Kommentar

Die EZB gewährt allen Eurostaaten einen Schuldenerlass – nur Griechenland nicht

Das QE-Programm der EZB hilft allen Eurostaaten außer Griechenland bei der Reduzierung ihrer Schuldenlast – und ausgerechnet Deutschland, der größte Gegner eines Schuldenschnitts für Athen, profitiert am stärksten. Es ist an der Zeit, diese politisch gewollte Diskriminierung zu stoppen.

Griechenland würde auch gerne einen Teil seiner Schulden bei der EZB entsorgen – darf es aber aus „technischen Gründen“ nicht. Foto: Bill G. via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Es sieht so aus, als wenn Griechenland von seinen Gläubigern ein paar Schuldenerleichterungen bekommen würde. Endgültig sicher ist das aber noch nicht, weil einige deutsche Politiker weiterhin Rückzugsgefechte betreiben, um dies zu verhindern.

Sicher ist allerdings, dass alle Eurostaaten seit dem Frühjahr 2015 in den Genuss von Schuldenerlassen gekommen sind – alle, nur nicht Griechenland. Das hört sich für Außenstehende vielleicht überraschend an. Ein paar Erläuterungen dürften notwendig sein.

Im Zuge ihrer neuen „Quantitative Easing“-Politik (QE) kauft die Europäische Zentralbank seit Anfang 2015 auch die Staatsanleihen von Eurostaaten. Seitdem hat die EZB Staatsanleihen im Wert von rund 645 Milliarden Euro aufgekauft. Und sie hat angekündigt, dass sie das Volumen der monatlichen Käufe steigern und mindestens bis März 2017 damit fortfahren wird. Dann wird sie Staatsanleihen im Wert von geschätzt 1,5 Billionen Euro gekauft haben. Die Absicht der EZB ist es, Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Sie hofft, die Eurozone so aus der Stagnation zu befreien.

Griechenland ist vom QE-Programm ausgeschlossen

Damit habe ich kein Problem. Im Gegenteil: Ich bin ein Befürworter dieser Politik. Ich habe allerdings ein Problem mit der Tatsache, dass Griechenland vom QE-Programm ausgeschlossen wird. Die EZB kauft keine griechischen Staatsanleihen. Dadurch verweigert die EZB Griechenland den Schuldenerlass, den sie anderen Eurostaaten gewährt.

Wie ist das möglich? Wenn die EZB Anleihen eines Eurostaates kauft, ist das so, als wenn diese Anleihen aufhören zu existieren. Obwohl die Anleihen in der Bilanz der EZB (oder in den Bilanzen der nationalen Notenbanken) bleiben, haben sie keine ökonomische Relevanz mehr. Jedes nationale Finanzministerium bezahlt Zinsen auf diese Anleihen, aber die Zentralbanken reichen diese Zinszahlungen am Ende des Jahres an die Finanzministerien zurück. Das bedeutet, dass die nationalen Regierungen keine Zinsen mehr für den Teil ihrer Schulden zahlen, der sich in den Büchern der Zentralbank befindet. Alle diese Regierungen kommen in den Genuss eines Schuldenerlasses.

Wie groß ist dieser Schuldenerlass? Die Übersicht weiter unten gibt die Antwort. Sie zeigt die kumulierten Staatsanleihenkäufe der EZB seit März 2015 bis Ende April 2016. Solange wie diese Anleihen in den Bilanzen der EZB oder der nationalen Notenbanken gehalten werden, müssen die Regierungen dafür keine Zinsen zahlen. Die EZB hat angekündigt, dass sie, wenn diese Anleihen auslaufen, Anleihen in gleichwertiger Summe auf den Sekundärmärkten kaufen wird.

Kumulierte Staatsanleihenkäufe (in Mio. Euro, Stand: 30. April 2016)

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Quelle: EZB (Details zum EZB-Wertpapierkaufprogramm finden sich hier)

Wir sehen also, dass den Eurostaaten bis jetzt (Stand Ende April 2016) ein Schuldenerlass von insgesamt 645 Milliarden Euro gewährt wurde. Wir nehmen außerdem die Abwesenheit Griechenlands zur Kenntnis und sehen die Tatsache, dass Deutschland, der größte Gegner eines Schuldenerlasses für Griechenland, selbst den größten Schuldenerlass durch die EZB genießt.

Die Ankündigung der EZB, dass sie ihr QE-Programm mindestens bis März 2017 fortsetzen und ihre Käufe von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat steigern wird, bedeutet, dass sich der bis März 2017 gewährte Schuldenerlass im Vergleich zu den in der Übersicht gezeigten Zahlen noch mehr als verdoppeln wird. Für viele Länder bedeutet dies einen Schuldenerlass in Höhe von mehr als 10% des Bruttoinlandsprodukts.

Griechenland ist vom QE-Programm ausgeschlossen – und somit auch von dem Schuldenerlass, der aus diesem Programm resultiert. Die EZB gibt als Grund für diesen Ausschluss ein technisches Problem an: Griechische Staatsanleihen würden nicht die qualitativen Kriterien erfüllen, die die EZB im Rahmen ihres QE-Programms verlangt.

Aber das ist extrem paradox. Länder, die „Qualitäts“-Anleihen ausgegeben haben, kommen in den Genuss von Schuldenerleichterungen. Sobald sie in den Bilanzen der Notenbanken auftauchen, hören diese Anleihen aus ökonomischer Sicht auf zu existieren – als wenn sie in die Mülltonne geworfen worden wären. Somit läuft die ganze Operation darauf hinaus, die guten, aber eben nicht die schlechten Anleihen in den Müll zu werfen.

Der Ausschluss Griechenlands ist das Ergebnis einer politischen Entscheidung, die darauf abzielt, ein Land zu bestrafen, dass sich daneben benommen hat

Der Ausschluss Griechenlands vom QE-Programm ist nicht das Ergebnis eines unüberwindlichen technischen Problems. Diese technischen Probleme können leicht gelöst werden, wenn der politische Wille dafür existiert. Der Ausschluss Griechenlands ist vielmehr das Ergebnis einer politischen Entscheidung, die darauf abzielt, ein Land zu bestrafen, dass sich daneben benommen hat.

Es ist an der Zeit, dass diese Diskriminierung Griechenlands ein Ende hat. Ein Land, das unter einer immensen Schuldenlast leidet, muss auf dieselbe Art und Weise wie alle anderen Eurostaaten behandelt werden, die in den Genuss von stillen Schuldenerleichterungen durch die EZB gekommen sind.

 

Zum Autor:

Paul De Grauwe ist Professor am European Institute der London School of Economics.