Es gibt keinen Zweifel: Die makroökonomischen Debatten und die aktuelle makroökonomische Politik in Deutschland unterscheiden sich erheblich von anderen Ländern. Auf den ersten Blick ist das nur schwer zu erklären. Schließlich werden in der akademischen Welt die gleichen Textbücher und Modelle verwendet wie anderswo auch.
Aber hinter dem formalen theoretischen Apparat steckt ein spezielles makroökonomisches Paradigma. Es wurde von Walter Eucken entwickelt und steht in einem diametralen Gegensatz zur keynesianischen Volkswirtschaftslehre.
Das Paradigma der deutschen makroökonomischen Politik
Das auf Eucken zurückgehende Paradigma der deutschen makroökonomischen Politik beruht auf drei Säulen:
Einer fast schon religiösen Fixierung auf ausgeglichene Haushalte, die eine sehr skeptische Bewertung der Effektivität einer aktiven Nachfragesteuerung und der Fähigkeiten von Regierungen, profitable Investitionsprojekt zu finden, widerspiegelt. Diese Fixierung zeigt sich etwa durch das mediale und öffentliche Zelebrieren der „Schwarzen Null“, also der geringen Haushaltsüberschüsse, die der Bundhaushalt seit 2014 verzeichnet. 2009 wurde diese Philosophie durch die sogenannte „Schuldenbremse“ im Grundgesetz verankert. Der europäische „Fiskalpakt“ von 2012 verpflichtet die anderen Mitgliedsstaaten, ähnliche Regeln in ihren nationalen Verfassungen einzuführen.
Die Vernachlässigung von Nachfrageeffekten der Haushaltspolitik prägte den deutschen Lösungsansatz für die Eurokrise und das Bestehen auf einer Austeritätspolitik um jeden Preis. Ein Beispiel für die komplette Vernachlässigung der Nachfrageeffekte der Austeritätspolitik findet sich etwa in Hans-Werner Sinns Analyse der „griechischen Tragödie“. Darin schreibt der ehemalige Präsident des ifo-Instituts: „Dass Griechenland trotz der riesigen Kreditmittel, die es von der Staatengemeinschaft erhielt, wirtschaftlich nicht vorangekommen ist und heute kränker denn je erscheint, mag auf den ersten Blick verblüffen.“ Aber anstatt auf die Effekte einer „beispiellosen“ (Zitat IWF) Haushaltskonsolidierung zu verweisen, erzählt Sinn die abwegige Geschichte von der „Holländischen Krankheit“, die Griechenland befallen hätte.
Eine starke Präferenz für Preisstabilität als übergeordnetes Ziel der Geldpolitik mit einer asymmetrischen Toleranz für Abweichungen. Während Inflationsraten über dem EZB-Ziel von „unter, aber nahe 2%“ als gefährlich angesehen werden, ist die momentane Euro-Inflationsrate von um die 0% für viele Ökonomen kein Grund zur Sorge.
Eine tiefe Überzeugung, dass flexible Preise der wichtigste Beitrag für die Lösung von Arbeitslosigkeitsproblemen sind. Diese spiegelt sich in der deutschen Lohnzurückhaltung von 2000 bis 2007 wider, mittels derer die Arbeitslosigkeit reduziert werden sollte, und erklärt auch die von deutschen Ökonomen kontinuierlich vorgebrachten Forderungen nach „Strukturreformen“ als Hauptlösung für die Probleme in der Eurozone.
Dieses spezielle deutsche Paradigma hat die deutsche Wirtschaftspolitik geprägt und steht in starkem Kontrast zur Politik anderer großer Volkswirtschaften. Das gilt vor allem für die Fiskalpolitik. Während die USA, Großbritannien und Japan in Reaktion auf die Krise über einen längeren Zeitraum sehr hohe Haushaltsdefizite zuließen, war das Defizit in Deutschland sehr begrenzt und der öffentliche Haushalt war bereits 2011 fast schon wieder ausgeglichen.
