Fremde Federn

Grundrecht Wohnen, Orbán-Autos, Ruth Bader Ginsburg

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wie es um die Arbeitsmarkt-Integration von Geflüchteten steht, warum Versicherungsfragen eine Klima-Migration innerhalb der USA anstoßen könnten und wie Viktor Orbán die Autoindustrie benutzt, um deutsche gegen europäische Interessen auszuspielen.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Positive Bilanz wirtschaftlicher Integration von Flüchtlingen

piqer:
Jürgen Klute

Es ist jetzt fünf Jahre her, dass die Zahl der Flüchtlinge nach Europa stark anstieg. Diese Entwicklung hatte sich seit etwa 2012 angebahnt. Da sie von der Bundesregierung beharrlich ignoriert wurde, gab es im Spätsommer 2015 ein sehr plötzliches und unsanftes Erwachen in Berlin. Infolge dessen gab es heftige Auseinandersetzungen über die Aufnahme der durch Bürgerkriege und andere Katastrophen aus ihren Herkunftsländern vertriebenen Menschen.

Von rechts bis links gab es damals Befürchtungen, dass die vielen Menschen, die nach deutscher Empfindung etwas unerwartet an die deutschen Türen klopften und nach Schutz und Hilfe suchten, wirtschaftlich nicht zu integrieren seien und in einer sozial eh schon stark gespaltenen Gesellschaft zu zusätzlichen sozialen Verwerfungen führen würden.

Offensichtlich ist die wirtschaftliche Integration aber besser verlaufen, als in den hitzigen Diskussionen von 2015 immer wieder prognostiziert wurde. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte der Migrationsforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung:

„Ja, wir gehen davon aus, dass nach fünf Jahren ungefähr 50 Prozent einen Job haben. Für die Gruppe, die jetzt 2015 gekommen ist, ist diese Schwelle noch nicht ganz erreicht worden. Die haben am Jahresende 2019 gut 40, vielleicht 45 Prozent erreicht. Wegen Corona wird es dieses Jahr etwas weniger sein. Aber im Grundsatz ist die Integration auf dem Arbeitsmarkt besser verlaufen als bei Flüchtlingen in der Vergangenheit.“

Herbert Brücker geht in dem Interview auf verschiedene Aspekte der wirtschaftlichen Integration der Migranten und Migrantinnen ein und entwickelt so ein sehr differenziertes Bild, das im Ergebnis ein durchaus positives ist.

Ein Aspekt, den ich hier besonders hervorheben möchte, ist der der geschlechterspezifischen Differenzen der wirtschaftlichen Integration. Bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass Brücker eine kulturelle Erklärung dieser Differenzen zurückweist. Nicht kulturelle Unterschiede, sondern die Familiengröße sei der entscheidende Grund für die geschlechterspezifischen Differenzen bei der wirtschaftlichen Integration. Vergleiche man die Familien von Zuwanderern und schon lange hier Lebenden, dann fiele auf, dass die geschlechterspezifischen Differenzen wirtschaftlicher Integration vor allem von der Größe der Familie abhängen – also von der Zahl der Kinder und nicht von der Herkunft aus unterschiedlichen Ländern oder Kulturen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Brückner hält die wirtschaftliche Integration der Geflüchteten keineswegs für einen Selbstläufer und auch noch nicht für abgeschlossen. Durch die Corona-Krise etwa sieht er sie derzeit stark erschwert. Dennoch ist die Integration nach den Beobachtungen von Brückner in der alltäglichen Praxis sehr viel besser und in viel größerem Umfang gelungen, als politische Schwarzmalerinnen es in den hitzigen und ideologisch aufgeladenen Debatten der letzten Jahre prognostiziert haben.

Wohnen muss ein Grundrecht sein, auch in den USA

piqer:
Emran Feroz

Mittlerweile scheint es kein Geheimnis mehr zu sein, dass Covid-19 in den USA aufgrund der katastrophalen Politik der Trump-Regierung zu einer massiven Krise geführt hat.

