Kommentar

Trumps Sieg ist für die Progressiven dieser Welt auch ein Grund zur Hoffnung

Trumps Präsidentschaft bedeutet eine Niederlage für alle liberalen Demokraten. Aber sie bietet auch wichtige Lehren – und Hoffnung: Denn wir befinden uns jetzt an einer Weggabelung, an der Veränderungen nicht nur möglich, sondern unvermeidbar sind. Ein Kommentar von Yanis Varoufakis.

Im Fokus: Trumps Triumph wird auch seinen europäischen Gegenstücken Auftrieb geben. Foto: Michael Hogan via Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Die Wahl Donald Trumps symbolisiert den Niedergang einer bemerkenswerten Ära. Es war eine Zeit, in der wir ein kurioses Spektakel beobachten konnten: Eine Supermacht, die USA, wurde wegen – und nicht trotz – ihrer wachsenden Defizite immer stärker. Diese Ära war auch deshalb bemerkenswert, weil plötzlich zwei Milliarden Arbeiter – aus China und Osteuropa – in die internationalen Wertschöpfungsketten des Kapitalismus hineinströmten. Diese Kombination gab dem Kapitalismus einen historischen Schub, während sie gleichzeitig die Perspektiven und die Einkommensanteile der westlichen Arbeiterschaft schmälerte.

Trumps Erfolg fällt mit dem Scheitern dieser Dynamik zusammen. Seine Präsidentschaft bedeutet eine Niederlage für alle liberalen Demokraten, aber sie bietet auch wichtige Lehren – und Hoffnung – für die progressiven Kräfte dieser Welt.

Von Mitte der 70er Jahre bis 2008 hat die US-Wirtschaft den globalen Kapitalismus in einem unstabilen, wenn auch fein ausbalancierten Gleichgewicht gehalten. Sie hat die Netto-Exporte von Volkswirtschaften wie Deutschland, Japan und später China angezogen und so die notwendige Nachfrage für die effizientesten Werkbänke bereitgestellt. Und wir wurde dieses wachsende Handelsdefizit bezahlt? Indem rund 70% der Profite ausländischer Firmen an die Wall Street zurückkehrten, um an den US-amerikanischen Finanzmärkten investiert zu werden.

Um diesen Recycling-Mechanismus am Laufen zu halten, musste die Wall Street von allen Zwängen befreit werden: von den Überbleibseln des New Deal von Präsident Roosevelt und dem Bretton-Woods-Abkommen der Nachkriegszeit, welches darauf aus war, die Finanzmärkte zu regulieren. Das ist der Grund, warum die Washingtoner Amtsträger so begeistert davon waren, den Finanzsektor zu deregulieren: Die Wall Street stellte den Kanal zur Verfügung, durch den die wachsenden Kapitalflüsse aus dem Rest der Welt die Defizite der USA ausgleichen konnten und gleichzeitig die notwendige gesamtwirtschaftliche Nachfrage lieferten, um den Globalisierungsprozess zu stabilisieren. Und so ging es immer weiter.

What goes up …

Es war tragisch, aber auch sehr vorhersehbar, dass die Wall Street immer weitere undurchschaubare Pyramiden von privatem Geld (auch bekannt als strukturierte Derivate) aus den ins Land fließenden Kapitalflüssen aufbaute. Was 2008 passierte, kann jedes Kind nachvollziehen, dass einmal versucht hat, einen unendlich großen Turm aus Sand zu bauen: Die Wall-Street-Pyramiden kollabierten unter ihrem eigenen Gewicht.

Die Zentralbanken verhinderten eine zweite Große Depression – aber sie hatten nicht die Kapazitäten, um die Krise wirklich zu lösen

Es war der 1929-Moment unserer Generation: Die Zentralbanken, angeführt von Fed-Chef Ben Bernanke, einem Studenten der Großen Depression, schritten ein, um eine Wiederholung der 30er Jahre zu verhindern und ersetzten das verschwundene private Geld mit billigen öffentlichen Krediten. Sieht man von schwächeren Ländern wie Portugal und Griechenland ab, verhinderten die Zentralbanken so eine zweite Große Depression – aber sie hatten nicht die Kapazitäten, um die Krise wirklich zu lösen. Die Banken wurden wieder flottgemacht und das US-Handelsdefizit stieg erneut auf den Stand von vor der Krise. Allerdings war die US-Wirtschaft nicht mehr in der Lage, den weltweiten Kapitalismus ins Gleichgewicht zu bringen.

Das Ergebnis ist die Große Deflation im Westen, die von ultraniedrigen oder negativen Zinsen, fallenden Preisen und einer abgewerteten Arbeiterschaft gekennzeichnet ist. Die Gesamtersparnisse der Welt sind (gemessen als Anteil am Welteinkommen) auf ein Rekordhoch gestiegen, die Investitionen auf ein Rekordtief gefallen.

Wenn sich so viele unproduktive Ersparnisse akkumulieren, neigt insbesondere der Preis des Geldes (der Zins), aber eigentlich der Preis von allem dazu zu fallen. Das bremst die Investitionstätigkeit und die Welt endet in einem Gleichgewicht aus schwacher Nachfrage, schwachen Investitionen und schwachen Profiten. Genau wie in der frühen 30ern führt ein solches Umfeld zu Fremdenfeindlichkeit, einem rassistischen Populismus und Zentrifugalkräften, die die Institutionen zerreißen, die einst der ganze Stolz des globalen Establishments waren. Schauen Sie sich nur an, was aus der Europäischen Union oder aus dem TTIP-Freihandelsabkommen geworden ist.