Der deutsche Einfluss auf die EZB
Auch bei der Geldpolitik der Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich der deutsche Einfluss identifizieren. Ihre Reaktion auf die Große Rezession war viel schwächer als die der anderen großen Zentralbanken – 2011 hat die EZB sogar ihren Leitzins angehoben, obwohl sich die Eurozone noch mitten in der Krise befand. Und während die anderen großen Zentralbanken ziemlich früh umfassende Quantitative Easing-Programme starteten, wartete die EZB damit bis 2015.
Der deutsche Ansatz im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zeigt sich in der Entwicklung der Lohnstückkosten. Seit der Einführung der Währungsunion sind diese in allen anderen großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit Ausnahme Japans stärker gestiegen als in Deutschland.
Was auch immer man von dem deutschen makroökonomischen Paradigma halten mag – es besteht kein Zweifel, dass es für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zumindest auf lange Sicht von Vorteil war. Das deutsche Wachstum war zwar schwächer als das der USA und Großbritanniens, aber auf einer Linie mit Frankreich und stärker als in Italien und Japan. Vor allem beeindruckt die Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit dem Jahr 2005.
Das Erbe von Walter Eucken lebt
Auf den ersten Blick ist dieses besondere deutsche makroökonomische Paradigma nur schwer zu erklären. Deutsche Studenten lesen die gleichen makroökonomischen Textbücher wie Studenten in anderen Ländern und auf fortgeschrittener Ebene werden die Standard-DGSE-Modelle gelehrt und angewendet.
Aber hinter dem formalen theoretischen Apparat lässt sich ein spezielles makroökonomisches Paradigma identifizieren: die Ordnungspolitik, die in dieser Form in anderen Ländern nicht existiert. Obwohl es keine speziellen Universitätskurse dazu gibt, spielt die Ordnungspolitik in der deutschen akademischen Debatte und in der aktuellen Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle.
Für das Verständnis dieses Paradigmas ist es nützlich, einen genaueren Blick auf die Arbeiten von Walter Eucken (1891 – 1950) zu richten. Eucken lehrte von 1927 bis zu seinem Tod an der Universität Freiburg und gilt als Spiritus Rektor der sogenannten „Freiburger Schule“. Die Feierlichkeiten zu seinem 125. Geburtstag unterstreichen seinen Einfluss auf die heutigen Politiker: Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer Rede, dass die Prinzipien der Freiburger Schule nichts von ihrer Relevanz und Wichtigkeit eingebüßt hätten.
Walter Euckens Wirtschaftsphilosophie kann mittels einer positiven und einer negativen Botschaft dargestellt werden. Die positive Botschaft wird in seinen „konstituierenden“ und „regulierenden Prinzipen“ dargelegt. Diese Prinzipien wirken nicht gerade sehr originell, sie sind sogar fast trivial. Wie etwa Henry Oliver argumentiert ähneln sie sehr stark den Programmen, die von der Chicago School und allen voran von Henry Simons entwickelt wurden. Wahrscheinlich würden die meisten Ökonomen außerhalb Deutschlands mehr oder weniger zustimmen, dass diese Prinzipien eine Vorbedingung für die optimale Allokation von Ressourcen sind.
Euckens konstituierende (K) und regulierende (R) Prinzipien
K1 | funktionsfähiges Preissystem |
K2 | Primat der Geldpolitik |
K3 | Offene Märkte |
K4 | Privateigentum |
K5 | Vertragsfreiheit |
K6 | Haftung |
K7 | Kontinuität der Wirtschaftspolitik |
R1 | Monopolkontrolle |
R2 | Einkommenspolitik |
R3 | Korrektur externer Effekte |
R4 | Berücksichtigung von anormalem Arbeitsangebot |
Mit Blick auf das makroökonomische Paradigma liegen die interessanteren Elemente von Euckens Philosophie in seiner negativen Botschaft. Sie beinhaltet nicht nur eine extreme Ablehnung zentraler Planung, die während Euckens aktiver Zeit in Deutschland vorherrschend war, sondern auch eine sehr starke Kritik an dem, was er die „Vollbeschäftigungspolitik“ nannte. Eucken verwendet diese Bezeichnung für eine expansive Fiskalpolitik keynesianischer Bauart, auch wenn er Keynes selbst nicht erwähnt.