Diese Krise durchdringt praktisch alle Lebensbereiche und einer davon ist natürlich auch der Wohnungsmarkt. Viele Mieter stehen nämlich wortwörtlich am Rande ihrer Existenz. Zwangsräumungen gehören in mehreren Metropolen wie New York und Los Angeles mittlerweile zum Alltag.

Betroffen sind vor allem Schwarze und lateinamerikanische Communities, wie die Journalistin Kandist Mallett in ihrer lesenswerten „Teen-Vogue“-Kolumne hervorhebt.

Mallett kritisiert regelmäßig die Grundpfeiler des US-Systems, etwa wie folgt:

There’s a disconnect between those in political office and the general public. That disconnect is wealth and class. The constitution was created by landowning white men, who were the only people who could vote for decades after this country’s founding. This legacy still guides the government’s funding priorities.

Viele Bürger – ganze 36 Prozent – befinden sich aufgrund der Krise im Mietrückstand. In vielen Regionen gab es bereits vor der Krise Probleme, etwa aufgrund massiver Gentrifizierung.

Doch nun gibt es immer mehr Proteste – und der Staat reagiert mit Gewalt.

In sections of Brooklyn, New York, where Black and Latinx communities have been battling against gentrification for years, community members are taking matters into their own hands. Crown Heights residents have conducted anti-eviction protests, led by the group Equality for Flatbush. At a recent anti-eviction protest outside a Richmond, Virginia, courthouse, protesters were pepper-sprayed by sheriff’s deputies, according to the local NBC News affiliate. Depending on where you live, sheriffs — who wield great power but are subject to little oversight — are the enforcers of evictions.

Laut Mallett müssen die Proteste als Teil des Gesamtbildes betrachtet werden. Es geht um Bürgerrechte und um die Tatsache, dass Wohnen ein fundamentales Grundrecht sein muss.

The answer to the housing crisis isn’t a moratorium on evictions that only delays these violent events while furthering indebting renters in the interim. We should cancel rent outright as this pandemic rages. And we should work toward a world where landlords no longer hold this sort of power over people’s lives.

Wie eine Versicherungskrise US-Klimaflucht auslösen könnte

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Rico Grimm

Was sind die Folgen der Klimakrise? Manche sind offensichtlich, wir spüren sie an Haut und Haaren, die Hitze, die Stürme. Manche aber verstecken sich tief in den Eingeweiden unserer Gesellschaft, sie fallen kaum auf, könnten aber der entscheidende Faktor sein, wenn es um die ganz großen gesellschaftlichen Veränderungen geht.

In diesem Text geht es um Klimamigration in den USA, raus aus den Brand-, Sturm- und Flutgebieten, rein in den Norden des Landes. Was die Menschen mutmaßlich am Ende vertreiben wird? Dass sie unfähig sein werden, ihre Häuser zu versichern, was wiederum den Wert dieser Häuser innerhalb weniger Monate verringern wird. So wie in der Finanzkrise 2009:

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Hausbesitzer beginnen, die Unhaltbarkeit dieses Ansatzes zu erkennen. Ein Marktschock, wenn er durch die Art des kulturellen Aufwachens getrieben wird, kann eine Nachbarschaft wie eine ansteckende Krankheit treffen, wobei die Angst Zweifel – und Abwertung – von Tür zu Tür verbreitet.

Wenn sie aber fortziehen, brechen die Steuereinnahmen ihrer Heimatstädte zusammen, was es wiederum erschwert, sich gegen den Klimawandel zu wappnen, was wiederum Leute zum Fortziehen animiert und so weiter. Der Text ist recht lang, aber auf Basis der aktuellen Forschung einer der besten, die ich bisher zu den wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels gelesen habe.

Klimaschutz: Eine Frage der Gerechtigkeit

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Nick Reimer

In der internationalen Klimapolitik sind die „Pro-Kopf-Emissionen“ eine wichtige Kenngröße. 2018 produzierte ein Kanadier zum Beispiel 16,08 Tonnen Kohlendioxid im Jahr, ein Tscheche 10,44 Tonnen, jeder Deutsche war für 9,15  Tonnen verantwortlich. Demgegenüber produzierte ein Rumäne lediglich 4,09 Tonnen in zwölf Monaten, jeder Inder 1,94 Tonnen, ein Äthiopier sogar nur 0,16 Tonnen.