Ein schlechter Deal

Vor dem 2008er Crash waren die Arbeiter in den USA, in Großbritannien und in der europäischen Peripherie mit dem Versprechen auf „Kapitalgewinne“ und mit billigen Krediten besänftigt worden. Man hat ihnen erzählt, dass ihre Häuser weiter an Wert zulegen und so die ausgebliebenen Einkommenszuwächse kompensieren würden. Währenddessen könnten ihre materiellen Bedürfnisse durch Zweitkredite, Kreditkarten und den ganzen anderen Kram finanziert werden.

Der Preis dafür war ihre Zustimmung für das schrittweise Zurückfahren des demokratischen Prozesses und dessen Austausch durch eine „Technokratie“, die gutgläubig und ohne Reue den Interessen der obersten 1% diente. Aber jetzt, acht Jahre nach 2008, sind diese Menschen sauer und wollen abrechnen.

Die neue Ära, die Trumps Präsidentschaft einleitet und die der Brexit bereits angekündigt hat, ist nicht wirklich neu – sondern eine postmoderne Variante der 30er Jahre

Trumps Triumph vollendet die tödliche Verletzung, die diese Ära 2008 erlitten hat. Aber die neue Ära, die Trumps Präsidentschaft einleitet und die der Brexit bereits angekündigt hat, ist eigentlich nicht wirklich neu. Tatsächlich ist sie eine postmoderne Variante der 30er Jahre, mit genau derselben Deflation, Fremdenfeindlichkeit und Teile-und-Herrsche-Politik. Trumps Sieg ist auch kein isoliertes Ereignis, das ohne Folgen für den Rest der Welt bleiben wird – vielmehr wird es die toxische Politik bestärken, die der Brexit, die offen zur Schau getragene Bigotterie von Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen in Frankreich, der Aufstieg der AfD in Deutschland, die zunehmend „illiberalen Demokratien“ in Osteuropa und die Goldene Morgenröte in Griechenland entfesselt haben.

Glücklicherweise ist Trump nicht Hitler und die Geschichte wiederholt sich auch niemals selbst. Zum Glück unterstützt das Big Business Trump und seine europäischen Kumpels nicht so, wie es das damals bei Hitler und Mussolini gemacht hat. Aber Trump und seine europäischen Gegenstücke sind die Spiegelbilder einer aufstrebenden Nationalistischen Internationalen, wie sie die Welt seit den 30ern nicht erlebt hat.

Und genau wie in den 30ern hat auch jetzt eine Phase von schuldengetriebenem Ponzi-Wachstum, einer falschen geldpolitischen Ausrichtung und Finanzialisierung zu einer Bankenkrise geführt, die deflationäre Kräfte gezeugt hat, die einen Mix aus rassistischem Nationalismus und Populismus ausbrüten. Genau wie den frühen 30ern hat auch jetzt wieder ein ratloses Establishment die Progressiven wie Bernie Sanders oder unsere erste Syriza-Regierung bekämpft – und wird dafür von aggressiven rassistischen Nationalisten auf den Kopf gestellt.

Eine globale Antwort

Kann der Spuk dieser Nationalistischen Internationale vom globalen Establishment absorbiert oder besiegt werden? Angesichts von deren Verdrängungsreflexen und permanenten Koordinierungsfehlern muss man schon sehr gutgläubig sein, um darauf zu hoffen. Gibt es eine Alternative? Ich denke schon: Eine Progressive Internationale, die dem Narrativ des Isolationismus widersteht und einen verbindenden humanistischen Internationalismus vorantreibt, der die vom Establishment betriebene Verteidigung der Rechte des Kapitals auf Globalisierung ablöst.

In Europa gibt es diese Bewegung bereits. Die im letzten Februar in Berlin gegründete DiEM25-Bewegung (Democracy in Europe Movement) versucht das zu schaffen, was einer früheren Generation von Europäern in den 30ern nicht gelungen ist. Wir wollen über Länder- und Parteigrenzen hinweg Demokraten erreichen und fordern sie auf, sich zu vereinen, um die Grenzen und Herzen offenzuhalten, und eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu betreiben, die es dem Westen ermöglicht, die Idee eines geteilten Wohlstands zu erneuern – ohne dabei auf das destruktive „Wachstum“ der Vergangenheit zu setzen.

Aber Europa ist eindeutig nicht genug. DiEM25 ermuntert die Progressiven in den USA, die Bernie Sanders und Jill Stein unterstützt haben, in Kanada und in Lateinamerika sich zu einer „Democracy in the Amerikas“-Bewegung zu vereinen. Wir bemühen uns ebenfalls um die Progressiven im Nahen Osten, vor allem um diejenigen, die ihr Blut im Kampf gegen ISIS, gegen die Tyrannei und gegen die Marionetten des Westens vergossen haben, um eine „Democracy in the Middle East“-Bewegung zu gründen.

Trumps Triumph bietet somit auch einen Grund zur Hoffnung. Er demonstriert, dass wir uns an einer Weggabelung befinden, an der Veränderungen nicht nur möglich, sondern unvermeidbar sind. Aber um sicherzustellen, dass diese Veränderungen nicht von jener Natur sind, unter denen die Menschheit in den 30ern gelitten hat, brauchen wir Bewegungen, die eine Progressive Internationale formen, um die Leidenschaft und die Vernunft wieder in den Dienst des Humanismus zu stellen.

 

Zum Autor:

Yanis Varoufakis ist Wirtschaftsprofessor an der Universität von Athen. Von Januar bis Juli 2015 war er griechischer Finanzminister und ist Mitbegründer von DiEM25.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.The Conversation