Soziale Gerechtigkeit

Der Mythos vom „Aufstieg durch Bildung“

In der postmodernen Wissensgesellschaft ist Bildung zu einer Ideologie geworden, die Strukturen der materiellen Ungleichheit legitimiert. Allerdings versagt die Bildung als sozialer Gleichmacher ebenso wie als Mittel gegen die Armut. Ein Essay von Christoph Butterwegge.

Wenn es im vermeintlichen Land der Dichter und Denker um Armut oder um sozioökonomische Ungleichheit geht, fungiert die Bildung fast immer als politisch-ideologischer Kristallisationskern. Sowohl hinsichtlich der Entstehungsursachen wie auch in Bezug auf die Verringerung bzw. Verhinderung von (Kinder-)Armut spielt Bildung im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik seit jeher eine Schlüsselrolle: Armut wird hierzulande meistenteils auf gravierende Bildungsmängel zurückgeführt, weshalb sich die propagierten Gegenmaßnahmen – fälschlicherweise, wiewohl folgerichtig – auf verstärkte Bildungsbemühungen, -anstrengungen bzw. -angebote konzentrieren.

In der „postmodernen“ Wissensgesellschaft ist Bildung zu einer Ideologie geworden, die Strukturen der materiellen Ungleichheit, wie sie für Klassengesellschaften typisch sind, doppelt legitimiert: Einerseits heißt es, dass Bildungsanstrengungen jedem einen sozialen Aufstieg ermöglichten, was durch populäre Begriffe wie „Chancengleichheit“ oder „Chancengerechtigkeit“ unterstrichen wird. Andererseits bedeutet dies implizit, dass Armut und sozioökonomische Ungleichheit auf Bildungsdefiziten basieren, also in einem Land mit allgemeiner Schulpflicht ein individuelles und kein strukturelles Problem darstellen.

Kostenpflichtiger Inhalt

Bitte melden Sie sich an, um weiterzulesen

Noch kein Abo?