Diese Kennzahl ist einerseits wichtig für die „Ambitions“, die Klimaschutzpläne, die jedes einzelne Land an die UNO melden muss: Auf die Weltbevölkerung verteilt gelten 3 Tonnen pro Kopf und Jahr als „klimaverträglich“. Deutschland muss also wesentlich mehr für den Klimaschutz tun als zum Beispiel Rumänien – und der indische Ausstoß „darf“ sogar noch weiter wachsen. Andererseits ist die „Pro-Kopf-Emission“ wichtig für die Klimagerechtigkeit: Sie zeigt, welche Nationen die Erdatmosphäre besonders stark schädigen.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat jetzt mal die Landesgrenzen gegen Reichtumsgrenzen eingetauscht – Klimaschuld also den jeweiligen Einkommensgruppen zugeteilt. Demnach hat das reichste ein Prozent der Weltbevölkerung (63 Millionen Menschen) zwischen 1990 und 2015 mehr als doppelt so viel klimaschädliches Treibhausgas ausgestoßen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. Die reichsten zehn Prozent sind für über die Hälfte (52 Prozent) der CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 verantwortlich.

In Deutschland waren die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung für 26 Prozent der deutschen CO₂-Emissionen im untersuchten Zeitraum verantwortlich. Die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung ist zahlenmäßig fünfmal so groß wie die reichsten zehn Prozent, hat aber mit 29 Prozent nur unwesentlich mehr Treibhausgase in die Luft geblasen. Verantwortlich dafür sei eine Politik, die auf Konsumanreize setzt, so Oxfam, die beiden größten Emissionstreiber sieht die Entwicklungshilfeorganisation dabei im Flugverkehr und in SUVs.

Anlass für die Veröffentlichung ist die 75. Generaldebatte der UNO, die morgen in New York beginnt. Anders als im vergangenen Jahr wird das Klimathema dabei aber nicht die Hauptrolle spielen. Der geschätzte Kollege Bernhard Pötter hat in der taz zusammengefasst, wo die internationalen Klimaschutzbemühungen stehen.

Dysfunktionale technisierte Landschaften in der Klimakrise

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Daniela Becker

Ich bin aufgewachsen mit Wild-West-Filmen, die davon erzählt haben, wie mutige Siedler in entbehrungsreichen Leben Amerika urbar gemacht haben. Die Prärie wurde zur Viehwirtschaft, Kalifornien zur Kornkammer. Der Mensch hatte sich die Natur und Wildnis „untertan“ gemacht – ohne Rücksicht auf natürliche Kreisläufe und Ökosysteme.

Dieser, in Text und Bild aussagekräftige und informative, Beitrag arbeitet sehr gut heraus, warum dieses Konzept leider nicht funktioniert, wie man im Moment zum Beispiel exemplarisch an Kalifornien beobachten kann. Dürre, Überschwemmung, extreme Feuer – die Menschen in Kalifornien werden seit Jahren von Katastrophenereignissen gebeutelt. Grund dafür ist unter anderem die Art, wie sich dort die Natur „untertan“ gemacht wurde.

Die überwiegende Mehrheit der kalifornischen Bevölkerung konzentriert sich in den Gebieten, in denen es kein Wasser gibt. Die Lösung Kaliforniens war ein kompliziertes Wasserlager- und Transportsystem. Dieses System verschiebt Wasser, das als Schnee auf die Berge der Sierra Nevada fällt, nach Süden und Westen, versorgt die Küstenstädte des Bundesstaates mit Trinkwasser und die Farmen im trockenen Central Valley mit Bewässerung und verwandelt Kalifornien in ein landwirtschaftliches Kraftzentrum, das ein Viertel der Nahrungsmittel des Landes produziert.

Ingenieurskunst vom feinsten, aber

Climate change is now shaking that system.

