Fremde Federn

Optionszeiten, Covid-Lehren, Epochenwende

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wie der Wert des Schreibens definiert wird, was wir (nicht) aus der Pandemie lernen sollten und auf welche Weise sich kultureller Wandel in einer globalisierten Ordnung vollzieht.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst Forum (früher piqd) eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. Formum.eu versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Endet in Belgien bald die Epoche der Automobilproduktion?

piqer:
Jürgen Klute

Belgien war die erste und bis zum 1. Weltkrieg auch die führende Industriegesellschaft auf dem europäischen Kontinent. In Belgien hat das europäische Eisenbahnnetz seinen Ursprung. Um das Jahr 1900 begann die Automobilproduktion in Belgien. Viel ist davon nicht geblieben: in Gent eine Produktionsstätte von Volvo und in Brüssel die Produktionsstätte von Audi.

Doch nun steht auch die Zukunft des Audi-Werks in Brüssel infrage. Thomas A. Friedrich hat für das Belgieninfo den aktuellen Stand der Diskussionen um das Brüsseler Audi-Werk dargelegt und wirft auch einen Blick auf Aufstieg und vor allem auf den langen Prozess des Niedergangs der Automobilproduktion in Belgien.

Kulturen, Wohlstand, Werte in der Globalisierung – eine Annäherung?

piqer:
Thomas Wahl

Sozialwissenschaftler, Medien und politische Strömungen streiten schon lange darüber, wie sich der kulturelle Wandel in einer sich modernisierenden, reicher werdenden und globalen Welt vollzieht. Einige sagten voraus, dass die nationalen Kulturen sich annähern würden, indem sie mit dem Wohlstand etwa die für westliche Demokratien typischen sozialen Werte, oder auch die universellen Menschenrechte, übernehmen. Andere meinten, dass die kulturellen Differenzen und Werteunterschiede bleiben oder sich im Laufe der Zeit sogar vergrößern würden.

Die ZEIT führt dazu ein Interview mit dem Verhaltensforscher Danila Medwedew, der kürzlich diese Problematik gemeinsam mit Joshua Conrad Jackson in einer Studie analysiert hat. Empirisch beruht diese Analyse auf Daten der World Values Survey, die 1981 zum ersten Mal von einem internationalen Netzwerk von Sozialwissenschaftlern erhoben wurde. Leider ist dieser Artikel (wie so viele der interessantesten Texte) hinter der Bezahlschranke. Die Inhalte findet man aber veröffentlicht bei „Nature“ unter dem Titel „Worldwide divergence of values“.

Die in den westlichen Demokratien verbreitetste Hypothese ging davon aus, dass technischer Fortschritt und wachsender Wohlstand dazu führen, dass Kulturen sich auf Dauer immer ähnlicher werden und die ganze Welt irgendwann Freiheit und Demokratie nach westlichem Vorbild übernehmen würde.

Die traditionellen Modernisierungstheorien sagten bekanntlich eine Konvergenz der gesellschaftlichen Werte voraus. Inspiriert von den Philosophien von Marx und Hegel gingen die Modernisierungstheoretiker davon aus, dass das Ende des Kalten Krieges und der Aufstieg der Globalisierung die weltweite Ausbreitung einer „universellen Zivilisation“ mit liberalen und individualisierenden Werten, die den Vorrang der persönlichen Rechte und Freiheiten betonen, katalysieren würde. Andere vertraten die Ansicht, dass die globale Verbreitung der Industrialisierung die traditionelle Kultur aufbrechen und durch „moderne“ Klassenstrukturen und Werte ersetzen würde. Diesen Perspektiven liegt die Annahme einer unilinearen Modernisierung zugrunde: moderne Technologie und Globalisierung sollten dazu führen, dass die Kulturen der Welt immer mehr den demokratischen westlichen Nationen ähneln.

