Corona-Pandemie

Von sozialer Distanzierung zu sozialer Spaltung?

Die Corona-Pandemie befeuert bestehende Verteilungskämpfe und schwächt das Vertrauen in demokratischen Einfluss auf politische Entscheidungen weiter. Eine Rückkehr der Vorkrisen-Konflikte scheint daher wahrscheinlicher als eine fundamentale Abkehr von den politischen Kämpfen der letzten Jahre. Ein Essay von Cédric M. Koch.

Liberale Demokratien haben in der Corona-Krise eine historische Vollbremsung gesellschaftlicher Aktivität vollzogen. Um die ökonomischen Folgen abzufedern, wurden in atemberaubendem Tempo Rettungspakete für Finanzsektoren, Arbeitnehmer*innen und Firmen geschnürt. Diese neue Normalität im Angesicht einer externen Bedrohung schien in den ersten Wochen die politische Landschaft zu verändern: Die Zustimmung für die Regierungen stieg durchweg, während Oppositionsparteien an Rückhalt verloren.

Gleichzeitig befeuert die Pandemie aber ökonomische und kulturelle Verteilungskämpfe aus den letzten Krisen, die bereits jetzt das Einheitsnarrativ der Krisenpolitik sowohl von rechts als auch von links untergraben. Existierende Unzufriedenheit mit materiellen Ungleichheiten und Statusprivilegien drohen, sich zu verstärken. Und das Vertrauen in demokratischen Einfluss auf politische Entscheidungen ist in Zeiten des Notstands und internationaler Krisenpolitik nur schwer aufrechtzuerhalten.

Wie schnell eine baldige Rückkehr in die politischen Gefechtslagen der letzten Jahre erfolgt, hängt in dieser Situation von den politischen Antworten auf die Krise ab. Um erneute Aufschwünge populistischer Akteure zu verhindern, darf dem Wirtschaftseinbruch nicht erneut mit vermeintlich alternativlosen Kostenabwälzungen auf Schwächere und dem Einknicken vor ausschließenden Schuldzuweisungen an Gruppen jenseits des „wahren Volkes“ begegnet werden. Die Stabilität liberaler Ordnungen auf nationaler und internationaler Ebene wird durch Corona erneut von zwei Seiten bedroht: es gilt, sowohl eine undemokratische Verschärfung existierender Ungleichheiten, als auch deren Instrumentalisierung für vermeintlich volksnahe Politik ohne Rücksicht auf die Rechte politisch Benachteiligter zu verhindern.

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