Die verheerenden Waldbrände sind nur das jüngste Beispiel dafür, wie die Klimakrise dazu führen kann, dass technisierte Landschaften aus dem Ruder laufen. Waldbrände sind in dieser Region völlig normal und natürlich. Durch die heißeren Temperaturen und trockeneren Bedingungen entzündet sich die Vegetation aber leichter; die Brände werden größer, intensiver – in einer Region, in der übermäßig viele Menschen in Brandrisikogebieten leben. Die trockenen Jahre werden immer trockener und zwingen Städte und Bauern, ihre unterirdischen Grundwasserleiter zu erschöpfen. Dieses Wasser fehlt der Vegetation in der Feuersaison. Eine Abwärtsspirale.

Gleichzeitig werden die Regenperioden immer feuchter, was eigene Herausforderungen mit sich bringt. Starke Regenfälle drohen, das riesige Netz von Aquädukten, Stauseen und Dämmen, die dieses Wasser speichern, zu überlasten. Katastrophen sind vorprogrammiert.

Auch die Menschen an der kalifornischen, extrem dicht besiedelten, Küste sind gefährdet. Jeder kennt Bilder der beeindruckenden Villen, die direkt an den Klippen gebaut sind. Mit tollem Meeresblick, aber auch schutzlos dem steigenden Meeresspiegel ausgeliefert.

“There’s sort of this sense that we can bend the world to our will,” said Kristina Dahl, a senior climate scientist in San Francisco for the Union of Concerned Scientists. “Climate change is exposing the vulnerabilities in the systems that we’ve engineered.”

Lech Wałęsa – „Praktiker, Politiker und Revolutionär“ zu Europa

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Thomas Wahl

Lech Wałęsa erscheint mir heute wie ein Fossil aus einer sagenhaften Zeit. Und doch hat dies alles innerhalb meines bewussten Lebens stattgefunden. Wer erinnert sich noch an 1970, als 80 Arbeiter in Danzig von der Polizei getötet wurden? Damals ging Wałęsa das erste Mal für ein Jahr ins Gefängnis – wegen  „anti-sozialen Verhaltens“. Acht Jahre später gründete er im Untergrund die Organisation der „Freien Gewerkschaften Pommerns“. 1980 der Streik und die Besetzung der Danziger Werft sowie Generalstreik im sozialistischen Polen. Im selben Jahr die Gründung und Legalisierung der systemunabhängigen Gewerkschaft Solidarność. Wałęsa wurde zum Vorsitzenden gewählt.

Dann 1981 kam das Kriegsrecht und das erneute Verbot der freien Gewerkschaft. 1983 erhielt Lech Wałęsa den Friedensnobelpreis. Und dann, am 6. Februar 1989, trat in Warschau erstmals ein Runder Tisch zusammen – mit Wałęsa als Sprecher der „Nicht-Regierungsseite“. Spätestens da war das Ende des realsozialistischen Lagers abzusehen.

Mit den ersten endgültig freien Wahlen von 1991 erhielt die Opposition alle bis auf einen Sitz (99 von 100) im neu gegründeten Senat. Im Dezember 1990 gewann Wałęsa die Präsidentschaftswahlen und wurde für fünf Jahre Polens Präsident. Sein Stil allerdings wurde von allen Seiten kritisiert und er verspielte einen großen Teil der Unterstützung der polnischen Bürger. Polen aber entwickelte sich während seiner Präsidentschaft zu einer demokratischen Marktwirtschaft. Wenn man heute z. B. das Interview mit ihm in der taz liest, merkt man (neben einer gewissen Selbstverliebtheit?), er ist ein Pragmatiker:

Russland wird sich irgendwann mit dem Rest Europas arrangieren müssen. Die Zeit der Nationalstaaterei und der Kriege ist vorbei. Wir stehen heute vor ganz anderen Herausforderungen als noch vor einem Jahrhundert. Die globalen Probleme löst kein Staat mehr allein.

Ob seine Ansichten zur EU realistisch sind, mag jeder selbst beurteilen. Zumindest zeigt er klare Kante:

Die EU ist heute sehr schwach. Es gibt zu viele antagonistische Kräfte innerhalb der EU. Es wäre gut, wenn die Deutschen, Franzosen und Italiener entweder die EU von innen reformierten oder aber – nachdem sie zuvor von Großbritannien, Polen, Ungarn und Konsorten zerstört wurde – von Neuem gründeten. Wie zuvor sollte jeder beitreten können, also auch diejenigen Staaten, die vorher unbedingt rauswollten. Allerdings müssten sie einen ganz klaren Rechte-und-Pflichten-Katalog unterschreiben, dessen Einhaltung dann auch streng kontrolliert werden sollte.