Das bekannteste Gegenmodell vertrat der Politologe Samuel Huntington, der einen „Clash of Civilizations“ prophezeite: Kulturelle Unterschiede münden Huntington zufolge unweigerlich in feindselige Konflikte. Er ging nach dem Ende des Kalten Krieges

von einer Verlagerung des Konfliktes zwischen Ideologien, welche die nationalstaatlich verfassten Bündnisse geprägt hatten, zu einem Konflikt zwischen Zivilisationen aus, weil diese bei der Eindämmung der westlichen Dominanz mit ihrer Geschichte, ihren Sprachen, ihren Wertvorstellungen und ihren Religionen die höchsten sinnstiftenden Einheiten geworden seien.

Er sah insbesondere drei aufstrebende Kulturen – jene der Hindu, der Sini und des Islam. Diese würden den Westen als Zivilisation herausfordern, wodurch die Geopolitik multipolar würde. Der Westen

 habe zu lange die fehlgeleitete, arrogante, falsche und gefährliche Auffassung vertreten, die ökonomische Modernisierung führe gleichzeitig zum Durchbruch westlicher Werte. Statt einer Politik der Menschenrechte fordert Huntington eine Geopolitik der Macht, angeführt von den Vereinigten Staaten. Huntington regt zudem die Stärkung der westlichen Identität nach außen und innen an.

Was hat nun die Studie von Medwedew ergeben? Dazu im Interview:

Nun, die Werte und kulturellen Unterschiede in vielen Gesellschaften haben sich auseinanderentwickelt. Das hat uns sehr erstaunt. ….. Wir haben große Unterschiede bei emanzipatorischen Werten zwischen westlichen Ländern und dem Rest der Welt festgestellt, bei Werten wie Autonomie und Selbstverwirklichung oder bei der Akzeptanz von Abtreibung und Homosexualität. Die Akzeptanz von Homosexualität in Ländern wie Australien oder Dänemark ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen. In vielen nicht westlichen Ländern ist sie niedrig geblieben, die Lücke ist dadurch größer geworden. Bei manchen Werten entwickeln sich die Einstellungen sogar gegensätzlich. …. ich beobachte, dass sich die Menschen in vielen Ländern bewusst vom Westen abgrenzen. Viele muslimische Länder etwa konstruieren ihre nationale Identität in Opposition zum Westen, gerade solche, die eine koloniale Vergangenheit haben. Und es gibt Länder wie Russland, wo Regierungen mehr oder weniger offen sagen: Wir führen Krieg gegen westliche Werte.

Obwohl alle Menschen meist über dieselben psychologischen und kognitiven Grundmechanismen verfügen, rufen unterschiedliche Umweltbedingungen wie Geografie und Klima, u.a. divergierende Herausforderungen in ihren Lebensverhältnissen, Unterschiede in den Kulturen hervor. Aber auch durch gesellschaftliche Veränderungen wie Wohlstandswachstum oder gar Katastrophen, Kriege oder Pandemien verändern sich Kulturen:

Neue Normen entstehen, wenn Menschen glauben, dass andere in der Gesellschaft auf eine bestimmte Verhaltensform Wert legen. In den Sozialwissenschaften nennen wir das intersubjektive Kultur. Normen, Werte und Kultur sind immer miteinander verflochten.

Dabei spielen Wohlstand und Wirtschaftsleistung wenig überraschend eine besondere Rolle bei der Evolution von Werteeinstellungen. So schreiben die Autoren im „Nature“-Artikel:

In unserer Regressionsanalyse war das Pro-Kopf-BIP die einzige Variable, die die Unterscheidungskraft von Werten signifikant vorhersagte (siehe Tabelle 2), …, wobei der positive Koeffizient darauf hindeutet, dass Länder mit höherem Einkommen unterscheidungskräftigere Werte haben als Länder mit niedrigerem Einkommen. Keine anderen Parameter erreichten diese Signifikanz (ps> 0,05). In unserer ergänzenden Tabelle 8 zeigen wir, dass andere geopolitische Variablen nicht signifikant mit der Wertunterscheidungskraft verbunden sind, selbst wenn wir das BIP pro Kopf aus dem Modell entfernen. Weitere Analysen ergaben, dass der Zusammenhang zwischen dem Pro-Kopf-BIP und der Wertdifferenzierung je nach Weltregion variiert.