In seiner Arbeit diskutiert Eucken nur die deutschen Erfahrungen der 30er Jahre, die von der Machtergreifung der Nazi-Regierung 1933 dominiert waren. Eucken zieht eine direkte Linie von der „Vollbeschäftigungspolitik“ hin zu Preiskontrollen, Rationierung und zentraler Planung:
„Und so führte die Vollbeschäftigungspolitik zu einer Konsequenz, die sich schon aus dem korporativen Aufbau des Arbeitsmarktes ergab. Sie löste ebenfalls eine mächtige Tendenz zu zentraler Leitung des Wirtschaftsprozesses aus. Auch die Vollbeschäftigungspolitik stellt eine „unstabile“ Wirtschaftsordnung her. Diese Wirtschaftsordnung hat die Tendenz sich zu transformieren. Und zwar in Richtung auf die zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses. Zwei starke historische Kräfte waren es also, welche die deutsche Wirtschaftspolitik in die Richtung auf zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses trieben: Die Bildung umfassender wirtschaftlicher und sozialer Machtkörper und die Vollbeschäftigungspolitik.“ (S. 36)
Demzufolge waren es nicht die Nazis, die Deutschland in die zentral geplante Kriegswirtschaft führten, sondern die Gewerkschaften (der „korporative Aufbau des Arbeitsmarktes“) und die keynesianische Nachfragepolitik. Das völlige Ausblenden der politischen Situation in Deutschland von 1933 bis 1945 wird auch in Euckens Analyse der Konsequenzen von Hitlers Wirtschaftspolitik deutlich:
„Dass die Steuerung des Wirtschaftsprozesses versagt, liegt offen zu Tage. Ein zweiter Typus des Versagens ist gerade im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wichtiger geworden: Alle Kräfte sind beschäftigt, aber die Tätigkeiten der Menschen greifen nicht richtig ineinander, und die Investitionen sind nicht aufeinander abgestimmt, so dass „Bottle Necks“ (Flaschenhälse) entstehen. (S. 56)“
Es ist schwer, sich eine noch unangemessenere Beschreibung der deutschen Kriegswirtschaft vorzustellen. Aus dieser fragwürdigen Analyse der deutschen Erfahrungen von 1933 bis 1945 entwickelt Eucken eine allgemeine Theorie der „Vollbeschäftigungspolitik“.
„Das Resultat der deutschen Erfahrung ist also ein ernstes. Die Wirtschaftspolitik ist vor ein Dilemma gestellt: Auf der einen Seite besteht eine Nötigung zur Vollbeschäftigungspolitik – sobald die Arbeitslosigkeit von Massen da ist. Auf der anderen Seite lässt die Vollbeschäftigungspolitik Ungleichgewicht auf anderen Märkten entstehen, das überaus gefährlich ist und hinaus die Wirtschaftspolitik in Richtung zentrale Planung drängt. Dieses schwere Dilemma ist vielleicht das wirtschafts- und sozialpolitisch größte Problem unserer Zeit.“ (S. 42)
Auf dem Weg von der „Vollbeschäftigungspolitik“ zur Zentralisierung spielt die Inflation für Eucken eine wichtige Rolle:
„Indem die Inflationen das Preissystem der Fähigkeiten beraubten, den Wirtschaftsprozess zureichend zu steuern, gaben sie zugleich den Anstoß, zu einem anderen System der Steuerung überzugehen: zur zentralen Planung.“ (S. 48)
Euckens Lösung für das Dilemma knüpft an seine Analyse der Hauptgründe für die Deflation in den Jahren 1929 bis 1933 an. Seiner Meinung nach waren Preise und Löhne nicht ausreichend flexibel:
„Ein Beispiel: Im Krisenjahr 1931 mussten die Berliner Bauunternehmer mit gewissen, relativ starren Preisen der Produktionsmittel, die – wie bei Eisen und Zement – durch Syndikate festgehalten waren, und mit relativ starren Löhnen rechnen, während die Häuserpreise rasch fielen.“ (S. 55)
Außerdem hatte nach Euckens Auffassung das Geldsystem einen destabilisierenden Effekt auf die Volkswirtschaft:
„Bei sinkenden Preisen findet hier eine weitere Geldkontraktion statt und so weiter in unabsehbarer Folge; Preissenkung verursacht Geldkontraktion und wieder Preissenkung.“ (S. 43)
Das führt Eucken zu der Schlussfolgerung:
„Es lässt sich ganz exakt feststellen, dass gleichgewichtslose Marktformen und Geldsysteme zu kumulativer Depression und zu Massenarbeitslosigkeit führen müssen. Wenn dem aber so ist, sollte die Wirtschaftspolitik darauf gerichtet sein, Ordnungsformen zu realisieren, die auf den Märkten ein Gleichgewicht des Wirtschaftsprozesses ermöglichen, wobei gerade auch die Gestaltung des Geldsystems wesentlich ist.“ (S. 43)
Und wenn dieses Geldsystem richtig organisiert würde, Eucken schwebte eine Warenreserve-Währung vor, könne ein permanentes stabiles Gleichgewicht erreicht werden:
„Dann wäre die Vollbeschäftigungspolitik entbehrlich; das große Dilemma wäre überwunden.“ (S. 43)
Das ist eine starke Schlussfolgerung. Sie steht im Gegensatz zu Euckens Aussagen in seinem im Jahr 1949 veröffentlichten Buch Grundlagen der Nationalökonomie, in dem er einen agnostischen Standpunkt einnimmt. Er stellt fest, dass Theorien, die versuchen, allgemeingültige Aussagen über scheinbar regelmäßig auftretende Veränderungen in der wirtschaftlichen Entwicklung zu treffen, zum Scheitern verurteilt seien. Ökonomische Entwicklungen sollten demnach immer im Kontext der konkreten historischen Situation betrachtet werden.
Alles in allem kann man Euckens Wirtschaftsphilosophie als klare Antithese zu Keynes verstehen. Sowohl Eucken als auch Keynes waren Kinder der Großen Depression. Aber während Keynes eine Theorie entwickelte, die erklärt, warum Marktwirtschaften zu großer Instabilität tendieren können, selbst dann, wenn die Preise vollkommen flexibel sind, war Eucken der Meinung, dass die Instabilität durch eine unzureichende Preisflexibilität und ein destabilisierendes Geldsystem verursacht wurde. Somit hatte Hajo Riese völlig Recht, wenn er feststellte, dass die Botschaften von Keynes und Eucken inkompatibel seien. In den 60er Jahren versuchte der deutsche Finanzminister Karl Schiller zwar mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz eine „Synthese zwischen Freiburger Imperativ und keynesianischer Botschaft“ zu schaffen – aber Eucken hätte dem sicherlich nicht zugestimmt.
Rückblickend ist es erstaunlich, dass Eucken ernsthaft glaubte, man könne allgemeine ökonomische Prinzipien aus der sehr speziellen deutschen Erfahrung der Jahre 1933 bis 1945 ableiten. Vielleicht lag es an den schwierigen Zeiten, während der er seine Werke verfasste, dass er keinen ausdrücklichen Verweis auf die Nazi-Diktatur und die sehr speziellen ökonomischen und politischen Bedingungen in einem Land machte, das sich im „Totalen Krieg“ befand.
Das erklärt es möglicherweise auch, warum Eucken sich nicht auf die Werke von John Maynard Keynes, die in den 30ern publiziert wurden, oder auf die von Friedrich August von Hayek bezieht. Tatsächlich nimmt er keinerlei ausdrücklichen Bezug auf die führenden Ökonomen seiner Zeit oder die sehr breite theoretische Literatur über Konjunkturzyklen, die damals verfügbar war. Eucken unternimmt auch keinen Versuch, seine Argumentation mit statistischem Material zu untermauern.
All das dürfte ein Symptom der Isolierung der deutschen Intellektuellen unter dem allumfassenden Totalitarismus der Nazis und der zunehmenden Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs sein. Eucken starb sehr früh, im März 1950, und hatte somit fast keine Gelegenheit, seine Ansichten in der breiten internationalen akademischen Gemeinschaft zu diskutieren.
Warum ist Eucken so populär geworden?