Sein Vertrauen in Deutschland als „Führungsnation“ immerhin ist beeindruckend, und vielleicht sollten wir uns in seinem Sinne wirklich an die Arbeit machen.

Audi, Mercedes & Co. in Ungarn: Wie Orbán Deutschland einwickelt

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Keno Verseck

Die Debatte darum, wann der antidemokratische Umbau Ungarns unter Viktor Orbán Konsequenzen hat und wenn ja, welche, ist bereits eine gefühlte Ewigkeit alt – vor allem deshalb, weil Orbán die Europäische Union und andere Partner, wie etwa die Europäische Volkspartei, in der Fidesz Mitglied ist, bisher immer austricksen konnte.

Es begann mit dem Mediengesetz 2010, das Orbán trotz kosmetischer Änderungen so durchbrachte, wie er es wollte. Augenblicklich befindet sich die EU wegen der Entwicklung in Ungarn und anderswo in einer Debatte über die Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit und der Vergabe von Fördergeldern, die voraussichtlich zu wenig führen wird. Zwischendurch wurde die Fidesz-Mitgliedschaft in der EVP suspendiert, doch ausgeschlossen wird die Orbán-Partei wohl nicht.

Wie konnte Orbán das gelingen? Beziehungsweise: Warum konnte oder wollte Deutschland, das mächtigste EU-Land, bisher praktisch nichts gegen die Entwicklung in Ungarn unternehmen? Natürlich, Ungarns Premier hat Verbündete in der EU und er weiß das Vertragswerk der Union so zu nutzen, dass er nichts befürchten muss.

Weniger bekannt ist in der Öffentlichkeit, dass Orbán auch wirtschaftliche Hebel in Bewegung setzt. Unter anderem hat er eine mächtige Allianz mit den mächtigen deutschen Autokonzernen ausgebaut, die in Ungarn äußerst unternehmensfreundliche Standortbedingungen genießen. Wie diese Allianz die deutsche und europäische Politik gegenüber Ungarn beeinflusst, wie direkt der Draht zwischen Orbán einerseits und Audi, Opel, Mercedes und BMW anderseits ist und wie Orbán den deutschen Autokonzernen aus der Krise half, darüber haben meine geschätzten Kollegen vom ungarischen Investigativportal Direkt36 einen faszinierenden, langen Bericht veröffentlicht, der halb auf investigativen Recherchen, halb auf Analysen nach Hintergrundgesprächen mit zahlreichen Diplomaten und Wirtschaftsfunktionären beruht. Ein Bericht, den man lesen muss, um zu verstehen, warum Orbán in der EU vorerst auch weiter nichts zu befürchten hat.

Natrium statt Lithium: Die bessere Autobatterie?

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Alexandra Endres

Die Verkehrswende wird ausgebremst – unter anderem (und natürlich nicht nur) davon, dass Auto-Akkus immer noch relativ teuer und rohstoffintensiv produziert werden, ihre Reichweite aber weiterhin sehr begrenzt bleibt.

Alexander Freund stellt in diesem Text für die Deutsche Welle eine mögliche Alternative zu den bislang gebräuchlichen Lithium-Ionen-Akkus vor:

Die Lösung könnten Natrium-Ionen-Akkus sein, bei deren Entwicklung in jüngster Zeit erstaunliche Fortschritte gemacht wurden. Schon in absehbarer Zeit könnten sie die bisherigen Lithium-Ionen-Akkus in Elektrofahrzeugen, aber auch in Smartphones oder Laptops ablösen.

Natrium, schreibt Freund, sei bei weitem (noch) nicht so leistungsfähig wie Lithium. Aber dafür kommt es häufiger vor, ist deshalb kostengünstiger, und es hat ähnliche Eigenschaften. Natrium-Ionen-Akkus schafften inzwischen viele Ladezyklen. Sie bräuchten keine seltenen Ressourcen, weder Lithiumsalze noch Kobalt.