Es zeigt sich also, so Medwedew im Interview:

Länder mit einem ähnlichen Bruttoinlandsprodukt tendieren zu ähnlichen Wertevorstellungen, wohlhabende Länder ähneln anderen wohlhabenden Ländern. Viele Länder in Asien sind die Ausnahme: Japan, Taiwan, Südkorea, Singapur und Hongkong sind wohlhabender geworden, aber nicht so progressiv wie westliche Länder, die einen ähnlichen Wohlstandzuwachs verzeichnet haben. Das Wirtschaftswachstum in Singapur hat nicht dazu geführt, dass das Land heute kulturell die Vereinigten Staaten imitiert. Das zeigt, wie komplex die Auswirkungen von Globalisierung und Lokalisierung sind.

Diese Forschungen zeigen auch, dass es nicht zielführend ist, vom Verhalten und dem Selbstverständnis westlicher Menschen Aussagen über die menschliche Psychologie im Allgemeinen zu treffen. Wir Menschen aus westlichen, gebildeten, industrialisierten, reichen und demokratischen Ländern (WEIRD) entwickelten psychologische Eigenschaften, moralische Einstellungen, die sich vom Rest der Welt durchaus unterscheiden. Die Studienautoren haben empirisch nachgewiesen, dass sich dieses Problem in den letzten 40 Jahren verschärft hat. Wir WEIRD-Subjekte sind gegenüber dem großen Rest der Welt noch abgehobener, noch „eigenartiger“ geworden, zumindest in unseren sozialen und moralischen Werten.

Wichtig und bedenkenswert erscheint mir daher Medwedews Schluss im Interview der ZEIT:

Als die Vereinten Nationen 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten, haben wir gesehen, wie unglaublich schwierig es war, sich überhaupt darauf zu einigen, was Menschenrechte sind. Bis heute rührt die Kritik an der Idee von Menschenrechten daher, dass eine Handvoll Länder über ihre Definition bestimmt haben. Ich fände es schön, wenn alle universelle Menschenrechte anerkennen würden. Bloß glauben wir im Westen, dass das geschehen sollte, indem wir die anderen davon überzeugen – sei es auf die sanfte oder weniger sanfte Art. Die anderen müssen nur ein bisschen wohlhabender werden und warten, dann merken sie schon, wie wundervoll unser System ist, denken wir. Diese Art von imperialer Mentalität sollten wir infrage stellen, unabhängig davon, ob wir an universelle Menschenrechte glauben. Ich persönlich halte es für gut, normative Gräben zu überbrücken. Der Weg dahin könnte allerdings anders aussehen, als wir es uns im Westen wünschen.

Sparen bis zum Untergang

piqer:
Jürgen Klute

Dass Austeritätspolitik politisch hochriskant ist, sollte in Deutschland seit Reichskanzler Heinrich Brüning (vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932) bekannt sein. Wirtschaftstheoretische Erklärungen dazu hat John Maynard Keynes ausreichend geliefert. Umso mehr überrascht es, wie sehr sich die Bundesregierung im Gleichklang mit ein paar anderen Ländern knapp 100 Jahre nach den desaströsen Erfahrungen mit der brüningschen Sparpolitik erneut an diesen Fetisch klammert. Denn anders lässt sich wohl kaum beschreiben, was letzte Woche am Bodensee passiert ist. Die Finanzminister aus den fünf deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Liechtenstein hatten sich dort zu ihrem jährlichen Treffen eingefunden.

Wie Jonathan Packroff auf dem europäischen Nachrichtenportal euractiv schreibt, ging es bei dem Treffen um die Frage, wie man privates Kapital mobilisieren und gleichzeitig die öffentliche Verschuldung senken kann – wie sich also der Staat aus seiner steuernden Funktion (siehe Keynes) zurückziehen kann.

Packroff stellt in seinem Beitrag die Positionen der fünf Finanzminister vor und arbeitet das Konfliktpotential heraus, dass diese eigentlich überholte neoliberale Positionierung für die Europäische Union darstellt, angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die EU infolge der Klimakrise und des Krieges in der Ukraine steht.