Wenn man Euckens makroökonomische Analysen mit den umfassenden Theorien von Keynes, Hayek oder Schumpeter vergleicht, ist es nur schwer nachvollziehbar, warum er in Deutschland eine so langandauernde Popularität genießt. Seine schlichte Ablehnung der „Vollbeschäftigungspolitik“ ist schon zu seinen Lebzeiten durch die Realität widerlegt worden. John Jewkes, der eine Einleitung für die 1952 erschiene englische Übersetzung von Euckens Werken schrieb, wies darauf hin, dass die erfolgreichen Vollbeschäftigungspolitiken der USA und Großbritanniens nicht zu einer zentral geplanten Volkswirtschaft geführt hätten. Und seitdem hat diese Politik immer wieder sehr erfolgreich dazu beigetragen, die Weltwirtschaft in Krisenphasen makroökonomisch zu stabilisieren – ohne dass das Ergebnis eine Planwirtschaft gewesen wäre. Dies gilt insbesondere für die Vereinigten Staaten.
In den 50er Jahren dürfte Euckens Popularität in Deutschland darauf zurückzuführen sein, dass er der einzige prominente deutsche Ökonom aus den dreißiger Jahren gewesen ist. Dass ihn heute Politiker und Akademiker noch immer als außergewöhnlichen Ökonomen ansehen und dass seine Philosophie immer noch das deutsche makroökonomische Paradigma prägt, zeigt welche Beharrungstendenzen ein wissenschaftliches Paradigma aufweisen kann.
- Euckens Aversion gegen die „Vollbeschäftigungspolitik“ bezüglich der Fiskalpolitik zeigt sich in der deutschen Position zur Fiskalpolitik auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene;
- Euckens negative Einstellung gegenüber Gewerkschaften und Korporatismus spiegelt sich in den Vorschlägen für „Strukturreformen“ wider, die vor allem darauf abzielen, die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächen;
- Euckens Theorie, nach der Inflation „alle Arten freier Wirtschaftsordnungen“ zerstöre, prägt die deutsche Einstellung gegenüber der Geldpolitik der EZB, die von einer latente Angst vor Inflation bestimmt wird.
Warum war die deutsche makroökonomische Politik erfolgreich?
Die breite Unterstützung, die das anti-keynesianische Paradigma in Deutschland genießt, lässt sich durch die insgesamt gute erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg und dann wieder seit Mitte der 2000er Jahre erklären. Angesichts der offensichtlichen Begrenztheit des theoretischen Rahmens der Ordnungspolitik erscheint dies ziemlich rätselhaft.
Das Rätsel lässt sich lösen, wenn man die Größe der deutschen Volkswirtschaft und ihre ausgeprägte Offenheit berücksichtigt. Gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt ist Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft in der Gruppe der fortgeschrittenen Volkswirtschaften:
BIP basierend auf den Kaufkraftparitäten der jeweiligen Länder
Aber gemessen an der Offenheit seiner Volkswirtschaft (Exporte in % des BIP) befindet sich Deutschland in der Gesellschaft von verhältnismäßig kleinen Volkswirtschaften:
Offenheit: Exporte in % des BIP
Aufgrund dieser Offenheit ist die deutsche Wirtschaft in der Lage, einen passiven makroökonomischen Ansatz zu fahren, da sie stark von der makroökonomischen Politik profitiert, die in anderen Ländern verfolgt wird. Mit anderen Worten: Die deutsche Volkswirtschaft wird von der „Vollbeschäftigungspolitik“ anderer Länder unterstützt.
Dies zeigt sich in den sehr großen Haushaltsdefiziten, die alle anderen großen Volkswirtschaften in der Zeit nach 2007 gemacht haben. Diese haben dabei geholfen, eine Neuauflage der Großen Depression zu vermeiden. Man könnte auch sagen: Die deutsche Wirtschaft wird genau von jener makroökonomischen Politik unterstützt, die deutsche Mainstream-Ökonomen so heftig kritisieren.
Zum Autor:
Peter Bofinger ist Mitglied des deutschen Sachverständigenrates und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg.
Hinweis:
Eine englische Version dieses Beitrags ist zuerst im E-Book „German macro: how it’s different and why that matters” erschienen. Die Übersetzung erfolgte mit Genehmigung des Autors durch die Makronom-Redaktion.