein Höhepunkt der internationalen Zusammenarbeit gewesen zu sein. Wir täten gut daran, uns seiner Verdienste bewusst zu sein – vor allem in unruhigen Zeiten.

Im Juli 1944, als in Europa und im Pazifik noch Krieg herrschte, versammelten sich 730 Delegierte aus 44 Ländern im Mount Washington, einem um die Jahrhundertwende erbauten Grandhotel in New Hampshire. Sie befanden sich am Rande einer kleinen Stadt namens Carroll, umgeben von einem Wald, nicht weit von der kanadischen Grenze entfernt. Aber der Name, der berühmt werden sollte, war der des Gebiets, in dem sie sich aufhielten: Bretton Woods.

Die Konferenz war von den USA organisiert worden, um neue Regeln für das internationale Währungssystem der Nachkriegszeit zu vereinbaren. Sie galt als das wichtigste internationale Treffen seit der Pariser Friedenskonferenz von 1919 und sollte „über das Gemetzel des Krieges hinausgehen, um eine neue Weltordnung zu schaffen, die auf Handel und Zusammenarbeit beruht“. Zur Enttäuschung der Briten war dies der Moment, in dem die Gastgeber sie endgültig als dominierende Weltmacht ablösten.

Rund 80 Jahre später sieht das internationale System ziemlich anders aus als das, was während des dreiwöchigen Prozesses vereinbart wurde, und vieles davon ist im Laufe der Zeit gescheitert oder mutiert. Dennoch hat sich die amerikanische Vorherrschaft fortgesetzt, und die grundlegenden Prinzipien, die dem Abkommen zugrunde lagen, sind im Großen und Ganzen immer noch in Kraft. Doch jetzt sind sie so bedroht wie nie zuvor.

Wie Bretton Woods entstand

Die beiden Hauptakteure in Bretton Woods waren der britische Wirtschaftswissenschaftler und Verhandlungsführer John Maynard Keynes und der Chefökonom des US-Finanzministeriums, Harry Dexter White. Keynes war ein Veteran der Pariser Konferenz, die im Vertrag von Versailles gipfelte.

Er hatte die Verhandlungen desillusioniert aufgegeben und veröffentlichte 1919 seine anschaulichen und vernichtenden Memoiren The Economic Consequences of the Peace, in denen er erläuterte, warum die ökonomischen Rahmenbestimmungen des Vertrags „zutiefst fehlgeleitet und gefährlich“ waren. Die Bedingungen, die der Vertrag Deutschland auferlegte, haben wohl den Aufstieg der Nazis begünstigt. Ihre Macht wuchs, nachdem der Wall-Street-Crash von 1929 zur Großen Depression führte, die durch den Zusammenbruch des Welthandels noch verschlimmert wurde. Dies führte dazu, dass viele Länder zum Protektionismus übergingen, ihre Währungen abwerteten und Kapitalverkehrskontrollen einführten, um zu beschränken, wie viel Finanzmittel ihre Grenzen passieren konnten.

Sowohl White als auch Keynes wollten die Fehler von Versailles nicht wiederholen und waren der Meinung, dass ein System stabiler Wechselkurse und freier Handel für die Förderung von Wohlstand und Frieden unerlässlich seien. Dennoch gab es zwischen den beiden Männern einige scharfe Meinungsverschiedenheiten darüber, wie das neue System aufgebaut sein sollte.

Im Grunde genommen handelte es sich um einen geopolitischen Kampf, bei dem die vom Krieg gezeichneten Briten versuchten, ihre weltweite Bedeutung zu retten, während die Amerikaner entschlossen waren, sie ins Abseits zu stellen. Keynes schlug unter anderem vor, das internationale Währungssystem durch eine globale Reservewährung, den Bancor, und eine globale Zentralbank, die International Clearing Union, zu stützen. Zu seinem Pech hatten die Amerikaner am Verhandlungstisch das bessere Blatt. Sie waren zum weltweit führenden Exporteur geworden und lieferten unter anderem den Großteil der militärischen Ausrüstung für die beiden Kriege und vergaben hohe Kredite, damit sich die kriegführenden Nationen den Kampf leisten konnten. Vieles davon wurde mit Gold bezahlt, und 1944 besaßen die USA den größten Teil der Reserven der Welt.

Infolgedessen setzte sich Whites Vision eines stärker amerikanisch geprägten Systems durch (und Keynes starb weniger als zwei Jahre später an Herzproblemen). Zwei neue, von den USA dominierte Institutionen wurden gegründet: der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD).

Der IWF wurde mit der Verwaltung eines internationalen Systems fester Wechselkurse beauftragt, die an den US-Dollar gekoppelt waren. Der Dollar hatte einen festen Wert in Gold – 35 US-Dollar pro Unze – und löste damit das frühere System ab, bei dem die Währungen vieler Länder direkt an Gold gekoppelt waren und in das Edelmetall umgetauscht werden konnten.

Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), heute Teil der Weltbank, wurde gegründet, um finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau Europas und Japans nach dem Krieg zu leisten. Zur Erleichterung des freien Handels wurde das System 1947 durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) erweitert, aus dem sich die Welthandelsorganisation (WTO) entwickelte.

Ist Bretton Woods gescheitert?

Das System hatte nur bis 1970 Bestand, da die Militärausgaben der USA während des Vietnamkriegs dazu führten, dass der US-Dollar seine Gold-Bindung nicht aufrechterhalten konnte. Während Bretton Woods die Menge der im Umlauf befindlichen Währungen beschränkt hatte, konnten die Zentralbanken nun ihre Geldmenge ausweiten, um ihre Volkswirtschaften anzukurbeln. Dies ermöglichte die enorme Geldschöpfung, mit der die Weltwirtschaft nach den Wirtschaftskrisen von 2008 und 2020 gestützt wurde, was wohl eine der Hauptursachen für die Inflation war.

In der Zwischenzeit befassten sich der IWF und die Weltbank mit der Kreditvergabe an arme Krisenländer. Beide werden heftig dafür kritisiert, dass sie Regierungen dazu zwingen, öffentliche Ausgaben zu kürzen und Vermögenswerte an ausländische Unternehmen zu verkaufen. Was die WTO betrifft, so hat sie zwar viel zum Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen beigetragen, aber sie hat in den letzten Jahren praktisch aufgehört zu funktionieren.

Und dann ist da noch der US-Dollar. Die Entscheidung der US-Regierung, das internationale Finanzsystem im Zuge des Ukraine-Kriegs zu einer Waffe zu machen, indem sie Russland den Zugang zu seinen auf Dollar lautenden Vermögenswerten verwehrt, ließ andere Länder befürchten, dass sie das gleiche Schicksal erleiden könnten. China und weitere Länder haben ihre Abhängigkeit vom Dollar verringert, indem sie Handelsgeschäfte in anderen Währungen wie dem Yuan tätigen.

All dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bretton-Woods-System wirklich gescheitert ist. Zwischen 1950 und 2017 stieg das Volumen des Welthandels um das 39-fache. Der Anteil der Weltbevölkerung, der inflationsbereinigt mit weniger als 2 US-Dollar pro Tag auskommen muss, sank von 75% im Jahr 1950 auf nur noch 10% im Jahr 2015, auch wenn er seitdem kaum weiter zurückgegangen ist.

Europa hat den USA das Kompliment gemacht, das Bretton-Woods-System bei der Schaffung der Eurozone nachbilden zu wollen, und der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, empfand genug Wohlwollen gegenüber dem Abkommen von 1944, um für 2023 einen „neuen Bretton-Woods-Moment“ zu fordern, um sicherzustellen, dass die Entwicklungsländer in den globalen Finanzinstitutionen mehr Mitspracherecht haben.

Auch einige der anderen Probleme des derzeitigen Systems können überbewertet werden. Die vom IWF und von der Weltbank geforderte „Disziplin“ ist letztlich gut gemeint. Griechenland zum Beispiel hat im Zuge der Rettungsaktionen in den 2010er Jahren brutale Sparmaßnahmen erdulden müssen, aber die Kredite haben das Land wahrscheinlich vor noch schlimmeren Folgen bewahrt, wie dem erzwungenen Austritt aus dem Euro und einer Hyperinflation. Auch die „Entdollarisierung“ hatte nur eine begrenzte Wirkung: Der Platz des Dollars an der Spitze des internationalen Finanzsystems ist nicht ernsthaft in Gefahr.

Aber es sind neue Herausforderungen aufgetaucht. China ist jetzt eine echte Bedrohung für die wirtschaftliche Vorherrschaft der USA. Amerikas subventionslastiger Inflation Reduction Act von 2022 stellt eine deutliche Abkehr von der Freihandelsdoktrin dar, die dem internationalen System seit den 1940er Jahren zugrunde liegt, ebenso wie die kürzlich von Washington und möglicherweise Brüssel verhängten Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge. Die nationalistischen Erfolge bei den jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament und die mögliche Wiederwahl Donald Trumps sind weitere Bedrohungen für das internationale System, ganz zu schweigen von den schlimmsten Ost-West-Spannungen seit Jahrzehnten.

In diesem Zusammenhang erscheint Bretton Woods immer mehr als ein Höhepunkt der internationalen Zusammenarbeit. Es ist ein großes Verdienst, dass das von der unvorstellbaren Brutalität zweier Weltkriege und einer weltweiten Depression verwüstete Europa von 1944 80 Jahre lang in relativem Frieden leben konnte. Ob das System überleben kann, ist schwer zu sagen, aber wir täten gut daran, in diesen unruhigen Zeiten seine Verdienste zu reflektieren.

 

Zum Autor:

Conor O’Kane ist Senior Lecturer in Economics an der Bournemouth University.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation und des Autors ins Deutsche übersetzt.