Einmal mehr zeigt der deutsche Finanzminister, ein eifriger Verfechter der Schuldenbremse und der brüningschen desaströsen Sparpolitik, mit stillschweigender Zustimmung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers, dass die FDP sich zu einer Anti-EU-Partei mutiert hat. Wie diese Politik die EU bereits heute belastet, zeigt ein weiterer Artikel der taz (14.08.2024) von Simon Poelchau „Wirtschaftslage in der EU: Deutschland zieht Europa runter“.

Optionszeiten: Neun Jahre, die die Care-Lücke schließen könnten

piqer:
Antje Schrupp

Schon voriges Jahr erschien im Wirtschaftsmagazin Brandeins dieses Interview mit der Soziologin Karin Jurczyk über die Möglichkeit, Erwerbsarbeit und familiäre Sorgearbeit in Einklang zu bringen. Jetzt ist es ohne Bezahlschranke verfügbar und weiterhin hochaktuell.

Ihre Vorschläge für ein „Optionszeitenmodell“ basieren auf einem zweijährigen Forschungsprojekt, das analysiert hat, wie Menschen ihre Zeit verwenden und wo die Probleme liegen. Das Modell sieht vor, dass Erwerbstätige einen Anspruch auf berufliche Auszeiten haben: Sechs Jahre für Kindererziehung, zwei Jahre für Weiterbildung, ein Jahr für „Selbstsorge“. Dabei können sie wählen, ob sie für eine gewisse Zeit ganz aus dem Beruf aussteigen oder in Teilzeit gehen und die Ansprüche so auf einen längeren Zeitraum strecken. In dieser Zeit würden sie Ersatzleistungen bekommen, die teils vom Staat, teils von den Arbeitgebern und teils von ihnen selbst finanziert werden.

Das Interview gibt es als Transkript, man kann es aber auch als Podcast hören.

Aus der Pandemie lernen – oder lieber nicht?

piqer:
Silke Jäger

Das Buch von Christian Drosten „Alles überstanden?“, das er zusammen mit dem Spiegel-Redakteur Georg Mascolo geschrieben hat, sorgt seit Erscheinen dafür, dass nicht mehr nur einschlägige Kreise über die Aufarbeitung der Corona-Pandemie reden. Die beiden Autoren wurden zu Talkshows eingeladen und es sind in letzter Zeit zahlreiche Interviews mit ihnen erschienen. Dieses hier finde ich besonders lesenswert, weil es nicht allein die deutsche Debatte thematisiert, sondern auch die schweizerische. Der direkte Vergleich liefert gute Denkanstöße. Zum Beispiel durch solche Fragen:

Deutschland und die Schweiz gelten als Länder, die verhältnismässig gut durch die Pandemie gekommen sind. Der Schweiz aber ist dies mit weniger Massnahmen und einer liberaleren Haltung gelungen. Hat man in Deutschland die Menschen unnötig eingeschränkt?

Die Antworten in diesem Teil des Interviews zeigen ziemlich direkt den Unterschied in der Herangehensweise auf und erklären auch, wie sich das begründen lässt aus politischer Sicht – aber auch aus gesellschaftlicher und sogar aus topografischer. Genau wie Deutschland hat die Schweiz keine Aufarbeitung angestoßen, anders als Österreich, UK und Schweden. Um diese Länder geht es dann auch in der Mitte des Interviews. Auch hierbei tauchen wichtige Aspekte auf, die im allgemeinen Tumult der Pandemie-Berichterstattung gerne untergingen. Ländervergleiche waren und sind nicht trivial. Nur weil ein anderes Land anders vorging, heißt das nicht, dass es eine bessere Entscheidung als Deutschland traf.