Allerdings:

Natrium hat zwei Nachteile: Es ist dreimal so schwer wie Lithium und entsprechend sind auch die Natrium-Ionen-Akkus schwerer, auch wenn das Lithium weniger als 5% des Gesamtgewichts eines Akkus ausmacht.

Außerdem sind Natrium-Akkus leistungsschwächer, weil sie aufgrund einer 0,3 Volt niedrigere Zellspannung zwangsläufig rund 10 Prozent Energiedichte verlieren. Vor allem nimmt die Graphit-Anode des Akkus bisher zu wenig Natrium auf.

Doch womöglich könnte man die Speicherkapazität eines Natrium-Ionen-Akkus deutlich erhöhen, indem man statt Graphit-Anoden künftig Graphen-Elektroden in die Batterie einbaut. Eine Computersimulation deutscher und russischer Forscher deute jedenfalls darauf hin, schreibt Freund.

Für die Entwicklung zukünftiger Anoden für preisgünstige Natrium-Akkus könnten diese Ergebnisse den Durchbruch bringen.

Im Moment ist das Ganze aber noch Zukunftsmusik:

„Unsere Arbeit ist rein theoretischer Natur, und wir erheben nicht den Anspruch, dass auf der Grundlage unserer Ergebnisse in absehbarer Zeit eine neue Batterie-Generation entwickelt wird“, betont Krasheninnikov (einer der beteiligten Forscher, Anm. AE). „Aber vielleicht bringen unsere Resultate die Ingenieure ja auf neue, interessante Ideen.“

Es könnte also sein, dass die Verkehrsemissionen aus Klimaschutzgründen schneller sinken müssen, als Natrium-Ionen-Akkus marktreif werden können – dann wäre ihre Rolle für die Verkehrswende doch recht begrenzt. Aber sobald die Natriumbatterien marktreif sind, schätzt Freund, könnte die Umstellung auf sie „weitgehend unproblematisch“ vonstatten gehen.

Ruth Bader Ginsburg ist tot: Leben und Arbeit einer Ikone

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Meike Leopold

Spätestens seit Anfang der 2000er Jahre ist Ruth Bader Ginsburg, im Web auch liebevoll „Notorious RBG“ genannt, vielen ein Begriff. Ihr Bild mit Krone ist in diesen Tagen überall im Web zu finden, es gibt sogar Tassen und T-Shirts mit ihrem Konterfei.

Aber wer war diese Vorreiterin für Frauen- und Bürgerrechte eigentlich? Wie sah ihr Werdegang bis zur Ernennung als oberste Richterin am US Supreme Court (1993) aus? Diese Doku gibt Einblicke in ihr Leben und ihre Arbeit. Was mich an RBGs Vita besonders beeindruckt hat:

  • Wie sie sich in Zeiten, in denen in Harvard gerade mal 9 (!) Frauen mit 500 Männern studierten und große Kanzleien explizit keine Frauen einstellten, durchgekämpft hat. Ihre „innige Liebe“ zum Recht und die Tatsache, dass sie ein Workaholic war, mögen ihr dabei geholfen haben.
  • Die liebevolle Beziehung zu ihrem Mann Marti, der ohne Murren hinter ihr als großer Frau stand.
  • Die konsequente und strategische Art, mit der sie viele Jahre lang und nach über Musterprozesse eine Gesetzgebung für mehr Bürger- und Frauenrechte durchsetzte.
  • Ihr Mut, sich als liberal eingestellte Richterin immer wieder kritisch über Entscheidungen des Supreme Court zu äußern.
  • Der verbindliche Umgang mit Anfeindungen oder chauvinistischen Anmerkungen aller Art bei gleichzeitiger Härte in der Sache, die ihr auch den Respekt von Gegnern eintrug.

Mit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg steht nun die Ernennung einer sechsten konservativen Richterin oder Richters für den US Supreme Court ins Haus, möglicherweise noch vor der Wahl.

Hinweis eines piqd Kollegen: Dieser Film ist beim ZDF bis 26. September auch frei zu sehen.