Also: Woran bemisst sich eigentlich, ob Entscheidungen am Ende gute Entscheidungen waren? An der Zahl der Toten, an der Zahl der verhinderten Toten, am Ausmaß der psychischen und sozialen Schäden? Drosten sagt zu solchen Messgrößen am Beispiel der Übersterblichkeit:

Zweitens ist es ein grosser Trugschluss, am Ende auf die Übersterblichkeit zu gucken, auch wenn dieses Argument andauernd auf den Tisch gebracht wird.

Warum ist das ein Trugschluss?

Drosten: Damit macht man es sich zu einfach, und es ist vom Grundansatz her falsch. Speziell bei der Übersterblichkeit gleicht sich alles an, je länger man wartet, dann spielt die Impfung und vieles andere mit hinein.

Das Gespräch greift weitere interessante Aspekte auf, die man noch nicht dauernd zu diesem Thema gelesen hat. Und kommt auch auf die Frage, ob es nicht unklug wäre, die Aufarbeitung anzugehen – schließlich könnte sie den Falschen in die Hände spielen.

Mascolo: Man hört dafür in Deutschland zwei Argumente. Das eine lautet: Wir haben doch jetzt andere Probleme. Und das andere: Das nutzt doch nur den Falschen. Aus meiner Sicht sind das genau die Argumente, die unbedingt für eine Aufarbeitung sprechen. Man muss sich nur erinnern, was eine Pandemie bedeutet. Würde man noch einmal eine erleben, wäre das ganz sicher wieder ein herausragendes politisches und gesellschaftliches Ereignis. Ich glaube nicht, dass die Menschen Verständnis dafür hätten, wenn es dann heissen würde: Wir haben nicht zurückgeguckt, um zu verstehen, was wir auf keinen Fall wiederholen sollten. Und mit dem Argument, dass man dem Falschen dient, spielt man diesen doch gerade in die Hände.

Der Ruin der Drehbuchschreiber

piqer:
Jannis Brühl

In diesem fantastischen Long-Read für das US-Magazin Harper‘s (das oft exzellente lange Stücke hat) schreibt der Historiker und Journalist Daniel Bessner darüber, wie sich die Veränderungen in Film- und Fernseh-Business über die Zeit auf die Drehbuchautoren ausgewirkt haben und wo sie heute stehen. Vom frühen Monopol der 1920er, in dem die Autoren sehr gut verdienten, über die ersten Studio-Zerschlagungen durch die US-Regierung, über den Boom der verrückten Storys und hohen Gehälter in den Neunzigern bis hin zur Fernsehserien-Explosion und dem Absturz des Schreiber-Status im Marvel-Zeitalter. In Letzterem sind aus den fest angestellten Traumfabrik-Profis vergangener Jahrzehnte endgültig Gig Worker geworden, die sich mit dem Drehbuchschreiben eigentlich nicht mehr über Wasser halten können und deshalb hauptsächlich andere Jobs machen.

So träumerisch und aufregend die Erzählung über die vergangenen Jahrzehnte sind – die komfortable Position kreativer Schreiber im Autoren-Kino der Siebziger, im Tarantino-Zeitalter der Neunziger und später in der Madmen-Serien-Ära –, umso kälter ist der Wind heute geworden. Denn die kreative Hollywoodbranche ist aus Sicht ihrer neuen Besitzer, der Private-Equity-Unternehmen und der großen Asset-Manager vor allem voll gestopft mit lange angesetztem Fett, das sich einsparen lässt. Dazu gehören auch spekulative Drehbuch-Ideen und Wagnisse. Heute zählt fast nur noch die Ausschlachtung von etabliertem geistigen Eigentum, siehe Marvel. Der Druck der Wall-Street-Investoren lässt praktisch keinen Spielraum mehr für Risiken, die dann in tollen Filmen resultieren, die auf wirklich neuen Ideen basieren.

Allerdings bleibt als Fazit, dass auch eine auf Wall Street-Effizienz getrimmte Entertainment-Maschinerie am Ende gute Autoren braucht. Sonst verliert sie vielleicht ihre Zuschauer – sprich: Kunden.

Ein langes, erhellendes und tragisches Stück über meine Lieblingskunst – den Film – und das Geld. Und über den Wert des Schreibens.